Schwule und Lesben gibt es nicht …

Man mag die Meldung kaum glauben.

Das polnische Bildungsministerium plant ein Gesetz. Ein ganz besonderes. Lehrern soll es zukünftig unter Androhung von Strafe verboten werden, im Unterricht auch nur zu erwähnen, dass es auch Schwule und Lesben gibt.

Bildungsminister (und Vize-Premierminister) Giertych möchte so die Jugend des Landes vor ‚homosexueller Propaganda‘ beschützen.
Selbst Aufklärungsmaterial (z.B. gegen Aids) wäre dann strafbar, wenn an Schulen verwendet.

Der polnische Ministerpräsident Kaczynski hält die Mehrheit im Parlament für diesen Gesetzentwurf für sicher.

Mehr bei der ARD, deren Warschauer Hörfunk-Korrespondent dazu geschrieben hat.

Stadt Land Fluss

Deutschland ist föderalistisch strukturiert, im Gegensatz zu anderen Staaten wie z.B. (immer noch, wenn auch nachlassend) Frankreich. Das hat einige Vorteile, auch für den schwulen Mann.

Der kann von CSD zu CSD durch die Republik reisen, oder von Starkbierfest über Karneval zu Oktoberfest. Ein schwul-lesbisches Stadt-Land-Fluss sozusagen.
Und die Szenen jeder Stadt können sich bzw. ihre Stadt irgendwie für ‚die größte‘ halten, ihren speziellen Lokalpatriotismus pflegen, der zu den kuriosesten Blüten führt.

Manche Blüte erweist sich allerdings bei genauerem Hinsehen an der einen oder anderen Stelle als reichlich welk, könnte eine Auffrischung vertragen.

Viele Kölner Schwule halten ihre Stadt ja für den Nabel (oder den ‚geilsten Arsch‘) der Welt, nicht für Provinz. Ein großer Teil der Berliner Homoszenen lächelt da sicher milde oder amüsiert und denkt sich, na Berlin ist der Nabel der (schwulen) Welt, klar doch. Und Hamburg mokiert sich wahrscheinlich wieder, malt Schreckgespenster an die Wand, es werde benachteiligt, zu unrecht natürlich. Den Süden des Landes haben wir bisher ganz übergangen, und den Osten, den mittleren Südwesten und und und …

Allerdings, in einer Kategorie kann Köln in meinen Augen ganz klar punkten, und muss Berlin sich mit einem der hinteren Plätze bescheiden:
Was das schwule Saunaleben angeht – ganz klar Köln 5 Punkte, Berlin hingegen weit abgeschlagen…

Köln kann gleich mit vier Saunen aufwarten, davon mindestens zwei, die auch international mithalten können, der Phoenix und dem Badehaus. Die Phoenix zudem mit beispielhafter Umsetzung von Safer-Sex befördernden Konzepten – Kondome überall (nicht nur an der Theke, sondern dort wo benötigt) gratis erhältlich, und selbstverständlich auch Gel. Dazu noch eine Sauna (Vulkan), die sich auf das eher reifere Publikum spezialisiert hat und auf ihre Weise auch einen ganz eigenen Charme haben soll.

Hamburg dann irgendwie im Mittelfeld, mit immerhin zwei Saunen, eine davon auch mit überregionalem Format – zwar vermisse ich (ach, die Jugend) irgendwie ja immer noch ‚CU‘ oder ‚Pool‘, aber auch der Drache hat ja einiges Feuer …

Berlin hingegen? Saunen, die ihre besten Jahre längst hinter sich haben, in die kaum investiert wird, oder mit muffigem Personal. Eine wagt einen Neubeginn, über den auch eher zwiespältiges zu hören ist. Keine kann von Größe, Ausstattung und Präventionsaktivitäten her mit dem Kölner Standard mithalten. Insgesamt – an einem Schlechtwetter-Wochenende kann man auffällig viele schwule Berliner in einer Sauna in Leipzig treffen. Das sagt eigentlich genug über die Qualität des Berliner Saunalebens …

In Sachen ‚geilster Arsch der Welt‘ also in dieser Kategorie neidlose fünf Punkte für Köln … und Berlin stellt sich in die Ecke und schämt sich …

Nebenbei, bei dieser schwulen Nabelschau -wer hat die größte wichtigste bedeutendste schönste Homoszene des Landes- fällt mir wieder einmal ein, wie sieht das eigentlich bei Lesben aus, und bei Transgenders? Gibt es da auch einen derart kuriosen Wettbewerb? Einen Lokalpatriotismus à la ‚wir haben aber die geilste Lesbenszene‘???

Überhaupt, früher in meiner Kindheit gab’s diese klasse Sendung im Fernsehen (nein, nicht ‚Einer wird gewinnen‘ …), diesen von Camillo Felgen moderierten Städtewettbewerb namens ‚Spiel ohne Grenzen‘. Wäre es nicht an der Zeit, diese Show wiederzubeleben und die Homos der vermeintlichen Zentren dieses Landes auf einander los zu lassen? Über die Disziplinen wird man sich ja sicher einigen können … und als Namen schlage ich ‚Schwul ohne Grenzen‘ vor (und melde mal gleich Titelschutz an 😉 )

Impfen gegen Feigwarzen?

„Impfen gegen Krebs“ berichten die Medien, nicht ganz korrekt, aber – für Frauen ist eine Impfung gegen ein Virus möglich, das an der Entstehung von Gebärmutterhals-Krebs beteiligt ist. Doch – auch Männer könnten von einer Impfung profitieren …

In den vergangenen Wochen (und sicher noch mehr in den kommenden) geht ein Impfstoff durch die Medien, der Gebärmutterhals-Krebs verhindern helfen kann. Berichtet wird dabei fast immer nur von der Möglichkeit, dass Frauen und Mädchen sich impfen lassen können – Männer werden i.d.R. nicht erwähnt, obwohl auch sie (und insbes. auch schwule Männer) von einer Impfung profitieren könnten.

