Manifest der Menschen mit HIV und AIDS zum Welt-AIDS-Kongress 2008 in Mexico City

Im Folgenden als Dokumentation ein ‚Manifest‘, das von Menschen mit HIV und Aids am 3. August 2008 auf dem Welt-Aids-Kongress in Mexico City vorgestellt wurde:

MANIFEST

der Menschen mit HIV und AIDS zum Welt-AIDS-Kongress 2008 in Mexico City

Die Veröffentlichung der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen (EKAF) in der Schweizerischen Ärztezeitschrift vom 30. Januar 2008 über die Nicht-Infektiosität von Menschen mit HIV* hat viele Reaktionen hervorgerufen.

Die daraus resultierende Debatte über die Evidenz der zugrundeliegenden Studien und die Kritik an der breiten öffentlichen Mitteilung haben auch rund um die Welt die Organisationen von Menschen mit HIV und AIDS und deren Repräsentanten zusammengerufen:

A. Wir begrüssen ausdrücklich die Veröffentlichung der EKAF.

Sie ist wissenschaftlich hinreichend begründet und begünstigt die Lebensgestaltung, die Lebensqualität und insbesondere die Integration von Menschen mit HIV und AIDS und damit auch eine strukturelle, nachhaltige Prävention für Menschen, die ihren aktuellen HIV-Status nicht kennen.

Die offene Verfügbarkeit aller wissenschaftlichen Fakten ist die Grundlage für jede glaubwürdige Aufklärung und Information.

Nur eine aufgeklärte, tolerante Gesellschaft, in der die Menschen mit HIV und AIDS integriert sind, kann eine nachhaltig wirksame Antwort auf die Herausforderung HIV und AIDS geben.

B. Wir fordern angesichts der EKAF-Veröffentlichung weltweit die Institutionen und Repräsentanten der Wissenschaft, Medizin und Wirtschaft, der Regierungen, der WHO und der UNAIDS auf,

1.die auf wissenschaftlichen Studien basierende Evidenz der EKAF-Verlautbarung anzuerkennen,
2.die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten von Menschen mit HIV und AIDS zu respektieren,
3.die Mündigkeit von Individuum und Gesellschaft zu akzeptieren,
4.volle und uneingeschränkte Aufklärung zu garantieren,
5.bestehendes Wissen konsequent zu erweitern,
6.den Zugang zu antiviralen Therapien weltweit voranzutreiben.

C. Wir erkennen den konkreten Einsatz der Akteure für diese Forderungen an folgenden Merkmalen:

1. Die Debatte über die Bedeutung der EKAF-Verlautbarung für die Prävention wird objektiv und evidenzbasiert geführt.

Jeder Versuch, Information und Diskussion aus moralischen, politischen, oder anderen nicht sachbezogenen Motiven zu unterbinden, wird als inakzeptable Zensur ausdrücklich abgelehnt.

Die verschiedenen möglichen individuellen Schutzmassnahmen und ihre HIV-Transmissionsrisiken werden grundsätzlich mit gleichen wissenschaftlichen Massstäben beurteilt.

2. Das bisher in der Öffentlichkeit wahrgenommene Bild von Menschen mit HIV und AIDS wird deren tatsächlichen Alltagsrealitäten angepasst.

Das heisst vor allem: Auf das Bild des gefährlichen und verantwortungslosen HIV-Infizierten und dessen Instrumentalisierung wird genauso verzichtet, wie auf das Bild des bemitleidenswerten Zeitgenossen ohne Selbstverantwortung.

3. Die Öffentlichkeit wird über Prävention, Behandlung und die aktuellen Lebenswirklichkeiten transparent und uneingeschränkt informiert.

Die Strategien von Prävention und Behandlung werden sowohl beim Individuum als auch in der Gesellschaft an die erforderliche Integration von Menschen mit HIV und AIDS angepasst.

Verantwortung ist unteilbar.

Das heisst auch: Die Rechtssprechung wird diesem Grundsatz und den wissenschaftlichen Fakten gerecht.

Alle Patienten und Patientinnen haben gleichermassen Zugang zu Information, und sie haben volle Entscheidungsfreiheit über das individuell beste Therapieregime und die eigene Strategie zur individuellen Prävention und Harm Reduction.

Im Sinne der Ottawa-Charta der WHO ist Gesundheitsförderung Bestandteil aller Strategien und Massnahmen. Sie zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Mass an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen.

4. Der bisherige Erfolgsweg der Prävention von HIV und AIDS mit unvoreingenommenen Aufklärungskampagnen wird beibehalten und gestärkt.

5. Studien, die sich am jeweils aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse orientieren und soziale Faktoren wie etwa Lebensgestaltung, und Gender einbeziehen, werden gezielt gefördert.

Das sind in der HIV-Transmissionsfrage zum Beispiel: Studien zur Risikominimierung beim Analverkehr, zur Differenzierung der Relevanz unterschiedlicher STDs bei HIV-Übertragungen und zur Adhärenz und zu Langzeitnebenwirkungen von ART.

6. Wirksame Therapie wird global als wirksame Prävention verstanden. Die Verteilung der Ressourcen wird weiter vorangetrieben.

Sie wird als prioritäre Grundvoraussetzung für Gesundheitsförderung, Prävention und Behandlung bewertet.

Die Versprechungen zur Überwindung des Arm-Reich-Grabens werden endlich eingelöst.

Organisationen
LHIVE                                                       Switzerland
P.V.A-Genève                                            Switzerland
AIDS-Hilfe Schweiz                                      Switzerland
HIV Europe                                                Europe
Positiv e.V.                                               Germany
Deutsches Community Advisory Board-HIV      Germany
AIDS-Hilfe Offenbach                                  Germany
Münchner AIDS-Hilfe e.V.                             Germany
Deutsche AIDS-Hilfe e.V.                               Germany
the WARNING                                             France
HIV Vereniging Nederland                              Netherlands
HIV-Danmark                                              Danmark
HIV-Sverige                                               Sweden
HIV-Iceland                                                Iceland
HIV Norge                                                  Norway
SIEC PLUS                                                 Poland
„Pozityvus gyvenimas“                                  Lithuania
The All Ukrainian Network PLWH                     Ukranie
Project THAMES                                          U.S.A.
EMPOWER                                                  India

Einzelpersonen:
Michèle Meyer                                         Switzerland
Mic Rasmussen  Meyer                              Switzerland
Christopher Park                                      Switzerland
Ervan Rached                                          Switzerland
Tommy Rauber                                        Switzerland
Ulli Würdemann                                        Germany
Michael Jähme                                         Germany
Bernd Aretz                                             Germany
Kalle Ohnemus                                          Germany
Konstantin Leinhos                                    Germany
Guido Kissenbeck                                      Germany
Olaf Lonczeswski                                      Germany
Matthias Hinz                                           Germany
Carsten Schatz                                        Germany
Stefan Stein                                            Germany
Engelbert Zankl                                         Germany
Ulrike Sonnenberg-Schwan                          Germany
Wolfgang Kirsch                                        Germany
Pierre Cuffini                                             France
Bernal Sabah                                            France
Bernard Forbes                                         U.K.
Julian Hows                                              U.K.
Peter Smit                                                Netherlands
Dr. Joseph Sonnabend                                U.S.A.
Michael Petrelis                                         U.S.A.
Sean Strubb                                             U.S.A.
Mike Barr                                                 U.S.A.
Peter McQuaid                                          U.S.A.
Tony Valenzuela                                        U.S.A.
Dermot Ryan                                            Australia
Neil McKellar-Stewart                                 Australia
Joel Reyes                                               Mexico
Monica Gonzales                                       Mexico
Itzuko Mendez                                         Mexico
Minerva Valenzuela                                   Mexico
Niklaus Ritter                                          Mauritius
Nakazono Hiroyuki                                    Japan
Konojar Akuyo                                         Japan
Patricia Ukoli                                           Nigeria

Anmerkung: das Manifest als pdf: Mexico Manifest deutsch und in der englischen Version Mexico Manifesto englisch

Ungetestet – trotzdem vor Gericht schuldig gesprochen

‚Unwissen schützt vor Strafe nicht‘, so könnte das Motto eines Urteils in der Schweiz lauten. Ein Mann wurde wegen fahrlässiger HIV-Infektion verurteilt – obwohl er selbst von seiner HIV-Infektion nicht wusste.

Das Bundesgericht der Schweiz (das höchste Schweizer Gericht) hat am 13. Juni ein bemerkenswertes Urteil gesprochen: ein Mann soll seine Partnerin fahrlässig mit HIV angesteckt haben. Der Mann wusste nicht von seiner HIV-Infektion – es habe aber konkrete Anzeichen für die eigene Infektion gegeben, so das Bundesgericht, deswegen ‚fahrlässiges Verhalten‘.

Wie die NZZ berichtet, hatte der Mann ungeschützten Sex mit seiner Partnerin. Bei der Frau wurde später eine HIV-Infektion diagnostiziert, und mit einem Virus-Typ, der eine Infektion durch den Mann als nach Ansicht des Bundesgerichts ‚medizinisch nachgewiesen‘ erscheinen lässt.

Der Mann hatte kein positives Ergebnis eines HIV-Tests. Er hatte auch zuvor mit anderen Partnerinnen ungeschützten Sex, unter anderem auch mit einer Frau, von der er wusste dass sie HIV-positiv ist.

Genau hier setzte das Bundesgericht an. Er habe, da er Risikokontakte hatte, die Möglichkeit einer eigenen Infektion nicht ausschließen können. Er habe konkrete Anzeichen für die mögliche eigene HIV-Infektion gehabt. Folglich hätte er Schutzvorkehrungen treffen müssen. Insofern sei sein Verhalten fahrlässig gewesen.

Das Bundesgericht widersprach damit einem vorherigen auf Freispruch lautenden Urteil des Züricher Obergerichts. Dieses Gericht hatte noch geurteilt, es bestehe keine Rechtspflicht, sich nach ungeschützten Sex vor dem nächsten ungeschützten Sex auf HIV testen zu lassen.

