Braucht es eine Studie, die HIV-Konzentration im Darm und Übertragungsrisiken am Menschen untersucht? Und wenn ja, wie kann diese so konzipiert werden, dass Studienteilnehmer keine Risiken eingehen? Die ‚Rektalstudie‚ sieht sich kritischen Fragen ausgesetzt.
Worum geht es?
Auslöser der Debatte um das Thema ‚Infektiosität und Analschleimhaut‘ ist das Statement der EKAF „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„.
In ihrem Statement sagt die EKAF klar “das Risiko einer HIV-Übertragung beim Sex ohne Kondom unter vollständig supprimierter Viruslast ist deutlich geringer als 1:100.000. Das verbleibende Restrisiko lässt sich zwar wissenschaftlich nicht ausschließen, es ist aber nach Beurteilung der EKAF und der beteiligten Organisationen vernachlässigbar klein.”
Im Statement der EKAF wird nicht unterschieden zwischen Vaginal- und Analverkehr. Und dennoch kaprizierte sich von Anbeginn an genau auf diese Frage ein großer Teil der Debatte: können Daten für die HIV-Transmission bei Vaginalverkehr auf Analverkehr übertragen werden?
Die Schweizer reagierten früh auf diesbezügliche Fragen und Vorwürfe. Schon bald hat Prof. Hirschel präzisiert:
“Wenn man keine Studien hat, muss man auf den Verstand ausweichen. Es gibt keinerlei gute biologische Gründe, die erklären könnten, warum die vaginale Transmission sich von der rektalen Transmission unterscheiden soll.”
Und ob das Übertragungs-Risiko zwischen analem und vaginalem Verkehr nicht doch unterschiedlich sein könne?
Vielleicht, aber die verfügbaren Daten von nicht behandelten Patienten zeigen, dass die Risiken vergleichbar sind.”
Die Datenlage ist bisher tatsächlich scheinbar schlecht. Es gibt kaum Studien über die Konzentration von HIV in der Darmschleimhaut, sowie über die Auswirkungen erfolgreicher Therapie hierauf. Ob diese schlechte Datenlage allerdings überhaupt für die Diskussion relevant ist, ist auch angesichts der Erwiderungen von Prof. Hirschel fraglich.
Das Kompetenznetz HIV (Leitung: Prof. Brockmeyer, Bochum) schaltete sich ein. Und plant nun eine Studie. Die so genannte „Rektalstudie„. Ziel dieser Studie soll es sein, die Virusbelastung der Darmschleimhaut auch bei mechanischer Beanspruchung (mittels eines Dildos) zu untersuchen.
Auf dem Internetangebot des Kompetenznetz HIV ist die Studie nicht verzeichnet.
Eine Vor-Studie hierzu rekrutiert allerdings bereits Teilnehmer.
Und der Vorstand der DAH setzt sich kritisch mit der Studie auseinander.
An die Studie könnten viele Frage gestellt werden – und sie müssen gestellt werden, auch zum Schutz der potenziellen Teilnehmer.
So bleibt zunächst zu klären, was die Rationale einer solchen Studie ist und sein kann. Wie relevant ist das Thema dieser Studie tatsächlich für die weitere Diskussion und Entscheidung über Konsequenzen aus dem EKAF-Statement?
Ist sie tatsächlich erforderlich? Gelten die Begründungen von Prof. Hirschel nicht, oder warum werden sie als nicht ausreichend betrachtet?
Kann eine Studie zur rektalen Transmission überhaupt in einer Konstellation durchgeführt werden, die ethisch vertretbar ist? In der die Studienteilnehmer nicht unnötig gefährdet werden? Ist die Studie vertretbar und verantwortbar?
Wie sieht die Patienteninformation aus? Waren Patienten-Organisationen, Menschen mit HIV daran beteiligt?
War oder ist Aidshilfe oder Aidshilfe-Mitarbeiter an dieser Studie beteiligt? Wann, wer, in welchem Umfang?
Hinterfragenswert auch die Vor-Studie, die bereits rekrutiert. Was wird hier konkret untersucht? Wie informiert sind die Studienteilnehmer?
Fragen über Fragen – umso erstaunlicher, dass diese Studie in aller Stille vorbereitet und konzipiert wurde. Und dass die Vorstudie bereits Patienten rekrutiert.
Davon abgesehen könnte man auf den Gedanken kommen, dass mit der Rektalstudie Schein-Aktionismus betrieben wird. Wird hier eine Schein-Debatte geführt, die von den wichtigen Fragen im Zusammenhang mit dem EKAF-Statement und möglichen Konsequenzen daraus nur ablenkt, eine Auseinandersetzung damit verzögern soll?
Nachtrag
24.012.2009: Auf Initiative des Vorstands der Deutschen Aids-Hilfe haben VertreterInnen des Patientenbeirats sowie DAH-Mitgliedsorganisationen eine Vereinfachung der Studie sowie einen Verzicht auf vorherige Stimulation vorgeschlagen.