Die ‚Rektalstudie‘ – ist eine Studie zur HIV-Übertragung bei Analverkehr sinnvoll und notwendig? (akt.)

Braucht es eine Studie, die HIV-Konzentration im Darm und Übertragungsrisiken am Menschen untersucht? Und wenn ja, wie kann diese so konzipiert werden, dass Studienteilnehmer keine Risiken eingehen? Die ‚Rektalstudie‚ sieht sich kritischen Fragen ausgesetzt.

Worum geht es?
Auslöser der Debatte um das Thema ‚Infektiosität und Analschleimhaut‘ ist das Statement der EKAFkeine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„.
In ihrem Statement sagt die EKAF klar “das Risiko einer HIV-Übertragung beim Sex ohne Kondom unter vollständig supprimierter Viruslast ist deutlich geringer als 1:100.000. Das verbleibende Restrisiko lässt sich zwar wissenschaftlich nicht ausschließen, es ist aber nach Beurteilung der EKAF und der beteiligten Organisationen vernachlässigbar klein.”

Im Statement der EKAF wird nicht unterschieden zwischen Vaginal- und Analverkehr. Und dennoch kaprizierte sich von Anbeginn an genau auf diese Frage ein großer Teil der Debatte: können Daten für die HIV-Transmission bei Vaginalverkehr auf Analverkehr übertragen werden?

Die Schweizer reagierten früh auf diesbezügliche Fragen und Vorwürfe. Schon bald hat Prof. Hirschel präzisiert:

“Wenn man keine Studien hat, muss man auf den Verstand ausweichen. Es gibt keinerlei gute biologische Gründe, die erklären könnten, warum die vaginale Transmission sich von der rektalen Transmission unterscheiden soll.”
Und ob das Übertragungs-Risiko zwischen analem und vaginalem Verkehr nicht doch unterschiedlich sein könne?
Vielleicht, aber die verfügbaren Daten von nicht behandelten Patienten zeigen, dass die Risiken vergleichbar sind.”

Die Datenlage ist bisher tatsächlich scheinbar schlecht. Es gibt kaum Studien über die Konzentration von HIV in der Darmschleimhaut, sowie über die Auswirkungen erfolgreicher Therapie hierauf. Ob diese schlechte Datenlage allerdings überhaupt für die Diskussion relevant ist, ist auch angesichts der Erwiderungen von Prof. Hirschel fraglich.

Das Kompetenznetz HIV (Leitung: Prof. Brockmeyer, Bochum) schaltete sich ein. Und plant nun eine Studie. Die so genannte „Rektalstudie„. Ziel dieser Studie soll es sein, die Virusbelastung der Darmschleimhaut auch bei mechanischer Beanspruchung (mittels eines Dildos) zu untersuchen.
Auf dem Internetangebot des Kompetenznetz HIV ist die Studie nicht verzeichnet.
Eine Vor-Studie hierzu rekrutiert allerdings bereits Teilnehmer.
Und der Vorstand der DAH setzt sich kritisch mit der Studie auseinander.

An die Studie könnten viele Frage gestellt werden – und sie müssen gestellt werden, auch zum Schutz der potenziellen Teilnehmer.
So bleibt zunächst zu klären, was die Rationale einer solchen Studie ist und sein kann. Wie relevant ist das Thema dieser Studie tatsächlich für die weitere Diskussion und Entscheidung über Konsequenzen aus dem EKAF-Statement?
Ist sie tatsächlich erforderlich? Gelten die Begründungen von Prof. Hirschel nicht, oder warum werden sie als nicht ausreichend betrachtet?
Kann eine Studie zur rektalen Transmission überhaupt in einer Konstellation durchgeführt werden, die ethisch vertretbar ist? In der die Studienteilnehmer nicht unnötig gefährdet werden? Ist die Studie vertretbar und verantwortbar?
Wie sieht die Patienteninformation aus? Waren Patienten-Organisationen, Menschen mit HIV daran beteiligt?
War oder ist Aidshilfe oder Aidshilfe-Mitarbeiter an dieser Studie beteiligt? Wann, wer, in welchem Umfang?
Hinterfragenswert auch die Vor-Studie, die bereits rekrutiert. Was wird hier konkret untersucht? Wie informiert sind die Studienteilnehmer?

Fragen über Fragen – umso erstaunlicher, dass diese Studie in aller Stille vorbereitet und konzipiert wurde. Und dass die Vorstudie bereits Patienten rekrutiert.

Davon abgesehen könnte man auf den Gedanken kommen, dass mit der Rektalstudie Schein-Aktionismus betrieben wird. Wird hier eine Schein-Debatte geführt, die von den wichtigen Fragen im Zusammenhang mit dem EKAF-Statement und möglichen Konsequenzen daraus nur ablenkt, eine Auseinandersetzung damit verzögern soll?

Nachtrag
24.012.2009: Auf Initiative des Vorstands der Deutschen Aids-Hilfe haben VertreterInnen des Patientenbeirats sowie DAH-Mitgliedsorganisationen eine Vereinfachung der Studie sowie einen Verzicht auf vorherige Stimulation vorgeschlagen.

Das Recht auf Nicht-Wissen

Anlässlich einer Verurteilung in der Schweiz (‚Ungetestet – trotzdem vor Gericht schuldig gesprochen‚), einiger Diskussionen und Kommentare hierzu wie auch eines Posts von TheGayDissenter (‚HIV/Aids: ungetestete Risikostifter!? – Ein Urteil aus der Schweiz‘) steht immer wieder die Frage im Raum, ob es ein Recht auf Nicht-Wissen (hier: des eigenen HIV-Status) gebe.

Dazu einige Gedanken:

Rückblende, Mitte der 1980er Jahre. In westdeutschen Großstädten haben sich nach der tristen Zeit der 50er, 60er und frühen 70er Jahre florierende schwule Szenen entwickelt. Boomende kommerzielle und alternative Strukturen, diskussionsfreudige und experimentierwillige schwule Bewegungen, Ideen und Projekte für andere, buntere, vielfältigere Zukunft.

In diese lebensfrohen schwulen Strukturen platzt 1983 Aids wie eine Bombe. Nach ersten Berichten über vermeintlich skurile Krebs-Fälle in den USA anfangs kaum wahrgenommen, wird Aids bald schon von vielen erlebt als eine massive Bedrohung der neu errungenen schwulen Freiheiten. Als Szenario erneuter Rückfälle in Adenauersche Zeiten, in Diskriminierung und Unterdrückung. Bis Aids zur selbst erlebten Realität wird, Bekannte Freunde Lover sterben, der Besuch von Trauerfeiern und Beerdigungen zu schmerzvoller Alltagsrealität junger, eigentlich lebensfroher Menschen Mitte Ende 30 wird.

Aids, das bedeutet in diesen Jahren Mitte, Ende der 1980er z.B.:
– Politiker, bei weitem nicht nur in Bayern, und erst recht ihre schwedischen Handlanger, diskutierten ernsthaft Absonderung, Internierung und Kennzeichnung von Menschen mit HIV und Aids.
– Schwule Treffpunkte, Bars Diskotheken Saunen sollen geschlossen werden (in Bayern werden dann z.B. ersatzweise in Saunen die Türen ausgehängt).
– In der Öffentlichkeit, auch in Teilen schwuler Szenen, werden HIV-Infizierte wahlweise als ‚Opfer‘, ‚Aids-Bomben‘ oder ‚Virenschleuder‘ wahrgenommen.
– Medikamente gegen HIV gibt es in den Anfängen nicht. Das erste später zugelassene Medikament wird anfänglich so hoch dosiert, dass viele den Eindruck haben, Aids-Kranke sterben nun an den Folgen des Medikaments, nicht an Aids.

In diesen Zeiten hatte es nicht nur oftmals keinen Nutzen, vom eigenen HIV-Status zu wissen (wenn man eh medizinisch nichts machen konnte …). Nein, von der eigenen HIV-Infektion zu wissen war mit derartig vielen Nachteilen verbunden, dass es geradezu ratsam sein konnte, sich nicht auf HIV testen zu lassen.

Über seinen eigenen HIV-Status nicht zu wissen, nicht wissen zu wollen, nicht wissen zu müssen war in dieser Zeit ein elementares Bedürfnis und gleichzeitig für viele beinahe (nicht nur gesellschaftliche) Notwendigkeit.
(Nebenbei, dass HIV-Tests mit Beratung vor- und nachher durchzuführen sind, und dass HIV-Tests ohne vorherige Einwilligung unzulässig und strafbar sind, hat sich in dieser Zeit entwickelt – und nicht grundlos.)

Und heute?
Vieles hat sich verändert. Gegen HIV stehen wirksame Medikamente Medikamente zur Verfügung. Die schlimmsten Szenarien gesellschaftlicher Diskriminierung sind derzeit weitgehend in der Mottenkiste der Geschichte verschwunden (auch wenn einige Ärzte-Funktionäre sie immer wieder gerne hervor holen).

HIV-positiv zu sein jedoch ist immer noch weit davon entfernt, den Status von ‚Normalität‘, von gesellschaftlich unbeeinträchtigtem Sein zu haben. Ist immer noch mit Diskriminierung, Benachteiligung, Ausgrenzung verbunden.

Solange der HIV-Status eines Menschen weiterhin mit massiven Beeinträchtigungen und Diskriminierungen verbunden ist, solange HIV-Positive auf ihrer Arbeit mit Diskriminierungen und mehr rechnen müssen, von Versicherungen ausgeschlossen sind, von staatlichen und privaten Stellen, in Gesellschaft und eigenen Szenen diskriminiert werden, mindestens solange ist m.E. ein Recht auf Nicht-Wissen um den eigenen HIV-Status ein unabdingbares Recht jedes Menschen.