Der Mann wurde vom Bundesgericht zu einer bedingten Gefängnisstrafe von neuen Monaten sowie einer Geldstrafe von 30.000 Franken und Schadenersatz verurteilt. (Urteil 6B-235/2007)

Alles wird anders und alles bleibt gleich! – Die Bedeutung der HIV-Viruslast für die Prävention

Vorstand und Geschäftsführung der Deutschen Aids-Hilfe haben zum Statement der Eidgenössichen Aids-Kommission ein ‚Positionspapier Juni 2008‘  als Diskussionsgrundlage versandt.
Um allen Teilen der Communities eine Beteiligung an der Meinungsbildung der DAH zu ermöglichen, ist dieses hier im Folgenden dokumentiert:

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Alles wird anders und alles bleibt gleich!

Die Bedeutung der HIV-Viruslast für die Prävention

Therapie und Prävention

Die antiretrovirale Therapie hat die Lebenserwartung und die Lebensqualität von Menschen mit HIV in den letzten Jahren deutlich verbessert. Sie hat darüber hinaus eine Wirkung, die bislang fast ausschließlich als erwünschter Nebeneffekt wahrgenommen wurde: Eine stabile und funktionierende antiretrovirale Therapie senkt die Infektiosität von Menschen mit HIV erheblich. Seit einigen Jahren wird angesichts steigender HIV-Neuinfektionen daher auf internationalen Aids-Konferenzen von Wissenschaftlern gefordert, diese Erkenntnis auch für die Gestaltung neuer Präventionsbotschaften aktiv zu nutzen.

Diese Forderung gewann 2007 an Bedeutung: Die Forschung zu einem Impfstoff gegen HIV und zum Diaphragma sowie die Entwicklung von Mikrobiziden hatten schwere Rückschläge erlitten, sodass diese Mittel als Optionen der HIV-Prävention in weite Ferne gerückt sind. Demgegenüber weiß man seit Jahren, dass mit der antiretroviralen Therapie schon heute eine bedeutende Senkung der Infektiosität und damit der HIV-Neuinfektionszahlen erreicht werden kann.

Die Eidgenössische Kommission für Aidsfragen (EKAF) in Bern (Schweiz) hat am 30. Januar 2008 Aussagen zur Infektiosität HIV-infizierter Menschen veröffentlicht und damit erstmalig die antiretrovirale Therapie in die Prävention integriert. Nach Einschätzung der EKAF können diskordante (1) Paare unter folgenden Voraussetzungen auf Kondome verzichten: wenn die Viruslast des HIV-positiven Partners/der HIV-positiven Partnerin dauerhaft unter der Nachweisgrenze liegt, die Therapie konsequent eingehalten und kontrolliert wird (stabile und wirksame antiretrovirale Therapie, kurz: sART) und bei beiden Partnern keine anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen (STD, (2)) vorliegen. Die letzte Bedingung macht ungeschützten Sex mit Gelegenheitspartnern schwierig – die Option ist daher auf feste Partnerschaften beschränkt.

Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. begrüßt, dass es durch den Anstoß der Schweizer Kollegen nun auch zu einer Debatte über die Auswirkungen der antiretroviralen Therapie auf die HIV-Prävention kommt.
Die Veröffentlichung der EKAF hat in der Fachwelt kontroverse Reaktionen hervorgerufen. Weitestgehend Konsens besteht darüber, dass die präventive Wirkung der stabilen und wirksamen antiretroviralen Therapie sowie die Abwesenheit von STD (sART ohne STD) durch wissenschaftliche Daten für Oral- und Vaginalverkehr gestützt wird. Für die Abschätzung der Infektiosität bei Analverkehr bei nicht nachweisbarer Viruslast hingegen fehlen bislang weitestgehend sowohl wissenschaftliche Daten zur Grundlagenforschung als auch epidemiologische Daten (3).

In der Prävention orientiert sich die Arbeit der Deutschen AIDS-Hilfe e.V. seit je an den Lebenswelten ihrer Zielgruppen und an der Epidemiologie. Zu einer glaubwürdigen HIV-Prävention gehört unabdingbar, auch entlastende wissenschaftliche Erkenntnisse zu kommunizieren und diejenigen Bereiche zu benennen, in denen noch nicht genug Erkenntnisse vorliegen.
Zwar herrscht unter Experten weitestgehend Konsens, dass unter den genannten Bedingungen auch die Infektiosität beim Analverkehr deutlich sinkt. Dissens gibt es allerdings darüber, ob noch ein relevantes Infektionsrisiko vorliegt oder ob es vernachlässigbar gering ist. Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. wird sich dafür einsetzen, dass diese Forschungslücke geschlossen wird.

Alles wird anders

Gerade für Menschen, deren Leben unmittelbar durch HIV geprägt ist – vor allem Infizierte, Lebenspartner/innen und Familienangehörige – hat die Frage der Infektiosität eine hohe emotionale und auch soziale Bedeutung. Das Wissen um das geringe HIV-Übertragungsrisiko bei erfolgreicher antiretroviraler Therapie kann entlasten, die Diskussion darüber auf gesellschaftlicher Ebene der Stigmatisierung HIV-Positiver entgegenwirken.

Für einen Teil der diskordanten Paare eröffnet sich mit „sART ohne STD“ eine neue Präventionsoption. Generell aber bewirkt die Nachricht, dass die antiretrovirale Therapie unter bestimmten Bedingungen die Infektionsgefahr so weit senkt, dass eine sexuelle Übertragung stark reduziert oder sogar unwahrscheinlich ist, eine Reduktion der Angst.

Der Einsatz gegen Diskriminierung und Stigmatisierung und die Förderung von Solidarität mit Betroffenen war immer ein unverzichtbarer Bestandteil einer erfolgreichen HIV-Prävention und ist eine der zentralen Aufgaben der Deutschen AIDS-Hilfe. Neue Möglichkeiten in der Prävention, z. B. im Jahr 2007 die Beschneidung oder 2008 die „sART ohne STD“ verunsichern jedoch und lassen die Befürchtung aufkommen, die bisher sehr erfolgreiche Prävention könnte Schaden nehmen. Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. nimmt diese Befürchtungen ernst, sieht aber keine Erosion der Prävention, sondern wird sich dafür einsetzen, die Prävention mit den aktuellen Erkenntnissen zu ergänzen und zu stärken. Die neue Option wird dazu beitragen, dass die Prävention zielgruppengenauer, glaubwürdiger und noch stärker lebensweltorientiert gestaltet werden.

Die Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Viruslast und Infektiosität wird und soll zudem auch Auswirkungen auf die Rechtssprechung haben. Die erfolgte oder (z. B. durch Kondomverzicht) in Kauf genommene HIV-Übertragung wird gegenwärtig strafrechtlich als Körperverletzung oder versuchte Körperverletzung verfolgt. Künftig wird das erheblich verminderte Übertragungsrisiko unter erfolgreicher antiretroviraler Therapie berücksichtigt werden müssen und sollte den Tatbestand der versuchten Körperverletzung nicht mehr erfüllen.

Alles bleibt gleich

Die alten Präventionsbotschaften bleiben unverändert erhalten und sind nach wie vor Kern der Präventionsarbeit. Für den Sex mit Gelegenheitspartnern oder neuen Partnern empfiehlt die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. nach wie vor Safer Sex – nicht nur zum Schutz vor HIV, sondern auch zur Reduktion anderer sexuell übertragbarer Krankheiten.

Aufgaben der HIV- und STD-Prävention

Die Präventionsanstrengungen sollten der epidemiologischen Entwicklung folgen:
– Ein großer Teil der HIV-Neuinfektionen geht von Personen aus, die von ihrer HIV-Infektion noch nichts wissen oder noch keine Therapie einnehmen.
– Ein großer Teil der HIV-Neuinfektionen betrifft Bevölkerungsgruppen mit höherem Infektionsrisiko, die sog. Zielgruppen der Präventionsarbeit der DAH.
– Sexuell übertragbare Erkrankungen stellen einen wichtigen Faktor bei der HIV-Übertragung dar.

Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. sieht sich in ihrer bisherigen Strategie bestärkt: Sie führte schon vor Jahren HIV-Testkampagnen bei Männern durch, die Sex mit Männern haben, damit mehr Männer, die ein Risiko hatten, zum Test gehen und eine eventuelle HIV-Infektion in einem frühen Stadium erkannt und rechtzeitig behandelt werden kann. Dieser Weg muss weiter ausgebaut werden. Differenzierte Testkampagnen werden auch in Zukunft, z. B. im Rahmen der MSM-Kampagne und bei i.v. Drogengebraucher(inne)n, durchgeführt werden.

In den letzten Jahren hat die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. in ihre HIV-Präventionsarbeit verstärkt auch andere STDs integriert, vor allem deshalb, weil diese die Übertragung von HIV begünstigen. Im Erhalt und Ausbau von niedrigschwelligen, kostenfreien und anonymen Angeboten der HIV- und STD-Beratung und -Testung für Menschen mit höherem Risiko sieht die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. eine wichtige Aufgabe der Präventionsarbeit.

Die Prävention wird komplexer

Der Erfolg von Safer Sex liegt auch darin begründet, dass die Botschaft kurz und prägnant ist („beim Bumsen Kondome, beim Blasen raus bevor`s kommt“). An sie wird man sich selbst „im Eifer des sexuellen Gefechts“ noch erinnern können, an komplexe Botschaften aber wohl kaum.

Trotz der Klarheit und der hohen Wirksamkeit von Kondom-Botschaften steigen weltweit die HIV-Infektionszahlen. Denn Wissen um die Schutzwirkung von Kondomen wird nicht in jeder Situation (z. B. Alkoholkonsum, erektile Dysfunktion, Unsicherheit, Fehlannahmen, „rosarote Brille“) in Handlung umgesetzt wird und gesellschaftliche Verhältnisse wie z.B. Mangel an Bildung oder Armut wirken vielerorts der Prävention entgegen. Die Prävention braucht zusätzlich neue „Pfeile im Köcher“ zur Bekämpfung der Epidemie. Am Beispiel der Beschneidung wird deutlich, dass die HIV-Prävention auch auf solche Methoden nicht verzichten kann, die weniger prägnant und sogar weniger effektiv sind als Kondome: Die WHO hat im Frühjahr 2007 die Beschneidung des heterosexuellen Mannes (vor allem in Ländern mit hoher HIV-Prävalenz) mit in das Präventionspaket genommen – obwohl die Beschneidung „nur“ eine Schutzwirkung von 60 % für nur einen der beiden Sexualpartner bietet. Die Beschneidung wird vor allem in Ländern südlich der Sahara in die Prävention integriert und braucht intensive Aufklärung, um der Fehlannahme, man sei nach einer Beschneidung geschützt, entgegenzuwirken.

