Umsatz und Kondome

Wirte der schwulen Szene sollten an der Gesundheit ihrer Gäste interessiert sein, denkt man.

An Orten, an denen kommerzielle Betreiber Sex- Kontakte ermöglichen, sollten unentgeltlich Kondome und Gleitgel zur Verfügung stehen, denkt man auch.

Genau dies versucht u.a. die Selbstverpflichtung Berliner Wirte, wie sie die Initiative safety4freeumzusetzen bemüht ist. Zum Inhalt dieser Selbstverpflichtung gehört u.a. an erster Stelle „Kondome, Gleitmittel und ggf. Latexhandschuhe in angemessener Menge kostenlos anzugeben“.

Allein – die Wirklichkeit sieht (nicht nur in Berlin) teilweise immer noch trübe aus.

Da wird der interessierte Kunde in einer Berliner Sauna bei der Frage, ob er denn ein Kondom haben könne, erstaunt angeschaut und dann auf einen Automaten verweisen.
In einem anderen Betrieb wird (immerhin) auf Nachfrage die Verfügbarkeit von Cruisingpacks verwiesen, die käuflich erworben werden könnten.
Andere Gaststätten mit dunklen Räumen antworten auf die Frage nach Kondomen hingegen immer noch mit „du bist hier in Berlin“ oder „die musste dir schon selbst mitbringen“.

Es gibt auch in Berlin (in zunehmender Zahl) vorbildliche Betriebe, die Kondome und Gleitgel gratis anbieten – aber es gibt auch noch eine Reihe von Gastronomen, die hier krassen Nachholbedarf haben.

Ganz anders in Frankreich: Selbst in der Provinz- Großstadt Bordeaux findet sich schon an der Eingangstür zur Sauna der Hinweis, man habe die Präventionsvereinbarung (bzw. deren französisches Pendant) unterzeichnet:

BordeauxPraevention01
Der aufmerksame Betrachter erkennt zudem, dass dies eine gewisse Tradition hat, der Betrieb immerhin schon seit 2003 „dabei“ ist. Im Umkleidebereich findet sich dann auch der Text der vom Betrieb unterzeichneten Vereinbarung:

BordeauxPraevention02 Und – nebenbei – die französische Präventions- Vereinbarung ist ein landesweites (nicht lokales) Unterfangen, das von einem breiten Bündnis von ACT UP über die Aids-Hilfe (Aides) bis zur Vereinigung schwul-lesbischer Unternehmen getragen wird. Die Wirte-Vereinigung sorgt zudem dafür, dass den beteiligten Gastronomen Kondome und Gleitgel zu attraktiven Großabnehmer-Konditionen zur Verfügung stehen.

Eine Form von Engagement, die auch hierzulande als Beispiel dienen könnte?

HIV-Neudiagnosen auf hohem Niveau

Das Robert-Koch-Institut vermeldet für das erste Halbjahr 2007 insgesamt 1.334 neu diagnostizierte HIV-Infektionen und bezeichnet den Verlauf der Neu- Diagnosen als „weiterhin auf hohem Niveau“. Was steckt hinter den Zahlen?

Zweimal im Jahr stellt das Robert-Koch-Institut als Teil seiner epidemiologischen Überwachung aktuelle Zahlen zum Verlauf der HIV-Infektion und der Aids- Erkrankungen in Deutschland vor.

Schon in Berichten über bisherige Zahlen gingen in manchen Medien munter HIV-Neu-Infektionen und Neu-Diagnosen durcheinander.
Gemessen und berichtet wird die Zahl der Neu- Diagnosen (nicht der Neu-Infektionen). Diese Zahl gibt nicht direkt das aktuelle Infektionsgeschehen wieder. (Weiteres dazu
hier). Das RKI selbst spricht im aktuellen Bericht davon, etwa die Hälfte der gemeldeten Neu- Diagnosen sei auf einen tatsächlichen Anstieg der Neu- Infektionen zurück zu führen.

Interessant ist ein Blick in die Details der Zahlen. Denn wenn auch die Zahlen insgesamt deutschlandweit auf hohem Niveau stabil zu sein scheinen, werden dann doch bemerkenswerte Entwicklungen sichtbar.

Der größte Anteil der HIV-Neu-Diagnosen findet mit 56% bei Männern statt, die Sex mit Männern haben (MSM). In dieser Gruppe steigen die Zahlen weiterhin an.
Auch die Zahl der Syphilis-Neudiagnosen steigt in dieser Gruppe weiterhin an.

Regional gesehen gibt es bemerkenswerte Entwicklungen: Während die Zahlen z.B. in Berlin mehr oder weniger stagnieren, steigen sie in Nordrhein- Westfalen weiterhin deutlich an. Allein auf NRW entfallen im 1. Halbjahr 2007 24% aller HIV-Neu-Diagnosen (mit Schwerpunkten in Köln, Düsseldorf und Kreis Arnsberg).
Auch die Zahl der Syphilis-Neudiagnosen verharrt in NRW auf einem hohen Niveau (2007/I: 455 Fälle, 2006/II: 468, 2006/I: 402). In Berlin hingegen sinkt diese Zahl (2007/I: 223, 2006/II:278, 2006/I: 291) seit einem Höhepunkt im ersten Halbjahr 2006.

