Promis, Staatsanwälte und die Medien – welchen Wert haben Bürgerrechte?

Bemerkenswerte Dinge spielen sich ab derzeit, bemerkenswert in Hinsicht auf die Frage, wie Medien mit Promis, Sex und Verdacht auf strafbare Handlungen umgehen. Sex sells, erst recht Sex und Promis, und wenn dann noch das Strafrecht mit ins Spiel kommt …

April 2009. Eine junge Frau mit Kind, von Beruf Sängerin, Nadja Benaissa wird verhaftet. Sie habe wissentlich riskiert, andere Menschen mit HIV zu infizieren, wird ihr vorgeworfen. Angesichts ihrer Prominenz und der Schwere der Vorwürfe fühlt sich der zuständige Staatsanwalt bemüßigt, mit detaillierten Informationen über den ‚Fall Nadja Benaissa‚ an die Öffentlichkeit zu gehen. Die Medien stürzen sich auf den Fall, überschlagen sich in sensationsgeiler Berichterstattung, Schlagzeilen, Vorverurteilungen.

März 2010. Jörg Kachelmann, ein lediger Mann mittleren Alters, wird verhaftet. Von Beruf ist er Wetterfrosch und Unternehmer, hat es in seinem Metier zum Medien-Star gebracht. Nun stehe er, sagt die Staatsanwaltschaft, unter dem Verdacht, eine Frau zum sexuellen Verkehr genötigt zu haben, dies womöglich unter Verwendung eines Messers als Druckmittel. Ähnlich wie im Fall der Nadja Benaissa stürzen sich die Medien auf den Fall. Berichten, mit sich täglich überstürzenden Schlagzeilen, Spekulationen, Vorverurteilungen.

Soweit die Parallelen in zwei scheinbar recht ähnlich gelagerten Konstellationen – Promi in Untersuchungshaft, Sex im Spiel.

Doch nur wenige Wochen nach der Verhaftung Kachelmanns zeigen sich Unterschiede, bemerkenswerte Unterschiede:

Kachelmann ist nach Wochen immer noch in Haft, erst am 4. Mai beantragt einer seiner Anwälte einen Haftprüfungstermin, der in der kommenden Woche verhandelt werden soll. Und die „Chose Kachelmann“ findet in den Medien kaum noch statt.

Ganz anders damals, kaum ein Jahr zuvor, bei Nadja Benaissa. Nur wenige Tage war sie in Untersuchungshaft, wurde bald entlassen. Und dennoch, ihr „Fall“ wurde weiterhin intensiv durch Schlagzeilen und Boulevard gezogen, ohne Rücksicht auf ihre Zukunft, und insbesondere auch ohne Rücksicht auf die Situation ihrer Tochter. Der SPD-Politiker Ehrmann bezeichnet HIV-Positive als „Bio-Waffen“. Er hat damit nur sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung genutzt, sagt die Justiz dazu. Kritik am Verhalten der Staatsanwaltschaft wies der hessische Justizminister als unbegründet zurück. War ihr Zwangs-Outing durch die Staatsanwaltschaft unzulässig? Diese Frage wird nicht geklärt. Stattdessen: ein Prozess gegen ein Medienunternehmen wegen dessen Sensations-Berichterstattung platzte – die Anwälte der Sängerin zogen überraschend ihre Anträge zurück.

Schnell und weitgehend leise ist der eine ‚Fall‘ aus den Medien verschwunden – während der andere ‚Fall‘ mit viel Aufmerksamkeit, Sensationsgeilheit immer wieder seinen Weg in’s Boulevard findet.

Warum diese unterschiedliche mediale Behandlung?
Was unterscheidet den „Fall Benaissa“ vom „Fall Kachelmann“?

Eines wird schnell offenkundig: das offensichtlich unterschiedliche Agieren der beteiligten Anwälte.
Frau Benaissas Anwälte scheinen zeitweise noch mit auf den medialen Zug aufzuspringen. Beantragen beispielsweise eine Unterlassungsverfügung gegen einen Verlag, mit dem Einfluss auf die weitere Berichterstattung genommen bzw. eine Verhinderung bestimmter Berichterstattung erreicht werden soll. Und ziehen den Antrag dann zur allgemeinen Überraschung kurz vor dem Verhandlungstermin zurück. In der ganzen Zeit, sowie in der Folgezeit nach ihrer (im Vergleich zu Kachelmann zügigen) Freilassung, wird der “Fall Benaissa“ weiterhin breit in den Boulevard-Medien (sowohl Print als auch TV) behandelt. Bis sich Frau Benaissa selbst den Medien stellt, offen über sich und ihre HIV-Infektion spricht. Erst langsam, nach Wochen greller Schlagzeilen, wird die mediale Sensationsberichterstattung weniger, ruhiger.

Und die Medien im „Fall Kachelmann“? Auch nach nunmehr sieben Wochen ist Herr Kachelmann noch in Untersuchungshaft, und dennoch kaum in den Medien, erst recht kaum mit sensationsgeilen ‚Enthüllungen‘ – welch bemerkenswert unterschiedliche Situation.
Die Anwälte von Herrn Kachelmann reagieren anders, wie zu hören ist. Gegen Medien wird aktiv, mit Unterlassungsverfügungen und anderen Rechtsmitteln vorgegangen. Sensationsgeile Artikel, Spekulationen, Veröffentlichungen von SMS und anderen Details aus dem Privatleben des Herrn Kachelmann werden so weitgehend unterbunden. Das Mäntelchen des medialen Schweigens scheint sich über den Fall gelegt zu haben.

Das Mäntelchen des Schweigens muss kein schlechtes Mäntelchen sein. Das Mäntelchen des Schweigens kann auch Ausdruck des alten Rechtsgrundsatzes der Unschuldsvermutung sein Und es kann im Interesse der Beschuldigten und ihrer Privatsphäre sowie ihrer Angehörigen sein. Gerade bei einer HIV-Infektion kein unbedeutender Schutz.

Ein Mantel des Schweigens, von dem man vermuten kann, dass er auch Frau Benaissa und ihrer jungen Tochter sicher gut getan hätte. Warum es im Fall von Frau Benaissa anders gelaufen ist? Der Gedanke, ihr könne an der Publicity gelegen gewesen sein, nützlich für ihre Karriere und die ihrer Pop-Band, hat angesichts der weitreichenden persönlichen Folgen für sie und ihre Tochter einen faden Beigeschmack. Einen Beigeschmack, der diesen Gedanken nicht nur schal, sondern letztlich unglaubwürdig erscheinen lässt, mit dem Geruch der nachträglichen Legitimation versieht. Die Fragen welche Resultate welche Rechtsvertreter mit welchen Strategien erziel(t)en, könnte in (nicht nur) dieser Hinsicht eine interessante sein.

Der Vorgang zeigt darüber hinaus eines: das Festhalten an der Unschuldsvermutung, das Respektieren der Privatsphäre und die Wahrung der Menschenwürde müssen sichergestellt sein. Und sie dürfen nicht Sache teurer Spezial-Anwälte und Medien-Profis werden. Grundrechte sind zu wertvoll, als dass sie eine Frage der wirtschaftlichen Verhältnisse werden dürfen. Sie stehen jedem zu – auch jeder und jedem HIV-Positiven, ohne Ansehen der Person, und ohne Ansehen des Geldbeutels.

Cori Obst hat recht, wenn sie (in ihrer Rede anlässlich der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes) betont „Bürgerrechte müssen für alle gewahrt sein, jenseits vom Serostatus, Hautfarbe, Geschlecht und Religion„. Bürgerrechte müssen gewahrt werden – auch unabhängig vom Geldbeutel, auch unabhängig von Medien-Anwälten, möchte man angesichts der aktuellen Vorgänge ergänzen.

Bürgerrechte stehen allen Menschen zu – auch allen HIV-Positiven.
Das Verhalten von Staatsanwälten, Medien und Politikern im ‚Fall‘ Nadja Benaissa harrt diesbezüglich weiterhin der Aufklärung und Aufarbeitung.

Internationaler Frauentag: Deutsche Aids-Hilfe ruft zu Solidarität mit HIV-infizierten Frauen auf

Anlässlich des Internationalen Frauentages (International Women’s Day) am 8. März ruft die die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH) zur Solidarität mit HIV-positiven und an Aids erkrankten Frauen in der Bundesrepublik auf.

Der Fall der Sängerin Nadja Benaissa verdeutlichte im letzten Jahr einmal mehr, dass der Umgang mit HIV-positiven Menschen in Deutschland, insbesondere mit infizierten Frauen, noch immer keine Selbstverständlichkeit ist.

Anlässlich des Internationalen Frauentags erklärt Sylvia Urban, Mitglied im Vorstand der DAH: „Von den mit HIV und Aids lebenden Menschen sind weltweit fast die Hälfte Frauen – in Deutschland sind es gut 20 Prozent. Um weitere Neuinfektionen wirksam zu bekämpfen, engagiert sich die DAH zielgruppenspezifisch für einen besseren Schutz für Frauen vor HIV und anderen sexuell übertragbaren Erregern. Zu den Hauptursachen vieler Gesundheitsprobleme gehören der schlechtere Zugang zu Informationen und dem Hilfesystem, sexuelle Gewalt gegen Frauen sowie eine prekäre wirtschaftliche und soziale Situation, unter der gerade auch alleinerziehende Mütter häufig zu leiden haben. Daher setzt sich die DAH für einen verbesserten Zugang von Frauen zur HIV-Prävention und gegen Gewalt gegenüber Frauen ein.“

Die Situation von Frauen, die mit der HIV-Infektion leben, weist zudem weitere Besonderheiten auf: Frauen fühlen sich nach wie vor entscheidend verantwortlich für das Wohl von Partnern bzw. Partnerinnen sowie von Familienangehörigen. Dementsprechend sind sie häufig bestrebt ihre HIV-Infektion aus Angst vor Diskriminierung und Stigmatisierung geheim zu halten. Dieses „Versteckspiel mit dem Virus“ hat großen Einfluss auf das Lebensumfeld sowie die sozialen Kontakte und ist auf die Dauer psychisch sehr belastend.

Die Deutsche AIDS-Hilfe fordert deshalb Politik, Medien und Gesellschaft auf, das Thema „Frauen und HIV/Aids“ zu enttabuisieren und die Solidarität mit Menschen, die mit HIV bzw. dem Vollbild Aids leben, zu verstärken.