Humane Papilloma-Viren (HPV) sind eine Gruppe von Viren, derzeit sind weit über 100 Typen von HP-Viren bekannt.
Einige der HP-Viren (bes. Typ 16, 18 und 31) sind nicht nur mögliche Ursache des Gebärmutterhals-Krebses bei Frauen, sondern auch die mögliche Ursache von Feigwarzen und Analkarzinomen – beides bei Frauen und Männern. HPV werden u.a. sexuell übertragen und sind weit verbreitet. Kondome schränken die Übertragungswahrscheinlichkeit ein, jedoch ist auch bei Kondomverwendung eine HPV-Übertragung möglich.

Unter schwulen Männern ist die Verbreitung von HPV sehr hoch, besonders hoch ist sie unter HIV-positiven schwulen Männern.

Seit einigen Monaten ist ein Impfstoff zugelassen (‚Gardasil‘, Hersteller Merck), der gegen einige der wichtigsten HPV-Typen einen Schutz bieten kann. Ein weiterer Impfstoff befindet sich kurz vor der Zulassung (‚Cervarix‘ Hersteller GlaxoSmithKline).
Die Impfung wird empfohlen für junge Mädchen möglichst vor dem ersten Sex (und also vor einer möglichen Infektion). Die EU-Zulassung von Gardasil ist jedoch geschlechtsneutral formuliert.

Allerdings bieten einige Londoner Kliniken den Impfstoff (wie auch einige deutsche Ärzte) auch für Männer an. In Deutschland übernehmen derzeit einige gesetzliche Krankenkassen die Kosten (465€ allein für den Impfstoff, ohne Arztkosten) für die Impfung auf freiwilliger Basis (allerdings m.W. nur für Mädchen), mit einer breiten Regelung ist nach einer für demnächst erwarteten Entscheidung der Ständigen Impfkommission zu rechnen.

Studien zum Einsatz des Impfstoffs auch bei Männern (und auch bei HIV-positiven Männern) laufen derzeit. Auch wird in Studien untersucht, ob neben dem prophylaktischen Einsatz (Schutz vor einer Infektion) auch ein therapeutischer Einsatz (Behandlung bei bestehender Infektion) möglich ist.

Aus Großbritannien berichtet das Online-Angebot Queer, dass Schwule aufgrund des Schutzes vor Feigwarzen sowie Analkarzinomen bereits den Impfstoff auch für sich einfordern. Offiziell ist der Impfstoff auch in Großbritannien für den Einsatz bei jungen Mädchen vorgesehen.
Von Forderungen deutscher Schwulenverbände, den Impfstoff auch hierzulande auch für schwule Männer zugänglich zu machen, wurde bisher nichts bekannt.

Impfen gegen Feigwarzen – wann auch für Männer?
Schließlich – ein Leben ohne Feigwarzen, das wäre eine große Erleichterung, und erst Recht eines ohne oder mit weniger Anal-Karzinomen …

Bis dahin: Um Feigwarzen sowie anale Läsionen und möglicherweise spätere Analkarzinome zu vermeiden, könnten insbesondere schwule Männer (ob positiv oder nicht, ob eher aktiv oder passiv) daran denken, sich regelmäßig auch rektal untersuchen lassen. Eventuelle Feigwarzen oder Zellveränderungen können so oftmals frühzeitig erkannt und behandelt werden. Ob Abstriche (wie bei Frauen vaginal) zu den regelmäßigen Gesundheits-Checks gehören sollten, ist bei Ärzten derzeit noch umstritten – zahlreiche HIV-Behandler bieten dies ihren Patienten heute schon an.

Nachtrag 27. März 2007: die StIKO hat die HPV-Impfung für junge Mädchen empfohlen. Ab 1.4.2007 wird sie Regelleistung der gesetzlichen Krankenversicherung. StIKO-Empfehlung als pdf hier.

weitere Informationen:
Ausführliche Informationen zu HPV und Feigwarzen im MedInfo der Deutschen Aids-Hilfe & Aids-Hilfe Köln Nr. 42 (leider Stand Dezember 2002).
Ausführliche Informationen zur HPV-Impfung auch beim Grünen Kreuz.
Wer in die USA reist und sich für eine Impfung interessiert – dort sollen die Kosten für den Impfstoff ‚Gardasil‘ „nur“ bei 360US-$ liegen (im Gegensatz zu 465€ hierzulande).
Und – wer noch ein wenig mehr für seine Gesundheit unternehmen will: eine neue Studie aus Deutschland (Prof. Brockmeyer) zeigt, dass Rauchen die Vermehrungsrate der potenziell krebserregenden HPV-Typen erhöht – ein Verzicht auf den Tabakkonsum wäre auch aus diesem Grund zu überlegen …

Volltreffer

Ich weiß ja, dass Aufräum-Aktionen in den städtischen Grünflächen ab und an sein müssen.
Beim Zustand des Aachener Weihers (das bedeutendste Cruising-Areal in Köln) jedoch kommt mir nur dieser kriegerische Begriff ‚Volltreffer‘ in den Sinn:

Aachener Weiher 01
Das übertrifft vieles, was in den vergangenen Jahren in Berliner Tiergärten angerichtet wurde …

Natürlich werden hier Sturmschäden beseitigt – allein, es scheint doch seltsam, gerade an den Stellen, wo Mann sich des Nachts und gern auch des Tags trifft, muss der Sturm wieder einmal besonders gewütet haben, während andere Teile der städtischen Grünanlagen um den Aaachener Weiher weitgehend unbeschadet blieben …

Aachener Weiher 02
Auch das Grünflächenamt scheint wohl zu ahnen, dass sich da so mancher seine Gedanken machen könnte, und hat vorsorglich dieses und nur dieses) Gebiet mit netten Aufklärungs-Schildchen eingekreist:

Aachener Weiher 03

Das Märchen vom konsumfreudigen Homo

Schwule haben Geld und sind kauffreudig -. an diesem Märchen strickt auch die WiWo mit

Dass Homosexuelle ein Wirtschaftsfaktor ist, ist nicht gerade eine neue Erkenntnis. Darüber in Hetero-Medien zu schreiben, ist auch nicht sonderlich neu. Eine ganze Titel-Geschichte in der ‚Wirtschaftswoche‘ allerdings ist schon bemerkenswert.