In der Gruppe der drogengebrauchenden Menschen sind die Zahlen der Neu-Diagnosen deutschlandweit insgesamt stabil. Hier stellt allerdings allein NRW schon einen Anteil von 51%. Und hat einen regionalen Schwerpunkt im Bereich Arnsberg (Bochum, Dortmund, Hagen, Hamm, Herne) – innerhalb der letzten 5 Halbjahre erfolgten hier fast die Hälfte der Neu-Diagnosen bei drogengebrauchenden Menschen in NRW.

Über 1.300 Neu-Diagnosen von HIV-Infektionen sind viel, zu viel. Und insbesondere die hohe Zahl der Neu- Diagnosen (und der Trend) unter schwulen Männern sollte zu neuen Präventionsanstrengungen Anlass geben.

Politiker, Medien und auch Schwule weisen ja immer wieder gern auf den „Sünden-Pfuhl“ Berlin, wenn es um Diskussionen zum Verlauf der HIV-Infektion geht (und auch schwule Medien stricken gern an diesem Mythos). Die aktuellen Zahlen lassen regional gesehen auch andere Fragen aufkommen …

Infos:
Halbjahresbericht I/2007 des RKI als pdf
Pressemitteilung des RKI hierzu
Trifft der Begriff Epidemie hier noch zu? Oder ist die HIV-Epidemie vorbei?
Wie kann Prävention sich weiterentwickeln? Präventionsgedanken 1 und Präventionsgedanken 2
Aber einige Politiker benutzen steigende Zahlen immer noch als Vehikel für Repressive Mottenkisten …

HIV-Status und Prävention

Die Wege der HIV-Prävention müssen sich weiter entwickeln, differenzierter werden. Sagt das RKI:

„Für diejenigen, HIV-Positive und HIV- Negative, die die Kondomverwendung vom eigenen HIV-Status und dem des Partners abhängig machen, brauchen wir in der Tat neue Präventionskonzepte, und wir müssen hier klarer machen, unter welchen Bedingungen eine solche Strategie funktioniert und welche Probleme es dabei gibt.“

(Dr. Ulrich Marcus vom Robert-Koch-Institut in der Jungen Welt)

Kleine Kohorte

Aus dem Kompetenznetz HIV ist seit Wochen Erstaunliches zu vermerken: die HIV-Kohorte, die schon aufgrund von Datenschutz-Problemen in die Kritik geriet, soll drastisch verkleinert werden.

Derzeit umfasst die HIV-Kohorte nach mühevollem Start in den vergangenen Jahren jetzt die Datensätze von weit über 16.000 Patienten (andere Quellen sprechen von 14.000). Nun, so ist zu hören, soll sie auf ‚Empfehlung‘ von Gutachtern drastisch verkleinert werden – auf bald nur noch 8.000 Patienten. Auch die Zahl der beteiligten Zentren solle reduziert werden. Zudem solle die so entstehende ’neue Kohorte‘ zukünftig geschlossen sein – neue Patienten sollen nach Etablierung nicht mehr eingeschlossen werden.

Die ‚Eindampfung‘ der Kohorte mag Gründe haben, Gründe sowohl wissenschaftlicher als auch finanzieller Natur. Die Datensätze der über 16.000 eingeschleusten Patienten waren nicht alle von gleich guter Qualität. Doppelte Datensätze, Datensätze mit nur wenig Angaben und Ähnliches minderten die Qualität, schränkten die Auswertbarkeit ein. (Daten zur Kohorte Stand Dezember 2006 hier)

Dennoch – Fragen stellen sich. Die Kohorte sei das ‚Rückgrat des Kompetenznetzes‘, ist auf seinem Internetangebot zu lesen.
Die Größe der Kohorte (‚ein enormer Anteil der in Deutschland in Behandlung befindlichen HIV-Positiven‘) war bisher eines der gern für die Kohorte ins Feld geführten Argumente. Nun nicht mehr?
Und – eine geschlossene Kohorte wird für die Zukunft eine sich ständig verkleinernde Kohorte bedeuten. Patienten wechseln den Arzt, wechseln den Wohnsitz, beenden aus eigenem Entschluss die Teilnahme, versterben oder gehen dem ‚Followup‘ aus sonstigen Gründen verloren. Welche Relevanz können Aussagen aus einer kleineren, ständig schrumpfenden Kohorte haben?

Nebenbei – die kleine Schweiz hat seit 1988 (!) eine HIV-Kohorte, die (bei Kosten von jährlich ca. 3,5 Mio. sFr.) gute Studiendaten produziert. An 5 Universitäten und 2 Kantonsspitälern wurden bisher über 14.500 HIV-Positive in die Kohorte eingeschlossen (Bericht über die Swiss HIV Cohort als pdf hier, aktuelle Daten auf der Site der Kohorte unter ’state of the cohort‘)

Der Aufbau der deutschen HIV-Kohorte wurde seit Juni 2002 mit beträchtlichen öffentlichen Geldern finanziert.
Eine Reduzierung von über 16.000 Patienten auf 8.000 Patienten bedeutet eine Reduzierung auf weniger als die Hälfte. Wurden für über 8.000 Patienten Daten vergeblich eingegeben, Biomaterialien vergeblich abgenommen und eingelagert? Die Kosten, die vor Ort, bei Ärzten und in Kliniken, dafür entstanden, wurden ihnen erstattet. Mittel, die nun vergeblich investiert wurden?