Veranstaltungskalender zum Frauentag 2010
Die „Bundesweite Arbeitsgruppe Frauenarbeit in Aidshilfe“ wendet sich anlässlich des Internationalen Frauentages wieder mit zahlreichen Aktionen und Veranstaltungen gezielt an Frauen: Ziel der Veranstaltungen ist vor allem die Förderung der Solidarität mit den von HIV und Aids betroffenen Frauen. Der Veranstaltungskalender der regionalen Aidshilfen kann im Internet auf www.aidshilfe.de herunter geladen werden.

(Pressemitteilung der DAH)

Staatsanwaltschaft erhebt Klage gegen Nadja B.

Die Staatsanwaltschaft Darmstadt teilt am 12. Februar per folgender Presseerklärung mit, dass gegen Nadja B. Anklage erhoben wird:

„Die Staatsanwaltschaft Darmstadt hat unter dem 04.02.2010 die jetzt 27-jährige Sängerin Nadja B. wegen eines Falls der vollendeten gefährlichen Körperverletzung und wegen versuchter gefährlicher Körperverletzung in vier Fällen zum Amtsgericht – Jugendschöffengericht – in Darmstadt angeklagt.

Ausweislich der Anklageschrift hatte Frau B. in den Jahren 2000 bis 2004 in insgesamt fünf Fällen mit drei Personen ungeschützten Geschlechtsverkehr, ohne ihren Partnern ihre eigene HIV-Erkrankung, von der sie im Lauf des Jahres 1999 erfahren hatte, zu offenbaren. Hierbei war ihr bewusst, dass jeder  ungeschützte Sexualkontakt eine Übertragung des Virus zur Folge haben kann.

Ein seitens der Staatsanwaltschaft Darmstadt eingeholtes Sachverständigengutachten hat den für eine Anklageerhebung hinreichenden Tatverdacht einer unmittelbaren Ansteckung eines dieser drei Partner durch Frau B. ergeben.

Frau B. hat sich zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen nur insoweit eingelassen, als dass sie im Lauf des Jahres 1999 über die bei ihr vorhandene Immunschwäche-Erkrankung unterrichtet worden ist.

Die Anklage war zum Jugendschöffengericht zu erheben, weil Frau B. im Jahr 2000 noch Jugendliche bzw. Heranwachsende war.

Im Auftrag
Neuber
Staatsanwalt a. GL. / Pressesprecher“

(Presseerklärung der Staatsanwaltschaft Darmstadt)

Nadja Benaissa: hat Anwalt Reputations-Schutz nicht hoch genug bewertet?

Unter spektakulären Umständen wurde ‘No-Angels’-Sängerin Nadja Benaissa Anfang April 2009 direkt vor einem bevorstehenden Konzert verhaftet. Nun gerät ihr damaliger Anwalt in die Kritik.

Hat der Anwalt von Nadja Benaissa den Schutz ihrer Reputation nicht hoch genug gestellt? Ein Experte für Krisenkommunikation kritisiert, die öffentlich ausgetragene Medien-Schlacht sei letztlich zum Nachteil der Mandantin gewesen.

Jens Nordlohne ist Kommunikations-Berater und eigenen Angaben zufolge u.a. Experte für Krisenkommunikation und Litigation-PR. Litigation-PR ist seinen Worten zufolge „eine besondere, hoch spezialisierte Form der Kommunikationsarbeit rund um (potentielle) juristische Auseinandersetzungen“.

Nordlohne hat sich in einem Beitrag für das Blog „litigation-pr“ mit Kommunikation, schlechter Kommunikation und ihren Folgen auseinander gesetzt. Unter anderem am Beispiel der No-Angels-Sängerin Nadja Benaissa, die kurz vor Ostern 2009 unter dem Vorwurf der fahrlässigen HIV-Verbreitung verhaftet wurde – und deren Fall seiner Ansicht nach aufzeigt, dass „gute Juristen nicht unbedingt etwas von guter Kommunikation verstehen müssen“.

Nordlohne kritisiert:

„Ob es sich um die Profilierungssucht eines Promi-Anwalts gehandelt hat oder um das hehre Ziel, einen (aussichtslosen) Kampf gegen die Medien zu führen, um auf deren Macht hinzuweisen, bleibt ein Geheimnis. Aber Eines ist dem Anwalt von Frau Benaissa  auf jeden Fall vorzuwerfen: Er hat das Ausschöpfen rechtlicher Möglichkeiten höher bewertet als den Reputationsschutz seiner Mandantin.“

Hat sich der Anwalt also zum Nachteil seiner Mandantin verhalten, wie Nordlohne schreibt?

Zumindest hat der Autor Vorschläge, wie eine Kommunikation entsprechend den Interessen der Mandantin besser ausgesehen hätte:

„Mit der Darstellung einer (wahrscheinlich echten) Verzweiflung seiner Mandantin, hätte die Kritik an der Staatsanwaltschaft eine enorme Wucht bekommen. Gleichzeitig wären ihr die Sympathien in der Presse sicher gewesen.“

Eine Kritik, die im Nachhinein leicht scheint – gleichzeitig aber auf die neue Kommunikations-Strategie von Frau Benaissa weist, die seit einigen Monaten offensiver mit ihrer HIV-Infektion umgeht – und vergleichsweise erfolgreich, wie es scheint.

weitere Informationen:
litigation-pr 18.01.2010: bad communications always make everything worse. Litigation-PR für Juristen – Gedanken eines Kommunikationsberaters
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DAH-Gutachten zum Datenschutz: Beschlagnahme von Patientenakten nicht ausgeschlossen

„Patientenakten können unter Umständen auch vor Gericht verwertet werden“ – zu diesem Schluss kommt ein von der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) in Auftrag gegebenes Rechtsgutachten.

Zu diesem Rechtsgutachten und seinen wesentlichen Aussagen ein Gastbeitrag von Steffen Taubert. Der Autor ist Wissenschaftlicher Projektkoordinator bei der Deutschen AIDS-Hilfe.

Als im April dieses Jahres No-Angels-Sängerin Nadia Benaissa verhaftet wurde, war der Schock in der HIV-Community und den Aidshilfen groß. Der vage Vorwurf, sie habe mindestens einen ihrer Partner mit HIV-infiziert, löste eine öffentliche Hetzjagd aus.

Mehr als ein halbes Jahr danach sind drängende Fragen noch immer unbeantwortet: Wie war es möglich, dass die Medien so unverblümt den HIV-Status einer Person veröffentlichten? Musste die Sängerin tatsächlich zur Klärung der genauen Zusammenhänge medienwirksam in einem Nachtclub verhaftet werden? Und vor allem: Wurden im Ermittlungsverfahren Krankenunterlagen beschlagnahmt, die doch gesetzlich besonders geschützt sind? Oder haben Ärzte diese Unterlagen freiwillig herausgegeben?

Die letzten beiden Frage beunruhigen vor allem Menschen mit HIV. Die meisten gingen bislang davon aus, dass ihre Daten beim Arzt auf Grund der ärztlichen Schweigepflicht vor Beschlagnahmung und „freiwilliger Herausgabe“ geschützt seien. Um zu klären, wie sicher Patientenakten tatsächlich vor staatlichen Zugriff sind, hat die Deutsche AIDS-Hilfe beim Juristen und Kriminologen Kai Bammann ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Das Ergebnis liegt nun vor.

Bammann kommt in seiner Expertise zu dem Urteil, dass Patientenakten zwar grundsätzlich nicht beschlagnahmt werden dürfen, es aber einige Ausnahmesituationen gibt, in denen Staatsanwälte oder Polizei durchaus Zugriff auf die enthaltenen Informationen nehmen können.

Rechtliche Grundlage des Zeugnisverweigerungsrechtes ist der Paragraf 53 der Strafprozessordnung (StPO). Es gilt nicht nur für Ärzte, sondern auch für Psychotherapeuten, Anwälte und einige andere Berufsgruppen. Zudem regelt der Paragrafen 203 des Strafgesetzbuches (StGB) die Verschwiegenheitspflicht von Berufsgruppen, die im Rahmen ihrer Arbeit Kenntnis von schützenswerten personenbezogenen Daten erhalten. Neben Ärzten, Psychologen und Juristen sind hier unter anderem Ehe- und Jugendberater, Berater für Suchtfragen, staatlich anerkannte Sozialarbeiter und Sozialpädagogen genannt. Dazu gehören auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Aidshilfen.

Staatsanwaltschaft und Polizei können nicht ohne gewichtigen Grund auf Patientenakten zugreifen. Auch die neue Möglichkeit der Onlinedurchsuchung hat diesen Grundsatz offenbar nicht aufgeweicht. Wird allerdings ein Ermittlungsverfahren gegen einen Arzt geführt, dürfen auch Patientenakten oder elektronische Patientendateien beschlagnahmt werden. Das kann zum Beispiel passieren, wenn gegen den Arzt ein Verdacht auf Abrechnungsbetrug vorliegt.

Finden die Ermittler in diesen Akten nun Hinweise auf Rechtsverletzungen wie Drogenhandel, illegalen Aufenthaltsstatus oder – bei HIV-Positiven – ungeschützten Sex, könnten diese Informationen eventuell zu Ermittlungsverfahren gegen die Patienten genutzt werden.

Ein anderes Szenario besteht, wenn ein Arzt oder Berater Kenntnis von einer (geplanten) Straftat erhält. Hier kann der Arzt selbst tätig werden, wenn er im Rahmen von Nothilfe beziehungsweise Notstand (§§ 32 ff. StGB) den Eindruck hat, dadurch Schaden von einem anderen Menschen abzuwenden. Ob das Nothilfeverhalten eines Arztes tatsächlich gerechtfertigt ist, muss im Streitfall im Nachhinein ein Gericht klären.

Eine weitere Problematik ergibt sich in Bezug auf Forschungsdaten. Werden Daten für Studien oder Befragungen außerhalb der normalen Behandlung erhoben, unterliegen diese Informationen keinem besonderen Schutz, insbesondere keinem Zeugnisverweigerungsrecht. Aus diesem Grund forderte der nationale Ethikrat schon vor Jahren die Einführung eines „Forschungsgeheimnisses“. Die Deutsche AIDS-Hilfe schloss sich dieser Forderung an und kommunizierte diese im Vorfeld der letzten beiden Bundestagswahlen an die politischen Parteien. Ähnliche Forderungen erheben auch Datenschutzbeauftragte. Leider gibt es hier jedoch noch keine positive Entwicklung.