Die Option „sART ohne STD“ hingegen ist unter Idealbedingungen mindestens so effektiv wie die Verwendung von Kondomen bei nicht unterdrückter Viruslast. Die Herausforderung der Option „sART ohne STD“ liegt hier im Erreichen der optimierten Bedingungen, also in der Einhaltung der komplexen Voraussetzungen (keine STD, Therapiekontrolle, Therapietreue), der Definition der in Frage kommenden Personen und in der Vermeidung von Fehlannahmen. Fehlannahmen und Mythen (4) rund um HIV und Aids sind vielfältig, und die Thematisierung und „Bearbeitung“ solcher Mythen gehört zum festen Repertoire der Präventionsarbeit der Deutschen AIDS-Hilfe.

Neue Präventionsoptionen wie die Beschneidung und „sART ohne STD“ sind komplexer als die Kondom-Botschaften und erfordern eine gründliche Beratung und Information, um Fehlinformationen entgegenzuwirken. Das Wissen um neue Optionen darf kein „Geheimwissen“ bleiben. Im Gegenteil: es gibt eine moralische Verpflichtung zur Kommunikation. Präventionsagenturen wie die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. können und dürfen sich zu neuen Präventionsoptionen nicht passiv verhalten, weil sich die Menschen ihrer Zielgruppen sonst bei weniger verlässlichen Quellen informieren.

STDs als ein wichtiger „Motor“ der HIV-Epidemie rücken durch die EKAF-Informationen zunehmend in den Fokus der HIV-Prävention. Die Deutsche AIDS-Hilfe wird sich dafür einsetzen, dass Screening-Verfahren für STD, Diagnostik und Therapie gerade für Menschen mit höherem Risiko für eine HIV-Infektion zugänglich sind bzw. geschaffen werden.

Die Prävention wird vielfältiger und komplexer. Aber mit qualifizierter Information und Beratung wird sie auch passgenauer und erfolgreicher.
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(1) diskordante Partnerschaft: ein/e Partner/in ist HIV-positiv, der/die andere Partner/in ist HIV-negativ
(2) STD = sexually transmitted diseases
(3) die EKAF hingegen unterscheidet nicht zwischen den verschiedenen Sexualpraktiken (Oral- Vaginal- und Analverkehr) und bewertet das Risiko insgesamt als vernachlässigbar gering.
(4) Einige Fehlannahmen und Mythen seien als Beispiele genannt: „Eine Infektion kann man dem Partner ansehen“, „Wenn er ohne Gummi will, wird er negativ sein“, „Wenn er ohne Gummi will, wird er positiv sein“, „Wenn ich nur eindringe, also der Aktive bin, kann mir nichts passieren“, „Die Infektion ist heilbar“.

Mutlose Aids-Information

„Aus Furcht, dass populistische Medien (und Politiker) Aids als Vorwand zum Schüren von Ängsten nutzen, verzichtet man vorläufig lieber gleich auf unhysterisch stimmende Aufklärung.“

Zu diesem Schluss kommt (nicht nur) Jan Feddersen, der in der taz über eine Informationskampagne der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) berichtet, die von der Bundeszentrale für gesundheitlicher Aufklärung verhindert wird.

Eigentlich sollte die Kampagne „Ich weiss was ich tu!“ schon längst laufen – doch selbst banalste Botschaften, die früher problemlos gedruckt worden wären, unterliegen nun der Zensur der Gesundheitsbürokratie.

Ein lesenswerter Artikel aus dem Tollhaus der gesundheitlichen ‚Aufklärung‘ …
… der auch ein wenig beleuchtet, in welchem Umfeld es sowohl zu der (inzwischen von zahlreichen weiteren Personen und Institutionen unterstützten) Resolution einiger Positiver auf der Frankfurter Ethik-Konferenz (bewusst unter dem gleichen Titel „Ich weiss was ich tu!„) kam, als auch zum Zwischenruf „verantwortungslose Positive“ …

Nebenbei, dass die Kampagne der DAH bisher von der BzgA verhindert wird, die DAH dies mehr oder weniger klaglos hinnimmt, wirft auch die Frage auf, warum denn die DAH hier nicht lauter protestiuert, sich für ihre stolz entwicklete und präsentierte Kampagne einsetzt, eigene Haltung zeigt. Ach ja, Haltung … das hatten wir ja schon … ist an manchen Stellen unterentwickelt …

Virus-Mythen 1: verantwortungslose Positive

Bei Diskussionen über das Statement der Eidgenössischen Aids-Kommission EKAF, bei Reaktionen, bei Gesprächen über die Frage welche Bedeutung dieses für das Sex-, Liebes- und Beziehungsleben von Menschen mit HIV und Aids haben kann, und ob man ihnen diese frohe Botschaft überhaupt sagen dürfe, ist von Politikern, Bürokraten aber auch einigen Präventionisten oft (selten im Klartext, gern zwischen den Zeilen oder höflich verbrämt) der Gedanke zu hören, „die Positiven“ seien doch „viel zu verantwortungslos“ um mit dieser neuen Freiheit adäquat umgehen zu können.

Dieses Gerede von „diesen verantwortungslosen Positiven“, denen man „sowas ja nun nicht auch noch sagen“ dürfe – es macht mich zunehmend wütend, zornig.

Woher meinen Menschen, die solche Aussagen in die Welt setzen zu wissen, wie sich „die Positiven“ verhalten?
Wie bei fast allen gesellschaftlichen Gruppen gilt, es gibt nicht dieses absolute „die“. Vermutlich wird es auch in der großen Gruppe mit HIV infizierter Menschen einige geben, die sich gelegentlich so verhalten, wie es manche mit dem Begriff „verantwortungslos“ umschreiben. Aber – dies dürfte wohl für die Mehrzahl der HIV-Positiven so nicht gelten.

Ich bin im Verlauf der letzten Jahre vielen Positiven begegnet, auf Bundespositiven-Versammlungen, Positiventreffen, bei lokalen Veranstaltungen. Oftmals ist bei diesen Treffen -wie auch jüngst vor einigen Tagen- eines der Themen, wie lebe ich mein sexuelles Leben, wie gehe ich mit Fragen des safer sex, mit Verantwortung und ‚Fallenlassen‘ um. Und in den meisten Fällen bewundere ich, wie intensiv sich HIV-positive Männer und Frauen mit ihrem HIV, ihrer Sexualität auseinander gesetzt haben, welch ausgefeilte Strategien eines individuellen Risiko-Managements sie sich für die verschiedensten Situationen erarbeitet haben. Dabei ist immer wieder auch zu merken: mehr als alles andere haben HIV-positive Menschen vor einem Angst: dass andere sich bei ihnen mit HIV anstecken.

Sicher mag es auch bei diesen Strategien in Einzelfällen zu ‚Ausrutschern‘ oder ‚Versagen‘ kommen. Aber in der Mehrzahl gehen Menschen mit HIV nach (nicht nur) meinem Erleben mit ihrer Infektion und insbesondere möglichen Übertragungs-Risiken sehr informiert und überlegt um.

Verantwortungslos ist die Mehrzahl der Positiven nicht – verantwortungslos scheint mir dagegen sehr wohl dieses populistische Gerede, das fadenscheinigen Zwecken dient.

HIV-Positive pauschal als „verantwortungslos“ zu titulieren ist eine Beleidigung für all die Menschen, die sich bemühen, verantwortungsbewusste Wege zu finden, mit sich, ihrem HIV, ihrem Sexleben, ihren PartnerInnen umzugehen.

Mir scheint, manche schaffen es auch, Ihre Vorurteile hinter verbrämten Formulierungen zu verbergen. Ein Beispiel meinte ich jüngst zu erleben.

Frau Professor Dr. Elisabeth Pott befasste sich in ihrer Rede zur Eröffnung der Frankfurter ‚Ethik-Konferenz‘  am 19. Juni 2008 auch mit dem Statement der Eidgenössischen Aids-Kommission und den Folgen für die Prävention. Mit den Risiken, weniger den Chancen. Welche Gefahren bewegen Frau Professor Pott? Nun, das sagte sie recht deutlich. Gefährlich seien am Statement der EKAF die -so wörtlich- „Entwarnungs-Effekte“.

„Entwarnungs-Effekte“ – man muss sich dieses Wort langsam auf der Zunge zergehen lassen. Wonach schmeckt es?
Vor wem oder was wird denn da gewarnt? Und, wer warnt baut Droh-Kulissen auf. Prävention mit Angst? Angst vor Menschen?
Oder, andere Frage, was ist so schlimm daran, wenn Menschen mit HIV  endlich ein wenig weniger Angst haben dürfen, sie könnten ihre Partnerin, ihren Partner womöglich riskieren? Was empfindet, wer so etwas sagt, als so gefährlich? Die Freiheit, die sich hier eröffnet? Die Hoffnung, dass auch Menschen mit HIV unter bestimmten Umständen wieder ein unbefangeneres, weniger konfliktbeladenes Sex-Leben haben können?
Und – wer sagt so etwas? Nun, Frau Professor Pott ist nicht irgendwer. Sondern die Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), somit oberste ‚Aids-Präventionistin‘ des Landes …

Wer angesichts der neuen Beurteilung der Infektiosität von erfolgreich behandelten Positiven von „gefährlichen Entwarnungs-Effekten“ spricht, hat sicher nicht die Verbesserung der Situation von Menschen mit HIV und Aids im Sinn, freut sich nicht über Ent-Stigmatisierung und Abbau von Angst. So wird an neuen Drohkulissen gearbeitet – und zu denen braucht es eins, das Märchen vom „verantwortungslosen Positiven“.

Für viele Menschen mit HIV hingegen gilt längst „Ich weiss was ich tu!

Infektiosität von erfolgreich behandelten Positiven – Theorien und Praxis

Vor sechs Monaten hat die EKAF (Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen, Schweiz) ihr Statement zur Frage der Infektiosität von erfolgreich antiretroviral behandelten Positiven veröffentlicht. Seit langem ist eine gemeinsame Stellungnahme deutscher Stellen hierzu angekündigt – sie wird immer noch diskutiert. Derweil läuft die Realität der Politik davon.