Es gibt ein Recht, von der eigenen HIV-Infektion nicht zu wissen.

Und, nebenbei, wer heute fordert, mehr Menschen gerade aus dem von HIV stark betroffenen Gruppen sollten sich auf HIV testen lassen (auch, um dann rechtzeitig Zugang zu Behandlung zu haben), der sollte zunächst auch überlegen, wie diejenigen Hemmnisse, Benachteiligungen und Diskriminierungen abgebaut werden können, die Menschen mit HIV und Aids das Leben schwer machen – und die Menschen begründet überlegen lassen, ob es wirklich in der Realität eine gute Idee ist, von eigenen HIV-Status zu wissen. Diskriminierungen abbauen schützt Menschenleben – auch hier.

Bedeutung von ’sART ohne STD‘ – Infektiosität: Angst und Entlastung

Im Folgenden als Dokumentation ein Artikel zum Thema Infektiosität (Bezug: EKAF-Statement „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne anderer STDs„), der im „info #44“ der Deutschen Aids-Hilfe (Info Telefon Online Beratung) erschienen ist:

Bedeutung von ’sART ohne STD‘ (1) – Infektiosität: Angst und Entlastung

Bedeutet die Abnahme der Infektiosität durch die HIV-Therapie eine Veränderung dessen, was das Leben mit einer HIV-Infektion heute ausmacht? Und wird dies nicht nur zu einer veränderten Selbstwahrnehmung von Positiven, sondern auch zu einem allgemeinen Umdenken führen, an dessen Ende gar eine Entstigmatisierung von HIV steht?
Auf dem diesjährigen Treffen des Beraterteams von www.aidshilfe-beratung.de führte Prof. Dr. Martin Dannecker in seinen Workshop die Bedeutung der Infektiosität und somit auch der sART für das psychische Wohlbefinden von Positiven aus.

Psychische Belastung
Ausgangspunkt war, dass die Diskussion rund um sART nicht nur für die Prävention bedeutungsvoll ist, sondern auch für die psychische Situation von HIV-Infizierten. Schließlich „leiden nicht wenige Positive unter einer diffusen Angst, ihre Sexualpartner/innen trotz Safer Sex anstecken zu können“. Für manche Positive ist das Wissen um ihre Infektiosität sogar das größte Problem, das sie mit HIV verbinden. Dannecker sprach von dem „Introjekt der Ansteckung” und meint damit die Selbstwahrnehmung von Positiven als “monströse Infektionsträger“. Der Infizierte trage die Infektiosität als „verinnerlichtes Böses“ in sich, was sein seelisches Befinden erheblich beeinflusse.
Das eigentlich Revolutionäre an der ganzen Diskussion um die Viruslast sei, dass sie die Vorstellung von Positiven über sich selbst verändert: „Ich bin infiziert, aber praktisch nicht ansteckend“ (zumindest unter bestimmten Bedingungen) ist eine Vorstellung, die vor den Diskussionen um sART undenkbar war. Workshopteilnehmer bestätigten, dass für viele Positive die Infektiosität eine große Verunsicherung und die Möglichkeit der Nichtansteckung allein schon eine Art halbe (seelische) Heilung darstelle.
Nach Dannecker könne dann zu einer Ablösung vom „verinnerlichten Bösen“ kommen, wenn „durch sART unter gewissen Bedingungen die Grundlage dieser Angst entfällt“ Dann könne es auf längere Sicht auch zu einer Umschreibung der Sexualität von HIV-Infizierten kommen: Wenn man als HIV-Infizierter sexuell nicht mehr lebenslang ansteckend ist, wird sich die Sexualität wieder stärker mit dem Leben verbinden und ihre Verschränkung mit Krankheit und Tod abstreifen.“

Loslassen?
Diskutiert wurde, dass die Abnahme der Infektiosität durch ’sART ohne STDs‘ eine große Erleichterung sein mag. Für viele andere hingegen kann ein Umdenken als schwierig erlebt werden, da viele Gefühle an das Introjekt der Ansteckung gebunden sind und zum Beispiel Schuldgefühle nicht einfach von der Persönlichkeit abgestreift werden können.
Auch für Negative stelle sich die Frage, wie bereit sie sind, ihre Risikobereitschaft neu zu justieren und alte Angstgefühle hinter sich zu lassen. Wer so sozialisiert wurde, dass HIV eine der größten Bedrohungen seiner Gesundheit darstellt, erfährt Safer Sex wie das Sicherungsnetz für den Hochseilartisten. Von heute auf morgen auf dieses Sicherungsnetz zu verzichten, bloß weil andere davon überzeugt sind, dass man mit einem neuartigen Gerät auf dem Rücken jetzt fliegen kann, wird nicht für jeden auf Anhieb eine wunderbare neue Möglichkeit darstellen. Es braucht ja auch Vertrauen, sich auf das Neue einzulassen. Und woher weiß man, wie zuverlässig das Ding wirklich funktioniert…?

Auswirkungen für die Beratung
Durch die aktuelle Diskussion zur Risikoeinschätzung rückt wieder ins Bewusstsein, dass Safer Sex immer nur eine Minimierung des Risikos war und nie hundertprozentige Sicherheit versprechen konnte. Somit bringt jede Senkung der Infektiosität zusätzliche Sicherheit, egal welche Form der Risikominderung jemand für sich wählt. Selbst Safer Sex wird so noch mal sicherer! Was nicht nur für (Hoch-) Ängstliche eine gute Nachricht ist und manche PEP überflüssig machen wird.
Der Stellenwert der Medizin wird zwar zunehmen und wer ’sART ohne STDs‘ als Risikovermeidungsstrategie praktiziert, steht verstärkt in der Verantwortung, seine Viruslast zu beobachten. Beratung in Aidshilfe wird in Zukunft komplexer werden, wenn es darum, kompetent zur „medikalisierten Prävention“ zu beraten und der Dachverband ist gefordert, entsprechende Qualifizierungsangebote bereit zu halten.
Die Risikoeinschätzung einer HIV-Übertragung mag dank ’sART ohne STDs‘ für manche zwar im Bereich der allgemeinen Lebensrisiken angekommen sein, aber eben nicht für jede/n dort dauerhaft bzw. kontinuierlich bleiben. Durch ’sART ohne STDs‘ statt Kondombenutzung kann das regelmäßige Therapie-Monitoring also auch eine durchaus belastende Rolle spielen.
Auch zum Therapiebeginn wird weitergehende Beratung gefragt sein. Ob der eventuelle sexuelle Benefit ein zusätzlicher guter Grund wird, früher mit der HAART zu beginnen, dürfte sich durch die bisherige Sorgfalt gegenüber dem Beginn einer dauerhaften Einnahme starker Medikamente beantworten.

Resümee
„Was wäre, wenn…“ ist der große Horizontöffner, mit dem Martin Dannecker einen Blick in noch recht unbestimmte Gefilde ermöglichte. Es ging zur Abwechslung also einmal nicht um die Erfüllung der Kriterien, die man unter ’sART ohne STDs‘ versteht und wie man diese im Verhältnis zu Risikoeinschätzungen setzt. Und auch nicht darum, ob man sich auf (Rest-) Risiken einlassen und das Kondom weglassen könne. Das Faszinierende seiner Ausführungen war das, was auch viele Positive in der sART sehen: Die Möglichkeit, sich als nicht infektiös sehen zu können. Und auch nicht mehr als (so) ansteckend wahrgenommen zu werden.

Die Betrachtungen führen zu weitergehenden Fragen:
– Bei der ’sART ohne STDs‘ geht es nicht um eine ‚gefühlte‘ Infektiosität, sondern um Laborwerte. Aber ist die Infektiosität in diesem streng rationalen Sinn das Prägende im Verhältnis von Positiven zu sich selbst und zwischen Positiven und Negativen?
– Es darf bezweifelt werden, dass gesellschaftliche Stigmatisierung auf solch rationalen Grundlagen basiert. Und selbst wenn, was hieße das denn für „Therapieversager“, „Späteinsteiger“, „Therapieverweigerer“ usw.?
– Was ist mit den vielen Positiven (und Negativen), für die die Infektiosität nicht das große, angstbesetzte Thema ist? Schließlich bedeutet Safer Sex für viele etwas anderes als Angstmanagement.
– Mit anderen Worten: Welche Bedeutung hat ’sART ohne STDs‘ für diejenigen, die sich trotz HIV einen angstfreien Umgang mit Sexualität bewahrt haben und für die Infektiosität nichts ‚Monströses‘, sondern ein Sachverhalt ist?

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(1) Gemeint ist ’sART ohne STDs‘: Erfolgreiche stabile antiretroviralen Therapie (sART) mit vollständig supprimierter Viruslast seit über sechs Monaten bei Abwesenheit von sexuell übertragbaren Erkrankungen.

Marburg-Virus

Bei einer Frau in den Niederlanden wurde Anfang Juli das Marburg-Virus festgestellt. Die Frau, die seit 5. Juli im niederländischen Leiden im Krankenhaus liegt, befindet sich derzeit in kritischem Zustand.

Die Diagnose Marburg-Virus wurde vom Bernhard-Nocht-Institut in Hamburg bestätigt. Das Marburg-Virus ist hoch-pathogen, eine Infektion verläuft in 1/4 der Fälle tödlich. Die Frau hatte sich zuvor in Uganda aufgehalten. Ihre Kontaktpersonen werden nun ‚klinisch überwacht‘.