Und noch ein weiteres juristisches Problem beschreibt Bammann in seinem Gutachten: Es dreht sich um die Frage, ob Beweise aus unrechtmäßig durchgeführten Beschlagnahmen von Gerichten verwendet werden dürfen. Der Paragraf 160a der StPO scheint hier Möglichkeiten zu eröffnen. Bammann beschreibt die Lage so: „Kurz gefasst lässt sich festhalten: ein Verstoß gegen das Beschlagnahmeverbot hat zunächst einmal ein Verwertungsverbot zur Folge. […] Dieses Verwertungsverbot kann [aber] entfallen, wenn nachträglich das Beschlagnahmeverbot wegfällt – dann dürfen die Unterlagen verwendet werden, auch wenn die Beschlagnahme zunächst unzulässig war.“

Laut Paragrafen 160a StPO gibt es außerdem bei unzulässigerweise beschlagnahmten Unterlagen kein absolutes Verwertungsverbot mehr. Das Gericht muss sich mit der Frage auseinandersetzen, was höher wiegt: das staatliche Interesse an der Aufklärung einer Straftat oder das Recht des Einzelnen auf umfassenden Schutz seiner Daten. Nur dort, wo höchstpersönliche Lebensbereiche betroffen sind, gilt auch weiterhin ein absoluter Schutz. Wie dies anzuwenden und auszulegen ist, wird aber erst die Zukunft zeigen, da Paragraf 160a StPO noch relativ neu und nicht unumstritten ist.

Bammann befragte für das Gutachten auch Landesärztekammern über bisherige Fälle. Das Ergebnis: Beschlagnahmen kommen zwar vor, scheinen aber nach wie vor eher selten zu sein. Der Rechtsexperte weist allerdings darauf hin, dass die Landesärztekammern möglicherweise nicht über alle Vorgänge informiert sind.

Wie können sich Ärzte verhalten, wenn die Polizei in ihrer Praxis auftaucht? Wichtig ist vor allem, Ruhe zu bewahren und die Schweigepflicht auch tatsächlich einzuhalten, soweit das möglich ist.
Erfahren Patienten, dass sensible, medizinische Informationen ohne ihre Zustimmung an Polizei, Staatsanwaltschaft oder Presse weitergeben wurden, können sie Strafanzeige gemäß Paragraf 203 StGB stellen. Hier können regionale Aidshilfen Unterstützung bieten.

Letztlich sollte es jedoch darum gehen, dass Ärzte und Patienten sich gemeinsam gegen Strömungen stellen, den Schutz der Privatsphäre auszuhöhlen. Ein vertrauensvolles Arzt-Patientenverhältnis, das Grundlage jeder guten HIV-Therapie ist, baut sich nur dann auf, wenn keine Informationen aus solchen Gesprächen an Dritte gelangen.

In diesem Zusammenhang gilt es von Politik zu fordern, Unklarheiten bei der Umsetzung des Paragrafen 160 StPO schnellstmöglich zu ändern, Regelungen eines umfassend Forschungsgeheimnisses einzuführen.

Der Fall Nadja Benaissa zeigt außerdem: Nicht zuletzt kommt es darauf an, eine Kultur der Anwendung bestehenden Rechts einzufordern.

Dieser Text wurde erstveröffentlicht im DAH-Blog DAH-Gutachten zum Datenschutz: Beschlagnahme von Patientenakten nicht ausgeschlossen. Vielen Dank an Steffen Taubert für das Einverständnis zur Veröffentlichung auf ondamaris!

weitere Informationen:
Beschlagnahme und Beschlagnahmeschutz von Patientenakten insbesondere im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen. Rechtsgutachten Dr. Kai Bammann, Berlin, November 2009 (pdf)
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Wenn Würde nicht gleich Würde ist – ein Spagat

„Wenn Würde nicht gleich Würde ist – ein Spagat“ – unter diesem Titel hielt Michèle Meyer, Präsidentin von LHIVE, der Organisation von Menschen mit HIV und Aids in der Schweiz, am 1. Dezember eine Rede auf der  zentralen Welt-Aids-Tags – Veranstaltung der Frankfurter Aids-Hilfe in der Paulkskirche. Die Veranstaltung fand dieses Jahr statt unter dem Motto „Die Würde ist angetastet“.
Im Folgenden die Rede von Michèle Meyer als Dokumentation:

Wenn Würde nicht gleich Würde ist – ein Spagat.

Die Würde des Menschen ist angetastet.
Wochenlang bin mit dem Titel dieser Veranstaltung schwanger gegangen. Was ist Würde? Wie fühlt sie sich an? Wo ist sie? Wer hat das Wort  erfunden und warum tu ich mich so schwer damit?
Über die Aufklärung führte mein Weg ins alte Rom zu Cicero.
Ich kann nicht viel anfangen mit bedingungsloser Menschenwürde, die doch dauernd mit Füssen getreten wird. Auch wenn sie in den Menschenrechten und in der Verfassung hochgehalten wird, stolpere ich immer wieder über die Lässigkeit mit der sie mir und uns abgesprochen wird.
Ich bin überzeugt, dass wir heute viel näher an Ciceros Würdebegriffen leben, als wir uns eingestehen.
Würde bekommt man und Würde wird einem genommen. Das heisst: ich muss sie mir verdienen und ich muss etwas tun, um sie nicht zu verlieren. Nur: ganz so einfach ist es dann auch wieder nicht, denn ich bin nicht im Besitz von Würde, sie wird mir nur verliehen und einfordern ist tabu.

Seit ein gewisser Sigmund Ehrmann, SPD Abgeordneter und unter anderem  Mitglied der Kreissynode des evangelischen Kirchenkreises Moers, mich  resp. uns Menschen mit HIV/ AIDS als Biowaffe bezeichnet hat, bin ich gar nicht mehr sicher, dass das alles in meiner Hand liegt.
Welche Würde hat eigentlich eine Biowaffe?

Ich bin also eine Biowaffe. Vielleicht stimmt es ja und ich tue auch bloss so als wäre ich Mensch. Immerhin kommt der Verdacht öfters auf nicht mehr ganz Mensch zu sein. Sondern bloss HIV-positiv. Reduziert darauf ein Virenträger zu sein. Oder wieder mit Cicero: der Gesellschaft  nicht dienlich genug zu sein, um überhaupt Würde zu verdienen.
Heute  stellt Gesundheit ein mechanisches Problem dar und Funktion  ist das Ziel, nicht Würde.

„Wie haben sie sich angesteckt“ fragt die Schulleiterin und in ihrem Tonfall lauert vulgäre Neugier und die Lust mich zu entwerten. Sag ich jetzt: „Ich hatte Sex, mehr als genug und ich hab’s genossen.“ wird sie vielleicht erröten, sich jedoch bestätigt fühlen: „Die Frau ist ein Flittchen, wusst’ ich’s doch!“. Sag ich: “Mein erster Mann ist an den Folgen von AIDS verstorben“, dann stockt ihr wohl kurz der Atem und sie müsste schon sehr dreist sein, um weiterzufragen. Das wäre dann unter ihrer Würde. Wahrscheinlich.

Welchen Platz in der Gesellschaft haben wir denn, in Zeiten in denen Recht auf Gesundheit in aller Munde ist, aber Recht auf Krankheit als Polemik abgetan wird?
Wenn Verantwortung, die Schuldfrage meint, glaube ich nicht an Würde.. New Public Health ist das Ziel. Und ich bin ein Corpus delicti. *
Und kriminell. Noch immer mache ich mich strafbar, für etwas was de facto nicht möglich ist.

Ein Exempel statuieren. Immer wieder. Nadja Benaissa kam da gerade recht, krank sein und dann auch noch erfolgreich sein wollen? Ein gefallener Engel fällt tiefer. Amt und Würden. Wo denn? Eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit, nichts anderes, sei sie… schmutzig, schuldig, verrucht.
Andere mit Schmutz zu bewerfen und zu entwürdigen, damit sind wir manchmal verdammt schnell.

Wer Schuld und Scheitern verkörpert, hat in unserer Gesellschaft längst ausgespielt. Und alle spielen mit. Auch ich. Auch ich habe Moral und Werte verinnerlicht wie alle anderen. Und Selbstentwertung macht mich dann doch wieder interessant. Zumindest als Klientin von Sozialarbeitern, Psychologen und Fürsorgern. Eine ganz Maschinerie lebt gut davon!
Ich könnte mich fügen und eventuell doch noch so was wie Würde erlangen, zumindest Mitleid und Möglichkeiten der Rehabilitation. Eigentlich ist es ganz einfach:
„Gib dein Gesicht für Prävention, als abschreckendes Beispiel, opfere dich selbst und du hast wieder einen Platz mit etwas Würde unter uns Menschen. Hilf der Gesellschaft, schütze sie vor dir und Deinesgleichen“; „ Verstecke dich, aber zeige dein Stigma, das fördert die Spendengelder“… und als Zückerchen gibt’s das volle Programm: Sonderstellung und x- Möglichkeiten sie für mich zu nutzen, Sekundärer Krankheitsgewinn, zum Beispiel jede Menge Mitleid.
Ich kann verzichten auf diese Ersatzwürde. Sie ist an Konditionen gebunden, die mir nicht schmecken. Ich muss mich nämlich reduzieren lassen, verschämt, reuig, unauffällig und vorbildlich der Gesellschaft zu dienen, die mir die Würde trotzdem abspricht. Die an Bilder festhält, die längst überholt sind, falls sie je gegolten haben. Die Sündenböcke braucht um sich Selbst zu rechtfertigen in ihrem Zwang nach Normierung, ihrer Verkrüppelung zur funktionierenden Maschine, die Geld, Erfolg und Unsterblichkeit ausspuckt.

Und solange ich  – in der Schweiz- selbst in der Aids-Arbeit nicht gewürdigt werde, kann ich auch verzichten auf Kommissionssitzungen, Subventionen und meine Stellung als Quoten-Positive. Ich gehöre ja nicht mal einer Hochprävalenz-Gruppe an, wen will ich denn vertreten, heisst es immer wieder.

Zudem: „Wer nicht Kondome und Therapietreue predigt, hat nichts zu sagen.“ Was mir natürlich schwerfällt und wohl auch nicht im Sinne des Erfinders von Selbsthilfe wäre… aber wen interessiert Freiheit und Würde des Einzelnen, wenn Machbarkeit nach Gleichschritt verlangt?