Auf dem Weg zum Sport schreit mich am Kiosk ein rosafarbenes Titelblatt an (auf das z.B. auch der Queerblog hinweist):

Wirtschaftswoche Titel schwul

Das doppelte Marssymbol als Zeichen für Schwule, und dann WiWo-gerecht zum doppelten Euro verfremdet – was lässt das erwarten?

Unter dem Titel ‚Der Schwulen-Faktor‘ berichtet die WiWo (erfreulicherweise kann sowohl Mann als auch die im Artikel nicht angesprochene Frau den Artikel online lesen), ‚wie Homosexuelle eine Metropole prägen‘ (und meint die Wirtschaft).

Der Artikel plappert von hautengen Kostümen, von reise- und kauffreudiger Klientel, feiert Schwule als ‚Early Adopters‘, als ‚Konsum-Vorreiter‘, ergötzt sich an der überdurchschnittlich hohen Homo-Präsenz z.B. in Köln, auch als Basis für ein ‚Diversity Management, das Mehrwert schafft‘, und feiert die ‚Wegbereiter der homosexuellen Karnevalsbewegung‘ (war ‚Bewegung‘ nicht mal was anderes?). Ein postulierter ’souveräner Umgang mit dem Anderssein‘ wird dann gleich als ‚Standort-Faktor‘ hochgelobt.

Ein Artikel, der meist zwischen Plattitüden und Oberflächlichkeiten daher kommt.
Vor allem aber ein Artikel, der Schwulsein als Standortfaktor und Frühindikator für Stadtteil-Sanierung nimmt. Homos als ‚homo oeconomicus‘ im wahrsten Sinne.
Erfreulich immerhin, dass kurz auch die wenig erfreuliche Situation von Schwulen in autoritären Staaten erwähnt wird (allerdings, um auch hier den Zusammenhang zwischen Homosexualität, Weltoffenheit und ‚Wohlstandsmehrung‘ zu predigen).

Bei solchen Artikeln überkommt mich immer das Gefühl, Schwulsein muss wohl wirklich ‚mitten in der Gesellschaft‘ angekommen sein. In einer Langeweile, die ich irgendwie nie wollte …
Nicht, dass entstandene Verbesserungen nicht zu würdigen sind. Schwulen- und Lesbengruppen in Betrieben, Betriebsrente für Homo-Paare, alles Errungenschaften. Aber – wird jetzt die ökonomische Relevanz schon zum begründenden Faktor, zur Legitimationsbasis für schwule und lesbische Emanzipation?
Wird ‚Yuppie-Ambiente‘ statt ‚Elend der Großstadt‘ jetzt Ziel schwulen Seins?
Und -nebenbei- was wird dann mit all denjenigen Schwulen und Lesben (und in dem Artikel ganz vergessenen queeren, transgender und sonstwie anderen Menschen), die diesen ökonomischen Kriterien nicht entsprechen wollen oder können?

Und, wenn Schwulsein schon ein solcher Standort-Faktor sein soll, warum kommt dann solche geistige Monokultur daraus? Oder gibt es etwa einen Zusammenhang zwischen ökonomisierten Wohlfühl-Mainstream und monokultureller Langeweile?

Die alte Debatte?

„Homosexualität – genetisch bedingt?“ fragte Arte am gestrigen Dienstag Abend.

Die Reportage von Ted Anspach widmete sich der Frage nach genetischen Aspekten der Homosexualität – und dem Sinn und Hintergrund derartiger Fragen.

So fragt die Reportage nach der Rolle der Erziehung, von Mutter und Vater. Bemüht alte Erklärungsmuster wie den Freud’schen Ödipus-Komplex, dominante Mütter und abwesende Väter. Wechselt dann zu lesbischen Zwillingen und schwulen Pinguinen.

‚Aber warum diese heftigen Reaktionen‘, fragt der Film – beinahe naiv, wie mir scheint. Und beleuchtet ein ‚deutsches Tabu‘, die Nazi-Politik der ‚Befreiung der deutschen Rasse von der Homosexualität‘, deren gewaltsame Umsetzung (u.a. mit Inbeschlagnahme Hirschfeld’scher Theorien) und das (teilweise) Fortbestehen dieses Irrsinns (§175) und der Zwangsmaßnahmen auch nach 1945 (in Deutschland wie auch in Frankreich, in Strafverfolgung, Wissenschaft usw.). Auf Kastration und Ermordung folgte Lobotomie

Es hat lange gebraucht, bis die Lesben- und Schwulen -Bewegungen und deren Folgen dazu führten, dass Schwule und Lesben in vielen (west-) europäischen Staaten heute mehr oder weniger anerkannt sind.

In Europa sind diese Debatten um einen Grund von Homosexualität beendet – wissend darum, welche Konsequenzen die Frage nach den Ursachen der Homosexualität in Europa hatte.