Infektionen mit dem Marburg-Virus sind in Europa selten. Der Erreger wird durch Schmieren-Infektion und Körperflüssigkeiten sowie Kontaktinfektion übertragen. Bei Personen, die eine Infektion überleben, kann das Virus in einzelnen Körper-Kompartimenten (Sperma) noch monatelang in pathogener Form nachgewiesen werden.

Das Marburg-Virus trägt seinen Namen nach dem Ort des ersten (öffentlich beschriebenen) Auftretens. 1967 erkrankten zwei Laborangestellte der Behringwerke in Marburg an hohem Fieber, hatten Blutungen an inneren Organen. Später starben in Marburg mehrere Personen; über die Stadt wurde der Ausnahmezustand verhängt. Ein Forscher des Instituts für Virologie Marburg publizierte als erster über das Virus und gab ihm den Namen.

In etwas reisserischer Form hat das Marburg-Virus auch Film-Karriere gemacht – in Wolfgang Petersens Film „Outbreak“ (1995).

Ich weiss was ich tu! (akt.)

‚Silence = Death‘?
oder:
Ich weiss was ich tu!

Die Eidgenössische Aids-Kommission für Aids-Fragen (EKAF, Bern/Schweiz) hat am 30. Januar 2008 ein Statement veröffentlicht, demzufolge Positive un­ter er­folgreicher The­rapie (Viruslast mind. 6 Monate nicht nachweisbar) ohne sexuell übertragbare Infek­tionen „sexuell nicht infektiös“ sind. Zuvor war die­ser Sachverhalt bereits seit Jah­ren auf wissenschaftlichen Konferenzen disku­tiert worden.

Die Deutsche Aids-Hilfe bemüht sich seitdem um eine eigene Stellungnahme, auch in Zusammenarbeit mit Robert-Koch-Institut und Bundeszentrale für ge­sundheitliche Aufklärung. Bisher ist es leider ergebnislos bei dem Bemühen ge­blieben.

Wir begrüßen das Statement der EKAF und die breite Information der Öffent­lichkeit, sowie die daraus resultierende breite Debatte.
Die Stellungnahme der EKAF bedeutet für Menschen mit HIV und Aids und ihre Part­ner, dass
– ein tabuisiertes Thema, die (eigene) HIV-Infektion, enttabuisiert und wieder Thema von Gesprächen wird.
– sich die Wahrnehmung von Positiven verändert, wieder mehr der Realität annähert.
Positive weniger als Gefahr erlebt, Toleranz und Teilhabe steigen werden.
auch das Selbstbild von Positiven sich verändert, normalisieren kann.
die juristische Bewertung sich verändern wird.
Zudem wird durch die Veröffentlichung der EKAF die Kluft zwischen Präventi­ons-Bot­schaften und Lebenspraxis geringer. Aidshilfe gewinnt so auch wieder eine größere Nähe an die Lebensrealität der Menschen und Glaubwürdigkeit ih­rer Kampagnen zu­rück.

Wir fordern:

Information
Die Stellungnahme der EKAF sowie die verfügbaren Daten sind vorurteilsfrei und offen für jeden verständlich zu kommunizieren. Wissen darf nicht instru­mentalisiert werden. Verschweigen ist Ausdruck von Mißtrauen. Information vorzuenthalten ist unethisch.
Jeder Positive (& jeder Partner von Positiven) hat ein Recht auf Infor­mation über die Chancen und Risiken, die das EKAF-Statement für seine Le­benssituation be­deuten.

Keine Informations-Willkür
Die derzeitige Situation, dass nur ausgewählte Patienten bei ausgewählten Ärz­ten die Chancen des EKAF-Statements erfahren und umsetzen können, ist zy­nische Doppel­moral und unerträgliche Zensur.
Wir fordern Information statt scheinbar wohlmeinender Klientelisierung. Nie­mand hat das Recht zu entscheiden, wer ‚mündig genug‘ für diese Informatio­nen ist, und wer nicht.

Sich den veränderten Realitäten stellen
Will Prävention nicht vollends unglaubwürdig werden, muss sie sich den ver­änderten Realitäten aktiv stellen – statt durch Schweigen oder fehlende In­formation die Ent­stehung neuer Mythen zu begünstigen. Weiteres Schweigen vergrößert nur den bereits angerichteten Schaden.

Mut zur eigenen Haltung
Aidshilfe hat (ihrem Leitbild zufolge) das Ziel, dass „jeder Einzelne informiert, selbst­bestimmt und verantwortungsvoll mit dem Risiko von HIV und Aids um­gehen kann“. Die durch die EKAF aufgeworfenen Fragen, Information und dar­aus resultie­renden Botschaften gehören zu den Kern-Aufgaben der DAH. Die DAH hat die hierfür er­forderlichen Kompetenzen und fachkundigen Mitarbeiter. Die DAH ist nicht Interessen­vertreter einer Gesundheits-Bürokratie, sondern ihrer Mit­gliedsorganisationen sowie der Menschen mit HIV und Aids und ihrer Partner.
Es ist höchste Zeit, dass die DAH jetzt wieder den Mut zu eigener Haltung zurück gewinnt!

Wissenslücken schließen
Diejenigen Punkte, zu denen Dissens zwischen den Beteiligten besteht, müs­sen eben­falls klar und öffentlich benannt werden. Es reicht nicht, mantrahaft das Fehlen von Daten und Evidenz zu wiederholen. Wo Datenlücken bestehen (wie scheinbar bei der Beurteilung des Übertragungsrisikos bei Analverkehr oder der Auswirkung verschiede­ner STDs) fordern wir Datenlücken zu schlie­ßen, entsprechende Studien sind zu konzipieren und durchzuführen. Hier ist auch das Kompetenznetz HIV gefordert.

Gleichheit im Maßstab
Risiken dürfen nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Der Grad an Evidenz, der für die Aussagen zur Kondomverwendung reichte, muss auch für Aussagen zur In­fektiosität bei erfolgreicher Therapie (ohne STDs) genügen. Der Beweis einer Abwe­senheit von Risiko ist nicht möglich!
Kaum jemand bezweifelt, dass eine erfolgreiche Therapie mit Viruslast unter der Nach­weisgrenze die Infektiosität mindestens so stark senkt wie die Benut­zung von Kondo­men. „Wirksame Therapie ohne STDs“ ist mindestens genauso effektiv wie Kondome. Dies muss auch laut gesagt werden! Diejenigen Punkte des State­ments, zu denen weitgehender Konsens auch zwischen Forschern und Prävention be­steht (z.B. Oral-, Vaginalverkehr) sind entsprechend offen zu kommunizieren statt sie weiterhin zu ver­schweigen.

Wissen darf nicht instrumentalisiert werden!

Erfolgreiche Therapie ohne STDs kann auch safer Sex sein!

AutorInnen:
Michèle Meyer, Präsidentin LHIVE
Michael Jaehme
Matthias Hinz
Ulrich Würdemann

Erstunterzeichnende Personen und Organisationen:

Engelbert Zankl, Achim Teipelke, Wolfgang Vorhagen, Peter Smit (Amsterdam), Claudius A. Meyer, Frank Wieting, Bernd Aretz, Hermann Jansen, Birgit Krenz, Olaf Lonczewski, Gaby Wirz, Guido Kissenbeck, Werner Heidmeier, Konstantin Leinhos, Rolf Ringeler, Sven Karl Mai, Michael Bohl, Wolfgang Fannasch, Norbert Dräger, Felix Gallé, Dr. Axel Hentschel, Prof. Dr. Martin Dannecker, Rainer Wille, Wolfgang Richter, Stefan Schwerin, Bernard George, Carsten Schatz, Claudia Fischer-Czech, … u.a.
(Erstunterzeichnung war nur möglich am Rand der DAH-“Ethikkonferenz“ und des 126. Positiventreffens.)

– „positiv e.V.“, Projekt bundesweite Positiventreffen, Mitglied der DAH;
– „LHIVE“ – Organisation der Menschen mit HIV/Aids in der Schweiz;
– das „126. Bundesweite Positiventreffen“ in der Akademie Waldschlösschen mit 60 TeilnehmerInnen;

Wer diese Forderungen unterstützen möchte, kann dies gern per Kommentar oder Email (Kontakt-Formular) machen.

Die Resolution jetzt auch hier direkt als pdf zum Download (rechte Maustaste Ziel speichern unter).

Prof. Hirschel präszisiert …

Der Schweizer Aids-Forscher Prof. Bernard Hirschel hat einige Aussagen des Statements der EKAF („keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„) präzisiert.

Das Statement der EKAF hat für viele Reaktionen und Aufregungen gesorgt. Theorie und Praxis klaffen immer weiter auseinander.