Ganz anders schwer drückt manchmal die Würde, wenn nach wiederholter Medienpräsenz, das Telefon klingelt. Wenn Menschen mit HIV und AIDS sich darüber beklagen, dass ich zu gesund aussehe, dass ich zu wenig das Leiden betone und selbstbewusst Forderungen stelle; Wenn mir meine Integration vorgeworfen wird.
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Die Würde des Menschen ist angetastet.

Wie komme ich eigentlich dazu, trotzdem an Würde festzuhalten?
Habe ich  eine die mir gehört und wenn ja, wie viel Fremdbewertung erträgt  sie, meine eigene Würde? Wie viel Demütigung und Reduktion? Kann ich sie behüten, vor Diebstahl sichern und kann ich sie davon abhalten, sich Selbst zu vergessen?  Wie kann ich sie wahren, wenn ein gelber Punkt die Türe zu meinem Spitalzimmer ziert und vom Chefarzt bis zur Zugehfrau alle vorgewarnt sind. Wie, wenn ich kurz nach der Geburt meiner Tochter, die Sozialarbeiterin am Wochenbett stehen habe, die unauffällig meine Mutterqualitäten zu prüfen versucht? Wie, wenn ich von meinen Nächsten zielsicher und zutiefst verletzt werde, fremdgeoutet und ohne recht auf Abgrenzung. Wenn alle Konflikte dahin gelenkt werden, dass ich HIV-positiv bin. Da sind die Andern fein raus und ich stehe am Pranger. Würdelos.
Wie kann ich die Würde leben lassen, wenn ich selbst denke mein Mann sei deshalb etwas besonderes, weil er sich mit einer Positiven eingelassen hat?

Nur: was wissen die Andern denn von meiner Würde? Und was weiss ich selbst? Woher kommt diese Zielsicherheit, diese Überzeugung, ich hätte sie selber verspielt? Durch kondomlosen Sex?  Oder eher durch das Ver-fehlen.
Dieses ausserhalb-sein, diese Entwürdigung  ermöglicht Narrenfreiheit, manchmal. Was hat Abschaum noch zu verlieren?
Ich brauche mich auch nicht mehr zu tarnen oder so zu tun als gehöre ich wieder zu den Guten, den Reuigen.
Was mich rettet ist Widerstand. Widerstand gegen Fremdbewertung, übergestülpte Hilfe und Kontrolle bis ins Schlafzimmer.

Ich muss stinkfrech den Bildern trotzen, manchmal leise, manchmal laut.
Die passenden Schubladen gibt’s nicht: ich bin integriert, ich bin aussortiert, ich habe keine Würde, ich nehm sie mir.

Dieses Borstige, Widerspenstige rettet mich. Und frei nach dem Lehrbuch gibt’s Empowerment nie ohne Eigenwilligkeit. Wem sag ich das?
Und darum bin ich gefährlich, Ich verführe dazu Fehler zu machen.
Manche behaupten, ganz im Schutz der Meinungsfreiheit, ich sei ein Massenmörder. Irre, hinterhältig und brandgefährlich. Ganze Völker könnten mir folgen.

Dieses inszenierte Entwerten tut weh, macht wütend, aber viel treffender und schmerzlicher ist die Ohnmacht, das Gefühl eine Gesetzlose zu sein und der Schmerz nicht genug bewegen zu können, obwohl die Welt in meinem Kopf Würde verlangt **
( unter uns: mutig war diese Kampagne von Regenbogen e.v. nicht. Weltbank ( dieser Gedanke gehört dem Dirk) , Politiker, Profit&Geiz, Ignoranz sind Massenmörder…
Oder: welche Menschenwürde meinen wir, wenn wir nicht teilen was wir haben? Wieviel sind denn Menschen in Afrika, Asien und Osteuropa wert?
Wieviel Würde ist noch spürbar und wieviel Scham, wenn mir die Pillen im Hals stecken bleiben, angesichts meiner Brüder und Schwestern weltweit…da macht Compliance Spass.

Und allem Unsichtbar raten auf den Aids-Hilfen zum Trotz: ich steh dazu, ich bin ich und meinen HIV-Status gibt’s nicht gesondert davon.  Mir muss nicht geholfen werden zum Preis der Fremdbestimmung.
Auch wenn es anstrengend ist, sichtbar, fassbar zu sein; aber wer sagt denn das Anpassen nicht anstrengend wäre.
Dauernde Selbstentwertung macht krank, alt und an Lebensqualität bleibt da nicht mehr viel übrig. Von Würde ganz zu schweigen.

Manchmal überrascht mich das Leben. Zum Beispiel im Dorf wo ich lebe, dort hat Zivilcourage einen hohen Stellenwert und ich habe unverhofft wieder Würde.
Vor wenigen Tagen kam eine Nachbarin auf mich zu. Meine Töchter waren mit anderen Kindern bei ihr zum Essen und spielen eingeladen gewesen. Sie berichtete mir lachend, dass Sofia, die ältere der beiden, bei der Gelegenheit Aufklärungsarbeit geleistet hätte. Sie lachte herzlich zwischen den Sätzen und erzählte wortgetreu, was meine Tochter zu sagen wusste:“ „Mama ist oft im Fernsehen, weil sie ein Virus hat. Aber sie schämt sich nicht, nicht so wie andere, darum wird sie gefilmt. Und wisst Ihr wie man das Virus bekommen kann? Beim „Schätzele“, aber mein papa kann sich nicht anstecken, Mamas nimmt Medikamente.“
Die Selbstverständlichkeit dieser Rückmeldung hat mich sehr berührt.

Nein, ich schäme mich nicht und draussen in der Welt, kann ich notfalls den einen Trick immer anwenden: ich ziehe mir meine Clownnase an, immer dann wenn sich die innere Würde zu vergessen droht, wenn sie meint der anderen, längst verlorenen oder nie erreichten Würde nachrennen zu müssen.
Nicht zufällig habe ich nach jahrelangen vergeblichen Versuchen, wieder auf den Arbeitsmarkt zu kommen, mich entschieden Clown zu werden.

Der Clown lebt vom Spiel mit den Tücken, er verkörpert die Kunst des Scheiterns und ist zutiefst menschlich: er macht Fehler. Und Fehler. Er  spielt und kümmert sich nicht um Normierungen. Er hält dem Mensch den Spiegel hin und wird dafür liebevoll mit Applaus und einem ehrlichen Lachen gewürdigt.
Dann schlage ich selbst dem alten Römer Cicero einen Haken… und lächle in mich hinein – in Würde.

Und gemeinsam können wir was bewegen, wenn JedeR einzelne für seine Würde aufsteht.
Michèle Meyer 1.12.2009

*das Buch gehört Julie Zeh
** der Satz gehört Barbara Starret
*** der Gedanke gehört Dirk

Die Würde ist angetastst (Plakat der Veranstaltung in der Frankfurter Paulskirche am 1.12.2009)
Die Würde ist angetastet (Plakat der Veranstaltung in der Frankfurter Paulskirche am 1.12.2009)

Dank an Michèle und Michael (AH Frankfurt) für den Genehmigung !

Nadja Benaissa: war Outing durch Staatsanwaltschaft unzulässig?

Mitte April 2009 wurde die Popsängerin Nadja Benaissa ohne ihr Wissen und Wollen durch die Staatsanwaltschaft Darmstadt als HIV-positiv geoutet. War dies zulässig? Nein, meint eine juristische Seminararbeit.

Mitte April 2009 wurde Nadja Benaissa, Sängerin der Pop-Band ‚No Angels‘, unter dem Vorwurf der fahrlässigen HIV-Übertragung verhaftet. Die Staatsanwaltschaft wandte sich mit Informationen zu dem Fall, insbesondere auch zur HIV-Infektion von Frau Benaissa, an die Presse und Öffentlichkeit.

War dieses ‚Outing‘ durch die Staatsanwaltschaft zulässig?
War das Verhalten, die Medien proaktiv zu informieren, vom Informationsrecht der Medien gedeckt?
Oder kollidierte es mit dem höher einzuschätzenden Recht auf Privatspähre, gerade in einer solch stark die Privatheit angehenden Angelegenheit weie eine HIV-Infektion?

Die Staatsanwaltschaft geriet bald in Kritik, und auch der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn – der die Vorwürfe jedoch als „unbegründet“ zurück wies.

Die grundlegende Frage, gerade im aktuellen Fall, wie steht es um das Verhältnis von Informationsrecht der Öffentlichkeit und Recht der Person auf Privatsphäre ist damit jedoch weiterhin nicht beantwortet.

Eine Seminararbeit an der Juristischen Fakultät der Universität Rostock fragt nun dazu, wie es um die „Rechtliche Zulässigkeit der staatsanwaltschaftlichen Offenlegung der HIV-Infektion im Fall Nadja Benaissa“ steht.

Die 17seitige Seminar-Arbeit beschäftigt sich mit Ansprüchen und Grenzen der Öffentlichkeitsarbeit der Ermittlungsbehörden sowie den Grundrechten der Pressefreiheit und den allgemeinen Persönlichkeitsrechten der Beschuldigten.

Bei der Abwägung von Pressefreiheit und Persönlichkeitsrechten betont der Autor

„Der freiwillig Auskunft gebende Staatsanwalt kann sich nicht ohne weiteres auf den Informationsauftrag der Presse oder das Informationsinteresse der Öffentlichkeit berufen. Eine vom Leiter einer Staatsanwaltschaft veranstaltete Pressekonferenz mit der Preisgabe persönlichkeitsbezogener Daten kann nicht ohne weiteres mit dem Grundrecht der Pressefreiheit gerechtfertigt werden, das eine offensive Informationspolitik fordere.“

Er betont den (höheren) Rang der Persönlichkeitsrechte der Beschuldigten und konstatiert eine

„Ungleichrangigkeit der widerstreitenden Rechtsgüter …: während das Allgemeine Persönlichkeitsrecht der Beschuldigten Verfassungsrang genießt, ist ein solcher für einen Informationsanspruch der Presse gegen die Staatsanwaltschaft nicht gegeben“. Und später: „Vielmehr setzt sich das Allgemeine Persönlichkeitsrecht als gegenüber dem Informationsinteresse der Presse höherrangiges Gut regelmäßig durch.“

Der Autor kommt nach mehrfachen Abwägungen und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu dem Schluss

„Deshalb sei hier abschließend betont, dass es sich bei der Meldung der Darmstädter Staatsanwalt bezüglich der HIV-Infektion einer jungen Frau um eine jener grundrechtliche geschützten Information handelt, die niemals ein so hohes öffentliches Interesse hervorrufen können, dass sie in der Abwägung zum Allgemeinen Persönlichkeitsrecht zulässig sind. Frau Benaissa stünde damit ein verfassungsrechtliches Auskunftsverbot seitens der Staatsanwaltschaft zu.“

Danke an MgN!

weitere Informationen:
„Rechtliche Zulässigkeit der staatsanwaltschaftlichen Offenlegung der HIV-Infektion im Fall Nadja Benaissa“, Seminararbeit zum Kommunikationsrecht am Juristischen Seminar der Universität Rostock (Prof.Dr. Gersdorf) (Sommersemester 2009)

Gedanken zur Schmutzkampagne gegen N.B, stellvertretend für Menschen mit HIV und AIDS

Anfang April 2009 wurde eine junge Sängerin unter dem Vorwurf der HIV-Übertragung verhaftet. In den folgenden Tagen findet unter großer medialer Aufmerksamkeit eine Kampagne mit Vorverurteilungen, Outing und stigmatisierenden Bildern statt.
Dazu ein Gast-Kommentar vom Michèle Meyer, Präsidentin von LHIVE, der Schweizer Organisation für Menschen mit HIV und Aids:

Gedanken zur Schmutzkampagne gegen N.B, stellvertretend für Menschen mit HIV und AIDS.