Anders in den USA. Gene für Homosexualität: dort ein aktuelles Forschungsthema, auch von Schwulen erwünscht. Wenn Homosexualität ’naturgegeben‘ wäre, würden die Mitbürger damit toleranter umgehen, hoffen viele. Wenn Schwule sich hingegen bewusst dafür entscheiden (Verhalten statt Gene), würden sie bekehrt werden müssen, umerzogen – nicht akzeptiert. Heilung statt Respekt, Therapie statt Akzeptanz.

Uns mag sie naiv erscheinen, die Unterstützung, die US-amerikanische Schwulenverbände für diese Art Gen-Forschung geben. In den USA selbst mit ihren starken fundamentalchristlichen und evangelikalen Bewegungen, auch mit deren ‚Therapien gegen Homosexualität‘ und ganzen Gruppen von vermeintlichen ‚ex-Gays‘ mag man die Situation anders einschätzen.

Derartige evangelikale und fundamentalchristliche Bemühungen greifen jedoch auch in Europa immer mehr um sich. Zwingen die Ultrakonservativen uns dies Debatte, die wir längst hinter uns glaubten, erneut auf?

Die Kreationisten sind längst auch hierzulande angekommen, und ‚Informationen‘, wie man ‚Homosexualität heilen‘ könne, kursieren auch auf erzkatholischen deutschen Internetangeboten. Auch in Frankreich arbeiten zunehmend evangelikale Gruppen, auch um ‚Homosexuelle zu heilen‘. Fundamentalchristliche Aktivitäten – auf dem Weg, nicht mehr nur eine Randerscheinung zu sein, die vernachlässigt werden kann?

Und welche Folgen wird es haben, wenn wir diese Debatte erneut zulassen? Wird schleichend wieder Alltäglichkeit, was längst überwunden geglaubt ist?

Lassen wir uns die Gleichberechtigung die mühsam halbwegs erkämpfte wieder abjagen?

Immer wieder merke ich ein seltsames Befremden während der Sendung.

Weshalb wird so intensiv gefragt, warum jemand schwul ist? Sicher, das (wissenschaftliche) Interesse an der Frage, was ist anerzogen, was genetisch bedingt ist, kann ich verstehen.

Aber, steht hinter der Frage des ‚warum‘ nicht indirekt auch der Versuch, wenn ich erst die Ursachen kenne, dann Einfluss zu nehmen darauf? Würden Eltern, denen der Arzt während der Schwangerschaft sagt ‚Ihr werdendes Kind wird schwul sein‘ nicht sagen ‚machen sie das weg, machen Sie’s hetero‘?

Lauert hinter der Frage des ‚warum‘ nicht gleich die Frage nach dem ’normal/unnormal‘? Nach der Abschaffung dessen, was als ‚unnormal‘ empfunden wird?

Hat die Geschichte dies nicht zur Genüge gezeigt? Reicht es nicht, sich an einer bunten Vielfalt zu erfreuen?

Ist dieses Befremden nur ein alter, aus vergangenen Jahren übrig gebliebener Reflex? Oder wohl begründete Vorsicht?

Unterliege ich auch nur diesem ‚typisch deutschen Tabu‘?

Und das Resümee der Arte-Reportage nach 45 Minuten?

Unter einem Aufmerksamkeit heischenden Titel verbarg sich eine sehr differenzierte Sendung mit spannenden Gedanken. Die im Titel der Sendung gestellte Frage bleibt am Ende offen – und es bleiben Bauchschmerzen angesichts des Sinns der Frage und möglicher Konsequenzen.

Wen es interessiert: Arte wiederholt die Reportage heute (14.2.2007) um 14:40 Uhr.

Schwule sind DOCH subversiv …

Ach, da bin ich jetzt aber beruhigt.

Ratzi sagt doch tatsächlich, Schwule seien subversiv (okay okay er meint die Einführung der Eingetragenen Partnerschaft in Italien)

Und ich hatte schon befürchtet, „die Schwulen“ seien angepasst geworden (erst recht mit der eingetragenen Partnerschaft als Ehekopie-Ideal).

Aber wenn der Papst das sagt …
… hab ich wohl was mißverstanden 😉

Na dann sind wir mal subversiv … auf auf!

Über Geschichtslosigkeit

Der Umgang des überwiegenden Teils der Schwulen ist ein Trauerspiel – wie Elmar Kraushaar heute in seinem Kommentar „der homosexuelle mann“ in der taz betont.

Dem ist kaum etwas hinzu zu fügen. (Leider. Es wäre schön, es gäbe einen Grund, ein Dementi, eine Erwiderung zu schreiben.)

Doch, eins vielleicht.

Der Umgang mit den an den Folgen von Aids Verstorbenen ist beinahe genauso enttäuschend, befremdend – von Gedenken, von Trauer- und Erinnerungskultur (über das Jahrestags-Ritual hinaus) kaum eine Spur.

Blusige Hamburger

Mein Artikel über Hamburg und seinen Wettlauf mit Berlin hat mir ein schönes Ergebnis beschert – ein neues Wort.

Queerbeet kommentierte u.a., die Hamburger Szene sei „blusig“. Eine hübsche Formulierung, die mich gleich begeisterte und Assoziationen auslöste.

Noch schöner fast war die auf Nachfrage folgende Erklärung „Gehe mal durch die Lange Reihe wenn das Ledertreffen ist. Da sitzen auch ganze Kerle (oder solche, die es vorgeben, ein ganzer Kerl zu sein) vor dem Gnosa unter der Markise und gucken wie die Anderen gucken.“

DAS ist also „blusig“. Na – da mach ich doch gleich mal meinen Gedankenkoffer auf, schnapp mir dieses „blusig“ und werd’s bei nächstbester Gelegenheit auf seine Verwendbarkeit in Berlin prüfen. Ein Ort dazu wird mir sicher noch einfallen …

… oder hat jemand Vorschläge?