In dieser Situation hat Prof. Hirschel einige Erläuterungen zum Statement der EKAF gegeben. Sie entstanden im Dialog mit Therapieaktivisten überwiegend der britischen Organisation Terrence Higgins Trust (THT). Der gesamte Text ist u.a. veröffentlicht von thewarning, einer französischen Seite zu schwuler Gesundheit. Der Artikel („recommandations suisses: le professeur Hirschel précise …“, in französischer Sprache; in englischer Sprache hier; danke an Kees für den Hinweis) ist insgesamt äußerst lesenswert, zumal er auch durch umfangreiche Verweise auf wissenschaftliche Literatur untermauerte Aussagen enthält.
Hier die mir am wichtigsten erscheinenden Gedanken und Aussagen von Prof. Hirschel (Übersetzung ondamaris):

Zur Frage, ob der wissenschaftliche Beweis (der EKAF-Aussagen) komplett genug sei: „Der wissenschaftliche Beweis wird immer ‚unvollständig‘ bleiben, da es unmöglich ist, die Abwesenheit von Risiko zu beweisen.“

Zur Frage der fehlenden Zustimmung anderer Forscher: „Haben Sie sie gefragt [die anderen Forscher, d.Übers.]? Haben Sie sich die Mühe gemacht dazwischen zu unterscheiden, was sie privat sagen, und was sie öffentlich sagen? Was sie öffentlich sagen wird beeinflusst von der Meinung ihrer Kollegen sowie von dem, was ich die Asymmetrie der Risikoeinschätzung nenne: das Verneinen eines Risikos, das dann doch eintritt, kann die Karriere gefährden, während der umgekehrte Fall ohne Konsequenzen bleibt.“

Zur Frage der Wahrscheinlichkeit (kann es sein, dass die Viruslast doch einmal schwankt): „Jeder Medizinstudent weiß, wenn die Frage lautet ‚kann‘, muss die Antwort heißen ‚ja‘. Beinahe alles kann geschehen in der Medizin. Aber ist es auch wahrscheinlich und bedeutend, oder ist es im Gegenteil unwahrscheinlich und ohne Bedeutung?“

Zur Frage, ob sexuell übertragbare Infektionen (STDs) die Viruslast in Genitalgeweben erhöhen können: „Das kann bei Patienten, die nicht [antiretroviral, d.Ü.] behandelt sind, gezeigt werden. Aber nur selten bei Patienten, die erfolgreich behandelt werden.“

Zur Frage, dass man asymptomatische STDs doch oftmals nicht bemerken könne: „Das ist wahr. Aber die Erhöhung der Viruslast im Genitaltrakt wird von einer Entzündung verursacht. Nun, asymptomatische STDs, per Definition, verursachen kaum oder keine Entzündung.“

Zur Frage der Übertragung durch homosexuellen Geschlechtsverkehr / Analverkehr und fehlenden Studiendaten: „Wenn man keine Studien hat, muss man auf den Verstand ausweichen. Es gibt keinerlei gute biologische Gründe, die erklären könnten, warum die vaginale Transmission sich von der rektalen Transmission unterscheiden soll.“ Und ob das Übertragungs-Risiko zwischen analem und vaginalem Verkehr nicht doch unterschiedlich sein könne? „Vielleicht, aber die verfügbaren Daten von nicht behandelten Patienten zeigen, dass die Risiken vergleichbar sind.“

Zur Frage, ob sich nicht doch Fälle finden lassen (werden), in denen trotz nicht nachweisbarer Viruslast HIV übertragen wurde: „Vor allem anderen, scheint mir, gilt es nachzudenken: wie könnte sich eine Infektion übertragen in Abwesenheit von Virus?“ Und „Wenn Sie sicher sein wollen, und sich nicht darauf verlassen wollen, was ein anderer sagt, benutzen Sie ein Präservativ!“

Zur Frage, was die möglichen Ausnahme-Fälle bedeuten würden: „‚Schwierige Fälle geben schlechte Gesetze.‘ Die offiziellen Empfehlungen für die öffentliche Gesundheit müssen Risiken und Nutzen für den typischen Fall abwägen, nicht für die Ausnahme.“

Hirschels Zusammenfassung zur Frage, ob die Schutzwirkung der erfolgreichen antiretroviralen Therapie mit der der (männlichen) Beschneidung verglichen werden könne: „In anderen Worten, die Behandlung schützt zu mehr als 90%, vielleicht mehr als 99,9% – verglichen mit 50 bis 75% Schutz durch die Beschneidung.“

Zur Frage, ob die Informationen des EKAF-Statements nicht Verwirrung auslösen könnten: „Eine gute Kommunikation muss sich auf exakte Informationen stützen. In Abwesenheit von Virus ist eine Übertragung sehr wenig wahrscheinlich. Die gegenteilige Behauptung ist entgegen den Fakten und gefährdet die Glaubwürdigkeit der Präventionsbotschaften.“

HIV-Positiver freigesprochen – ’nicht ansteckend‘

In Nürtingen wurde Mitte März ein HIV-positiver Angeklagter vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung freigesprochen. Einer der Gründe: er sei aufgrund erfolgreicher Therapie ’nicht ansteckend‘.

Der Angeklagte, ein Staatsbürger Kameruns, hat 2002 in Deutschland Asyl beantragt. Bei einer medizinischen Untersuchung in der Asylunterkunft wurde 2003 eine HIV-Infektion festgestellt.

Dem Angeklagten wurde ungeschützter Geschlechtsverkehr mit seiner früheren Lebensgefährtin in 192 Fällen vorgeworfen, wobei er billigend ihre HIV-Infektion in Kauf genommen habe.

Im April 2007 wurde ein gemeinsamer Sohn geboren. Die Hebamme informierte die Lebensgefährtin des Angeklagten über dessen HIV-Infektion (von der sie, so das Urteil, zulässigerweise durch die Betreuerin des Asylverfahrens wusste), fälschlicherweise mit dem nicht zutreffenden Hinweis, ihr Partner habe Aids.
Die Partnerin des Angeklagten wie auch das gemeinsame Kind sind medizinischen Untersuchungen zufolge nicht mit HIV infiziert.

Die HIV-Infektion des Angeklagten wird regelmäßig medikamentös behandelt. Aufgrund der erfolgreichen Therapie war bei dem Angeklagten seit mindestens 2005 die Viruslast unter die Nachweisgrenze gesunken.

Der Angeklagte wurde vom Vorwurfs des Versuchs gefährlicher Körperverletzung freigesprochen.
Der Freispruch erfolgte, obwohl er ungeschützten Sex hatte und dabei vom Bestehen eines möglichen Infektionsrisikos -aber auch des Erfolgs seiner Therapie-wusste, zudem seine Partnerin nicht oder nicht in vollem Umfang von seiner Erkrankung informierte.

Der Vorwurf des Versuchs einer gefährlichen Körperverletzung sei nicht bestätigt worden, so das Gericht.

Zur Begründung führt das Urteil aus: Der Angeklagte habe eine Viruslast ‚Null‘ (so das Urteil, gemeint wohl ‚unter der Nachweisgrenze‘) und zudem eine hohe Compliance (nehme seine Medikamente regelmäßig und korrekt ein). Der Angeklagte sei aus medizinischer Sicht „nicht ansteckend“, führte ein eingeschalteter Gutachter aus. „Dies bedeute, dass von einer solchen Person keine Gefahr der Ansteckung für Dritte ausgehe“, so der Gutachter laut Urteil.

Das Urteil resümiert: „Soweit eine Person, die HIV positiv ist, eine Viruslast von Null hat, ist sie nach medizinischen Gesichtspunkten und menschlichem Ermessen nicht ansteckend. Diese Person kann sonach tatsächlich den HI-Virus nicht übertragen. Ein von dieser Person ausgeübter ungeschützter Geschlechtsverkehr ist daher grundsätzlich -in objektiver Hinsicht -nur als untauglicher Versuch zu werten.“

Der ‚Täter‘ erfülle nicht alle ‚Tatbestandsmerkmale‘. Insbesondere der Vorsatz entfalle: „Unzulässig ist aber, ohne weiteres aus dem Wissen eines Täters um seine HIV-Infektion und darum, dass ungeschützter Sexualverkehr generell zu einer HIV-Übertragung geeignet sein kann, auf die billigende Hinnahme einer Infizierung des Partners zu schließen (BGH NStZ 1989, 114, 116). Wenn -wie hier -die Gefahr sich objektiv nicht verwirklichen kann, da beispielsweise eine Viruslast nicht besteht, kann aus der Tatsache, dass der Täter ungeschützt Geschlechtsverkehr ausübt und um seine HIV-Infektion weiß, nicht von bedingtem Vorsatz hinsichtlich einer Ansteckung ausgegangen werden. Vielmehr kann in solchen Fällen ein Täter -wie der Angeklagte in vorliegender Sache- sogar begründet davon ausgehen bzw. hoffen, es werde nicht ’schon nichts‘, sondern ’sicher nichts‘ passieren. Dies lässt einen Vorsatz entfallen.“

Amtsgericht Nürtingen, Geschäftszeichen 13 Ls 26 (HG)-Js 97756/07

Das Urteil des AG Nürtingen ist bemerkenswert. Vor allem, weil hier in erstaunlich deutlichem Umfang das in Rechtsprechung umgesetzt wurde, was noch jüngst zu lauten Diskussionen und Aufschreien führte, als es die EKAF in ihrem Statement „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“ verkündete.
Das Urteil sollte allerdings nicht als Aufforderung zu ungeschütztem Sex fehlverstanden werden.

Vom richterlichen Urteil unbenommen bleibt sicher eine Bewertung des Verhaltens des Angeklagten. Ob man eine vertrauensvolle Basis für eine Beziehung legen kann, indem man im Wissen des eigenen positiven HIV-Status ohne (ausreichende) Information ungeschützten Sex mit seinem Partner, seiner Partnerin hat, bleibt zumindest fragwürdig.

weitere Informationen:
Zu dem Urteil wurde inzwischen u.a. berichtet in der Zeitschrift GesR (Gesundheits-Recht) Ausgabe 05/2009 S. 276/277 (Inhaltsverzeichnis pdf, Artikel nicht online)

schneller als vorgestellt

Die 12. Münchner Aidstage (zu Gast in Berlin) wurden am Freitag, 14.3.2008 mit Reden von Bundes-Justizministerin Zypries, DAH-Geschäftsführer Pinzón und der ehemalige RKI-Präsident Kurth eröffnet.