Das Statement der EKAF ist eindeutig:
„Eine HIV-infizierte Person ohne andere STD [sexuell übertragbare Erkrankungen, d.Verf.] unter einer antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig supprimierter Virämie (im Folgenden: ‘wirksame ART’) ist sexuell nicht infektiös, d.h., sie gibt das HI-Virus über Sexualkontakte nicht weiter, solange folgende Bedingungen erfüllt sind:
– die antiretrovirale Therapie (ART) wird durch den HIV-infizierten Menschen eingehalten und durch den behandelnden Arzt kontrolliert;
– die Viruslast (VL) liegt seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze (d.h., die Virämie ist supprimiert);
– es bestehen keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD).”

Das Statement der EKAF sorgte für vielfältige Reaktionen. Nachdem die Deutsche Aids-Hilfe zunächst einige ermutigende Aussagen traf (siehe Rede Maya Czajka auf dem parlamentarischen Abend der DAH, „Betroffene zu Beteiligten machen„), folgte bald eine enttäuschende gemeinsame Presseerklärung von DAH, RKI und BZgA. Seitdem wird an einer gemeinsamen Stellungnahme gefeilt – die bisher immer noch nicht vorliegt.
Und auch auf internationaler Ebene herrscht alles andere als Aussage-Freude. Ein von UNAIDS Anfang Juni organisiertes ‚closed meeting‘ mit Teilnehmern aus den Anliegerstaaten der Schweiz zeigte die Unterschiedlichkeit der vertretenen Meinungen – und die Unfähigkeit, sich auf gemeinsame Positionen zu einigen. Fast kann man gelegentlich den Eindruck gewinnen, interessierte Kreise setzten sich mit ihrer Meinung ‚das darf man doch nicht laut sagen‚ doch wieder durch.

Derweil ist das EKAF-Statement längst in der Praxis angekommen. In des Wortes doppelter Bedeutung …

Menschen mit HIV und ihre Partnerinnen und Partner fragen sich längst, was heißt dieses Statement für mich, für uns, hat es praktische Konsequenzen, eröffnet es neue Möglichkeiten, und wenn ja – wie lassen sie sich in der Praxis umsetzen? Und viele zeigen dabei weit mehr Überlegtheit und Nachdenklichkeit als in hektischen Szenarien einiger Präventions-Zyniker an die Wand gemalt.

Und auch in der ärztlichen Praxis sind diese Fragen längst angekommen. Ärzte, die über die dem EKAF-Statement zugrunde liegenden Sachverhalte schon seit mindestens Monaten informiert sind, überlegen längst, was sie ihren HIV-Positiven Patienten und deren PartnerInnen sagen können.

Ein Weg, der gelegentlich nicht nur aus einigen Berliner Praxen zu hören ist, sieht so aus:
Ein schwules Paar, serodiskordant – einer HIV-positiv, einer HIV-negativ oder ungetestet. Seit längerer Zeit ist der Positive aufgrund einer erfolgreichen Therapie mit seiner Viruslast unter der Nachweisgrenze.
Zusammen mit ihrem Arzt beratschlagen sie, was möglich ist. Der Arzt untersucht beide gründlich auf sexuell übertragbare Erkrankungen. Eventuell Festgestelltes wird therapiert, ggf. werden zusätzlich einige Tage Breitband-Antibiotika eingesetzt, um z.B. auch die letzten möglichen Chlamydien zu verdrängen. Beide versprechen sich sexuelle Monogamie – u.a. um das Risiko sexuell übertragbarer Infektionen zu minimieren, die auch das HIV-Übertragungsrisiko erhöhen könnten. Und haben ab dann kondomfreien Sex, der dennoch ’safer‘ ist. Regelmässig lassen sie sich vom Arzt untersuchen.

Ein denkbarer Weg unter vielen. Ein Weg, der viel Information und vor allem viel Vertrauen auf allen Seiten voraussetzt.
Ein Weg, von dem mehr als nur gelegentlich zu hören ist, dass er von informierten Ärzten und informierten Patienten gemeinsam gegangen wird.

Ein Weg, der u.a. auch eines zeigt: Prävention und Politik müssen acht geben, dass die Lebenspraxis, die gelebte sexuelle Realität (sowohl bei HIV-Positiven und ihren PartnerInnen als auch bei Ärzten) ihren fehlenden Aussagen, ihrer Zögerlichkeit nicht zu weit davon läuft. Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit der Prävention stünden sonst auf dem Spiel.

Zeitenwende 2008

2008 erscheint zunächst bisher als Jahr der schlechten Nachrichten für den Aids-Bereich. Und doch, es könnte sich als eine ähnlich bedeutende Zeitenwende wie zuletzt 1996 erweisen.

Gut sieht es nicht aus auf den ersten Blick. Bedeutende Impfstoff-Studien sind spektakulär gescheitert, viele sprechen von der ‚Vakzine-Depression‘, wenn sie die Situation der Rat- und oftmals Hoffnunglosigkeit beschreiben wollen, noch einen gegen HIV wirksamen Impfstoff entwickeln zu können. Fragen werden gestellt, ob es an der Zeit sei, die HIV-Impfstoffforschung aufzugeben oder zumindest zu Grundlagenforschung zurück zu kehren.
Zudem erleidet die Forschung zu Mikrobiziden -einem besonders für den Selbstschutz von Frauen sehr wichtigen, hier wenig beachteten Forschungsbereich- Rückschläge.

Doch die Nachricht des Jahres dürfte bisher das Statement der Eidgenössischen Aids-Komission EKAF keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“ sein.
Die Botschaft: unter den von den Schweizern genannten Bedingungen (erfolgreiche HAART, Viruslast seit mind. 6 Monaten unter der Nachweisgrenze, keine Infektionen mit sexuell übertragbaren Erregern) ist eine HIV-infizierte Person „sexuell nicht infektiös„.

Nie zuvor ist diese Botschaft in der Öffentlichkeit von Gesundheitsexperten geäußert worden, war bisher nur Hinterzimmern und privaten Gesprächen vorbehalten.
Und selten hat ein Aids-Statement in jüngerer Zeit mehr aufgeregte Reaktionen hervorgerufen.

Mit dieser Botschaft wird zunächst von vielen Positiven eine große Last genommen. Sie eröffnet neue Chancen auf positives Selbstbewußtsein, auf angstfreier gelebte Sexualität.
Welch wunderbar befreiende Botschaft, unter bestimmten Umständen nicht mehr infektiös zu sein!

Insbesondere (aber nicht nur) für serodiskordante Paare (ein Partner HIV-negativ, ein Partner HIV-Positiv) stellt diese Botschaft eine potenziell sehr befreiende Nachricht dar. Zudem ermöglicht sie zukünftig unter bestimmten Bedingungen, leichter einen Kinderwunsch zu realisieren.

Auch in der Prävention wird die Botschaft gravierende Auswirkungen haben. Dabei scheint die Angst vieler ‚Präventionisten‘ manchmal schwer nachvollziehbar. ‚Kein Risiko‘, diese Konstellation existiert in Sachen Sex nicht. Dass Sex ohne Risiko kaum denkbar ist (nur ‚kein Sex‘ ist risikofreier Sex), dieser Gedanke scheint sich noch nicht überall herum gesprochen zu haben.
Gerade angesichts der derzeitigen Probleme bei einigen bedeutenden präventiven Ansätzen (Impfstoffe, Mikrobizide) sollten doch auch die Chance nicht außer Acht gelassen werden, die in Therapien unter präventiven Aspekten liegen können.

Zudem wird die Schweizer Botschaft auch die Debatten um PEP (post- Expositions- Prophylaxe) neu beleben – ist bei einem erfolgreich therapierten Sexpartner wirklich immer eine PEP erforderlich, angesichts potenzieller Nebenwirkungen verantwortbar?

Was ist „safer Sex“? Oder genauer, „wann ist Sex ’safer‘?„, diese Frage dürfte zukünftig neu zu stellen sein. Sicher gehört dazu die Verwendung von Kondomen. Jedoch – es mag sich erweisen, dass auch eine erfolgreiche Therapie unter bestimmten Bedingungen zu Konstellationen führen kann, in denen kondomloser Sex „safer“ ist.

Das Jahr 2008 könnte sich mit der Schweizer Botschaft – später, im Nachhinein betrachtet – als ähnliche Zeitenwende für Menschen mit HIV und Aids erweisen wie das Jahr 1996.

1996 brachte für Positive die Wende von der Aussicht auf absehbaren Tod hin zu einem Leben mit einer oftmals langfristig behandelbaren chronischen Infektion. HIV-infiziert, das heisst seit 1996 nicht mehr zwangsläufig ‚dem Tod geweiht‘ – 1996 brachte wie es Martin Dannecker formulierte die ‚Auflösung der Gleichsetzung von HIV und Tod‘.

2008 könnte sich als Wende erweisen im Bild von Positiven. Als Abkehr vom dämonisierten Aids. Als Wende in der Wahrnehmung von Positiven, von der potenziell gefährlichen Bedrohung zum attraktiven Sexpartner.

Und als weiterer Schritt in der Wende vom bedeutungsvollen Aids hin zu einer (unter vielen) bedeutungsvollen, aber behandelbaren Erkrankungen, die nicht mehr ganze Biographien über den Haufen wirft.

Vielleicht sogar eine Wende zu einer Situation, in der das vergessene Wort Heilung wieder auf die Agenda kommt. In der neue Ansätze (wie Stammzell-Therapie, Stichwort Berlin Patient) die Perspektive einer Heilung von HIV eröffnen …

Die Diskussionen um kondomfreien Sex bei stabil nicht nachweisbarer Viruslast und keinen STDs hat gerade erst begonnen. Zu gerne würden einige diese Diskussion verhindern (‚das darf man doch nicht laut sagen‚) – Positive sollten sich um ihrer selbst willen engagiert an den Debatten beteiligen, sie einfordern. Und darauf bestehen, dass die Frage, welches Risiko letztlich akzeptabel ist, eine persönliche Entscheidung ist, die von den beteiligten Partnern getroffen wird – nicht von Beamten oder Bürokraten.

Superinfektion mit HIV – was ist dran?