Färöer – ein Schritt in die richtige Richtung

Es gibt erfreuliches über die Färöer zu berichten …

Ende Oktober schrieb ich über Homophobie auf den Färöer. Nach einer Häufung von Übergriffen gegen Schwule hatte die Gruppe Act against Homophobia eine Unterschriften-Kampagne gegen Homophobie auf den Färöer gestartet. Die gesammelten Unterschriften sollten der Regierung übergeben werden.

Die Aktion scheint von einem Erfolg gekrönt: Gestern Abend meldete Sabine in ihrem Blog: das Parlament der Färöer in Tórshavn hat ein Gesetz verabschiedet, das zukünftig die Diskriminierung von Schwulen und Lesben untersagt. 17 Abgeordnete stimmten für das neue Gesetz, 15 dagegen.

Mehr Infos auch auf gayweb.
Und – danke an Sabine für die Nachricht 🙂

Denken und Gedenken

Am 1. Dezember ist wie jedes Jahr wieder ‚Welt-Aids-Tag‘. Viele Menschen mit Roten Schleifen stehen auf den Straßen, viele nehmen an Lichtermeer und Trauerzug teil, Freiwillige sammeln Geld für den Kampf gegen Aids, Benefizze füllen die Säle und die Fernsehsender senden Filme über HIV und Aids, die viele von uns schon oft gesehen haben. ‚Same Procedure as every year‘, mag man/frau fast denken.

‚Lichtermeer‘ und ‚Trauerzug‘ sind eine bewegende Veranstaltung. Hunderte, Tausende von Menschen mit Kerze in der Hand, überwiegend besinnlich-ruhige Stimmung, viele offensichtlich bewegt. Die Dimension von Aids, die sich in der Kategorie ‚Menge‘ ausdrückt, die ein Stück weit veranschaulicht, wie viele Freunde, Lover, Partner, Mitstreiter wir an den Folgen von Aids bereits verloren haben, wird hier eindrucksvoll deutlich, beinahe nachempfindbar.

Und doch bleibt ein bitterer Beigeschmack. Warum nur an einem Tag im Jahr, warum diese Stille ansonsten?
Ist es nicht eigentlich, frage ich mich manchmal, nur noch ein jährlich wiederkehrendes Ritual, das zelebriert wird, aber dabei ist seinen Inhalt zu verlieren? Das dazu dient, das eigene (persönliche und kollektive) Gewissen zu beruhigen, eine Beruhigungspille, die aber kaum mehr einem Bedürfnis zu entspringen scheint, sich z.B. bewusst zu machen, wie groß die Verluste (auch wieder: individuell und kollektiv) waren und sind?

Die Aids-Mahnmale, sind sie nicht, eh schon selten genug vorhanden, kaum noch mehr als – zudem dann oft schwul dominierte – Kranz-Ablegestellen? Die Gedenk-Formen längst fade ’same procedures‘ geworden?

Wie wird denn ansonsten -wenn nicht gerade Welt-Aids-Tag ist- in dieser Stadt, in diesen Szenen an die infolge von Aids Verstorbenen gedacht?
Einzig eine rote Schleife aus Stahl, mitten auf einer der belebtesten Kreuzungen Berlins, trostlos platziert auf einem Flecken, für den der Name ‚Platz‘ sicher ein Euphemismus wäre – ist das eine adäquate Form des Gedenkens? Wollen wir so erinnern, gedenken?

Aids-Schleife Berlin
Sind all die verstorbenen Partner, Lover, Liebhaber, Freunde, all die nicht mehr lebenden Weggefährten, Mit-Aktivisten, sind all sie uns nicht mehr wert als einmal im Jahr ein Trauerzug und ansonsten ein tristes Stück Stahl auf einer noch tristeren Kreuzung?

„Du weißt doch,“ bemerkte jüngst ein Freund lakonisch mir gegenüber, „diese Stadt ist ‚arm aber sexy‘. Vielleicht drückt sie ihre Armut in diesen tristen Denkmälern aus‘.“

Bemühungen, eigene passende Formen von Trauer und Gedenken zu finden, zu experimentieren, auch öffentlich, waren früher gängig und sind heute (wieder) eine Rarität geworden. Geht damit nicht auch eine (Re-)Privatisierung der Trauer, des Sterbens einher? An Aids wird nicht mehr öffentlich gestorben, sondern still und leise, und weitgehend unbemerkt im Privaten.

Versuchen wir nicht eigentlich längst, in unserem Alltag diese Zeiten des Horrors, überhaupt das ganze Thema Aids möglichst weit hinter uns zu lassen, zu vergessen, verdrängen – und zu neuem (altem) Spaß zurückzukehren?

Und hat uns dabei nicht längst ein (zumindest partieller) Gedächtnisschwund befallen? Um einer neuen Amüsiersucht Platz zu schaffen?

Wer will sich wirklich noch (mehr als einmal im Jahr zum Welt-Aids-Tag vielleicht) all der bekannten und unbekannten Menschen erinnern, die an den Folgen von Aids gestorben sind? Gedenken an die vielen Träume die ungeträumt, Utopien die ungedacht, Projekte die unrealisiert blieben und bleiben werden?
Machen wir uns die Löcher, die gerissen wurden, überhaupt noch bewusst?
Merken wir noch, wie viel uns genommen wurde? Was alles nicht stattfindet, weil diese Menschen viel zu früh gegangen sind?

Manchmal frage ich mich, ob dieses Vergessenwollen nicht beinahe wie ein zweiter Tod ist …

Aids-Stele Köln
Die Aids-Stele in Köln – auch noch nicht die schönste aller denkbaren Lösungen, aber allemal anmutender als eine Blech-Schliefe auf einer tristen Kreuzung …

Über Solidarität und Wegsehen

Kann Wegsehen solidarisch sein? Ist ein kritischer Blick in den eigenen Szenen okay? Erwünscht? Nestbeschmutzung?