Dr. Hans JägerIn seiner Begrüßung betonte Dr. Hans Jäger, Präsident der „12. Münchner Aids-Tage – zu Gast in Berlin“, die HIV-Prävention ändere sich derzeit „schneller, als wir es uns vorgestellt haben.“ Neben dem aktuellen Beschluss der EKAF, der im Verlauf des Kongresses häufig und kontrovers diskutiert wurde, erwähnte er auch den Bereich der gesellschaftlichen Situation von Menschen mit HIV und Aids. Auch hier spiegele sich der (nicht nur medizinische) Fortschritt, so biete die Allianz neuerdings eine Lebensversicherung für HIV-Positive an, ein deutliches Abbild drastisch gesteigerter Lebenserwartungen mit HIV („Versicherungsmathematiker sind Realisten …“).

Brigitte Zypries, Bundesministerin der JustizBundesjustizministerin Brigitte Zypries hielt die erste der drei Eröffnungsreden. Sie habe die Einladung gerne angenommen, da Aids ja -neben allen medizinischen und gesundheitspolitischen Fragen- auch eine „juristische, und das heißt vor allem auch eine gesellschaftspolitische Herausforderung“ sei.
Sie wies -angesichts auch der gerade stattfindenden Debatten um die Folgen des EKAF-Statements beinahe prophetisch- darauf hin, „erfolgreiche Aids-Bekämpfung hängt auch davon ab, dass hier in Berlin politisch die richtigen Weichen gestellt werden.“ Zypries forderte, Prävention „offen und offensiv“ anzugehen

Luis Carlos Escobar Pinzón, Bundesgeschäftsführer Deutsche AidshilfeDr. Luis Escobar Pinzón, Bundesgeschäftsführer der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) wies auf die Veränderungen in den Paradigmen hin. Damit Prävention glaubwürdig und erfolgreich sein kann, müsse sie sich an aktuellen Forschungsergebnissen orientieren. Daher arbeite die DAH an „differenzierten Risikominimierungsstrategien“. Bei der neuen Kampagne „Ich weiss was ich tu“ werde das Internet eine zentrale Rolle spielen.
Er betonte, das Leben mit HIV werde sich auch in den kommenden Jahren entspannter werden. Deswegen müsse Aidshilfe den Mut haben, sich von einer nicht mehr sachgerechten Dramatisierung der HIV-Infektion zu verabschieden. Wesentlicher sei eine wirksame HIV-Prävention, die sich an der Wirklichkeit des Lebens mit HIV orientiere.

Dr. Reinhard Kurth, Präsident RKI a.D.Dr. Reinhard Kurth, bis November 2007 Leiter des Robert-Koch-Instituts (RKI), erinnerte an die heftigen Auseinandersetzungen um die Richtung der Aids-Politik, die er und das RKI an der Seite der damaligen Gesundheitsministerin Rita Süssmuth gegen die von Strauß und Gauweiler propagierte Linie geführt habe. Der damals verankerten Richtung der deutschen Aids-Politik sei es auch zu verdanken, dass in Deutschland heutzutage im Vergleich sehr niedrige Neu-Diagnosezahlen vorliegen, „um die uns die Nachbarländer beneiden“. Kurth zeigte sich „sehr vorsichtig in der Unterstützung der EKAF“ und ihres derzeit diskutierten Statements.

Neue Wege sehen – neue Wege gehen!

Als Dokumentation die Haltung der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) in Sachen des EKAF-Statements („keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„):

Der Delegiertenrat der DAH hat in seiner Sitzung vom 7. bis 9. März 2008 in Abstimmung mit dem Vorstand folgenden Beschluss gefasst:

Neue Wege sehen – neue Wege gehen!

Die HIV-Prävention wird einfacher, also komplexer

Die Reaktionen auf die Botschaft der EKAF in der Schweiz haben eine grundlegende Debatte über realistischere Risikoeinschätzung und die Infektiösität von Menschen mit HIV und AIDS forciert.

Die nunmehr öffentlichen Informationen können für Menschen mit HIV und AIDS eine konkrete Erleichterung und Verbesserung ihrer Lebenssituation und -Perspektiven bedeuten, weil sie den Abbau irrationaler Ängste ermöglichen. Sie entlasten serodiskordante Paare unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung und erleichtern in allen Zusammenhängen den Umgang mit HIV und AIDS.

Somit können Stigmatisierung und Diskriminierung – auch in juristischer Hinsicht – vermindert und Solidarität gefördert werden.

Zudem werden unsere bisherigen Präventionsbotschaften sinnvoll und wirksam ergänzt.

Auf der Grundlage des im Leitbild formulierten Menschenbildes ist es Ziel der DAH, Menschen dazu zu befähigen und ihnen zu ermöglichen informiert, selbst bestimmt und verantwortungsvoll mit den Risiken von HIV und AIDS umgehen zu können.

„Deshalb setzen wir in unserer Arbeit auf das verantwortliche Handeln vernunftbegabter, einsichts- und lernfähiger Menschen wissen aber zugleich um die Grenzen der Prävention.“

Wir werden daher weiterhin und verstärkt niedrigschwellige und umfassende Informationen zur Verfügung stellen, um kompetentes und differenziertes Risikomanagement zu ermöglichen.

Die Erkenntnisse der wissenschaftlichen Forschung gewinnen auch für die Prävention an Bedeutung. Die DAH sieht daher dringenden Bedarf, die bisherige Datenlage durch intensivere Forschung zu verbessern.

Gerade hier spielt die AIDS-Hilfe eine entscheidende Rolle, da sie in der Lage ist, solche Ergebnisse und deren Auswirkungen auf die Lebenssituation ihrer Zielgruppen zu interpretieren und in lebenspraktisches Risikomanagement umzusetzen.

Die DAH muss diese Informationen in ihrer Arbeit aufgreifen und umsetzen – beispielsweise im Internet, den Printmedien, der Aufklärungs- und Beratungsarbeit vor Ort und in ihren Präventions-Kampagnen (aktuell die Kampagne „Ich weiß, was ich tu“).

Diese Haltung gilt es konsequent gegenüber der Öffentlichkeit und unseren Kooperationspartnern einzunehmen und zu vertreten

Berlin, 08.03.2008

Nachtrag 16.11.2008:
Über Ergänzungen zur Haltung im Rahmen der Diskussionen und Bedenken zur EKAF-Veröffentlichung seitens der AG Prävention berichtet koww.

GB: Strafrechts- Richtlinie für Ermittlungen bei HIV-Infektion

Der britische ‚crown prosecution service‘ (CPS; etwa die Staatsanwaltschaft) hat nach Entwürfen bereits im September 2006 (siehe ‚mit Justitia gegen Positive?‚) und nach 18monatigen Konsultationen nun seine neuen Richtlinien für die Strafverfolgung von HIV-Transmissionen bekannt gegeben.

Guidelines: Intentional or reckless sexual transmission of infection
und
Policy for prosecuting cases involving the intentional or reckless transmission of infection

[via pinknews]

Nachtrag20.03.2008: eine detaillierte Besprechung der neuen CPS-Guidelines bei TheGayDissenter: „Sex, Sexual Transmitted Infections und englische Staatsanwälte“

ein schweizer Meilenstein

Der „erste Salon Wilhelmstrasse“ stand unter dem Titel “Positiv und negativ : Wie leben HIV-diskordante Paare heute?”. Ein thematisch breit besetztes Podium diskutierte unter Moderation von Holger Wicht über Chancen und Risiken des Statements der Eidgenössischen Aids-Kommission “keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“. Ein Bericht.

Roger Staub, BAG SchweizRoger Staub, Leiter der Sektion Aids im Schweizer Bundesamt für Gesundheit und Mitgründer der Aidshilfe Schweiz, skizzierte nochmals die wesentlichen Punkte des (im übrigen in der Kommission einstimmig zustande gekommenen) EKAF-Statements und betonte dabei, unter den dort genannten Bedingungen sei die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung „viel kleiner als 1 : 100.000“.
Staub betonte, der Fortschritt des Statements der EKAF liege vor allem auch darin, dieses Konzept jetzt auch zitier- und öffentlich verwendbar gemacht zu haben. Eine Zitierbarkeit, die wie später nochmals deutlich wurde, weit über den medizinischen Bereich hinaus ragt – gerade Gerichte und Verteidiger von HIV-Positiven benötigen zitierfähige Belege dafür, dass die Beurteilung der Infektiosität sich unter bestimmten Umständen verändert hat.
Der oft geäußerten Kritik, ob man das denn überhaupt und jetzt sagen dürfe, ob das Statement notwendig gewesen sei, entgegnete Staub „wenn es heute zu früh ist, wann ist es denn dann an der Zeit?“ Das Wissen um die Situation sei seit langer Zeit bekannt, werde von Ärzten verwendet, nun müsse man ehrlich an die Öffentlichkeit gehen. Es habe genügend Gelegenheit gegeben, dem Statement entgegen stehende Fälle zu publizieren.

Dr. Gute, FrankfurtDr. Gute ist ein HIV-Behandler aus Frankfurt. Er behandelt u.a. den Positiven, der gerade dabei ist als ‚Frankfurt patient‘ in die HIV-Diskussion einzugehen. Dieser lebt seit Jahren in einer sexuell monogamen Beziehung mit seinem HIV-infizierten und erfolgreich therapierten Partner. Dennoch hat eine HIV-Übertragung stattgefunden, wie mit phylogenetischen Untersuchungen gezeigt wurde zwischen den beiden Beteiligten (nicht mit einem etwaigen Dritten). Der Fall soll in den nächsten Wochen in einer virologischen Fachzeitschrift publiziert werden.
Dr. Gute betonte, auch er schätze das Risiko einer HIV-Übertragung durch einen erfolgreich therapierten HIV-Positiven (bei Abwesenheit von STDs) als „sehr sehr niedrig“ ein, aber es sei eben nicht ’null‘, wie gerade dieser Fall zeige.
Staub betonte in einer Replik, der Frankfurter Fall zeige nichts. Das EKAF-Statement gehe ja davon aus, dass genau solche Fälle nicht ausgeschlossen seien (wohl aber ihr Risiko drastisch reduziert sei). An der Gültigkeit des Statements der EKAF ändere dieser Fall nichts.