N.B. wurde medienwirksam verhaftet, zwangsgeoutet und vorverurteilt.
Nachfolgend einige Gedanken und Fragen, die sich im Verlauf dieser traurigen Geschichte mir aufdrängten.

Als ich in den Medien von der Verhaftung von N.B. erfuhr, habe ich die Meldung überflogen und als unwichtig erachtet. Ich dachte keinen Moment daran, dass mich dies noch sehr persönlich betreffen würde, geschweige denn, dass es mich in meiner Funktion als Präsidentin von LHIVE betreffen musste!
Wenige Tage später bin ich erschrocken. Journalisten zitierten den Mediensprecher der Staatsanwaltschaft Darmstadt, welcher Details der ihr vorgeworfenen Anklagepunkte in der Öffentlichkeit äusserte:
„N.B. ist HIV-positiv und hat in mindestens drei Fällen ihre Sexualpartner wissentlich dem Risiko einer HIV-Infektion ausgesetzt. In einem Fall kam es zur Ansteckung. Das Ganze sei im Zeitraum von 2002-2006 geschehen, und da Gefahr im Verzug war, wurde sie inhaftiert.“
Ich dachte der redet sich um Kopf und Kragen. Aber nein, Schlagzeile über Schlagzeile, immer und immer wieder wurde er zitiert, angereichert mit weiteren Spekulationen und vermeintlichen Details aus N.B. s Leben. Ein gefundenes Fressen…
Die Unschuldsvermutung schien plötzlich nicht mehr zu gelten, Persönlichkeitsrechte und der Schutz von heiklen medizinischen Daten entfallen? Argumentiert wurde mit öffentlichem Interesse und Vorbildfunktion – und wie erwähnt mit Wiederholungsgefahr.
Es wäre zum Lachen gewesen, wenn es nicht so einschneidend tragisch für den Menschen N.B. und für „uns“ Menschen mit HIV und AIDS wäre.

Von wegen Gefahr im Verzug, was hier geschah war Zwangsouting, zum Schutz der sogenannten Volksgesundheit. Später wurde übrigens bekannt, dass die Staatsanwaltschaft die Krankenakte von N.B. hat beschlagnahmen lassen. Dies alles obwohl noch nicht geklärt war ob N.B. überhaupt HIV-positiv ist, in einem erst angelaufenes Verfahren, ohne Beweise.
Ich dachte medizinische Daten seien besonders schützenswerte Daten? Ein Sprecher der Staatsanwaltschaft hausiert einfach so mit nicht verifizierten Daten einer Angeklagten und spielt sich als moralischer Gesetzesvertreter in den Medien gross auf?
In der U-Haft wurde von N.B. von einer Ärztin und Vorstandsfrau des Vereins der Aids-Aufklärung Deutschland besucht, die ihr Arztgeheimnis und ihr Engagement mehr als fragwürdig auslegte, denn sie gab „der Bild“ ein Interview und outete N.B. gleich nochmals.
Ein Abgeordneter sprach von Menschen mit HIV, als Biowaffen; übrigens noch nicht einmal einklagbar… einfach so, darf der das.

Mein Glauben an das Rechtssystem hat schwer gelitten. Vorverurteilung, Diskriminierung scheint zulässig, denn Menschen mit HIV sind unmoralisch und deshalb Menschen zweiter Klasse.
Das Bild der gefährlichen kriminellen Menschen mit HIV, der Unverantwortlichen, Schmuddligen war wieder hergestellt und wurde regelrecht zelebriert.
Wer trägt eigentlich Verantwortung für soviel Unwissen und Diskriminierung? Wem dienen diese Bilder? Was haben die Journalisten und die Behörden und Aids-Hilfen in den letzten 25 Jahren verpasst an Aufklärung, dass solches heute, 2009, möglich ist? .
Nicht genug tauchte dann noch ein Anwalt auf, der sich ins Szene setzte, und vom Medienype zu profitieren versuchte; Legt ein Mandat nieder, dass er nie hatte. Unglaublich.

Ich musste handeln, so versuchte ich mich mit anderen HIV- AktivistInnen kurz zu schliessen, mit der Frage was tun wir und wie? Wie ohne N.B. zu schaden und immer die heikle Frage: „ schaden wir „uns“ durch irgend ein Solidaritätsbezeugnis mit ihr“? Eine Frage die mir Bauchschmerzen bereitete. Ich mag es nicht, wenn eigene Interessen zu Ent-Solidarisierung führen.
In der Blogwelt herrschte unterdessen Stammtischstimmung.
Sehr unangenehm berührten mich die vielen Voten von Menschen mit HIV, die sich distanzierten, N.B. vorverurteilten und sich als „gute, unschuldige HIV-Positive“ präsentierten.
Verstehen kann ich solches nur im Kontext eigener Verletzungen, Stigma und Selbst-Entwertung. Als Versuch sich zu rehabilitieren und als Flucht nach vorne.
Viele Andere wiederum zeigten, wegen des Falles von N.B., um so mehr Angst und Scham sich zu HIV und AIDS zu bekennen. Nicht nur virtuell, sondern im realen Leben.
Persönlich hat mich die Schmutzkampagne gegen N.B. und Menschen mit HIV und AIDS getroffen.
Wir sind schmutzig, gefährlich, schuldig und kriminell. Unabhängig von wissenschaftlichen und medizinischen Fakten; die Meinung ist gemacht.

Mein unerschütterliche Glaube an die Möglichkeit Stigma und Selbststigma zu begegnen und aufzulösen, ist schwer ins Wanken geraten. Mich beschäftigten die Fragen: Wie können wir die Mechanismen entkräften, die uns zu Menschen zweiter Klasse machen? Wird noch zu meinen Lebzeiten HIV als eine Infektionskrankheit wahrgenommen, wie andere auch?

Wohltuend war die deutliche Stellungnahme der Deutschen Aids Hilfe gegen die Verhaftung und Vorverurteilung von N.B. und die differenzierten und kritischen Meldungen in einigen Medien, die sich schon länger zum Thema HIV mutig, informativ und konsequent äussern. Besonders zu erwähnen sind die beiden Blogs: „ondamaris“ und „der blidblog“.
Dies hat mich ermutigt in mitten dieser Hetzte gegen N.B und Menschen mit HIV und AIDS in die Öffentlichkeit zu gehen und in der Sendung „Stern TV“ von Günter Jauch aufzutreten.
Eine Möglichkeit die EKAF- Botschaft hinauszutragen, einen Kontrapunkt zu setzen gegen Scham und Schuld: selbstbewusst HIV-positiv.
Leider ist es mir bisher nicht gelungen einen direkten Kontakt mit N.B. herzustellen, trotz vielen Versuchen.

Zehn Wochen nach ihrer Verhaftung sitzt sie selbst bei Günther Jauch. „ Ja ich bin HIV-positiv. Nun kann mich keiner mehr erpressen.“, sagt sie in ihrem ersten Interview und dass sie für ihr Recht kämpfen werde. Zu den Vorwürfen kann sie sich nicht äussern, solange der Rechtsfall nicht abgeschlossen ist. Sie hat ihre Situation als Prominente, als Mensch und Mutter geschlidert und bestimmt damit auch berührt.
Leider äusserte sie bis jetzt noch keinen Satz in „unsere Richtung“… kein Wort auch über die Solidaritätsbekundungen von Menschen mit HIV und AIDS, die sie erreichten seit ihrer Verhaftung. Schade.
Trotzdem hat sie rechtzeitig vor ihrem ersten Konzert nach der Verhaftung die Berichterstattung über ihre Person wieder selbst in die Hand genommen.

Nur, und das gilt für uns alle, wer hat wirklich Kontrolle über seine heiklen Daten, über seine Antworten auf Fragen zur sexuellen Gesundheit, Vorlieben, Compliance?
Wer weiss, was er wem anvertrauen kann? Und wieviel Einfluss können wir nehmen auf das Bild, von Menschen mit HIV das durch die Journalisten geprägt wird?
Wer bestimmt über sein Coming out wirklich selbst?
Warum sollten wir uns verstecken? Wegen Irrationalitäten, Unwissen und dem brauchbaren Bild des gefährlichen Unverantwortungslosen, der Andere abschrecken soll sich zu infizieren? Macht uns unsere Unsichtbarkeit nicht zum Spielball? Was lassen wir uns gefallen und wie werden wir zu Handelnden?

N.B. wurde zum Outing gezwungen, während fast zeitgleich in den U.S.A ein Abgeordneter gewählt wurde, der offen schwul und HIV-positiv ist. Die Schere geht auf. Wir können uns entscheiden.
N.B. hat als Prominente erfahren was ein Leben mit HIV bedeutet, was es für Menschen mit HIV im Alltag bedeutet…ich wünsche mir, dass Menschen mit HIV N.B. tragen können und viceversa.

Inzwischen ist bekannt geworden, dass der Haftbefehl gegen N.B. aufgehoben wurde. Hoffen wir, dass das Verfahren eingestellt wird und sich Mediensprecher der Staatsanwaltschaft Darmstadt und Journalisten genauso öffentlich zu ihrem eigenen Fehlverhalten stehen.

Michèle Meyer
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Datenschutz ist Voraussetzung einer erfolgreichen Behandlung – auch bei HIV ?