Gerade nach meinen Posts mit Kritik an Maneo und jüngst zur Finanzierung des Switchboards Mann-O-Meter aus Mitteln der HIV-Prävention wurde ich mehrfach angemaunzt, das sei „unsolidarisch“, ich könne doch nicht „unsere eigenen Projekte“ so angehen.

Die Frage der Solidarität. Keine neue Frage, sondern eine immer wieder gestellte, eine Frage, vor der auch ich selbst immer wieder stehe.

Natürlich empfinde ich Solidarität, mit einzelnen Menschen oder Gruppen, mit Szenen oder Projekten.

Aber wie weit geht Solidarität? Oder, anders herum gefragt, wann wird aus echter Solidarität falsch verstandene Solidarität, die z.B. nur noch aus einem Mäntelchen des Wegsehens, Problemverschweigens und Weiter-Sos besteht?

Wenn (aus Steuergeldern finanzierte) öffentliche Mittel an einer Stelle nicht optimal eingesetzt scheinen, während sie an anderer Stelle händeringend fehlen, ist ein Wegsehen dann solidarisch?
Wenn Projekte sich, z.B. aufgrund technologischer und gesellschaftlicher Entwicklungen wie leichter und breiter Verfügbarkeit von Internet-Zugängen, überlebt haben, der Grund, aus dem heraus sie geschaffen wurden, schlichtweg weggefallen oder zumindest verändert ist, ist dann ein „(dennoch) weiter so“ solidarisch?
Wenn ganze Gruppen von Menschen, die vom gleichen Problem genauso, wenn möglich sogar intensiver, tiefgreifender ‚betroffen‘ sind, wenn diese Menschen von geförderten Projekten ignoriert werden, ist es dann solidarisch wegzusehen, zu tun als sei nichts geschehen, als habe man nichts bemerkt?

Ist es nicht viel solidarischer, ab und an selbst (bevor es andere tun) einen kritischen Blick zu riskieren, zu überlegen wo sich Situation, Ziele, Prioritäten verändert haben, und wie wir bzw. „unsere“ Projekte darauf reagieren können?

Und, nebenbei, wenn ich „außerhalb unserer Szenen“ ungerechtfertigte Mittelverwendungen, manchmal -verschwendungen kritisiere, muss ich dann nicht die selben Prinzipien auch „innen“ anwenden? Wäre ein Schweigen aus falsch verstandener Solidarität nicht nur verlogen, scheinheilig, und damit das, was wir anderen (gern ‚Berufspolitikern‘, ‚Funktionären‘ etc.) gerne vorwerfen?

Ich mein ja nur …

Und an die, die mich fragten, wieso machst du dir überhaupt über so’n Mist Gedanken: in Sabines Blog fand ich gerade heute einen schönen Gedanken, der zu diesem Thema passt: „Democracy is run by those who participate. It’s as easy as that and means that a lot of capable, intelligent, and thoughtful people will never ever show up in anything remotely connected with politics. They may have many reasons for this, and some of them may even be valid on a larger scale – but if this form of governance is to survive it’s just not enough to complain.“
Genau darum geht es: Demokratie heißt sich einmischen, kritisch mitdenken, aktiv werden … ein Schritt dabei ist m.E., seine Meinung zu äußern, öffentlich zumachen, zur Diskussion zu stellen …

Einer von elf Fußballern ist schwul – und gefährdet …

Wenn, rein nach Statistik, wirklich einer von elf Fußballspielern schwul ist – wo sind die dann alle? Fast unsichtbar – denn das Klima im Fußball ist teils extrem schwulenfeindlich …

Spätestens mit der WM haben auch viele Schwule und einige Lesben mehr ihre Liebe zum Fußball entdeckt, waren auf public viewings, Fanmeilen oder in Berlin gar ‚gay viewings‘. Und auch unter den Fans gibt es bei beinahe jedem Bundesliga-Verein inzwischen eine schwule oder (seltener) schwul-lesbische Fangruppe, von den ‚Hertha-Junxx‘ über die ‚HSV-Coolboys‘ bis zu den ‚SchalkeKerlzz‘ (ganz zu schweigen von den leider nur dritte-Liga – ‚St. Pauli Queerpass‘). Selbst im offiziellen Liga-Betrieb gibt es mit den Münchner Streetboys unter dem Namen ‚Team München‘ inzwischen eine schwule Mannschaft (in der Kreisklasse).

Aber wie sieht es unter Fußball-Spielern aus? Insbesondere unter Profi-Fußballern?
Offiziell gibt es keinen einzigen offen schwulen Profi-Fußballer in Deutschland. Schwule Spieler schweigen und verschweigen lieber, verschweigen ihr Leben, ihr Schwulsein, ihren Partner – wie z.B. Antiteilchen berichtet. Entsprechend schwierig und langwierig (zwei Jahre) gestalteten sich die Recherchen zu einem Artikel über schwule Profi-Fußballer – und doch, es fanden sich einige, die unter Wahrung ihrer Anonymität Auskünfte gaben.

‚Einer von elf Fußballern ist schwul‘, so titelt „Rund- das Fußballmagazin“ seine am 22. November erscheinende Dezember-Ausgabe. Unter dem Titel „Ein Outing wäre mein Tod – warum homosexuelle Fußball-Profis gefährlich leben“ berichtet das Magazin über schwule und lesbische FußballspielerInnen und Homophobie im Profi-Fußball.