Prof. Martin DanneckerWarum sind die Reaktionen auf das Statement der EKAF und die potenziellen Folgen für die Situation der Positiven so heftig? Endlich sei in Fachkreisen schon länger bekanntes ‚Herrschaftswissen‘ veröffentlicht worden, betonte Prof. Martin Dannecker. Er wies darauf hin, dass die Menschen bisher gewohnt seien, HIV-Positive als Opfer wahrzunehmen. Und „aus dieser Rolle entlässt man eben niemanden gerne“.
In den vergangenen Jahren sei zudem nie thematisiert worden sei, dass es eben um „safer“ Sex (mit dem „r“) gehe – die auch bei Kondomen bestehende Unsicherheit sei ein tabuisiertes Thema, das nun jedoch wieder ans Tageslicht komme.

Für wen und in welchen Situationen könnte das EKAF-Statement anwendbar sein? Diese Frage beschäftigt derzeit viele. Dannecker kritisierte hierzu die „Engführung der Diskussion auf Paare“. Die Folgen des EKAF-Statements seien verhandelbar zwischen halbwegs vernunftbegabten Menschen – und nicht nur in sexuell monogamen Partnerschaften.
Dannecker monierte eine aus dem Statement der EKAF sprechende Einmischung der Medizin. Dass ein Kondomverzicht erst nach intensiver Beratung Beider durch den Arzt erwogen werden könne, bringe ein Mißtrauen des Arztes dem Patienten gegenüber zum Ausdruck, zudem sei dies ein unzulässiger Eingriff in das Binnenverhältnis des Paares.
Zukünftig, so Dannecker, könne es zu einem „paradoxen Sexualisieren“ kommen – im Vergleich zu einem vermeintlich HIV-Negativen mit all den Risiken negativen Serosortings könnte der HIV-Positive, der erfolgreich therapiert ist, zu einem attraktiven Sex-Partner werden.

Die Deutsche Aids-Hilfe hat bisher in den Diskussionen um das Statement der EKAF noch nicht Position bezogen, bemüht sich um eine noch in Erarbeitung befindliche gemeinsame Stellungnahme mit Robert-Koch-Institut (RKI) und Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).
Bernd Aretz Er sei erstaunt und erzürnt über den Umgang der Aidshilfe mit der aktuellen Situation, stieg Bernd Aretz in die Beleuchtung der Reaktion der Aidshilfen ein. Es scheine „verloren gegangen [zu sein], dass wir nicht die Regierung sind“. Die Aidshilfe sei ein politischer Verband, doch wo vertrete er derzeit die Interessen der HIV-Positiven?
Auch Martin Dannecker kritisierte, dass die Deutsche Aids-Hilfe immer noch nicht Position bezogen habe. Stehe dahinter die Angst um die staatlichen Mittel, an deren Tropf man zu hängen glaube?

Die Podiumsdiskussion sowie die anschließenden Fragen und Beiträge aus dem Publikum machte deutlich, das das EKAF-Statement sich als ein Meilenstein in der Geschichte von Aids erweisen könnte – ein Meilenstein, der Hoffnungen, aber auch Ängste auslöst.

Die Diskussion zeigte die Bruchlinien, um die herum sich die Diskussionen derzeit bewegen. Bruchlinien, die auch in Symposien und Veranstaltungen der folgenden Tage diskutiert wurden und die Diskussionen der kommenden Wochen bestimmen werden. Bruchlinien, die Etiketten tragen wie ‚Null Risiko oder Risiko-Minimierung?‘, ‚Frankfurt patient‘ oder ’neue Wege in der Prävention‘.

Im Verlauf der Diskussionen konnte man den Eindruck gewinnen, die DAH sei ein wenig gefangen – und verliere hierüber vielleicht ihre Fähigkeit, eine eigenständige Position zu finden und auch nach außen zu vertreten. Gefangen nicht nur in ihrem Gefühl, es ihren Auftrag- und Geldgebern ‚recht machen‘ zu wollen, sondern auch in ihrem Bemühen, mit allen Beteiligten (RKI, BZgA) zu einem Konsens-Paper zu kommen. Vielleicht hätte man mehr Mut zu eigener Position gefunden, wäre bereits bekannt gewesen, dass die BZgA diesen Konsens zu dem Zeitpunkt schon aufgekündigt, eine eigene BZgA-Presseerklärung vorbereitet hatte, die am nächsten Tag herausgegeben wurde.

vorwärts nimmer, rückwärts immer? (akt.)

Die Schweizer Aids-Kommission EKAF hat mit ihrer Stellungnahme in Sachen Infektiosität bei wirksamer anti-HIV-Therapie breite Diskussionen ausgelöst. Inzwischen liegt auch eine Stellungnahme deutscher Organisationen vor.

Am 26. Februar trafen sich in Berlin in den Räumen der Deutschen Aidshilfe Vertreter unter anderem der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, des Robert-Koch-Instituts und der Deutschen Aidshilfe. Am Tag des Treffens wurde eine vorher vorbereitete Stellungnahme verabschiedet und veröffentlicht.
Eine weitere Stellungnahme, die sich detaillierter mit dem Statement der EKAF auseinandersetzt, soll als Ergebnis ihres Treffens in den nächsten Tagen folgen.

Schon der Titel der gemeinsamen Presseerklärung soll ganz offensichtlich zeigen, wo es langgehen soll: . „Die bewährten Präventionsbotschaften zum Schutz vor HIV/Aids gelten nach wie vor“, so lautet der Titel.

„Safer Sex, also Kondomnutzung“ sei weiterhin „die zentrale Botschaft“. Alles andere sei „kontrovers diskutiert“, „nur unter vom Arzt kontrollierten Bedingungen“. Für Männer die Sex mit Männern haben, gebe es „keine vergleichbaren Daten“. Man befürchte ein Verstehen „fälschlich als Entwarnung“.

Erste Positivenvertreter drücken bereits kurz nach Erscheinen der Pressemitteilung ihr Entsetzen aus und fordern zu Protestbriefen auf.

Die Pressemitteilung setzt safer Sex und Kondombenutzung gleich. Fast provokativ, als deutlichen Ausdruck eines beherzten „so aber nicht“ könnte man das nach den Veröffentlichungen aus der Schweiz verstehen.
Eine Gleichstellung (safer Sex = Kondombenutzung), als habe es die Studien, die Stellungnahme der EKAF nicht gegeben. Kaum ein Wort davon, dass zusätzlich zur Benutzung von Kondomen unter bestimmten Umständen auch andere Möglichkeiten des safer sex bestehen könnten. Nicht der geringste Anschein davon, mit der Situation (die ja längst ‚draußen‘, bei den Menschen vor Ort ist) kreativ präventiv umzugehen. Kein Wort von Information, informierter Entscheidung, Risikomanagement.

Noch einen Tag zuvor (am 25.2.) hatte eine BZgA-Vertreterin erklärt „Die durch die EKAF-Veröffentlichung angeregte Diskussion ist tatsächlich für einen Teil der Betroffenen relevant und dies sollte auf gar keinen Fall in den aktuellen Diskussionen vernachlässigt werden“ (in einem Blog-Kommentar auf welt-aids-tag.de hier). Abgesehen davon, dass EKAF für alle Positiven relevant ist (mit wohl unterschiedlichen Konsequenzen), ist von diesem „auf keinen Fall vernachlässigen“ schon einen Tag später offensichtlich keine Rede mehr.

Im Gegenteil, munter wird an einem Rollback gestrickt. „Die allgemeine Gefährdungslage ist grundsätzlich unverändert …“ heißt es in der Pressemitteilung pikanterweise bei dem Versuch, die Situation von HIV in Deutschland zu beschreiben – fast als hätte Bundesinnenministerium eine Terrorwarnung herausgegeben.

Eine Pressemitteilung, bei der zudem die Frage auf die Zunge kommt, ob es die selbe Deutsche Aidshilfe ist, die diese Rede (‚Betroffene zu Beteiligten machen‚) gehalten hat und die nun diese Pressemitteilung mit unterzeichnet.

Viele Menschen mit HIV werden angesichts dieser Pressemitteilung vermutlich fassungslos reagieren. Nicht nur, dass sie, ihre Situation in der Pressemitteilung mit keinem Wort erwähnt werden. Nein, nur wenig verhohlen scheint wieder durch der Gedanke „ach, hätten die doch weiter geschwiegen“, denn dann wäre die Präventionswelt ja noch heil.

Nun wissen wir also, wo die Damen und Herren RKI, BzGA und wohl auch DAH weiter langgehen wollen: auf breit ausgetretenen Wegen, ja nichts Neues wagen. Hoffentlich wachen sie nicht irgendwann überrascht, schockiert vor kondomisierten Gemüsen auf, die sich dennoch mit HIV infiziert haben …

Wie die Deutsche Aidshilfe nun noch auf den Gedanken kommen kann, sie sei eine Interessenvertretung der Menschen mit HIV und Aids, erscheint grotesk. Ihr Verhalten wird die DAH wohl manchem Positiven erklären müssen, soll Czajkas Rede nicht als vereinzeltes Irrlicht erscheinen, das schnellstens wieder gelöscht wurde.
Und Positive sollten sich Gedanken machen, wer denn ihre Interessen vertritt .
..