Doch neben der Frage einer effizienten Verwendung öffentlicher Mittel stellen sich noch weitere Fragen. Scheiden die ‚weg-reduzierten‘ Patienten aus der Kohorte aus? Werden die Patienten, deren Daten in der Kohorte nicht mehr verwendet werden, über ihr Ausscheiden und/oder den neuen Status informiert? Werden Daten und Biomaterial der betroffenen Patienten sicher vernichtet? Und, die Fragen, die sich aus den Datenschutz-Problemen Ende 2006 ergaben stehen auch größtenteils noch im Raum …

Die Verkleinerung der deutschen HIV-Kohorte – ist sie ein Schritt zu einer neuen erfolgreicheren Zukunft? Oder wird hier ein einstiges vermeintliches Renommier-Projekt still und leise auf elegantem Weg einer baldigen Entsorgung entgegen geführt?

Pikanterweise ist zu hören, dass einige der auch an Kompetenznetz und HIV-Kohorte beteiligten Forscher parallel damit beschäftigt sein sollen, selbst (mit noch weniger Patienteninformation) eine eigene Kohorte aufzubauen – vermutlich nicht gerade ein Vertrauensbeweis in die ’neue‘ HIV-Kohorte.

Oettingers Weisheiten

Der Herr Oettinger scheint sich auszukennen. Nicht nur mit der Vergangenheit, nein auch mit HIV und Aids. Das bekommt man nämlich vom Rumstehen:

Der junge Arbeitslose steht dann rum, kommt auf dumme Gedanken, wird kriminell oder kriegt Aids.

Soll der Herr Oettinger auf einer Reise in Südafrika gesagt haben.

Tja, die armen Arbeitslosen von Soweto …
Komisch nur, warum dem Arbeitslosen in Deutschland das nicht passiert, das verschweigt der Herr Oettinger uns.
Und woher er dieses Wissen über das Infektionsrisiko „arbeitslos rumstehen“ hat, auch. Vielleicht sollte er mal das RKI fragen …

unsicheres Blut

In Dänemark haben sich zwei Menschen durch Bluttransfusionen mit HIV infiziert. Reichen die Sicherheitsvorkehrungen dort?

Dinge geschehen, die nicht mehr geschehen sollten. Warum infizieren sich immer noch Menschen durch Blut- Transfusionen mit HIV, obwohl dies durch entsprechende Untersuchungen weitestgehend verhindert werden könnte?

Wie Sabine berichtet, habe sich Anfang des Jahres zwei Menschen in Dänemark mit HIV infiziert, als sie Blut- Transfusionen erhielten.

Nun ist ein Infektionsrisiko letztlich nie völlig auszuschließen. Für HIV durch Spenderblut wird es auf 1:1.000.000 geschätzt.
Blutspenden und ihre Handhabung sind in Deutschland im Transfusionsgesetz geregelt, auch mit dem Ziel, Infektionsrisiken soweit möglich zu reduzieren.

Eine Untersuchung auf HIV, Hepatitis B und Hepatitis C ist nach §5 (3) vorgeschrieben. Entsprechend dem Votum des AK Blut des RKI wird jede Blutspende sowohl mittels Antikörper als auch (seit 1999) mittels NAT (Nukleinsäure-Verstärkung, am bekanntesten: PCR) untersucht (Ablauf-Schema RKI als pdf hier).

Trotz umfangreicher Untersuchungen kommt es auch in Deutschland gelegentlich zu HIV-Infektionen über Transfusionen, allerdings in den letzten Jahren äußerst selten.
Das Robert-Koch-Institut meldet insgesamt seit dem 1.Januar 1993 bis 31.12.2006 insgesamt 97 Infektionen durch Bluttransfusionen. Die Zahl der tansfusions- bedingten Neu-Infektionen konnte durch Sicherungsmaßnahmen (u.a. NAT) in den vergangenen Jahren jedoch deutlich gesenkt werden (Neu-Infektionen HIV durch Transfusion 2000: 3, 2001: 2, 2002: 1, 2003 – 2005: 0, 2006: 1; Quelle: Sonderausgabe des Epidemiologischen Bulletins, als pdf hier)

NAT-Untersuchungen sind also ein wirksames Mittel, um HIV- (und ggf. andere) Infektionen durch Transfusionen weitestgehend zu vermeiden.

Eigentlich zumindest.
Denn im Gegensatz zu Antikörper-Untersuchungen, die ja auch in Dänemark wohl vorgenommen wurden, scheinen NAT-Untersuchungen nicht in allen EU-Staaten vorgeschrieben zu sein. Die WHO-Richtlinien (pdf hier) sprechen (in Kap. 7.2.3) ebenso wie eine EU-Richtlinie nur von der Notwendigkeit, auf HIV-Antikörper zu testen, nicht jedoch von der Notwendigkeit eines PCR-Tests.

Insofern scheinen die dänischen Behörden also vorschriftsmäßig gehandelt zu haben. Sie haben halt gespart – auf Kosten der Sicherheit. Dieses Sparen führt scheinbar dazu, dass sich Menschen mit HIV infizieren … eine tragische, traurige Spar-Politik.
Und die EU scheint dringend gefordert, hier durch entsprechende Richtlinien eine einheitliche Sicherheit von Blutprodukten in der gesamten EU zu gewährleisten.

Präventionsgedanken 2: weniger Patentrezepte

Abstinenz, Repression – alles keine zweckdienlichen Wege in der HIV-Prävention. Aber – wohin könnte sich Prävention weiter entwickeln? Welche Fragen stehen im Raum?

