„Homosexualität – genetisch bedingt?“ fragte Arte am gestrigen Dienstag Abend.
Die Reportage von Ted Anspach widmete sich der Frage nach genetischen Aspekten der Homosexualität – und dem Sinn und Hintergrund derartiger Fragen.
So fragt die Reportage nach der Rolle der Erziehung, von Mutter und Vater. Bemüht alte Erklärungsmuster wie den Freud’schen Ödipus-Komplex, dominante Mütter und abwesende Väter. Wechselt dann zu lesbischen Zwillingen und schwulen Pinguinen.
‚Aber warum diese heftigen Reaktionen‘, fragt der Film – beinahe naiv, wie mir scheint. Und beleuchtet ein ‚deutsches Tabu‘, die Nazi-Politik der ‚Befreiung der deutschen Rasse von der Homosexualität‘, deren gewaltsame Umsetzung (u.a. mit Inbeschlagnahme Hirschfeld’scher Theorien) und das (teilweise) Fortbestehen dieses Irrsinns (§175) und der Zwangsmaßnahmen auch nach 1945 (in Deutschland wie auch in Frankreich, in Strafverfolgung, Wissenschaft usw.). Auf Kastration und Ermordung folgte Lobotomie …
Es hat lange gebraucht, bis die Lesben- und Schwulen -Bewegungen und deren Folgen dazu führten, dass Schwule und Lesben in vielen (west-) europäischen Staaten heute mehr oder weniger anerkannt sind.
In Europa sind diese Debatten um einen Grund von Homosexualität beendet – wissend darum, welche Konsequenzen die Frage nach den Ursachen der Homosexualität in Europa hatte.
Anders in den USA. Gene für Homosexualität: dort ein aktuelles Forschungsthema, auch von Schwulen erwünscht. Wenn Homosexualität ’naturgegeben‘ wäre, würden die Mitbürger damit toleranter umgehen, hoffen viele. Wenn Schwule sich hingegen bewusst dafür entscheiden (Verhalten statt Gene), würden sie bekehrt werden müssen, umerzogen – nicht akzeptiert. Heilung statt Respekt, Therapie statt Akzeptanz.
Uns mag sie naiv erscheinen, die Unterstützung, die US-amerikanische Schwulenverbände für diese Art Gen-Forschung geben. In den USA selbst mit ihren starken fundamentalchristlichen und evangelikalen Bewegungen, auch mit deren ‚Therapien gegen Homosexualität‘ und ganzen Gruppen von vermeintlichen ‚ex-Gays‘ mag man die Situation anders einschätzen.
Derartige evangelikale und fundamentalchristliche Bemühungen greifen jedoch auch in Europa immer mehr um sich. Zwingen die Ultrakonservativen uns dies Debatte, die wir längst hinter uns glaubten, erneut auf?
Die Kreationisten sind längst auch hierzulande angekommen, und ‚Informationen‘, wie man ‚Homosexualität heilen‘ könne, kursieren auch auf erzkatholischen deutschen Internetangeboten. Auch in Frankreich arbeiten zunehmend evangelikale Gruppen, auch um ‚Homosexuelle zu heilen‘. Fundamentalchristliche Aktivitäten – auf dem Weg, nicht mehr nur eine Randerscheinung zu sein, die vernachlässigt werden kann?
Und welche Folgen wird es haben, wenn wir diese Debatte erneut zulassen? Wird schleichend wieder Alltäglichkeit, was längst überwunden geglaubt ist?
Lassen wir uns die Gleichberechtigung die mühsam halbwegs erkämpfte wieder abjagen?
Immer wieder merke ich ein seltsames Befremden während der Sendung.
Weshalb wird so intensiv gefragt, warum jemand schwul ist? Sicher, das (wissenschaftliche) Interesse an der Frage, was ist anerzogen, was genetisch bedingt ist, kann ich verstehen.
Aber, steht hinter der Frage des ‚warum‘ nicht indirekt auch der Versuch, wenn ich erst die Ursachen kenne, dann Einfluss zu nehmen darauf? Würden Eltern, denen der Arzt während der Schwangerschaft sagt ‚Ihr werdendes Kind wird schwul sein‘ nicht sagen ‚machen sie das weg, machen Sie’s hetero‘?
Lauert hinter der Frage des ‚warum‘ nicht gleich die Frage nach dem ’normal/unnormal‘? Nach der Abschaffung dessen, was als ‚unnormal‘ empfunden wird?
Hat die Geschichte dies nicht zur Genüge gezeigt? Reicht es nicht, sich an einer bunten Vielfalt zu erfreuen?
Ist dieses Befremden nur ein alter, aus vergangenen Jahren übrig gebliebener Reflex? Oder wohl begründete Vorsicht?
Unterliege ich auch nur diesem ‚typisch deutschen Tabu‘?
Und das Resümee der Arte-Reportage nach 45 Minuten?
Unter einem Aufmerksamkeit heischenden Titel verbarg sich eine sehr differenzierte Sendung mit spannenden Gedanken. Die im Titel der Sendung gestellte Frage bleibt am Ende offen – und es bleiben Bauchschmerzen angesichts des Sinns der Frage und möglicher Konsequenzen.
Wen es interessiert: Arte wiederholt die Reportage heute (14.2.2007) um 14:40 Uhr.