Das Gespräch mit meinem Arzt ist vertraulich – darauf verlässt sich vermutlich fast jeder Patient. Dass es um diese Vertraulichkeit nicht gut bestellt ist, zeigt die Beschlagnahme der Patientenakten einer HIV-positiven Frau. Wie steht es um Patientendaten und Datenschutz?

‚Was ich mit meinem Arzt oder meiner Ärztin bespreche, das ist völlig vertraulich, bleibt unter uns. Das Arztgeheimnis schützt. Und auch wenn etwas in meine Patientenakte geschrieben wird, ist diese Patientenakte geschützt vor Zugriffen Dritter.‘

Ein Großteil der Patienten geht wohl von dieser Einschätzung aus. Patientenakten und das Gespräch mit dem Arzt gelten als vertraulich. Wie könnte es auch anders sein – schließlich vertraut man / frau seinem Arzt, seiner Ärztin oft persönliche, privateste Angelegenheiten an, bis hin zum Sex-Leben, nicht nur als HIV-Positiver.

Und diese Einschätzung basiert auf langer Erfahrung. So sagt der Hippokratische Eid, das Berufsethos, dem jeder Arzt, jede Ärztin verpflichtet ist:

„Was ich bei der Behandlung oder auch außerhalb meiner Praxis im Umgang mit Menschen sehe und höre, das man nicht weiterreden darf, werde ich verschweigen und als Geheimnis bewahren.“

Doch – diese Einschätzung könnte falsch, oder doch nicht völlig zutreffend sein. Patientenakten sind scheinbar nicht so sicher wie oftmals angenommen wird. Der Fall der Verhaftung einer Pop-Sängerin zeigte dies. Ihre Krankenakte wurde von der Staatsanwaltschaft in einer Frankfurter Klinik beschlagnahmt. Ihr HIV-Status wurde von der Staatsanwaltschaft per Pressemitteilung breit kommuniziert.

„Das war der öffentliche Pranger durch eine Justiz, die eigentlich die Persönlichkeitsrechte von Beschuldigten zu schützen hat“, kommentiert die SZ.

Eine Krankenakte bei der Staatsanwaltschaft? Um Ermittlungen gegen diese Patienten (nicht gegen einen Arzt!) zu „unterstützen“?

Scheinbar sind Patientenakten weit weniger sicher, als bisher oftmals angenommen wird.

Der Strafrechtler Prof. Winfried Hassemer im Interview:

„Als Strafverteidiger würde ich mich nicht darauf verlassen, dass der Zugriff auf Patientenakten eigentlich nicht geht. Wenn es sich um eine strafrechtliche Beschuldigung handelt, dann ist der Schutz von Akten, die den Beschuldigten selbst betreffen, relativ gering. Denn wenn es anders wäre, könnte in vielen Fällen ein Strafverfahren erst gar nicht stattfinden. Der Schutz fängt an, wenn es um Patientenakten von anderen Personen geht, die man vielleicht zum Vergleich heranziehen müsste – dann wird es schwierig.“

Hassemer ergänzt

„Natürlich wird die Anzeige geprüft, aber der Anfangsverdacht ist schnell da, es ist eben nur ein Anfangsverdacht. Und deshalb ist es so wichtig, an die Geheimhaltung des Ermittlungsverfahrens zu denken.“

Der Schutz der Vertraulichkeit von Patientenakten weitaus geringer, als bisher vermutet? Dies könnte gravierende Auswirkungen haben, Auswirkungen auf das Arzt-Patient-Verhältnis, aber letztlich vor allem auch auf die Gesundheit von Patienten und Patientinnen.

Dr. Alexander Dix, Berliner Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, formulierte hierzu auf dem Patientenforum Berlin am 1. Juli 2009 die These

„Wer seinem behandelnden Arzt nicht vertrauen kann, weil er nicht weiß, wie dieser mit intimsten Informationen über körperliche oder seelische Leiden des Patienten umgeht, der wird dem Arzt entweder von vornherein nicht alle nötigen Informationen offenbaren, oder dessen Genesungsprozess wird durch die permanente Unsicherheit gefährdet. Vertrauen und Sicherheit sind geradezu notwendige Voraussetzungen für jede wirksame Therapie. Sie sind nicht alles in der Medizin, aber ohne sie ist wahrscheinlich alles nichts.“

Dix‘ Resüme:

„Der Schutz des Patientengeheimnisses ist zentrale Voraussetzung für jede erfolgversprechende medizinische Behandlung.“

Sollte Dix‘ These zutreffen, steht die Frage im Raum, ob die erfolgreiche medizinische Behandlung einer HIV-infizierten Frau von der Staatsanwaltschaft gefährdet wurde.

Darüber hinaus steht die Frage im Raum (und zwar nicht nur für HIV-Positive, sondern für alle Patienten), wie es denn um ihre Behandlungsqualität, um ihre zukünftige Gesundheit steht, wenn Behandlungsakten dermaßen leicht in die Hände der Staatsanwaltschaft gelangen können.

weitere Informationen:
Prof. Dr. Axel W. Bauer: Der Hippokratische Eid
FR 18.06.2009: Verhängnisvolle Affären
Dr. Alexander Dix, „Patienten – Daten – Schutz“, Vortrag beim Patientenforum Berlin am 01.07.2009 (pdf)
SZ 14.07.2009: Welcome – das neue Leben der Nadja Benaissa
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Eine Sängerin, eine Verhaftung – und Gras, das nicht unhinterfragt wachsen sollte

Anfang April, vor vor drei Monaten, wurde eine Pop-Sängerin wegen Verdachts auf HIV-Übertragung verhaftet. Inzwischen hat sie ein Interview zu den Vorgängen gegeben. Ansonsten scheint Ruhe eingekehrt. Zentrale Fragen, die der Fall aufgeworfen hat, sind jedoch weiterhin unbeantwortet.

Frankfurt, 11. April 2009, Ostersamstag. Eine junge Sängerin, aufgrund ihrer Teenie-Band und Grand-Prix-Teilnahme nicht gerade unbekannt, wird vor einem abendlichen Auftritt öffentlichkeitswirksam verhaftet. Verhaftet wegen angeblich bewussten Infizierens von Partnern mit HIV bei ungeschütztem Geschlechtsverkehr.

In den nächsten Tagen geraten die Medien in Aufruhr, die Schlagzeilen der Titelseiten glühen rot. Aids, Schuld, Gefängnis schreien sie grell. Vorverurteilungen in Reihe, Kriminalisierungs-Phantasien. Die Deutsche Aids-Hilfe protestiert gegen die Verhaftung. In Medien werden alte Mythen und Vorurteile auf’s Neue bemüht. Ein SPD-Politiker bezeichnet HIV-Positive als Biowaffen – und darf das. Schlimmste Erinnerungen werden wach, an Zeiten, die wir -auch in Folge erfolgreicher Prävention- längst überwunden glaubten.

Viele Tage bliebt die junge Frau in Haft. Es bestünde Wiederholungsgefahr, lässt die Staatsanwaltschaft verlauten. Eine Staatsanwaltschaft, die sich mehr um eine sehr aktive Zusammenarbeit mit den Medien als um die Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Betroffenen zu bemühen scheint: der Presse-Staatsanwalt wandte sich von sich aus an die Medien, Presseinformationen und Weitergabe von Informationen an die Medien folgten, der Presse-Staatsanwalt selbst ist in den folgenden Tagen häufig zu sehender Gast vor den Kameras diverser TV-Stationen. Eine Staatsanwaltschaft, die sich geriert, als wäre sie und nicht BZgA und Aidshilfen für die Aids-Prävention in Deutschland zuständig. Unterstützt von einem Justizminister, der jegliche Kritik als unbegründet zurückweist.

Drei Monate später. Ruhe ist eingekehrt.
Ist „Gras über die Sache gewachsen“?
Sicher nicht. Oder doch?
Was bleibt?

Eine junge Frau und Mutter, unfreiwillig mit persönlichsten Details ans Licht einer sensationsgeilen Öffentlichkeit gezerrt, kann ihre weitere Karriere vermutlich vergessen. Ihr Kind wird vermutlich noch oft konfrontiert werden mit der Frage „Ach, sind Sie nicht …“.

“Ich möchte mich dem Ganzen stellen, anderen Mut machen und zur Aufklärung beitragen” – vor kurzem geht die junge Frau dann von sich aus an die Medien, versucht von der Getriebenen wieder selbst zur Handelnden zu werden. Sie sei gegen ihren Willen als HIV-positiv geoutet worden, wolle aber “auf jeden Fall weiter arbeiten und wieder in die Öffentlichkeit”, erzählt Nadja Benaissa im Interview. Über die Vorwürfe selbst schweigt sie, „laufendes Verfahren“.

Doch es bleiben auch so zahlreiche Fragen.

Fragen wie z.B. diese:
–  Wie konnten Patientenakten an der behandelnden Uniklinik beschlagnahmt werden bzw. Kopien der Patientenakten an die Staatsanwaltschaft gelangen?
– Wie sicher sind Patientenakten noch? Was zählt der Beschlagnahmeschutz in der Praxis?
_ Können Patienten noch auf die Vertraulichkeit der Patientenakte und ihres Gesprächs mit dem „Arzt des Vertrauens“ zählen? Oder nicht?
– Wie sicher ist die Vertraulichkeit des Arzt-Patient-Verhältnisses? Werden Patienten hierüber korrekt und verständlich informiert?
– Wie kann erreicht werden, dass Medien zukünftig informierter, sachlicher und ausgewogener berichten? Vorverurteilungen vermeiden?
– Wie steht es um die Medien-Arbeit der Staatsanwaltschaften? Wie weit darf sie gehen, vor allem während laufender Ermittlungen?
– Und wie weit reicht die Verantwortung der Medien?
– Wie sieht es aus um das Verhältnis von Informationsrecht der Öffentlichkeit und Recht des Individuums auf Privat-Sphäre? (Auch diese Frage ist nach dem geplatzten Prozeß weiterhin ungeklärt).
– Wie lässt sich vermeiden, dass mit Blick auf Quoten und Auflagen mutwillig Präventionserfolge gefährdet, um des Umsatzes willen Menschen mit HIV stigmatisiert und diskriminiert werden?
– Wie schaffen Aids-Organisationen es, neue wissenschaftliche und sozialwissenschaftliche Erkenntnisse (wie das sog. EKAF-Statement zu drastisch reduzierter Infektiosität bei erfolgreicher antiretroviraler Behandlung) auch bei Ermittlern, Anwälten, Staatsanwälten und Richtern bekannt zu machen?
– Und wie schaffen wir es, deutlicher zu machen, HIV ist ein Virus ist – kein Verbrechen? Dass bestehende Gesetze ausreichen, etwaige Straftaten zu verfolgen? Dass Strafrecht kein effizientes Mittel der Prävention ist, im Gegenteil Erfolge der Prävention gefährdet?