„Die bewährten Präventionsbotschaften zum Schutz vor HIV/Aids gelten nach wie vor“
gemeinsame Pressemitteilung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, des Robert-Koch-Instituts und der Deutschen Aids-Hilfe vom 26. Februar 2008 (als pdf hier)

Nachtrag 03.03.2008: am 14.3. wird es zu einem weiteren Treffen kommen, bei dem laut DAH um „einen Entwurf einer ‚deutschen‘ Erweiterung der Präventionsbotschaften“ gehen soll.

Michèle Meyer: ‚der Weg in eine Normalität‘

Michèle MeyerInterview mit Michèle Meyer, Präsidentin von LHIVE, der Organisation von Menschen mit HIV und AIDS in der Schweiz. Michèle Meyer weiß seit 1994 von ihrer HIV-Infektion. Die 43Jährige ist Mutter zweier Kinder.

Michèle, du bist Präsidentin von LHIVE. Wie kam es zur Gründung von LHIVE?
Nachdem die nationale Organisation P.W.A-Schweiz [PWA = People with Aids, Menschen mit Aids, d.Verf.] 1997 liquidiert wurde, gab es nur noch vereinzelte, kleine, regionale Organisationen. Eine Handvoll AktivistInnen hatte schon länger im Sinn endlich wieder etwas ins Leben zu rufen, als uns das Schweizer AIDS-Forum im Dezember 2005 die nötige Plattform gab um laut darüber nachzudenken. Wir stellten dieselben Bedürfnisse in einer grösseren, anwesenden Gruppe von Menschen mit HIV und AIDS fest und sind das Wagnis mit sofortiger Aufbauarbeit eingegangen.
Unschwer erkennbar war damals eine große Unzufriedenheit mit einerseits dem Einzel- Klienten-Status, den Menschen mit HIV und AIDS bei der AIDS-Hilfe Schweiz inne haben und andererseits mit der Privatisierung und Isolation in einer spürbar repressiven und unsolidarischen Alltagsrealität, die immer mehr von den realen Möglichkeiten eines Lebens mit HIV und AIDS abwich.Wir haben uns zu zehnt durchgebissen und konnten am 5. Mai 2007 LHIVE mit 45 Gründungsmitglieder ins Leben rufen.

Was sind die Ziele von LHIVE?
Ich zitiere aus unserem Leitbild: Das Ziel von LHIVE ist E-Quality.
E-Quality steht für Gleichstellung von Menschen mit HIV und AIDS und eine vom Serostatus unabhängige Lebensqualität in allen Lebensbereichen. Das bedeutet eine Lebenserwartung und Lebensqualität, die mit jener der Gesamtbevölkerung übereinstimmt.
Um unser Ziel zu erreichen, müssen wir uns mit den Themen Stigma, Selbststigma, Solidarität und Diversität auseinandersetzen und uns der aktuellen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Haltungen und Veränderungen bewusst sein.
Wir nutzen Selbstvertretung, Selfempowerment, GIPA ( greater involvement of people living with HIV and AIDS, der Einbezug von Menschen mit HIV und AIDS auf allen strategischen und operativen Ebenen der AIDS- Arbeit. Siehe dazu: Paris 1994 Unaids) , Visibilität, Aufklärung und Networking als Arbeitsinstrument.
Was heißt das konkret?
LHIVE gibt der Überwindung von Selbststigma ein großes Gewicht. Bei größtem Respekt vor den persönlichen Lebenshintergründen des Einzelnen, wollen wir die Menschen mit HIV/AIDS in die Lage versetzen, ihre Selbstverwirklichung ohne Bezug auf das Virus und die entsprechenden negativen Effekte, umzusetzen.
Grundpfeiler unserer Zielsetzung und Voraussetzung für nachhaltige Prävention ist Solidarität.
Wir orientieren uns an der Paris Deklaration und den Denver Principles.
Das heißt, wir befähigen uns selbst, in allen relevanten Gremien zu den aktuellen Themen rund um HIV und AIDS mitbestimmen zu können. Wir arbeiten aktiv bei der strategischen Gestaltung der schweizerischen AIDS-Arbeit mit.

Jüngst ist ja der Beschluss der EKAF zu Infektiosität bei erfolgreicher Therapie erschienen. Waren Menschen mit HIV/Aids an dem Entstehen dieser Stellungnahme in der Schweiz in irgend einer Form beteiligt?
Ja, das waren wir. Und sind es noch. LHIVE hatte bereits im März 2007 innerhalb der nationalen HIV und AIDS-Landschaft deutlich dazu aufgefordert die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Nicht-Infektiosität öffentlich kohärent zu kommunizieren. Wir haben klar Stellung genommen für eine transparente Aufklärung der gesamten Bevölkerung, um der Glaubwürdigkeit der Prävention nicht weiter zu schaden, und um der Zensur auf Kosten der Lebensqualität von Menschen mit HIV und AIDS ein Ende zu setzen.
Die EKAF und das Bundesamt für Gesundheit musste damit rechnen, dass wir nicht mehr lange warten und das Schweigen brechen würden auch ohne Rückendeckung.
Wie das?
LHIVE ist seit März 2007 ständiger Gast bei der EKAF und seit Januar dieses Jahres stimmberechtigtes Mitglied der Komission. Wir konnten zwar stimmlos aber beratend bei der Vernehmlassung zur Veröffentlichung mitwirken.
Rund um die Veröffentlichung hatte Herr Prof. Vernazza unsere Organisation angefragt in zwei, drei Medienbeiträgen mitzuwirken. LHIVE hat dann auf den Zeitpunkt der Veröffentlichung hin auch eine eigene Medienmitteilung versandt.

Ich habe vor kurzem von dir auf die Stellungnahme der EKAF und einige aufgewühlte Reaktionen hier in Deutschland die einfache Frage gelesen „warum freuen wir uns nicht einfach?“
Ja, warum freuen wir uns nicht einfach?

Ich glaube, da spielen viele Faktoren eine Rolle:Die Angst vor der noch grösseren Entsolidarisierung. Infektiös gegen nichtinfektiös als neue Gruppierungsmöglichkeit. Dann die Angst vor neuen Abhängigkeiten und Zwängen.
Und die tief verwurzelte Spannung zwischen den eigenen Interessen und dem Märtyrium. Dieses „AIDS stops with me“ in uns, diese dringende Aufopferung in der Primärprävention und die Unmöglichkeit sich davon ganz zu lösen, weil wir sonst nur noch außerhalb der Gesellschaft stehen und die ahnbaren Folgen und Konsequenzen davon, verhindern nackte, auf uns selbst bezogene Freude.

Du hast geäussert, viele „HIV-Positive verstecken sich nicht zuletzt, weil sie keine Möglichkeit sehen, dem Bild des hochgefährlichen und verantwortungslosen (und unanständigen) Menschen, das in der Öffentlichkeit noch immer vorherrscht, zu begegnen“.
Sicher sind immer noch viele HIV-Positive nicht ‚offen‘. Aber gibt es dieses Bild des hochgefährlichen, verantwortungslosen Positiven heutzutage noch so?

Ja. Es hat sich nicht viel verändert in den letzten 25 Jahren. Die HIV-Infektion ist eine unanständige Krankheit der Anderen, der Fremden.
Dieses Bild wurde teilweise auch durch Präventionsbotschaften und -Strategien bewusst hochgehalten, oder zumindest in Kauf genommen, als Mittel zum Zweck: Das Schüren von Angst, Verunsicherung vor und somit Ausgrenzung von Menschen, von Menschen mit HIV und AIDS sollte weitere Infektionen verhindern.
Darunter fällt auch das (8!) jahrelange Verschweigen der Erkenntnisse rund um die Infektiosität/ Nicht-Infektiostät, das Benennen der Zielgruppen bzw. die wiederholte Bekanntgabe in welche Zielgruppe wie viele Neu-Diagnosen stattfinden, die Plakatkampagnen (in der Schweiz) von den Degenfechterinnen über die armen versteckten Opfer…

Wird der neue Beschluss der EKAF Auswirkungen auch im Bereich ‚HIV und Strafrecht‘ haben?
Das hoffen wir natürlich sehr. Das Epidemiegesetz ist soeben in der Vernehmlassung für die Revision (einer Art schriftlichen Anhörung mit „Korrektur“wünschen bei Parteien, Kantonen, beteiligten Behörden und Akteure der zivilen Gesellschaft, als Arbeitsgrundlage für die Entscheidungsorgane). Wir arbeiten in dieser Vernehmlassung mit, und die bereits unterbreiteten Vorschläge z. B. zur Änderung des Artikel 231 des StrafGesetzBuches weisen in diese Richtung. Das heißt, die Rechtssprechung würde dann nur die „böswillige Übertragung“ betreffen und nicht mehr die „versuchte Verbreitung“ einer gefährlichen menschlichen Krankheit.

Noch einmal zurück zu LHIVE. „Menschen mit HIV und Aids Gesicht und Stimme geben“, ist das Motto von LHIVE. In Deutschland gibt es ja keine große bundesweite Organisation von und für Menschen mit HIV/Aids. So mancher mag sich da fragen: warum ist das nach 25 Jahren Aids immer noch erforderlich?
HIV und AIDS ein Gesicht und eine Stimme zu geben? Unsichtbarkeit täuscht schon länger. Wenn wir uns nicht hörbar und sichtbar den Herausforderungen stellen, werden wir in der Privatisierung und Globalisierung untergehen. Das klingt plakativ, und soll es auch. Weißt Du, wir sind länger schon gut eingebettet, verwaltet und verpflegt mit medizinischen und rechtlichen Informationen, Kursen und Kürschen, etwas touchy-feely und viel individuell zugeschnittenen Feuerwehrübungen, Beratungsangeboten und auch alltäglicher und finanzieller Hilfe. Alles aber immer unter dem Aspekt des Kliententums und des Opfer-Täter-Schemas.
Das birgt einiges an guter Versorgung und Sonderstatus, aber es ist auch eine Falle, es zementiert schlussendlich nur Stigma und Selbststigma. Und genau da wollen wir entgegenwirken: der Weg in eine Normalität, in der die HIV-Infektion gesundheitliche Einschränkungen bedeutet, denen mann und frau sich widmen und eigene Ressourcen freilegen und nutzen kann, ohne sich an Fremdbild und Selbstbild andauernd abzustrampeln, führt über hör-und sichtbar Werden, über Einmischung und Integration.