Weniger Patentrezepte

Heutige Präventionsbotschaften haben oft einen universellen Ansatz – eine auf alle Situationen und Zielgruppen anwendbare ‚Patentlösung‘ (von „Aids geht alle an“ über „immer mit“ bis „raus bevor’s kommt“).
In der persönlichen Situation und Einschätzung von potentiellen Gefährdungen und Risiken hilft das oftmals wenig, wird praxisfremd. Und nicht (effizient) in eigenes Handeln umgesetzt.

Können Präventionsbotschaften noch mehr als bisher auf die individuelle Situation abgestellt werden, auch um ein persönliches Risikomanagement zu ermöglichen? Wie weit können dabei unterschiedliche Infektionsrisiken und ihre Wahrnehmung deutlicher thematisiert werden?
Dies reicht von
Fehleinschätzungen von Infektionsrisiken (Beispiel Analverkehr / Risiko Darmschleimhaut) bis zur deutlich gesenkten Infektiosität bei erfolgreicher antiretroviraler Therapie, und sollte Verharmlosungen wie Übertreibungen vermeiden, aber auch konkrete lebbare Handlungsmöglichkeiten (z.B. für serodiskordante Paare) umfassen.
Nicht nur sagen, was nicht geht, sondern auch was (und unter welchen Umständen) geht.


Eine Veränderung der Botschaften in der Prävention könnte auch beinhalten, dass häufigere / regelmäßige Untersuchungen auf sexuell übertragbare Infektionen auch der eigenen Gesunderhaltung dienen.
Der früher in Großstadt-Szenen teilweise selbstverständliche „schwule
Gesundheits-Check“ ist weitgehend in Vergessenheit geraten.
Gesundheitsvorsorge, einschließlich Untersuchungen auf sexuell übertragbare Krankheiten, sollten dabei auch kostengünstig und niedrigschwellig möglich sein. Hierbei dürften sich Reduzierungen des öffentlichen Gesundheitsdienstes (z.B. bei Beratung und Untersuchung in Gesundheitsämtern) eher als schädlich erweisen.

HIV ist nicht überall gleich
Wenn, wie das RKI feststellt, großstädtische Ballungsräume den Schwerpunkt der HIV-Epidemie in Deutschland bilden – brauchen wir dann auch eine stärkere Fokussierung der Mittel auf diese Räume? Und vielleicht in diesen Ballungsräumen auch neue Ansätze wie den in San Francisco geplanten ‚HIV-Präventions- Direktor‚?
Muss sich Prävention stärker den jeweiligen Gegebenheiten des jeweiligen Ballungsraums anpassen (was in München funktioniert, muss in Berlin noch lange nicht ebenso funktionieren)?

Die Sichtbarkeit von HIV
HIV und Aids sind heute aus den verschiedensten Gründen wesentlich weniger sichtbar als noch vor einigen Jahren.
Statt im (auch eigenen) Alltag, auf der Straße (Aids- Aktivismus) und in den eigenen Subkulturen (positive und erkrankte Bekannte etc) findet die Auseinandersetzung mit Aids heute weitgehend in der Arztpraxis statt.

Diese geringere Sichtbarkeit ist nicht nur ein Phänomen äußerer Wahrnehmbarkeit, sondern hat auch Wirkungen auf Verhalten.
Ein Beispiel ist das Serosorting (das in der Realität wohl doch oft eher ‚Seroguessing‚ ist – ein Vermuten (nicht Wissen) des HIV-Status des momentanen Partners): neuere Studien zeigen, dass besonders Schwule, die keine oder nur geringe Nähe zu HIV-Positiven haben, mit einer wohl naiv zu nennenden Arglosigkeit erwarten, dass alle Positiven ihren Serostatus vor sexuellen Handlungen offen legen (während Schwule, die größere Nähe zu Positiven haben, der Mitteilung des Serostatus keine besondere Bedeutung beimessen).
Wenn ein Partner nichts sagt, wird der eigene Serostatus auch bei ihm vermutet, entsprechendes (oft unsafes) Verhalten für möglich gehalten.

Die mangelnde Sichtbarkeit von HIV und HIV-Positiven berührt auch einen weiteren Punkt. Etwa ein Drittel aller Aids-Todesfälle seien heutzutage evtl. auf ein zu spätes Erkennen der eigenen HIV-Infektion zurückzuführen, schreibt das RKI. Todesfälle, die bei rechtzeitigem Erkennen der eigenen Infektion und entsprechender Behandlung evtl. vermeidbar wären.

Können in einer wieder stärkeren Sichtbarkeit von HIV und Aids neue Ansatzpunkte für die Prävention liegen? Z.B. in einer stärkeren Fokussierung? Oder in stärkerer Sichtbarkeit, Wahrnehmbarkeit HIV-positiver Menschen?
Und sind zusätzliche, klarere Informationen erforderlich, gerichtet sowohl an Ärzte als auch in die jeweiligen Szenen (z.B. über das eventuelle Erkennen einer eigenen Infektion)?

Überhaupt, die Ärzteschaft. Immer mehr rückt sie in den Mittelpunkt des Geschehens, der Arzt wird zum zentralen Ansprechpartner. Sollte er dann auch vermehrt Präventionsbotschaften vermitteln, informieren und beraten?
Oder führt die zunehmende Medikalisierung nicht gerade jetzt schon zu zusätzlichen Problemen?

Die HIV-Prävention muss und wird sich angesichts veränderter Rahmenbedingungen weiter entwickeln. Können und wollen neben Präventions-Experten, Politikern, Medizinern auch Menschen mit HIV und Aids sich als ‚Experten in eigener Sache‘ in die weitere Entwicklung einbringen?