‚Superinfektion‘ – immer wieder wird dieses Thema gerne reißerisch dargestellt, zur großen Gefahr für HIV-Positive aufgebaut. Was ist dran am Risiko, sich erneut mit HIV zu infizieren? Und für wen?

Superinfektion, das bedeutet im Kontext HIV zunächst, dass ein Mensch, der bereits mit HIV infiziert ist, sich erneut mit einem weiteren HI-Virus ansteckt.
‚Hat er ja schon, ist er halt doppelt positiv, aber was solls‘, mag man zunächst denken.

Doch es gibt verschiedene HIV -Stämme, die auch unterschiedlich virulent sein können. Und es gibt Resistenzen – HIV kann sich so verändern, dass Medikamente nicht mehr wirksam sind. Bei einer Superinfektion könnte also auch ein weiteres HIV übertragen werden, die (super-) infizierte Person plötzlich Therapie-Optionen verlieren.
Schon aufgrund dieses Risikos ist die Frage einer Superinfektion immer wieder Diskussionsthema unter Positiven, nicht nur in Bareback-Debatten.

Aber – wie konkret ist dieses Risiko?
Immer wieder berichten Wissenschaftler von Einzelfällen, in denen eine Superinfektion beobachtet wurde. Nachdem mehrere Studien Anlass zu der Vermutung gegeben hatten, dass eine Superinfektion vermutlich nur in einem relativ frühen Infektionsverlauf erfolgen kann, wurde nun auch über HIV-Superinfektionen bei chronisch HIV-infizierten Positiven berichtet.

Doch – für wen besteht ein Risiko einer Superinfektion?
Wenn eine erfolgreiche Therapie (Viruslast unter der Nachweisgrenze) die Infektiosität senkt, müsste dies auch für die Frage der Superinfektion relevant sein. Das Risiko einer HIV-Superinfektion müsste bei erfolgreich durchgeführter antiretroviraler Therapie vermutlich niedriger sein, oder?

Keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs‚, hatte die Schweizer Aids-Kommission erst jüngst festgestellt. Gilt dies also auch für die Frage der Super-Infektion?
Prof. Heribert Kentenich zu dieser Frage:

„Nach derzeitigem Kenntnisstand ist eine Superinfektion in der chronischen Phase der Infektion wahrscheinlich selten. Wenn beide Partner erfolgreich antiretroviral behandelt werden, kann eine Superinfektion als extrem unwahrscheinlich eingeschätzt werden.“ (‚Erfahrungen des Reproduktionsmediziners‘, in: MedReport Nr. 4, 32. Jg. 2008)

Auch Prof. Hirschel, einer der Autoren des Schweizer Beschlusses, hat sich dazu auf thewarning in einem Interview geäußert:

Kann man die Aussage, dass das HIV-Übertragungsrisiko unter den Bedingungen Viruslast unter der Nachweisgrenze und keine STDs vernachlässigbar gering ist, auch darauf ausdehnen, dass ein HIV-Positiver (unter den genannten Bedingungen) einen ebenfalls HIV-Positiven Sexpartner nicht superinfizieren kann (unabhängig davon ob dieser selbst eine erfolgreiche Therapie durchführt oder nicht), fragte thewarning, und Hirschel antwortet kurz und eindeutig „Ja“.

Entsprechend betont die Deutsche Aids-Hilfe für den umgekehrten Fall:

„Menschen mit HIV, die noch keine Therapie machen oder gerade in einer Therapiepause sind, können sich beim ungeschützten Sex mit einem HIV-positiven Partner mit einer weiteren Virusvariante anstecken (‚Superinfektion‘) …“ (Deutsche Aids-Hilfe e.V., „therapie? 2008 – Basis-Informationen zur Behandlung der HIV-Infektion“)

Die Debatte um die Infektiosität

Die Debatten über das Statement der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen EKAF („Keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„) entzünden sich neben der Frage „das darf man doch nicht laut sagen“ vor allem an drei Fragestellungen:
– ist das Transmissionsrisiko wirklich nur 1 : 100.000 ?
– gelten diese Daten nur für Vaginal-, nicht jedoch für Analverkehr?, und
– sexuell übertragbare Infektionen (STDs) erhöhen aber doch das Infektionsrisiko?

Einige Gedanken zu diesen drei Fragen.

die Höhe des Transmissionsrisikos
Die EKAF beziffert in ihrem Statement das Übertragungsrisiko unter den genannten Bedingungen als „deutlich geringer als 1 zu 100.000“ (Text als pdf hier).

Eine Zahl, die auch von Experten nicht bezweifelt wird. Selbst O. Hamouda (Robert-Koch-Institut) bestätigt „Fachlich sehe ich in dem Papier nichts Falsches“ (schon im ‚Tagesspiegel‘ vom 1.2.2008). Prof. Salzberger (in Sachen der Risiko-Einschätzung sicherlich eher den ‚Vorsichtigen“ zuzuordnen) bestätigt in der Podiumsdiskussion am 14.3. (‚mehr Mut, weniger Aufregung‚), die Berechnungen der EKAF halte er für zutreffend, das Risiko 1 : 100.000 sei sicher „eine gute Obergrenze“.

Prof. Vernazza stellt in einem Interview dar, dass schon die Schätzung des Übertragunsgrisikos von 1: 100.000 eine sehr vorsichtige Schätzung ist, die sich eher auf der sicheren Seite bewegt:

„Es ist eine Expertenmeinung, eine Feststellung zum Risiko. Jetzt auch in der Diskussionen in den nachfolgenden Tagen musste ich feststellen, dass wir eigentlich nirgends eine andere Meinung hören, dass an und für sich alle einverstanden sind mit der Aussage, die große Diskussion ist jetzt ‚darf man das sagen‘. … daher kommen wir zu dem Schluss, dass das Risiko einer Übertragung sehr sehr klein sein muss. Es ist vielleicht 1 : 10.000.000, vielleicht 1 : 1.000.000, wir machen das Statement, dass es sicher kleiner ist als 1 : 100.000.“ (Prof. Vernazza im Interview als MP3 auf HIV&more.de)

Nebenbei, gelegentlich gerät in Vergessenheit, dass auch die Verwendung von Kondomen das Risiko einer HIV-Transmission nicht auf ‚Null‘ reduziert.
Der HIV-Report der DAH (Nr. 01/2008, pdf hier) beziffert unter Bezug auf epidemiologische Literatur das Risiko einer HIV-Übertragung bei rezeptivem Analverkehr mit Kondom auf 0,8 Prozent (0,1 bis 3%), bei insertivem Analverkehr auf 0,06% (0,1% entspricht 1 : 1.000).
Und Roger Staub (Bundesamt für Gesundheit Schweiz) bezifferte in seinem Vortrag am 14.3.2008 das „Risiko für ein schwules Paar, ohne Therapie, bei analer Penetration und Präservativgebrauch 1 : 30.000“
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die Übertragbarkeit auf Analverkehr
Viele bewegt die Frage, ob denn die Aussagen der EKAF auch auf Analverkehr (gemeint ist dabei implizit: schwuler Analverkehr) übertragbar seien – was dann im gleichen Atemzug gern unter Verweis auf fehlende Daten verneint wird.

Dabei müsste diese Frage eigentlich überraschen – scheint sie doch beantwortet. Der Text des EKAF-Statements spricht explizit davon, dass eine HIV-positive Person unter den bekannten Bedingungen „das HI-Virus über Sexualkontakte nicht weiter“ gibt (Text als pdf hier).

Prof. Vernazza erläutert in einem Interview:
„Analverkehr kommt grundsätzlich häufiger zahlenmäßig bei heterosexuellen Paaren vor (weil es einfach viel mehr Sexualkontakte gibt zwischen heterosexuellen Paaren). Wir gehen davon aus, dass aber auch bei homosexuellen Paaren der Analsex genauso betroffen ist von dieser Feststellung, denn auch im homosexuellen Bereich haben wir keine Transmissionen beobachtet unter den erwähnten Bedingungen.“ (Prof. Vernazza im Interview als MP3 auf HIV&more.de)

Und auch Roger Staub (Bundesamt für Gesundheit der Schweiz) betont:

„Wir sagen, das Risiko ist niedriger 1:100.000 für penetrierenden Verkehr. Wir unterscheiden nicht zwischen Vaginal- und Analverkehr. Diese Unterscheidung treffen nur die Deutschen.“ Auch für Analverkehr gelte die gleiche Einschätzung der drastischen Reduzierung des Transmissionsrisikos. (persönliches Gespräch am 13.3.2008)

Das Transmissionsrisiko ist auch nicht per se unterschiedlich, nur weil der eine Sex in einer Partnerschaft, der andere ‚flüchtig‘ stattfindet. Der Unterschied liegt vor allem darin, dass anonymer Sex ein höheres Risiko einer Infektion mit sexuell übertragbaren Erkrankungen beinhalten kann – nicht jedoch in der HIV-Transmission.
Dies betont auch die Leitung des nationalen HIV/Aids-Programmes des Bundesamtes für Gesundheit (Schweiz):

„Für HIV-Positive mit funktionierender Therapie empfehlen wir zwar weiterhin Safer Sex für anonyme und Gelegenheitskontakte, weil Safer Sex das Risiko, sich mit einer anderen sexuell übertragbaren Infektion anzustecken, deutlich reduziert. Aber Betroffene müssen nun nicht mehr befürchten, für ihre Sexualpartner eine Gefahr darzustellen.“ (‚Katastrophe für die Prävention?‘, in: Swiss Aids news Nr. 1 Februar 2008)

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Störfaktor sexuell übertragbare Infektionen
Eine der Bedingungen für die Hauptaussage des EKAF-Statements ist das Fehlen anderer sexuell übertragbarer Infektionen (STDs).
Gerade hier setzen Kritiker an, verweisen auf steigende Syphilis-Diagnosezahlen und vermeintlich weit verbreitete STDs bei ‚den Homosexuellen‘. Und benutzen gerne Daten, die zeigen, dass die Transmissionsrisiken bei gleichzeitigem Vorliegen von STDs steigen – Daten, bei denen i.d.R. nicht untersucht wurde, wie eine erfolgreiche HIV-Therapie sich auswirkt.
Pietro Vernazza dazu:

„Die Empfehlung der EKAF hat bewusst Geschlechtskrankheiten als mögliche ‚Störfaktoren‘ ausgeschlossen. Allerdings bedeutet dies nicht, dass die Wahrscheinlichkeit einer Transmission unter Therapie mit einer Urethritis [Entzündung der Harnröhre, d.Verf.] oder Syphilis tatsächlich merklich ansteigt. Es ist durchaus denkbar, dass selbst in dieser Situation kein relevantes Transmissionsrisiko vorhanden ist. Doch die vorhandene Datenlage scheint zu spärlich, um diesbezüglich eine definitive Beurteilung zu geben.“ (Prof. Pietro Vernazza, ‚Weshalb veröffentlicht die Eidgenössische Aids-Kommission für Aids-Fragen ein Papier über das vernachlässigbare Risiko einer HIV-Transmission unter HAART?‘, in: HIV&more 1/2008)

Transmissionsrisiko generell, Risiko bei Analverkehr und Risiko bei STDs sind die drei Haupt-Argumentationsstränge in der Diskussion um das Statement der EKAF. Einer Diskussion, in der manchmal Fakten außer Acht geraten – und der ein wenig mehr Ruhe zu wünschen ist.
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Diskutiert wird viel über Transmissions-Risiken. Macht man sich die Zahlen klar, so hat Kondombenutzung (ohne Therapie) ein Einzelfall-Risiko von 1 : 30.000. Bei einem erfolgreich therapierten Positiven liegt es nach einhelliger Einschätzung bei höchstens 1 : 100.000. Da stellt sich zunächst die einfache Frage: warum also diese Aufregung um das Statement der EKAF?

Zur Frage der Transmission bei Analverkehr stellen sich angesichts des Infragestellens des gleichen Übertragungsrisikos von 1 : 100.000 einige Fragen: Fehlen wirklich Daten, oder ist der Analogieschluss der Schweizer zutreffend? Wer führt Studien zu diesem Thema durch? wann ist mit Ergebnissen zu rechen? Und – wer finanziert Studien zu dieser Fragestellung? Hier ist auch der Bund mit Finanzzusagen gefragt, denn dass die Pharmaindustrie zu diesem Thema forscht dürfte doch eher unwahrscheinlich sein …

Die gleichen Fragestellungen ergeben sich auch für die Frage, ob sexuell übertragbare Infektionen tatsächlich das HIV-Transmissionsrisiko bei erfolgreicher HAART erhöhen – oder ob hier zutrifft, was Vernazza für denkbar hält, dass auch dann ‚kein relevantes Transmissionsrisiko vorhanden ist‘. Wer forscht hierzu?

Besonders bedenklich (und wenig bemerkt) erscheinen schwulenfeindliche Nuancen der Debatte. Warum kapriziert sich der Diskurs sehr auf Analverkehr, und dabei vor allem auf schwulen Analverkehr (ganz als gäbe es keinen Analverkehr bei Heteros)? Vor allem, warum gibt es zwar einiges an Daten zur Transmission bei heterosexuellem Verkehr, kaum jedoch bei homosexuellem Verkehr?

Die derzeitigen Debatten zeigen insgesamt eines vor allem recht deutlich: die Auseinandersetzungen gehen weitgehend nicht mehr um die wissenschaftliche Bewertung des EKAF-Statetments und seiner Grundlagen, sondern um die politische Bewertung. Es geht um eine politische Debatte, und als solche sollte sie auch geführt werden.

mehr Mut, weniger Aufregung

Podiumsdiskussion Kondomverzicht?Zu engagierte Debatten kam es am Freitag Morgen (14.3.2008) bei der Podiumsdiskussion unter dem Titel „Aktuelle Kontroverse: Kondomverzicht bei nicht nachweisbarer Viruslast möglich?“
Auf dem Podium: Prof. Pietro Vernazza (Schweiz), Roger Staub (BAG Schweiz), Prof. Bernd Salzberger (Regensburg), Bernd Vielhaber, Dr. Dirk Sander (DAH), sowie als Moderatoren Rainer Kamber (Aidshilfe Schweiz) und Armin Schafberger (DAH).

Prof. Pietro VernazzaProf. Vernazza betonte, mit der Publikation des EKAF-Statements habe auch eine ‚Doppelbödigkeit‘ beendet werden sollen. Was einzelne Ärzte, oftmals unter dem Siegel ‚nur für Sie‚, schon lange ihren Patienten sagen, müsse nun endlich auch offen ausgesprochen werden. Die Datenlage sei reif genug gewesen für diesen Schritt.
Generell habe nicht die Biologie zum EKAF-Beschluss geführt, sondern die Epidemiologie,die Biologie habe dann nur dieses mit Daten bestätigt.
Zum Analverkehr bei Heteros sei die Datenlage knapp, noch knapper bei Analverkehr zwischen Männern die Sex mit Männern haben (MSM). Allerdings sei ein Analogieschluss zum Vaginalverkehr möglich und zulässig, wie er detailliert anhand einer Diapräsentation erläuterte.

Prof. Bernd SalzbergerProf. Salzberger befasste sich mit der Frage, wie hoch das Risiko einer HIV-Übertragung sei, und welches Risiko als tragbar erachtet werden könne.
Ein Risiko von 1 zu 100.000 erscheine zunächst gering – aber selbst beim Lotto mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 13 Mio. (für ‚6 Richtige‘) gewinne jeden Samstag jemand. Er erachte ein Risiko von 1 : 100.000 (auf das sich das EKAF-Statement bezieht) als nicht niedrig genug und bleibe skeptisch.
Salzberger betonte zudem die Bedeutung sexuelle übertragbarer Infektionen (STDs) für die Infektiosität. Insbesondere ulzerierende STDs seien hier zu beachten. Die Frage, ob auch latente Infektionen (besonders mit HSV2) epidemiologisch relevant seien, wurde zwischen ihm und Vernazza kontrovers diskutiert.

Roger Staub, BAG SchweizRoger Staub entgegnete auf Salzbergers Risiko-Betrachtungen, für Public Health sei es wesentlich, Gleiches mit Gleichem zu vergleichen. Hier falle doch zunächst das Fehlen jeglichen Berichts von belegten Infektionen (unter den von der EKAF betonten Bedingungen) in den vergangenen Jahren auf. Das Einzelfall-Risiko bei Kondombenutzung bezifferte er auf 1 : 30.000 – angesichts dieses Einzelfall- Risikos verstehe er die Aufregung um ein Risiko von 1 : 100.000 (Infektiosität bei erfolgreicher Therapie und keine STDs) überhaupt nicht.

Salzberger betonte in einer Replik, auch er erachte die von der EKAF veranschlagte Risiko-Einschätzung von 1 : 100.000 als ‚gute Obergrenze‘, die Berechnungen halte er für zutreffend. Es gebe aber eben in Form von Kondomen eine breit und preisgünstig verfügbare Möglichkeit, das Übertragungsrisiko noch einmal um den Faktor 100 zu reduzieren. Auch er sehe, dass es keine 100%ige Sicherheit gebe, stelle sich aber die Frage, was einzusetzen sei, um ein mehr an Sicherheit zu erhalten.

Staub betonte im Verlauf der Debatte, das Statement der EKAF ermächtige die Menschen gerade, selbst eine Entscheidung zu treffen. Es gehe darum, nicht aus der Medizin heraus eine höhere Sicherheit zu postulieren, sondern ‚das müssen die Menschen selbst machen‘. Hierzu wolle die EKAF ermächtigen, hierzu müssten Informationen und Wissen bereit gestellt werden.

Dr. Dirk Sander, DAHDr. Dirk Sander betonte, es gehe in der laufenden Debatte um Menschen – und nicht um Techniken. Es gelte zu vermeiden, jetzt wieder das Bild des ‚triebgesteuerten Homosexuellen‘ zu reaktivieren. Zudem zeigte er sich zuversichtlich, dass die Aidshilfe auch komplexere Risiken kommunzieren könne, dies haben auch Erfahrungen der vergangenen Jahre zahlreich gezeigt. Er forderte mehr Mut – die derzeit heiß diskutierten Informationen seien doch eh schon lange Teil des individuellen Risiko-Kalküls.

VielhaberAuch ’safer sex‘ beinhalte ein Risiko, sei keinesfalls die ‚Null-Risiko-Alternative, für die sie gerne gehalten werde, betonte Bernd Vielhaber. Dieses Risiko sei nur bisher kaum kommuniziert, wahrgenommen worden. Statt mit Angst auf die jetzigen Veränderungen zu reagieren, wäre es doch produktiver, nach vorne zu denken und proaktiv in die Diskussion einzusteigen.

Im Verlauf der anschließenden Diskussion (mit Publikumsbeteiligung) wurden die Unterscheide zwischen der medizinischen / Behandler-Perspektive und der epidemiologischen / public health- Perspektive nochmals deutlich. Beide Sichtweisen anzunähern, wo möglich zu vereinen sei auch zukünftig eine Herausforderung.
Podiumsdiskussion Kondomverzicht?Erfahrungen public-health- und Aids-Debatten der letzten 20 Jahre zeigen, dass es möglich ist, die anstehenden Fragen in konkrete und vor Ort verständliche Präventionsbotschaften umzusetzen – die Frage sollte mit Zuversicht statt Skepsis angegangen werden.
Erforderlich sei jetzt allerdings eine zwar engagierte, aber unaufgeregte Diskussion, war einhellige Meinung.

Vernazza wies abschließend darauf hin, dass die EKAF im Juni ein ‚closed meeting‘ organisieren werde, bei dem Wissenschaftler und Regierungsvertreter unterschiedliche Auffassungen wie auch Gemeinsamkeiten und Ziele diskutieren würden. Die Gemeinsamkeiten würden überwiegen, zeigte er sich zuversichtlich.

Netzwerk plus: ‚lebensnahes Risikomanagement‘

Dokumentation einer Erklärung des Netzwerk plus zur Erklärung der Eidgenössichen Aids-Kommission (EKAF) in Sachen Infektiosität unter HIV-Therapie:

Netzwerk plus zum Thema Infektiosität von HIV-Positiven bei Viruslast unter der Nachweisgrenze

Beim Treffen von Netzwerk plus vom 29.02.-02.03.2008 im Waldschlößchen haben wir uns mit dem Thema „Strategien der Risikominderung“ und den aktuellen Veröffentlichungen der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen beschäftigt.