Michèle, vielen Dank für dieses Interview!

Mehr Informationen zu LHIVE finden Interessierte auf www.lhive.ch
Oder auf dem Postweg: LHIVE 4434 Hölstein Schweiz, Tel: 0041 61 951 20 88

Infektiosität unter Therapie: Reaktionen (akt.)

Keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“ – der Beschluss der Eidgenössischen Aids-Kommission hat ein vielfältiges Echo hervorgerufen, unter Schwulen, bei Aktivisten und in der Presse.

Basis – was sagen die Schweizer?:
Der originale Text der EKAF ist zu finden hier als pdf. Dank Mike Barr (hier)und Michael Petrellis (hier) gibt es nun auch eine Übertragung in englischer Sprache (html).

Lesenswerte Feedbacks sind in einem Forum von Prof. Vernazza zu finden. Liste aller Artikel von Prof. Vernazza.
Der Artikel “HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös” (Pietro Vernazza, Bernard Hirschel, Enos Bernasconi, Markus Flepp, alle Eidgenössische Kommission für Aidsfragen, Fachkommission Klinik und Therapie des Bundesamts für Gesundheit (BAG) steht als pdf online in deutscher Sprache hier, in französischer Sprache hier.
Prof. Vernazza hat zudem zwei Artikel zum Thema verfasst: “Die HIV-Prävention wird einfacher – also komplexer!”, und “HIV-Therapie wirkt auch präventiv“.
Prof. Hirschel geht in einem Interview (in französischer Sprache) auf die Frage ein, wie weit sich die Daten auch auf die Frage der Superinfektion übertragen ließen.
Prof. Hirschel auf der CROI im Interview über den EKAF-Beschluss:
http://www.aidsmeds.com/articles/hiv_condoms_virus_2151_14010.shtml (knapp 15 min. Video) sowie in einem Interview auf TheWarning.

Reaktionen in den Medien:
Die NZZ berichtet u.a. ‚Konsequent therapierte HIV-Infizierte nicht mehr infektiös‘ und ‚Neue Lage – neue Rechtsprechung?‘
Tagesanzeiger (CH): ‚Debatte um HIV-Ansteckung‘, ‚Die Botschaft zur Prävention von HIV bliebt dieselbe‘, ‚Ungeschützter Sex trotz HIV‘, ‚Aids-Kommission verteidigt sich‘.
Swissinfo (CH): ‚Gute Nachricht für Minderheit von HIV-Positiven‘
Mit detaillierten Informationen besticht wie so oft der HIV Report (Ausgabe 01/2008).
Die Welt fragt in einem recht differenzierten Artikel ‚Ist Safer Sex überflüssig?‘.
‚Safer Sex kein absolutes Gebot mehr?‘ fragt die FAZ.
Ärzteblatt: ‚Kontroverse um Safer Sex.. ‚ und ‚Kritik am Schweizer okay …
In einen leider fachlich nicht völlig korrekten Artikel berichtet die taz.
Reaktion der Katholischen Nachrichten.
Interessante Diskussionen entspannen sich zu einem Artikel auf queer.de.

Reaktionen aus Selbsthilfe und Aidshilfe und Selbsthilfe:
Die Schweizer Positivenvereinigung LHIVE begrüßte die Stellungnahme der EKAF. Michèle Meyer im Interview: ‚der Weg in eine Normalität
Stellungnahmen der Aids-Hilfe Düsseldorf, Aids-Hilfe Köln, Aids-Hilfe Wuppertal.
Michael schriebt dazu hier und hier im Welt-Aids-Tag-Blog.
Das Netzwerk positiv sagt „Danke Pietro Vernazza“.
Neue Wege sehen – neue Wege gehen!“ – die Haltung der Deutschen Aidshilfe.

offizielle und offiziöse Reaktionen:
Mitteilung ‚Die Botschaft zur Prävention von HIV bleibt dieselbe‘ auf gib-aids-keine-chance.de (eine Seite der BZgA)
Stellungnahme des RKI (dort auf pdf klicken) sowie weiteres in den FAQ (dort letzte Frage unten)
Dr. Hamouda, Leiter der Aids-Abteilung im Robert-Koch-Institut (RKI), äußerte sich u.a. im Tagesspiegel (‚Können HIV-Infizierte auf Kondome verzichten?‘) und in der FAZ (‚Safer Sex kein absolutes gebot mehr?‘). Zudem hat das RKI eine Stellungnahme veröffentlicht.
WHO: ‚HIV therapy does not eliminate transmission risk‘

weitere Reaktionen:
Das UN Integrated Regional Information Network berichtet, und die WHO betont, eine erfolgreiche Therapie eliminiere nicht das Transmissionsrisiko.
aidsmap behandelt das Thema in mehreren Artikeln, berichtet über die Schweizer Beschlüsse und weist u.a. darauf hin, dass nicht nachweisbare Viruslast im Blut nicht gleichbedeutend mit keine Infektiosität sei.
Interessant in diesem Kontext auch ein Urteil des Bundesgerichtshofs, das antiretrovirale Therapie bei der Beurteilung der (deutlich gesenkten) Infektiosität und strafrechtlichen Konsequenzen behandelt (Link auf den Seiten des LSVD).

Auch die USA hat die Diskussion erreicht:
Walter Armstrong ist ein langjähriger Aids-Aktivist (u.a. ACT UP) und war lange Jahre Herausgeber des US-Positiven-Magazins ‚POZ‘. Seinen Kommentar zu dem Schweizer Beschluss und Reaktionen in San Francisco darauf hat Michael Petrellis in seinem Blog dokumentiert: Ex-POZ-Editor: SF Strangles Gay Hopes From Swiss Study.
Michael dokumentiert auch die Stellungnahme von Dr. Paul Bellman, New York „Public Debate Needed on Swiss Study“.
Und (ebenfalls bei M.Petrellis) Dr. Joseph Sonnabend nimmt Stellung.

Dank an Michael für Unterstützung bei der Link-Sammlung …

Endlich spricht jemand das aus …

Zur Stellungnahme der Schweizer “Eidgenössische Kommission für Aidsfragen” (EKAF) zur Frage der Infektiosität bei wirksamer antiretroviraler Therapie (siehe gestriger Beitrag „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie„) im Folgenden als Dokumentation ein Kommentar von Bernd Aretz, Aids-Hilfe Offenbach:

Endlich spricht hier jemand das aus, was seit Jahren hinter den geschlossenen Türen der Ordinationsräume in vielen Praxen kommuniziert wird. Als ein Mann, der als Betroffener seit 1984 in Aids-Hilfe auf allen Ebenen engagiert ist, weiß ich das nicht nur aus meiner eigenen Erfahrung sondern aus dem Alltag unserer Beratungsstelle sowie Gesprächen mit kaum zu zählenden HIV-infizierten Frauen und Männern. Das bisherige öffentliche Schweigen hat die Prävention erschwert. Da gefühlsmäßig die Gefahr bei den wissenden Positiven verortet wird, hat sich im schwulen Leben die Unsitte des negativen Serosortings breitgemacht. Da suchen Männer für flüchtige Begegnungen Männer, die angeben, negativ zu sein und begeben sich damit genau in die Bereiche, in der es aufgrund der hohen Infektiosität während der Primoinfektion besonders gefährlich ist. Der offene Umgang mit der Infektion wurde erschwert, weil Positive, wenn sie ihren Status offen kommunizieren, in einem erheblichen Masse mit Ablehnung als potentielle Sexualpartner rechnen müssen. Verlogenheiten, Depressionen, übermäßiger Konsum von Alkohol sind eine häufige Folge. Die Chance, die Compliance zu erhöhen wird leichtfertig verspielt. Die Verheißung, mit Partnern in der Lebensbeziehung angstfrei verkehren zu können, kann die Motivation zum Test und zur Behandlung erhöhen.

Durch das Auseinanderfallen von Beratung im Arztzimmer, den persönlichen Erfahrungen Betroffener und dem öffentlichen Diskurs verliert die Prävention insgesamt an Glaubwürdigkeit, auch soweit es um andere STDs geht. Das bisherige Schweigen ist nicht unschuldig, weil es der ungerechtfertigten Strafverfolgung wirksam Behandelter Vorschub geleistet hat.

Was das Gefühl, als gefährlich wahrgenommen zu werden und im Interesse einer breiten Prävention als Angstgegner funktionalisiert zu werden, mit den Seelen machen kann und wie es in diskordante Partnerschaften einwirken kann, liegt auf der Hand.

Selbst wenn auch unter guter Therapie ein theoretisches Restrisiko verbleiben sollte, so steht doch fest, das dies statistisch irrelevant ist, gemessen an den Schäden, die das Verschweigen verursacht.

Danke und Respekt also an die EKAF und Herrn Prof. Vernazza für ihre offenen Stellungnahmen.

Bernd Aretz

Aids-Hilfe Offenbach

© Bernd Aretz