Heilung von HIV – ein Traum, oder bald eine reale Chance? Forscher glauben, mit einer sehr frühen Behandlung direkt nach Infektion eine ‚funktionale Heilung‘ erreichen zu können. Heute werden sie ihre Daten in Washington auf der XIX. Internationalen Aids-Konferenz vorstellen.
Die HIV-Infektion ist in vielen Fällen heute gut behandelbar, eine Vielzahl von Medikamenten stehen zur Verfügung. Eines ist jedoch bisher nicht gelungen, die Heilung (bis auf einen Ausnahme-Fall, den ‚Berlin patient‘, siehe ondamaris 20.05.2011: “Ich bin von HIV geheilt” – der ‘Berlin Patient’ im Interview).
Doch nun haben Forscher nicht nur eine ‚Strategie zur Heilung von HIV‚ auf den Weg gebracht. Einige Forscher sind der Überzeugung, einen konkreten Weg zu einer Möglichkeit der Heilung gefunden zu haben.
Wichtig dabei: zwei Begriffe von ‚Heilung‘ zu unterscheiden: Heilung kann bedeuten (im klassischen Sinn), den Virus vollständig aus dem Körper zu entfernen (die vordem mit HIV infizierte Person ist wieder HIV-frei). Oder es kann bedeuten, das Immunsystem der Person in die Lage zu versetzen, die vorhandene HIV-Infektion selbst unter Kontrolle zu halten. Die Person bleibt HIV-infiziert, erkrankt aber auch ohne Einnahme von Medikamenten nicht. Dieser Ansatz wird ‚functional cure‘ (funktionale Heilung) genannt.
Genau für diese funktionale Heilung glauben einige Forscher nun eine konkrete Mögichkeit zu sehen: die sehr frühe Behandlung HIV-Infizierter. Sehr früh meint hier: innerhalb der ersten 14 Tage nach Infektion mit HIV.
Forscher wollen konkrete Daten zu der französischen Studie, aus der sie dieses Konzept entwickelten, heute (Donnerstag, 26.7.2012) auf der XIX. Internationalen Aids-Konferenz in Washington voerstellen.
Jon Cohen, Reporter des ‚Science Magazine‚, konnte schon vorab mit den Forschern sprechen. Im Interview erläutert er das Konzept und die Gründe:
Grund-Idee dieses Ansatzes einer ‚functional cure‘: HIV-Positive sehr nahe am Infektionszeitpunkt antiretroviral behandeln (innerhalb der ersten 14 Tage nach Infektion). Entstanden ist dieses Konzept aus einer Studie, über die die Forscher heute berichten werden. Ihre Beobachtung: wenn frühzeitig behandelte HIV-Positive mit ihrer Viruslast unter der Nachweisgrenze waren, und dann die Medikamenten-Einnahme beendeten, war bei einigen auch nach sieben Jahren keine messbare Viruslast – ohne Medikamenten-Einnahme, ohne zu erkranken.
Die Forscher fragten sich, ob sie vielleicht zufällig eine Gruppe von so genannten ‚Elite Controllern‘ haben (Menschen, die aufgrund körpereigener Faktoren wie bestimmter Korezeptoren ihre HIV-Infektion ohne zu erkranken selbst unter Kontrolle behalten können). Die Studie zeigte allerdings (aufgrund einer Analyse relevanter Marker): nein, eher im Gegenteil, diese Teilnehmer müssten ein höheres Risiko haben zu erkranken.
Schlussfolgerung der Forscher: eine sehr frühe Behandlung HIV-Infizierter könnte vielleicht dazu führen, dass ihr Immunsystem selbst HIV unter Kontrolle behalten kann (und die ansonsten üblichen Schäden (auch am Immunsystem selbst) entstehen erst gar nicht.
Weitere Daten (über obiges Interview hinaus) sollen heute Donnerstag 26.7.2012 in Washington vorgestellt werden.
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Aktualisierung
27.07.2012, 10:30: Charline Bacchus, Leiterin der Studie bei der französischen staatlichen Aids-Forschungs-Organisation ANRS (Agence National de recherche sur le Sida et les hépatites virales) erläuterte gegnüber Medien die Studienergebnisse:
„Six years after interruption of treatment, patients treated early on in the post-infection period present a perfect ability to control the HIV infection.“
In der kleinen ANRS-Studie (‚Visconti-Kohorte‘, ‚Virological and Immunological Studies in CONtrollers after Treatment Interruption‘) wurden 12 HIV-Positive untersucht. Sie erhielten innerhalb der ersten 10 Wochen nach Infektion antiretrovirale Behandlung, stoppten diese aber nach Erreichen einer Viruslast unterhalb der Nachweisgrenze. Für im Median 6 Jahre konnte trotz Absetzen der Medikamente keine HIV-Viruslast gemessen werden. HIV war zwar weiter nachweisbar, die Infektion wurde jedoch vom körpereigenen Immunsystem unter Kontrolle gehalten.
Resüme der Forscher in ihrem auf der XIX. Internationalen Aids-Konferenz in Washington vorgestellten Abstract:
„In VISCONTI patients, treatment initiated at primary HIV-1 infection leads, after treatment interruption, to a low -but inducible- durable HIV reservoir distributed mainly in short-lived memory CD4+T cells that mimicks the natural distribution observed in Elite-Controllers.“
Die Studie wird fortgesetzt. Die Forscher wollen werausfinden, welche Immun-Parameter dafür verantwortlich sind, dass (anders als sonst notwendig) diese HIV-Positiven in der Studie keine antiretroviralen Medikamente mehr nehmen müssen – warum sie sich de facto annähernd wie Elite-Controller verhalten.
27.07.2012, 15:00: aidsmap zitiert eine Ko-Autorin der Stuidie mit der Aussage, die Studie zeige, dass womöglich bei einem kleinen Teil HIV-Positiver (5 bis 15%) das Immunsystem lange Zeit lang in der Lage sein könne, die HIV-Infektion selbst zu kontrollieren, wenn die antiretrovirale Therpaie sehr früh beginne.
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siehe auch:
Charline Bacchus, Cellular and Tissular Immunology Laboratory, Pierre and Marie Curie University, INSERM UMR-S 945, Pitié-Salpêtrière Hospital, Paris, France, et al.: Distribution of the HIV reservoir in patients spontaneously controlling HIV infection after treatment interruption
Guardian 26.07.2012: French research gives scientists hope of ‚functional cure‘ for HIV
Pinknews 26.07.2012: Small HIV study raises hopes of ‘functional cure’
IAS 26.07.2012: New HIV Cure Research Released Today at the XIX International AIDS Conference (AIDS 2012) (pdf)
aidsmap 27.06.2012: Latest data on HIV cure research (dort Absatz zu ‚Visconti‘)
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