Die schweizerische Kommission unter Vorsitz ihres Präsidenten Prof. Dr. Pietro Vernazza hat u.a. festgestellt:

„Bei Menschen, die konsequent antiretrovirale Medikamente einnehmen, kann man im Blut kein aktives Virus mehr nachweisen.“ „Eine HIV-infizierte Person (…) ist sexuell nicht infektiös, d.h. sie gibt das HI-Virus über Sexualkontakte nicht weiter, solange folgende Bedingungen erfüllt sind:
– die antiretrovirale Therapie (ART) wird durch den HIV-infizierten Menschen eingehalten und durch den behandelnden Arzt kontrolliert;
– die Viruslast liegt seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze (d.h. die Viraemie ist supprimiert);
– es bestehen keine Infektionen mit anderen sexuell übertragbaren Erregern (STD).“

Die Veröffentlichungen aus der Schweiz haben auch in Deutschland eine kontroverse Diskussion über das Thema Infektiosität von HIV-Positiven bei Viruslast unter der Nachweisgrenze ausgelöst.
Selbst wenn dennoch ein Restrisiko bleibt, wie auch ein dokumentierter Fall aus Frankfurt zeigt, so ist gesichert, dass unter den o.g. Bedingungen die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung äusserst gering ist und sich im Rahmen allgemeiner Lebensrisiken bewegt.
Wir begrüßen die Veröffentlichung aus der Schweiz. Für Menschen mit HIV und Aids ist diese Information eine Erleichterung und eine konkrete Verbesserung ihrer Lebenssituation und -perspektiven. Sie entlastet sero-diskordante Partnerschaften gleich welcher sexuellen Orientierung von Ängsten und Schuldgefühlen. Sie erleichtert in allen Zusammenhängen den Umgang mit HIV.
Erfreulich ist, dass längst bekannte, bislang aber nur hinter vorgehaltener Hand weitergegebene Tatsachen, nun auch von offizieller Seite benannt werden und damit ein Tabu durchbrochen wird.
Für die Zukunft wünschen wir uns, dass weitere Diskussionen in Deutschland zu diesem Thema ebenfalls evidenzbasiert, von sachlichen Argumenten getragen und auf der Grundlage eines humanistischen Menschenbildes geführt werden. Wir halten es nicht für legitim, dass diese Debatte unterdrückt wird, mit dem Argument angeblicher intellektueller Defizite von Teilen der Zielgruppen der Prävention.
Wir fordern daher, dass die Erkenntnisse ohne Vorbehalte breit kommuniziert werden,
– um irrationale Ängste vor HIV-positiven Menschen abzubauen;
– das leichtere Sprechen über HIV zu ermöglichen und die Isolation vieler HIV-Positiver aufzubrechen;
– weil die Wahrheit nicht unterdrückt werden kann;
– weil informierte Menschen eher rational handeln können.
Es muss dringend dafür gesorgt werden, dass – unter Beteiligung der Betroffenen – Standards für die Beratung durch Ärzte und psychosoziale Beratungsstellen formuliert werden, damit Ratsuchende individualisierte sachgerechte Informationen über das Thema Sexualität bei Viruslast unter der Nachweisgrenze erhalten.

Die bisherigen Präventionsbotschaften für flüchtige sexuelle Begegnungen behalten ihre Gueltigkeit. Damit Prävention in Zukunft glaubwürdig ist, müssen die Botschaften im Sinne eines lebensnahen Risikomanagements ergänzt und differenziert werden. Wenn Prävention HIV-positive Menschen als Partner behalten will, dann darf sie sie nicht wider besseres Wissen funktionalisieren, um Ängste hochzuhalten und zu schüren.
In den Fokus der Prävention geraten nun frisch infizierte Menschen, die ihre Infektion unwissentlich weitergeben können. Mythen von der Gefährlichkeit der Großstadt, von der Sicherheit ländlicher Räume und des eigenen Bettes müssen durch eine offene Kommunikation entzaubert werden. Ein sorgsamer, respektvoller Umgang miteinander muss befördert werden.

Weiterhin wird es zukünftig um Therapietreue und die überzogenen Ängste vor den Nebenwirkungen der Therapien sowie um Fragen der sexuellen Gesundheit insgesamt gehen. Testermutigung erhält eine neue Bedeutung, weil eine erfolgreich therapierte HIV-Infektion neue Perspektiven ermöglicht.

Die TeilnehmerInnen des Netzwerktreffens.

Göttingen, 02.03.2008

Kurznachrichten 08.02.2008

In den Niederlanden würden 78% der Wähler einen schwulen Ministerpräsidenten akzeptieren, meldet pinknews. Ob sich Herr W. aus B. jetzt Hoffnungen für seine eigene Karriereplanung macht?

Keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“ – diese Meldung hat auch die deutschen Institutionen aufgeschreckt. Prof. Kurth, Leider des Robert-Koch-Instituts (RKI) kommentiert dazu gestern in der Ärztezeitung (zitiert aus der SZ), „eine staatliche Empfehlung zum Verzicht auf Kondome können wir nicht geben“. Erstaunliche Antwort, denn um eine derartige „Empfehlung“ ging es bisher auch nie. Sondern um die Aussage, dass Positive in bestimmten Konstellationen nicht (mehr) infektiös sein könnten.

Die Rückkehr-Möglichkeiten in die gesetzliche und private Krankenversicherung, die die Bundesregierung geschaffen hat, scheinen noch nicht auszureichen – oder nicht genügend bekannt zu sein. Die SZ weist darauf hin, dass in Deutschland 200.000 Menschen ohne Krankenversicherung sind.

Aufgrund der Brandkatastrophe in Ludwigshafen verschiebt die ARD den ‚Tatort‘ „Schatten der Angst“. Stattdessen wird Sonntag in Wiederholung der Tatort „Roter Tod“ mit Ulrike Folkerts als ‚Lena Odenthal‘ ausgestrahlt, der das Thema Blutkonserven und HIV behandelt.

Last not least: in wenigen Tagen beginnt in den USA die National Condom Week. Dieses Jahr mit großem Jubiläum – 1978 (lange vor Aids) wurde sie von Studenten der University of California- Berkeley ‚erfunden‘. Ihr britischer ‚Ableger‘ (der zu einem anderen, wechselnden Termin stattfindet) wird inzwischen von einem Kondomhersteller gesponsort. Na dann, “ don’t be silly, protect your willy“ …

Das darf man doch nicht laut sagen …

Seit einigen Tagen ist er nun publiziert, der Beschluss der Schweizer Eidgenössischen Aids-Kommission EKAF, der im wesentlichen hinausläuft auf die Botschaft „keine sexuelle Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„. Und die Aufregung ist groß.

Bezeichnenderweise steht im Mittelpunkt eines Großteils der Kritik allerdings nicht, ob der Beschluss der EKAF wissenschaftlich korrekt ist oder nicht.

So bestätigt auch Dr. Osamah Hamouda (stellvertretender Leiter der Abteilung Infektionsepidemiologie und Leiter Fachgebiet 34 HIV/Aids am RKI): „Fachlich sehe ich in dem Papier nichts Falsches“.
Er ergänzt: „doch die Einschränkungen, unter denen die Empfehlung steht, könnten auf dem Weg zum ‚Endverbraucher’ verloren gehen“ (im Tagesspiegel vom 01.02.2008). Er hat Bedenken ob der Auswirkungen, okay.

Viel prägnanter und noch deutlicher wird (stellvertretend für viele) der Geschäftsführer der Zürcher Aids-Hilfe, Reto Jeger: dieser Beschluss sei „fatal“, und „man hätte diese Entdeckung besser nicht breit publiziert.“

Nein, die Frage, die viele beschäfttigt, lautet also nicht, ob der Beschluss wissenschaftlich korrekt ist, oder wie man dann welche Konsequenzen daraus zieht und umsetzt. Nein, sondern die Frage lautet für viele bestürzenderweise vielmehr

‚Darf man das denn so laut sagen?‘

Und meistens wird gemeint, manchmal sogar laut gesagt
‚Das darf man aber nicht laut sagen, das behalten wir besser für uns.‘

Meiner Ansicht nach ist die Frage höflich gesagt verkehrt gestellt.
Sie müsste lauten: darf man solch eine wichtige Erkenntnis verschweigen?

Denn genau das ist doch bisher geschehen. Die Aussage der EKAF ist ja inhaltlich nicht so neu. Einige Ärzte sagen genau das einigen Patienten schon seit längerer Zeit. Aber eben einige nur einigen … Vielen, den meisten wurde die Nachricht bisher vorenthalten.

Das könnte man als elitäres Vorgehen, arrogantes Verhalten oder auch schlicht undemokratisch empfinden.

Oder ist die Einstellung ‚das verschweigen wir besser‘ etwas anderes als arrogant? Heißt diese Einstellung nicht in Klartext übersetzt

‚okay Leute wir wissen, es gibt da Situationen, in denen HIV-Positive nicht infektiös sind und Sex auch ohne Kondom ’safer sex‘ sein könnte. Wir halten euch aber für zu blöde, das zu kapieren. Außerdem gefährdet das doch unsere so schön simple Präventionswelt, die nur heißt ‚Kondome Kondome Kondome‘. Und deswegen sagen wir euch die neuen Erkenntnisse einfach nicht. Nehmt doch einfach weiter immer Kondome.‘

Ich frage mich, wo leben wir denn, besser in welcher Zeit leben wir denn, dass solcher Art Informations-Verstecken wieder gedacht wird?

Haben wir wieder das Mittelalter? Abgeschlossene Türme des Wissens, die nur für wenige Eingeweihte offen sind? Und das ‚gemeine Volk‘ bleibt außen vor?
Und wer darf denn zukünftig entscheiden, wer was wissen darf, und was breit publiziert, was aber nur exklusiven Zirkeln informierter Patienten vorbehalten bleibt?


Hat nicht jeder, vor allem auch jede/r HIV-Positive ein Recht darauf, das zu wissen? Und daraus zusammen mit seinem Partner, seiner Partnerin auch seine/ihre persönlichen Konsequenzen zu ziehen, z.B. für ihr/sein Verhalten?