Transmissionsrisiko unter HAART: ‚vernachlässigbar klein‘

Wie hoch ist das HIV-Übertragungsrisiko eines Positiven, der erfolgreich (Viruslast unter der Nachweisgrenze) antiretroviral therapiert wird?

Das Posting zu Infektionsrisiken sowie eine diesbezügliche Aussage in der Resolution des 120. Positiventreffens haben zu einigen Nachfragen geführt.

Deswegen hier ein interessantes Statement eines Schweizer Experten: Prof. Pietro Vernazza, Leiter des Fachbereichs Infektiologie am Kantonsspital St. Gallen, wird in der Ausgabe Juli/August 2007 von ‚Projekt Information‚ (Editorial) mit folgender Aussage zitiert:

„Eine Frage, die uns immer wieder beschäftigt, ist das Transmissionsrisiko unter HAART. Die Schweizer Fachkommission Klinik und Therapie HIV/Aids hat soeben ein Papier verabschiedet, in welchem das Risiko einer Transmission unter einer vollständig suppressiven HAART untersucht wird. Als vernachlässigbar kleines Risiko bezeichnen die Experten das Transmissionsrisiko beim ungeschützten Sexualkontakt mit einer Person mit vollständig suppressiver Therapie. Dies unter der Voraussetzung, dass bei beiden Partnern eine Geschlechtskrankheit ausgeschlossen werden kann. Diese Beurteilung basiert auf einer Fülle von epidemiologischen Daten und wird durch biologische Daten zur HIV-Konzentration in Genitalsekreten unterstützt.“

Der selbe Prof. Vernazza ergänzt konkreter hier (unter „Luxus oder Notwendigkeit?“):

„Das Risiko einer Übertragung unter einer vollständig suppressiven HAART ist unmessbar klein, es dürfte in der Grössenordnung von 1:100’000 bis 1: 1’000’000 oder noch kleiner liegen.“

Der selbe spricht schon 2006 auch hier von einem Übertragungsrisiko unter erfolgreicher HAART, das „vernachlässigt werden kann“.



Präventionsgedanken 1: Quo vadis ?

Die Zahl der HIV-Infektionen ist 2006 moderat gestiegen; immer noch stellen Männer, die Sex mit Männern haben, den größten Anteil. Viel wird diskutiert über das Infektionsrisiko und Gründe für den Anstieg; das 120. Positiventreffen verwehrt sich gegen repressive Maßnahmen.

Nachdem Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt nun ein Präventionsgesetz plant, stellt sich auch die Frage, wie geht es weiter mit der HIV-Prävention?


Ist Prävention der richtige Weg?
Zunächst einmal: die bisherige HIV-Prävention in Deutschland scheint insgesamt äußerst erfolgreich. Im europäischen wie auch internationalen Vergleich hat Deutschland eine vergleichsweise sehr niedrige Rate an Neu-Infektionen. Die HIV-Prävalenz ist mit 0,6 pro 1.000 Einwohner im westeuropäischen Vergleich sehr niedrig – nur Schweden, Norwegen und Finnland liegen niedriger.

Und dass repressive Maßnahmen, wie immer wieder einmal gefordert, die Prävention behindern, hat erst jüngst das 120. Positiventreffen in seiner Resolution betont. Auch auf der 8. ‚Aids Impact‘-Konferenz wurde erst unlängst wieder diskutiert, welche kontraproduktiven Folgen strafrechtliche Strategien gegen HIV-Infizierte haben können (von Beeinträchtigung des Arzt-Patient-Verhältnisses und Beschädigung von Präventionsmaßnahmen bis zu Einschränkungen bei der Aids-Forschung). Und auch das RKI erwähnt immer wieder Hinweise, dass repressive Maßnahmen die Ausbreitung von HIV eher begünstigen.
Repression – also keine wirksame Alternative zu effizienter Prävention. Ganz im Gegenteil – die erfolgreiche Aids-Prävention ist ein Modell, von dem für andere Anwendungen viel gelernt werden könnte.

Wofür wird in der Prävention Geld ausgegeben?
Die Bundesregierung gibt viel Geld für Maßnahmen zur HIV-Prävention aus, und auch aus der Privatwirtschaft kommen inzwischen nicht unerhebliche Mittel.

Doch – werden all diese Mittel gut, effizient eingesetzt?

Zumindest kann man sich z.B. fragen, obAids geht alle an kondombekleidete Zitronen und ähnliches Obst und Gemüse wirklich noch zeitgemäße Formen der Prävention sind.
Und vor allem – sind sie eine effiziente Form? „Das Publikum wird allmählich immun“ schreibt selbst die
Provinzpresse

Sind die hohen Betr
Aids geht alle anäge, die hier ausgegeben werden, wirklich gut investiert? Wäre eine stärkere Fokussierung (auf Zielgruppen, inkl. promisk lebender Heteros) nicht zielführender?

Eine einfache Rechnung: allein für die Kosten für die zahlreichen Plakatwände, die Werbeagenturen etc – wie viele Kondome könnten dafür von Vor-Ort-Arbeitern wie ManCheck gratis dort ausgelegt werden, wo sie benötigt werden? Wie viele Neu-Infektionen könnten durch solche praktische Vor-Ort-Arbeit verhindert werden?
Und welche Wirkung entfalten die massenhaften kondomisierten Gemüse? Sicher, sie dienen (hoffentlich) der allgemeinen Aufmerksamkeit für HIV in der Allgemeinbevölkerung. Aber wie effizient ist das für die HIV-Prävention?