Eine junge Frau, bloßgestellt, vorverurteilt, in ihrer Zukunft und ihrem Privatleben beeinträchtigt.

Und viele Frage, die  die Medien und die Staatsanwaltschaft vermutlich wenig interessieren.

Bleibt zu hoffen, dass die Aids-Hilfen und viele Menschen mit HIV und Aids, die sich mit erneuter Stigmatisierung und Diskriminierung auseinander setzen müssen, die Vorgänge nicht vergessen – und sich mit den aufgeworfenen Fragen auseinander setzen.

Besonders die Deutsche Aids-Hilfe ist hier gefragt.
Allein auf das Gras und dessen Wachstum zu setzen reicht nicht.

siehe auch:
SZon 10.07.2009: Haftbefehl gegen Sängerin aufgehoben
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DAH-Blog 11.09.2009: Nadja Benaissa im d@h_blog-Interview: „Ich war wie die WM“
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Nadja Benaissa im Interview

Nadja Benaissa, Sängerin der Pop-Band ‚No Angels‘, äußerte sich am 1.7.2009 im Fernsehen zu ihrer HIV-Infektion und ihrem unfreiwilligen Outing.

„Ich möchte mich dem Ganzen stellen, anderen Mut machen und zur Aufklärung beitragen“ – einer der Kernsätze des Interviews, das Nadja Benaissa am 1.7.2009 bei „Stern TV“ gab. Sie sei gegen ihren Willen als HIV-positiv geoutet worden, wolle aber „auf jeden Fall weiter arbeiten und wieder in die Öffentlichkeit“.

Nadja Benaissa wurde vor knapp drei Monaten verhaftet wegen des Vorwurfs der HIV-Übertragung. Die Deutsche Aids-Hilfe hatte Benaissas Verhaftung kritisiert. In den Tagen nach ihrer Verhaftung überschlugen sich die Schlagzeilen mancher Boulevard-Medien, Politiker bezeichneten Positive als „Bio-Waffe„, ein Verfahren gegen eine Mediengruppe wegen der Berichterstattung wurde eingestellt.

„Mit ihrem souveränen Coming-out via TV hat Nadja Benaissa nun die Fäden wieder mit in der Hand“, kommentiert das Blog der Deutschen Aids-Hilfe den TV-Auftritt der Sängerin.

Das Interview als Video:

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weitere Informationen:
DAH-Blog 02.06.2009: Klare Worte bei Stern TV: Nadja Benaissa geht in die Offensive
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Biowaffen und Meinungsfreiheit

HIV-Positive dürfen als Bio-Waffe bezeichnet werden. Der SPD-Abgeordnete und stellvertretende Vorsitzende des Medienausschusses Ehrmann hat mit dieser Äußerung sein Grundrecht auf freie Meinungsäußerung genutzt.

Der SPD-Bundestagsabgeordneten Siegmund Ehrmann wurde Mitte April 2009 von einer Boulevard-Zeitung (Ausgabe 17.04.2009) im Zusammenhang mit der Verhaftung einer Sängerin zitiert mit der Aussage

„Wenn jemand seinen Körper als Bio-Waffe einsetzt, ist umfassende Berichterstattung ein dringendes öffentliches Anliegen und wichtiger als die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen.”

Ist man mit HIV vogelfrei?, und darf man HIV-Positive als ‚Bio-Waffe‘ bezeichnen?, diese Fragen stellten sich viele nach diesen Aussagen.

Man darf, kann muss nun  resümiert werden.
Die ‚unbeantwortete Frage‘ ist nun beantwortet.

Am 24. April 2009 hatte ich aufgrund seiner Äußerungen via Internetwache gegen Herrn Ehrmann Strafanzeige wegen Verdachts der Volksverhetzung gem. StGB gestellt.

Gestern, am 11.6.2009, traf ein Schreiben der Staatsanwaltschaft Berlin ein. Wie bereits erwartet teilte sie mit, man habe das Ermittlungsverfahren eingestellt. Es bestehe kein Anlass, in strafrechtliche Ermittlungen einzutreten:

„Die von Ihnen geschilderte Äußerung des Beschuldigten mag auf Unverständnis und Befremden stoßen, eine strafrechtliche Relevanz hat die Äußerung jedoch nicht.“

Die Äußerung sei

„vor dem Hintergrund, vor dem sie gefallen ist, noch vom Grundrecht der freien Meinungsäußerung gedeckt“.

Ich schätze unser Grundgesetz und seine Grundrecht, auch das auf freie Meinungsäußerung. Ich kann mit der Entscheidung der Staatsanwaltschaft leben.
Die Äußerung Ehrmanns empfinde ich allerdings weiterhin als prekär und bestürzend, auch nach seiner seltsamen ‚Klarstellung‘ (pdf). Bestürzend besonders auch, da sie von einem Politiker stammt, und zudem nicht einem mit Medien wenig erfahrenen Politiker, sondern dem stellvertretenden Vorsitzenden des Medienausschusses.
Und wie diese Äußerung mit seiner kirchlichen Tätigkeit vereinbar ist, wird wohl auch sein Geheimnis bleiben …

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Pop-Star: HIV-Outing bleibt ungeklärt – Prozess geplatzt

Recht auf Information der Öffentlichkeit, oder Recht auf Privat-Sphäre? HIV-Outing durch die Medien – zulässig im ‚höheren Interesse‘? Diese Frage, aufgeworfen durch den Fall der Verhaftung eines Pop-Stars wegen des Verdachts auf HIV-Übertragung sowie die Medien-Berichterstattung darüber, diese Frage wird vorerst ungeklärt bleiben. Die Sängerin zog ihre Anträge zurück, die Verhandlung findet nicht statt.

Steht das Recht der Öffentlichkeit auf Information über dem Recht auf Privatsphäre? Die Verhaftung einer Pop-Sängerin wegen Verdachts auf HIV-Übertragung und die anschließende drastische Medien-Berichterstattung darüber haben die Bedeutung dieser Frage erneut sichtbar gemacht.

Was ist höher zu bewerten? Das Recht der Öffentlichkeit auf Information? Oder das Recht einer (auch prominenten) Person auf Privatsphäre?

Darf man, konkreter dürfen die Medien Details aus dem Privat- und Intimleben einer Person, auch über ihre Gesundheit, eine etwaige HIV-Infektion, groß an die Öffentlichkeit bringen? Ist ein unfreiwilliges HIV-Outing in ‚höherem Interesse‘ (einer ‚informierten Öffentlichkeit‘) zulässig, auch zu Lasten der betreffenden Person?

Mit diesen Fragen sollte sich am 28. Mai 2009 die Pressekammer des Berliner Landgerichts zu beschäftigen haben.

Verhandelt werden sollte über den Einspruch des Axel-Springer-Verlags gegen eine Verfügung des Berliner Landgerichts. Dieses hatte dem Verlag auf Antrag der Anwälte der betreffenden Sängerin untersagt, weiterhin über die Ermittlungen in Zusammenhang mit der Verhaftung einer Popsängerin zu berichten, der HIV-Übertragung vorgeworfen wird.

Sollte – denn die für heute 28.5.2009 angesetzten Verhandlungen finden nicht statt.

Angesetzt waren wegen getrennter Verfügungen zwei Termine, einer zur Berichterstattung über die Ermittlungen wegen schwerer Körperverletzung sowie einer wegen der Berichterstattung über den Grund ihrer Festnahme.

Doch die Sängerin nahm am Mittwoch, 27. Mai überraschend über ihren Anwalt die beiden Anträge auf einstweilige Verfügungen gegen den Axel Springer Verlag zurück. Der Anwalt ebenso wie die betroffene Zeitung wiesen Spekulationen zurück, es sei zwischen beiden Seiten zu einem außergerichtlichen Deal gekommen.

Der Anwalt der Sängerin gab „strategischer Gründe“ für den Rückzieher an. Zuvor hatte er gegenüber der Presse geäußert, „wir arbeiten im Hintergrund“.
Ein Vertreter von Springer zeigte sich erfreut – der Verlag sehe sich in seiner Überzeugung bestätigt. Ein öffentliches Interesse an einer Berichterstattung über den Fall sei unbestreitbar. Den vollen Namen der verhafteten Sängerin hätten Staatsanwalt und Polizei mitgeteilt.

Der hessische Justizminister, der wegen der Umstände der Verhaftung und des Verhaltens der Staatsanwaltschaft unter Druck geraten war, hatte sich bereits Ende April öffentlich hinter die Staatsanwaltschaft gestellt. Die Kritik sei unbegründet, in diesem Fall gehe das Recht der Öffentlichkeit vor.

Die Frage, wie weit darf das Recht der Öffentlichkeit auf Information ausgelegt werden, wie weit darf in die Privatsphäre eingegriffen werden bleibt damit vorerst unbeantwortet.

Letztlich geht es dabei (auch) um die Frage, ob die Medien ein Recht auf ein unfreiwilliges HIV-Outing haben – oder eben nicht. Eine wichtige Frage, an deren Beantwortung großes Interesse bestanden hätte.

Der überraschende Rückzug ist eine weitere erstaunliche Facette im Fall der wegen des Verdachts auf HIV-Übertragung verhafteten Sängerin.

Über die Verhandlung vor der Berliner Pressekammer wollte in ein Gastbeitrag Adam F. berichten. Adam hatte auf meine Suche nach einem Berichterstatter über die Verhandlung reagiert hat und sich bereit erklärt, zum Prozess zu gehen und zu berichten. So hätte er den Lesern von ondamaris (da ich selbst aufgrund anderer Termine nicht kann) einen Bericht aus erster Hand über diese wichtige Verhandlung ermöglicht. Dazu kommt es nun leider nicht – dennoch: auch an dieser Stelle ein besonders herzliches Dankeschön an Adam für sein Engagement!

weitere Informationen:
presseportal 15.04.2009: Einstweilige Verfügung gegen BILD im Fall Xxx Xxxxx
SZ 27.05.2009: No Angel: der Saal bleibt leer
SZ 27.05.2009: Ein Star sagt ab
FAZ 27.05.2009: Verfügung gegen Xxxxs „Brandbrief“
queer.de 28.05.2009: Xxxx Xxxxx geht nicht gegen Springer vor
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„Man merkt ihr die Krankheit nicht an“ – Plaudereien einer „Aids-Betreuerin“

Aids-Beratung – kompetent, verlässlich, vor allem: vertraulich. Eigentlich selbstverständlich. Außer wenn. Zum Beispiel wenn es um Prominente geht. Oder wenn „Aids-Betreuer“ in der Presse plaudern.