Natürlich wirft die Veröffentlichung des Statements Fragen auf.
Aber – kann, sollte man es deswegen verbieten?
Oder nicht lieber versuchen, die Fragen zu beantworten, sich der Realität zu stellen?

Die eigene Klientel für dumm zu verkaufen führt nicht weiter.
Die eigene Klientel für dumm zu verkaufen führt höchstens dazu, dass Menschen halbinformiert sich irgendwie verhalten, sich ihre Wahrheit zurecht biegen, wie es eben ihre (Nicht-) Informationen zulassen. Und sich womöglich eben (z.B. aufgrund von Fehleinschätzungen, Stichwort negatives Serrosorting / Seroguessing) gefährden.
Die eigene Klientel für dumm zu verkaufen verkennt zudem, dass die vielleicht gar nicht so dumm ist, sondern recht aufmerksam debattiert (wie derzeit in den Kommentaren zu einem queer.de – Artikel zum EKAF-Statement zu verfolgen ist).

Statt Informationen ‚unter dem Deckel halten‘ zu wollen, sollten wir uns viel mehr gemeinsam darauf konzentrieren zu prüfen, was der Beschluss genauer besagt, in welchen Situationen er was bedeutet. Welche Konsequenzen daraus für Präventions-Kampagnen und -Botschaften, aber auch für medizinische Angebote zu ziehen sind. Und diese Konsequenzen dann auch umsetzen – und offen kommunizieren.

Oettingers Weisheiten

Der Herr Oettinger scheint sich auszukennen. Nicht nur mit der Vergangenheit, nein auch mit HIV und Aids. Das bekommt man nämlich vom Rumstehen:

Der junge Arbeitslose steht dann rum, kommt auf dumme Gedanken, wird kriminell oder kriegt Aids.

Soll der Herr Oettinger auf einer Reise in Südafrika gesagt haben.

Tja, die armen Arbeitslosen von Soweto …
Komisch nur, warum dem Arbeitslosen in Deutschland das nicht passiert, das verschweigt der Herr Oettinger uns.
Und woher er dieses Wissen über das Infektionsrisiko „arbeitslos rumstehen“ hat, auch. Vielleicht sollte er mal das RKI fragen …

unsicheres Blut

In Dänemark haben sich zwei Menschen durch Bluttransfusionen mit HIV infiziert. Reichen die Sicherheitsvorkehrungen dort?

Dinge geschehen, die nicht mehr geschehen sollten. Warum infizieren sich immer noch Menschen durch Blut- Transfusionen mit HIV, obwohl dies durch entsprechende Untersuchungen weitestgehend verhindert werden könnte?

Wie Sabine berichtet, habe sich Anfang des Jahres zwei Menschen in Dänemark mit HIV infiziert, als sie Blut- Transfusionen erhielten.

Nun ist ein Infektionsrisiko letztlich nie völlig auszuschließen. Für HIV durch Spenderblut wird es auf 1:1.000.000 geschätzt.
Blutspenden und ihre Handhabung sind in Deutschland im Transfusionsgesetz geregelt, auch mit dem Ziel, Infektionsrisiken soweit möglich zu reduzieren.

Eine Untersuchung auf HIV, Hepatitis B und Hepatitis C ist nach §5 (3) vorgeschrieben. Entsprechend dem Votum des AK Blut des RKI wird jede Blutspende sowohl mittels Antikörper als auch (seit 1999) mittels NAT (Nukleinsäure-Verstärkung, am bekanntesten: PCR) untersucht (Ablauf-Schema RKI als pdf hier).

Trotz umfangreicher Untersuchungen kommt es auch in Deutschland gelegentlich zu HIV-Infektionen über Transfusionen, allerdings in den letzten Jahren äußerst selten.
Das Robert-Koch-Institut meldet insgesamt seit dem 1.Januar 1993 bis 31.12.2006 insgesamt 97 Infektionen durch Bluttransfusionen. Die Zahl der tansfusions- bedingten Neu-Infektionen konnte durch Sicherungsmaßnahmen (u.a. NAT) in den vergangenen Jahren jedoch deutlich gesenkt werden (Neu-Infektionen HIV durch Transfusion 2000: 3, 2001: 2, 2002: 1, 2003 – 2005: 0, 2006: 1; Quelle: Sonderausgabe des Epidemiologischen Bulletins, als pdf hier)

NAT-Untersuchungen sind also ein wirksames Mittel, um HIV- (und ggf. andere) Infektionen durch Transfusionen weitestgehend zu vermeiden.

Eigentlich zumindest.
Denn im Gegensatz zu Antikörper-Untersuchungen, die ja auch in Dänemark wohl vorgenommen wurden, scheinen NAT-Untersuchungen nicht in allen EU-Staaten vorgeschrieben zu sein. Die WHO-Richtlinien (pdf hier) sprechen (in Kap. 7.2.3) ebenso wie eine EU-Richtlinie nur von der Notwendigkeit, auf HIV-Antikörper zu testen, nicht jedoch von der Notwendigkeit eines PCR-Tests.

Insofern scheinen die dänischen Behörden also vorschriftsmäßig gehandelt zu haben. Sie haben halt gespart – auf Kosten der Sicherheit. Dieses Sparen führt scheinbar dazu, dass sich Menschen mit HIV infizieren … eine tragische, traurige Spar-Politik.
Und die EU scheint dringend gefordert, hier durch entsprechende Richtlinien eine einheitliche Sicherheit von Blutprodukten in der gesamten EU zu gewährleisten.

Bist du gesund?

‚Bist du gesund‘ – ‚Und dann?‘ ‚Lassen wir die Kondome weg …‘ Viele (nicht nur schwule) Menschen suchen sich möglichst Sexpartner mit gleichem HIV-Status, um Risiken zu vermindern. Eine wirksame Strategie? Oder eher eine gefährliche, die Risiken erhöhen kann?

‚Bist du gesund?‘
‚Bist du sauber?‘
‚Gesundheit gewünscht und geboten‘
Solche Formulierungen hört man oft, wenn es darum geht, (nicht nur Sex-) Partner zu suchen, oder liest sie in Profilen auf diversen Portalen.

Manchmal muss ich dann schmunzeln.
Mir juckt es in den Fingern.
Einfach mal sagen ‚Ja, ich hab heut morgen geduscht, klar!‘.
Oder ‚Klar, meine Erkältung ist schon seit Tagen wieder weg.‘

Nein, keine Angst, das sind nur Gedankenspiele. Natürlich ist mir klar, dass hinter diesen Formulierungen ein notdürftig verdecktes Schutz-Interesse steht. Aber leider manchmal auch seltsame Vorstellungen über das HIV-Infektionsrisiko. Hofft der Fragende, mit dieser Frage oder Ankündigung etwaige Risiken von sich fern zu halten? Sozusagen verbales Sagrotan?

Selbst viele Dating-Sites wie auch die blauen Seiten bieten ja eine Auswahl, in der man Angaben zu seinem HIV-Status machen kann (z.B. ‚Vorlieben beim Safer Sex‘: Immer, Nie, nach Absprache, keine Angabe). Und erleichtern so die Suche nach Partnern mit einem ‚passenden‘ Serostatus. Nach einem Weg, einen Kompromiss zwischen Sicherheit und Kondomfreiheit zu finden. Tatsächlich?

Klar, für Positive ist die Frage nach HIV ganz praktisch. Viele Positive suchen sich als Partner möglichst Menschen, die ebenfalls positiv sind. Wer schon positiv ist, den kann man (zumindest wenn man ein etwaiges Risiko einer Superinfektion vernachlässigen will) nicht nochmal mit HIV infizieren. Man spart meist sich die ständige Rederei über HIV und Aids, Infektionsrisiken, und die Kondome oftmals (das Risiko anderer sexuell übertragbarer Infektionen vernachlässigend) gleich auch.
Eine Strategie des Risiko-Managements, die für viele HIV-Positive funktioniert und eine Balance ermöglicht.

Aber funktioniert diese Strategie auch für HIV-Negative? Sich nur HIV-Negative zu suchen, um mit denen dann Sex ohne Kondom haben zu können?

Ich überlege, ob es nicht eigentlich ein wenig naiv ist für einen HIV-negativen Mann, jemanden nach seinem Serostatus zu fragen.

Zunächst einmal, erwartet er von jemandem, den er kaum kennt, eine ehrliche Antwort auf die Frage ‚Bist du positiv‘?
Würde er selbst sie geben? Dass jeder Partner die Wahrheit in Bezug auf seinen HIV-Status sagt, ist zumindest eine mutige Annahme.
Und wenn der potenzielle Partner dann ehrlich ist und sagt er sei HIV-positiv, was dann? Lehnt man ihn dann (höflich, na klar …) als Partner ab? Und erwartet dennoch, dass der beim nächsten mal weiterhin ehrlich antwortet?

Aber selbst, wenn der Partner auch ehrlich sagt, er sei HIV-negativ – was heißt das? Maximal, dass er bis einige Wochen vor seinem letzten HIV-Antikörper-Test nicht HIV-infiziert war.
Und die Zeit danach? Wenn er/sie sich in den letzten Wochen oder Monaten infiziert hat, nach dem letzten Test? Gerade in den ersten Monaten der Infektion, der akuten Phase, ist die Infektiosität am höchsten …

Für HIV-Negative kann die Strategie, sich ebenfalls nur HIV-negative Sex-Partner zu suchen (Serosorting), zu einem gefährlichen Vabanque-Spiel vorgegaukelter falscher Sicherheit werden.
Erst recht, wenn man/frau nicht den Mut aufbringt, offen zu fragen, sondern schwiemelig fragt „bist du gesund?“ Und dann mit der Antwort auf eine ungewisse Frage Annahmen macht, Konsequenzen zieht in Sachen safer sex.

Klar, es ist gut, wenn HIV-Negative auch HIV-negativ bleiben, sich nicht mit HIV infizieren wollen. Aber die Strategie, die manche dazu benutzen, dürften wenig zielführend sein. Falsche Annahmen und Irrtümer produzieren, die sich als riskant erweisen könnten.

Und was dann?
Davon ausgehen, dass jeder potentielle Partner HIV-infiziert sein könnte – und sich entsprechend schützen.
Eine manchmal ungeliebte, unbequeme, aber schützende Alternative. Eine Alternative, die zumindest wirksamer sein dürfte als verbales Sagrotan …