Ob allerdings französische Spinnen-Prävention oder bayrisches make-love-not-aids so viel besser sind …

Oder können aus der Herangehensweise, HIV (in Großstädten mancher industrialisierter Länder) nicht mehr als Epidemie, vielmehr als Endemie zu betrachten, neue Anregungen für die Weiterentwicklung der Prävention geben?

Abstinenz frustriert
Eine immer mal wieder von interessierter Seite gern diskutierte Präventions-Botschaft namens Abstinenz hat sich nun wirklich oft genug als
unwirksam, wenn nicht gar kontraproduktiv erwiesen. Und wird leider neben US-Regierung und Kirchen immer noch gelegentlich auch von deutschen Organisationen gepredigt.
Bitte nicht noch mehr schädliche Folgen dieser schädlichen Botschaft …

Aber welche dann? Dazu mehr demnächst in Präventionsgedanken 2

HIV-Epidemie vorbei?

„Die HIV-Epidemie ist vorbei.“
Ein Satz, den viele sich wünschen.
Ein Satz, der überrascht, vielleicht auch schockiert.

Mit diesem Satz ‚krönte‘ Mark Cloutier seine Rede. Mark Cloutier ist nicht irgendwer, sondern Direktor der San Francisco Aids Foundation – einer der wichtigsten Aids- Organisationen in einer der von Aids schon früh am stärksten betroffenen Städte der USA.

„Die HIV-Epidemie ist vorbei. Ja. Die HIV-Epidemie ist in San Francisco vorbei.“

Was Cloutier damit zum Ausdruck bringen wollte: HIV ist inzwischen in San Francisco endemisch – die Infektion besteht in einigen Communities in gewissem Umfang, ohne sich in bedeutendem Ausmaß zu vergrößern oder zu verringern.

Als Epidemie wird die „die zeitliche und örtliche Häufung einer Krankheit innerhalb einer Population“ bezeichnet, wobei der Bestand an Erkrankten zunimmt (Reproduktionsrate größer 1). Demgegenüber versteht die Medizin als Endemie „das andauernd gehäufte Auftreten einer (Infektions-) Krankheit in einem begrenzten Bereich“.

Hinter dieser Begriffswahl, die zunächst marginal erscheinen mag, könnten bedeutende Auswirkungen stecken. Auswirkungen für die Prävention, aber auch die Versorgung von HIV-Positiven.

Denn im Gegensatz zu den 80er und 90er Jahren sei die HIV-Infektion in San Francisco nicht mehr ‚außer Kontrolle‘. Die Zahl der Neu-Infektionen sei mehr oder minder stabil. Damit falle die HIV-Infektion nicht mehr in die Definition einer ‚Epidemie‘. Auch Gesundheits- Direktor Katz meinte, der Begriff ‚endemisch‘ sei eher zutreffend für die derzeitige Situation.

Mit der Herangehensweise als eine mehr oder weniger stabile, endemische Situation müssten sowohl bei der Prävention als auch bei der Frage von Versorgungs- und Service-Strukturen neue Herangehensweisen überlegt werden.
In einer Endemie benötige man neue Werkzeuge und Methoden, Infektions-Ketten zu unterbrechen. In einer endemischen Situation würde viel mehr in den Vordergrund treten, wie erfolgreich mit positiven (und von HIV betroffenen) Communities zusammen gearbeitet werden könne, um die Zahl der Neu-Infektionen zu senken.

Kritiker der neu vorgeschlagenen Wortwahl befürchten, damit könne Druck aus der Situation genommen werden, ein falsches Signal der Entwarnung gesetzt werden.
Dem sei zu entgegen zu halten, dass eine Endemie nicht weniger bedeutend als eine Epidemie sei – nur eben andere Strategien erfordere, damit umzugehen, antworteten Befürworter.

HIV (zumindest in Großstädten) zukünftig mehr als Endemie denn als Epidemie zu sehen – liegt hierin ein Zugang, der auch in Deutschland, in Berlin Anregungen für neue , innovative Ansätze in Prävention und Versorgung eröffnen könnte? Schon die Sichtweise, den Blickwinkel zu verändern, könnte ja helfen neue Wege zu finden, z.B. die Neu-Infektionszahlen niedrig zu halten oder weiter abzusenken.

Nebenbei, San Francisco ist gerade dabei, den Posten eines ‚HIV Prevention Directors‘ neu einzuführen und zu besetzen. Eine weitere Idee, über die sich auch hierzulande mancherorts nachzudenken lohnen würde ?

 

Prävention mit Sachverstand

Deutschland braucht ein Präventions-Gesetz, meint Ulla Schmidt, Gesundheitsministerin. „Gerade bei Menschen in besonders prekären Lebenslagen gibt es ein großes Potential für präventive Maßnahmen“, sagt sie.
Noch in dieser Legislaturperiode soll das neue Präventions-Gesetz auf den parlamentarischen Weg gebracht werden.

Der „Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen“ hat Anfang Juli sein Gutachten 2007 vorgestellt. In diesem Gutachten geht er auch auf die zukünftige Entwicklung der Prävention und insbesondere auch der Aids-Prävention ein.

Die bisherige Strategie der Aids-Prävention sieht der Sachverständigenrat als „weiterhin tragfähig und vorbildlich“ an und empfiehlt eine „Weiterentwicklung und Anpassung an die eingetretenen Veränderungen“. Als veränderte Präventionsbotschaft sieht der Rat die „Erhaltung der Gesundheit für sich selbst und den/die jeweilige/n Partner/in“.