Das Magazin begleitet den Artikel in der Dezember-Ausgabe mit einer Themenwoche „Homosexualität und Homophobie im Spitzenfußball“ . Darin wird online zwischen dem 22. und 29. November unter anderem berichtet über den (inzwischen verstorbenen) einzigen offen schwulen Spitzen-Schiedsrichter John Blankenstein, lesbische Spielerinnen in der Frauen-Fußballbundesliga oder Homosexualität und Homophobie im italienischen Profi-Fußball.

Einige Links zu schwul-lesbischen Fußball-Aktivitäten:
Hertha Junxx
Queerpass St. Pauli
Rainbow Borussen
Streetboys München
schwuler Fußball in London: Stonewall FC
und in Paris: Paris Foot Gay
Queer Football Fanclubs
International Gay and Lesbian Football Association

Zivilcourage zeigen

Zivilcourage ist nicht jedermanns Sache. Oft stehen Angst und andere persönliche Gefühle im Weg. Möglichkeiten, mit Gewalt im öffentlichen Raum umzugehen, kann man jedoch lernen – und dann anderen helfen.

Bei dem (vermutlich) antischwulen Gewaltüberfall, dessen Zeuge ich vor einigen Wochen wurde, hat mich eines besonders geärgert: kaum war auch nur der Anflug einer Bedrohung spür- bzw. hörbar, verschwanden alle Mit-Besucher dieses nächtlichen Cruising-Ortes (sämtlich erwachsene Männer über 30 Jahre) schwuppdiwupp flugs in den Büschen und waren nicht mehr auffindbar, auch nicht auf Rufe zu helfen (bis auf einen jungen Mann, der zurück kam und gottseidank ein Handy hatte). Niemand kam auf die Idee, dem Opfer zu Hilfe zu kommen – geschweige denn die Täter zu stellen.

Feigheit? Mangelnde Zivilcourage?

Überfall
Ich finde dieses Verhalten nach Jahrzehnten schwuler Emanzipation, nach Jahren voller CSDs, Straßenfeste und sonstigem öffentlichem Ringelpietz beschämend. Nein, eigentlich bin ich stinksauer.
Warum kommt niemand auf die Idee, dass das Opfer vielleicht Hilfe braucht? Warum kommt niemand auf die Idee, zumindest den Notruf zu verständigen, damit Hilfe kommen kann? Warum stellt sich niemand als Zeuge zur Verfügung? Warum können die Täter unbehelligt, unerkannt abziehen?

Sicher, auch mir war mulmig, als ich den Überfall bemerkte. Als ich nach meinem ‚Zwischenruf‘ „Was soll das?“ registrierte, wie einer der beiden Täter mich fixierte. Angst, kommt er jetzt auf dich zu? Das Opfer, auf dem Boden liegend, schreiend „ich kann nichts mehr sehen!“ bringt mich schnell dazu, zu ihm zu laufen – gottseidank, die Täter verziehen sich. Leider auch alle anderen ‚Gäste‘ …

Zivilcourage, Mut ist nicht jedermanns Sache. Und niemand will (und soll) sich selbst gefährden. Aber ein Opfer einfach so liegen lassen?

Wie man mit Gewaltsituationen konstruktiv umgeht, kann man/frau lernen!

Die Berliner Polizei (und sicher, für die auswärtigen LeserInnen, auch viele andere Polizeien im Land) bietet zahlreiche Maßnahmen zur Kriminalprävention an, insbesondere auch Seminare, in denen man und frau lernen kann, mit Aggression und Gewalt im öffentlichen Raum adäquat umzugehen. Solche Veranstaltungen gibt es (wie andere Unterstützungsmöglichkeiten und Informationen) auch speziell für Schwule und Lesben.
[nb.: Die Polizei war nicht immer unser Freund und Helfer, ich weiß … Aber mit Gewaltsituationen umgehen zu können ist eine Fähigkeit, die Schwulen und Lesben im Alltag gut gebauchen können.]

Auch das von mir ja kritisch gesehene Überfall-Telefon führt gelegentlich (2mal im Jahr) kurze Veranstaltungen zu Umgang mit antischwuler Gewalt durch, so wieder am 20.11.2006 „Umgang mit Aggression und Gewalt im öffentlichen Raum“ (Maneo, 19:00).

Bare? Oder Back? Oder wohin?

Ist safer Sex out in Berlin? Wie weiter mit der HIV-Prävention? Zwei einfache Fragen – deren eingebauter Sprengstoff auf einer Veranstaltung im SchwuZ zu hitzigen Debatten und einem Anflug von Ratlosigkeit führten, sowie zu vielen Rollen rückwärts.

Bareback 01
Schon bei den Begriffen ging und geht es munter durcheinander. „Über welches Bareback redest du eigentlich?“ „Ich unterscheide Bareback lite und heavy Bareback!“ usw. Was einst Ende der 90er Jahre als eine Variante des Sex‘ unter Positiven begann, als „bewusste Entscheidung informierter Positiver“ oder (wie M. Dannecker es nennt) ‚Emanzipation vom Kondom‘, hat sich längst verselbständigt, ist zu einer pseudo-positiv besetzten Worthülse geworden, die jegliche Form von unsafem Sex zu umfassen scheint.

Nicht nur unter Teilnehmern der Diskussion, sondern weit bis in Aids-Hilfen hinein ist eine Art „Roll Back“ in der Präventionspolitik zu beobachten. Eine beunruhigende Entwicklung, bei der über „selbstverschuldete Infektionen“, „Schuld“ und „Drohen“ diskutiert und wild konzipiert wird. Eine Entwicklung, die Stefan Etgeton pointiert hinterfragt mit „wem schadet die Bareback-Debatte in der Prävention eigentlich?“ – und einen differenzierten Umgang mit dem Thema wünscht.
Warum statt Plattitüden à la „wir brauchen wieder mehr Abschreckung“ nicht abwägende, an Vernunft und informiertes persönliches Risiko-Management appellierende Botschaften wie „unter diesen Umständen [wie: 2 als Paar sexuell monogam lebende schwule Männer] ist Bareback okay, und in diesen Kontexten [z.B. der Quickie mal eben nebenbei, unüberlegt ohne Kondom] hast du ein hohes Risiko für …“ ?