Erfreulich: der Rat betont „im Hinblick auf die Botschaft geht es dabei um die Differenzierung und zum Teil Individualisierung von Strategien der Risikominderung“. Eine entsprechende Anpassung der Prävention an Risikoeinschätzungen und Risikominimierungsstrategien hatte jüngst auch das 120. Positiventreffen in seiner Resolution gefordert.

Darüber hinaus betont er eine besondere Notwendigkeit, die Prävention bei Menschen mit Migrationshintergrund sowie mit niedrigem sozioökonomischem Status zu verbessern.
Zudem fordert er eine „für alle Aids-Fragen zuständige Stelle für Koordination und und Monitoring der Aids- Aktivitäten der verschiedenen Politikfelder“.

Kurzfassung als pdf hier (HIV/Aids bes. ab S. 90), Langfassung (knapp 1.000 Seiten) als pdf hier.

Heilungsverbot

Herr Fauci ist auf Reisen. Auf Reisen zu einem wichtigen Kongress. Einem Aids-Kongress, der im australischen Sydney stattfindet (dort, wo sie keine HIV-positiven Migranten mögen…).

Herr Fauci ist ein wichtiger Mann. Ein sehr wichtiger sogar 1). So wichtig, dass er andere belehren darf. Meint er.

„Hören Sie endlich auf, über eine Heilung von Aids zu reden!“, fordert er.

Nein, Herr Fauci, werden wir nicht. Wir wollen weiterhin eine Heilung von HIV / Aids. Keine Denkverbote bitte.

1) Herr Fauci ist Direktor des National Institutes of Allergy and Infectious Diseases und Aids-Berater der US-Regierung.

Positiv – Negativ

Bisher gibt es beim Thema Menschen, die HIV-infiziert sind, eine beinahe klassische Dichotomie: „ich bin negativ“ vs. „ich bin positiv“.
Nur – diese Dichotomie führt -wie so manche schwarz- weiß-Malerei- in die Irre.

In eine Irre, die gleich mehrere Dimensionen hat.

– Die Veränderbarkeit: HIV-positiv zu sein ist ein Zustand, der (zumindest derzeit, solange es keine Heilung von HIV gibt) unumkehrbar ist. Einmal HIV-positiv, immer HIV-positiv. Ein Test-Resultat als eindeutige Wegmarke. HIV-negativ zu sein hingegen ist ein Zustand, der sich jederzeit ändern kann.

– Das Bewusstsein: Wenn ich (nach einem positiven Testergebnis) weiß, dass ich HIV-positiv bin, kann (muss) ich mir dessen für die Zukunft sicher sein. Eine unumkehrbare Faktizität.
Wenn ich nach dem selben Test erfahre, dass das Ergebnis HIV-negativ lautet, so heißt das maximal, dass ich bis vor drei Monaten nicht HIV-infiziert war, dieser Zustand sich jedoch (riskantes Verhalten vorausgesetzt) ändern kann. Ändern kann auch ohne dass ich mir dessen bewusst bin. Ein unsicherer Zustand.

– Das Ergebnis: eine Begriffs-Verwirrung, die dennoch heute weiterhin gerne verwendet wird. Mit weit reichenden Konsequenzen.

So gibt es eine (zahlenmäßig nicht zu unterschätzende) Gruppe von Menschen, die mit HIV infiziert sind, dies jedoch nicht wissen. Umgangssprachlich möchte man meinen, sie seinen HIV-positiv. Nur – davon wissen sie nichts, gehen vermutlich in der Regel davon aus, sie seien HIV-negativ.
Menschen ohne bisherigen HIV-Test, aber auch Menschen mit einem (zurückliegenden) negativen HIV-Test-Ergebnis können durchaus HIV-infiziert sein – halten sich aber für ‚HIV-negativ‘.

Oder anders ausgedrückt: jeder, der kein positives Testergebnis hat, hält sich für negativ – unabhängig vom Infektionsstatus.

Negativ – Positiv, diese bipolare Unterscheidung führt in eine Präventions-Sackgasse.
Die Konstellation, HIV-infiziert zu sein, jedoch bisher kein positives Testergebnis zu haben, von seinem Infektions- Status nicht zu wissen, diese Konstellation findet in der Begriffs-Bipolarität positiv-negativ nicht statt.

Diese Unterscheidung mag zunächst akademisch erscheinen. Leider hat sie jedoch ganz praktische Konsequenzen – z.B. bei den HIV-Neu-Infektionen.
Das Problem: ich halte mich für HIV-negativ, und verhalte mich (mit anderen vermeintlich ebenfalls nicht HIV-Infizierten) nicht immer safe (Serosorting).
Die Folge: HIV-Negative (oder besser: Personen, die selbst davon ausgehen, derzeit HIV-negativ zu sein) erhöhen ihr Risiko sich mit HIV zu infizieren durch diese Strategie, wie Studien zeigen. Der Grund: unerkannte HIV-Infektionen – Menschen, die sich für HIV-negativ halten, tatsächlich jedoch HIV-infiziert sind, nur bisher nicht von ihrer Infektion wissen.
Einer der Gründe für ein erhöhtes Risiko könnte darin liegen, dass ‚ungetestet HIV-Positive‘ scheinbar besonders häufig zu unsafen Sexpraktiven tendieren, wie eine
CDC-Studie zeigt.

Die Termini ‚positiv‘ und ’negativ‘ sagen streng genommen nichts über den Infektions-Status aus, sondern nur etwas über ein Test-Ergebnis. Die Lücken, die genau dazwischen liegen können, bleiben bisher verdeckt.

Den Infektionsstatus gibt zutreffend nur wieder das Begriffspaar ‚infiziert‘ und ’nicht infiziert‘. Nur, dass jemandem, der infiziert ist, davon aber nichts weiß, damit nicht geholfen ist.

Ergo: brauchen wir eine neue Begrifflichkeit?

Eine Begrifflichkeit, in der weiterhin ‚positiv‘ diejenigen Menschen sind, die positiv getestet sind (die HIV-infiziert sind und davon nach einen positiven Testergebnis wissen). Aber – welcher Begriff bietet sich für die anderen, eventuell unklareren Zustände an?

Aids-Virus einmal anders

Ab und an bekommt der Name „Aids-Virus“ auch einmal eine ganz neue Bedeutung.

So weisen Internetdienste darauf hin, dass derzeit mal wieder ein Virus im Umlauf ist, der Aids-Hinweise verbreitet.

Laut ‚network-secure.de‚ handelt es sich dabei um „ein typisches Exemplar der Sorte, die von durchgeknallten Kiddies mit Baukästen zusammengeflickt werden“, immerhin aber nur „um irgendwelche Botschaften quer über die gesamte Welt zu verteilen, weiter aber keine Schäden einrichten“.

Gegen diese Art Viren wird wohl die härteste Kombi-Therapie machtlos sein …

Abbott gegen ACT UP

Der Pharmakonzern Abbott, der gerne mal drastisch wird, wenn es um die Medikamentenversorgung in ‚Entwicklungsländern‘ geht, geht nun gegen die Aktivistengruppe ACT UP Paris juristisch vor.

Abbott wirft ACT UP Paris eine ‚Cyber-Attacke‘ gegen den Internetauftritt des Konzerns vor. Am 26. April sei die Website des Konzerns für Stunden nicht erreichbar gewesen, genau am Vortag der jährlichen Aktionärs- Versammlung.
Am 23. Mai reichte der Konzern Klage in Paris ein, das Gericht setzte eine Anhörung für den 3. Oktober 2007 fest.

ACT UP Paris hatte nach dem drastischen Vorgehen des Pharmakonzerns gegen Thailand u.a. zu einem Internet-Protest am 26. April aufgerufen. Eine große Zahl Menschen hatte sich daran beteiligt. Massive Aufrufe der Abbott-Seiten sollten die Rechner des Internet- Auftritts des Konzerns verlangsamen oder überlasten.

ACT UP Paris betont angesichts der Abbott-Klage, dies sei das erste Mal, das ein Pharmakonzern eine Klage gegen die Gruppe eingereicht habe. Abbott zeigt sich scheinbar auch hier als zweifelhafte ‚Speerspitze‘ der Aids-Pharmaindustrie.

Der Pharmakonzern Abbott war erst jüngst massiv in die internationale Kritik geraten, nachdem er Thailand in der Auseinandersetzung um den Zugang zu lebenswichtigen Aids-Medikamenten drohte, dem Land zukünftig innovative Medikamente vorzuenthalten.

Realität statt potemkinscher Dörfer

Das Strafrecht kennt auch in Deutschland längst Regelungen für den Fall einer Körperverletzung durch eine HIV-Infektion – wie erst gestern wieder ein Fall in Köln zeigte.

Am 22. Juni wurde in Köln ein heterosexueller HIV- infizierter Mann verurteilt, dem vorgeworfen wurde, mehrere Frauen bewusst mit HIV infiziert zu haben.

Der 38jährige Kfz-Mechaniker Stefan S. gab sich als Architekt aus, lernte Frauen kennen und drängte sie bald zu ungeschütztem Geschlechtsverkehr. Laut Urteil soll er mit mindestens 11 Frauen unsafen Sex gehabt haben, 4 von ihnen sind heute HIV-positiv. In einem Fällen soll sogar eine höhnische SMS gefolgt sein (‚viel Spaß mit HIV‘).

Das Landgericht Köln verurteilte den Angeklagten nach seinem Teil-Geständnis am 22.6.2007 zu 8 Jahren Haft wegen vorsätzlicher Körperverletzung. Das Gericht blieb damit unter dem geforderten Strafmaß, die zuständige Staatsanwaltschaft hatte 12 Jahre gefordert. Allerdings muss nach Verbüßung der Haft auf Anweisung des Richters auf Sicherungsverwahrung geprüft werden (oder Freilassung).

Wieder einmal hat Justitia gezeigt, dass das Strafrecht bereits heute Regelungen enthält, die wirksam eingesetzt werden können bei nicht-einvernehmlichem ungeschütztem Verkehr und potentieller HIV- Übertragung.

Weiterer repressiver Maßnahmen oder einer Strafverschärfung, wie immer wieder gefordert wird, bedarf es nicht, wie auch jüngst das 120. Positiven- Treffen in einer Resolution betonte.

Statt potemkinscher Dörfer der Strafverschärfung sollte wirksam über Risiko-Einschätzung und -minimierung informiert werden. Bei erfolgreich behandelten HIV- Infizierten ist z.B. das Infektionsrisiko drastisch gesenkt – eine Botschaft, weit mehr zu einer Reduzierung von Neu-Infektionen beitragen könnte als ständige Aufgeregtheiten.