Bareback 02 Doch diese Art überlegender Vernunft scheint derzeit auf dem Rückzug zu sein – diesen Eindruck konnte man zumindest zeitweise während der Veranstaltung gewinnen. „Back to the 80s“, das schien einigen Teilnehmern eher vorzuschweben.
Immer wieder kamen aus dem Publikum, vereinzelt unterschwellig auch vom Podium Rufe nach „schockierenden Plakaten“ [als gäbe es nicht längst Daten, dass auch Fotos von Raucherlungen die Anzahl der Raucher oder den Umfang des Tabakkonsums nicht senken], nach „wieder mehr Angst machen“, waren verquere Rufe nach drakonischen Maßnahmen spürbar. Woher diese Sehnsucht nach Repression, nach ‚law and order‘? Ist es die Hoffnung auf ein neues Glücksversprechen risikofreier Zeiten? Oder ein kruder Weg individueller ‚Verarbeitung‘ von Schuld- und Angstgefühlen?

„Angst ist ein schlechter Ratgeber“, riefen die Besonneneren in die Runde, „Horror-Szenarien bringen nichts“. Rolf de Witt betonte, wie wichtig es ist, Respekt für den anderen zu zeigen, nicht auszugrenzen, nicht zu verurteilen. „Tacheles reden ja – aber nicht wild in der Gegend rum provozieren“.
Erwachsene Menschen in ihren Entscheidungen zu akzeptieren, ihnen dafür kompetent Informationen an die Hand zu geben, das scheint – statt mehr Angst, mehr Repression – ein Gebot der Stunde.
Das aber erfordert nicht zuletzt neben guten Ideen aber auch ausreichende finanzielle Mittel. Oder anders herum: wer in den letzten Jahren die Mittel für HIV-Prävention ständig gekürzt hat, wie kann der sich nun über steigende Zahlen bei Neu-Diagnosen wundern? Für Information und Prävention wird zu wenig getan – ja! Aber eben (auch), weil immer weniger finanzielle Mittel dafür zur Verfügung stehen.
Von „mehr miteinander reden“ über „mehr Achtsamkeit füreinander“ und „neue Räume schaffen“, „verschiedenen Strategien für verschiedene Räume“ bis zu „safer Sex einfacher machen“ [wie es z.B. einige Wirte mit ihrer safety 4 free – Kampagne versuchen] – Ideen sind zahlreich im Raum, warten darauf, aufgegriffen, zu ausgereiften Konzepten weiterentwickelt und umgesetzt zu werden.

Warum dann immer wieder diese Schreie nach „Angst machen“, nach Drohkulissen, oft von auffallend impertinenten Schwestern vorgebracht?

Ich merke, wie diese Sehnsucht nach Repression mich erschreckt, schockiert, diese Sehnsucht nach drakonischen Maßnahmen [gern gemischt mit mangelhaften Wissen oder Inkompetenz (da wird schnell mal von der Aids-Hilfe gefordert, BZgA-Plakate zu ändern) und schnellem Delegieren an Andere („die Positiven müssen doch endlich einmal …“, „da muss die Aids-Hilfe aber doch dringend …“)]. Munter wird da Verantwortung zu-geschoben – den Positiven, der Aids-Hilfen, den Schwulen. Als sei man nicht selbst Teil davon. Als habe man nicht auch selbst Hirn und Hand, selbst aktiv zu werden, selbst Verantwortung zu übernehmen.

Und mich frustriert, dass erneut Diskussionen geführt werden, die wir schon in den 80ern hatten. Das anscheinend viele nicht auf die Idee kommen, die Politik vergangener Jahre sei vielleicht doch ab und an überlegt gewesen, und die Zeiten heute anders. Ich bin froh, als Matthias das wunderbar auf den Punkt bringt: „das Leben mit Aids, mit HIV ist heute anders als vor 20 Jahren. Es ist schön, dass der Grund zur Angst weniger geworden ist – warum nur wollt ihr immer wieder Angst machen, Angst haben?“

Horror-Szenarien bringen nichts. Es gilt zu überlegen, wie wir heute realistisch und ohne Angst Informationen, auch über Risiken (zu denen neben HIV auch sexuell übertragbare Krankheiten, auch Hepatitis C gehören sollten) an den Mann bringen, die eigene Handlungskompetenz in verschiedensten Szenarien stärken können.
Nach vorne blicken, nicht Rollen rückwärts bringen uns weiter.

Denkmal: was wird realisiert?

Neues im Streit um das Denkmal: der LSVD Berlin-Brandenburg fordert die Realisierung entsprechend dem Entwurf der Künstler.

Denkmal 01 In Berlin wird ein Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen geplant. Über die konkrete Form der Realisierung hatte es zuletzt heftigen Streit gegeben.

Die Mitgliederversammlung des LSVD Berlin-Brandenburg hat am 28.10.2006 eine Resolution beschlossen. In ihr wird gefordert, das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im Sinne des Bundestagsbeschlusses und in Form des preisgekrönten Entwurfs des Künstler-Duos Elmgreen/Dragset zu realisieren.

Unter den Erstunterzeichnern der Resolution finden sich nur Personen männlichen Vornamens. Über eine Berücksichtigung irgendwelcher bei der Diskussion am 29.8. vorgebrachten Argumente oder ebenfalls diskutierter Lösungsmöglichkeiten enthält die Rersolution keine Angaben.