Beratung sollte unabhängig, kompetent und vor allem vertraulich erfolgen. Ganz selbstverständlich erscheint vielen, dass kompetente Aids-Beratung diese Kriterien erfüllt und diesen Ansprüchen auch in der praktischen Arbeit gerecht wird.

Doch – was für Aids-Berater der Aids-Hilfen selbstverständlich gilt (und durch umfangreiche Qualitätssicherungs-Maßnahmen auch fortlaufend sichergestellt und optimiert werden soll), ist noch lange nicht in jeder anderen Aids-Organisation üblich.

So gibt es auch „Aids-Betreuer“ und „Aids-Betreuerin“.

‚Aids-Betreuerin‘ mag keine gängige Bezeichnung sein – aber scheinbar eine, deren Standards zumindest andere, vermutlich weit lockerere als die professionellen Standards der Aidshilfe sind.

Wie sonst ist es zu erklären, dass -angesichts der von der Deutschen Aids-Hilfe kritisierten Verhaftung einer Sängerin– eine ‚Aids-Betreuerin‘ in der Boulevard-Presse freimütig über ihre Arbeit plaudert?

„Sie hat einen völlig gesunden Eindruck gemacht, man merkt ihr die Krankheit nicht an“, so die Ärztin, die sich seit 22 Jahren um HIV-Patienten kümmert. „Es gibt auch einen Arzt, der sie im Gefängnis behandelt. Trotzdem war sie ganz dankbar dafür, dass ich ihr mein Wissen angeboten habe.“

So berichtet eine ‚Aids-Betreuerin‘ über die gesundheitliche Situation und Versorgung der verhafteten Sängerin, und ergänzt direkt zu deren psychischer Verfassung

„Sie schien mir nicht stabil zu sein und auch nicht zuversichtlich. Verständlich in dieser Situation. Ich konnte nur versuchen, sie zu trösten.“

Damit ist das Ende der Indiskretionen noch nicht erreicht, so wird auch über Kleidung, Körperpflege, Haftbedingungen berichtet.
Das ganze nicht bei einer Berater-Schulung, z.B. um eine Weiterbildung mit einem Fallbeispiel anonym zu illustrieren. Sondern in der Boulevard-Presse, mit Nennung des Namens der ‚betreuten‘ Person, unter dem Titel „Aids-Beraterin X hat sie in der Zelle besucht und berichtet in der Y“ [Name der ‚Betreuerin‘ mit X und der Zeitung mit Y ersetzt].

„Alle Beraterinnen und Berater verfügen über ausreichende Erfahrung, wurden speziell für die Online-Beratung geschult und dem Datenschutz verpflichtet“  – der Anspruch, der selbstverständlich ist für Beraterinnen und Berater der Aidshilfen (hier am Beispiel der Online-Beratung), scheint für andere andere Organisationen so nicht uneingeschränkt zu gelten.

Danke an K. für den Hinweis!

Mit HIV vogelfrei für die Medien“ – schade, dass sich auch manche „Aids-Betreuer“ an dieser fragwürdigen Inszenierung beteiligen.

„vertraulich – verlässlich – kompetent“, unter diesem Motto wirbt die Online-Beratung der Aidshilfen für ihre Angebote. Und skizziert damit kurzgefasst den Standard, der für jegliche Gesundheitsberatung gelten sollte.

Vertraulichkeit steht dabei nicht grundlos an erster Stelle. Dass Privates z.B. zu Gesundheit und Psyche in den Medien ausgeplaudert wird, ist bei diesen Standards nicht vorgesehen.

Leider halten sich nicht alle, die im Aids-Bereich aktiv sind, an diese Standards. Ein Grund mehr, genau hinzuschauen, von wem man sich beraten lässt. Und im Zweifelsfall sich auf die bewährte Arbeit derjenigen Organisationen zu verlassen, die sich verpflichtet haben diese Standards einzuhalten: die in der Deutschen Aids-Hilfe zusammengeschlossenen Aids-Hilfen.

Hessen: Justizminister weist Kritik an Staatsanwaltschaft als unbegründet zurück (akt.2)

Die Darmstädter Staatsanwaltschaft habe sich bei der Verhaftung einer Sängerin wegen Verdachts auf HIV-Infektion korrekt verhalten und auch korrekt darüber berichtet, äußerte der hessische Justizminister bei einer Anhörung heute  im Rechtsausschuss des Hessischen Landtags.

Nach der Verhaftung einer Sängerin war der Hessische Justizminister unter Druck geraten. Grund war unter anderem das fragwürdige Verhalten der Staatsanwaltschaft Darmstadt.

Doch – da sei nichts fragwürdig, meint der hessische Justizminister Jörg-Uwe Hahn, wie die FR meldet:

„Bei der Abwägung zwischen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte der Sängerin und dem Recht der Medien auf Information habe in diesem Fall der Anspruch der Medien Vorrang, sagte Hahn am Mittwoch bei einer Sitzung des Landtags- Rechtsausschusses in Wiesbaden.“

Weder in der Arbeit der Darmstädter Staatsanwaltschaft, noch in der Berichterstattung der Darmstädter Staatsanwaltschaft sehe er Fehler, betonte Hahn. Vielmehr bezeichnete er die Vorgehensweise laut FAZ als „rechtlich zulässig und fachlich geboten“.

Demgegenüber hatten sowohl die Grünen am 22.4.2009 als auch die SPD am 28.4.2009 betont, hier seien Persönlichkeitsrechte nicht ausreichend berücksichtigt worden.

Hahn gab in der Anhörung u.a. an, bereits am Donnerstag vor Ostern von dem Fall und der bevorstehenden Aktion informiert worden zu sein. Die Verhaftung erfolgte am darauf folgenden Samstag. Hahn sagte, er habe zu keinem Zeitpunkt Veranlassung gehabt, einzugreifen.

Andreas Jürgens, rechtspolitischer Sprecher der Landtagsfraktion der Grünen, betonte

„Es bleibt dabei, dass wir die Sache unterschiedlich werten. Nach unserer Auffassung ist die Staatsanwaltschaft mit ihrer Informationspraxis über das Ziel hinausgeschossen, es wurden Persönlichkeitsrechte verletzt. Wir haben erhebliche Zweifel daran, dass in diesem frühen Stadium des Ermittlungsverfahrens diese nicht wieder rückholbaren Informationen an die Öffentlichkeit hätten gegeben werden dürfen.“

Heike Hoffmann, rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, äußerte die Ansicht, im Hinblick auf das Verbot einer unnötigen Bloßstellung sei die von der Staatsanwaltschaft Darmstadt herausgegebene Information über eine HIV-Infizierung kritisch zu betrachten.

Unterdessen bestätigte das Berliner Landgericht, dass am 19. Mai die Pressekammer mündlich über den Widerspruch des Axel-Springer-Verlags gegen die Anordnung des Landgerichts verhandeln wird, nicht über das Ermittlungsverfahren gegen die Sängerin zu berichten.
Aktualisierung: Das Landgericht Berlin teilte am 18.5.2009 ohne Angabe von Gründen mit, dass der Verhandlungstermin „kurzfristig vom 19. Mai 2009 auf den 28. Mai 2009, 13.30 Uhr, Saal 143 verleg“ wurde.

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weitere Informationen:
ondamaris 26.04.2009: Die Patientenakte und der Staatsanwalt
FR 29.04.2009: Hahn stellt sich hinter Staatsanwalt
FAZ 29.04.2009: Minister: Justiz handelte korrekt im Fall Benaissa
Grüne Hessen 29.04.2009: Rechtsausschuss zum Fall Nadja B. – GRÜNE sehen weiterhin Verletzung der Persönlichkeitsrechte
SPD Hessen: Auch bei Ermittlungsverfahren gegen Prominente müssen die Persönlichkeitsrechte gewahrt werden
alivenkickin 29.04.2009: HIV Positive für vogelfrei erklärt
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Die Patientenakte und der Staatsanwalt (akt.2)

Wie sicher sind Patientenakten beim Arzt, in der Klinik? Hat der Staatsanwalt Zugriff auf Patientendaten, wenn er will? Im Fall der verhafteten Sängerin scheint es so …

Am 11. April wurde eine Sängerin verhaftet, mit dem Vorwurf der fahrlässigen HIV-Infektion. „Sicherungshaft“, wegen „des dringenden Verdachts, weiterhin ungeschützten Geschlechtsverkehr mit verschiedenen Männern zu haben“.

Ein unappetitlicher Vorgang. Einer, der bald auch die handelnde Staatsanwaltschaft und den hessischen Justizminister in Erklärungsnöte bringt.

Ein Vorgang allerdings auch, der am Rande auf eines hinweist: Patientenakten sind nicht so sicher, wie manche es glauben.

Der ‚Spiegel‘ berichtet in einem Artikel über den Fall (Ausgabe 17/2009, S. 93):

„Am 25. März ordnet ein Darmstädter Amtsrichter ein immunologische Gutachten an, das klären soll, ob die Sängerin den Künstlerbetreuer angesteckt hat. Eine Woche später lässt er ein Frankfurter Klinikum durchsuchen und X‘ Krankenakte kopieren.“

Der Staatsanwalt (der laut FAZ „diese Angaben nicht kommentieren“ wollte) „lässt die Krankenakte kopieren“ – einfach so?

Wer hat denn das Recht, meine Daten als Patient einzusehen?

Unterliegen diese Daten nicht der ärztlichen Schweigepflicht?

Besteht nicht zwischen Arzt und Patient ein besonderes Vertrauensverhältnis?

Das Bundesministerium für Gesundheit erläutert die Rechtslage (in der Broschüre „Patientenrechte in Deutschland“, 5. Auflage September 2007, pdf):

„Die den Patienten betreffenden Informationen, Unterlagen und Daten sind von Ärzten, Pflegepersonal, Krankenhäusern und Krankenversicherern vertraulich zu behandeln. Sie dürfen nur mit Zustimmung des Patienten oder auf der Grundlage gesetzlicher Bestimmungen weitergegeben werden.“

Zudem haben Ärzte (wie Zahnärzte, Apotheker und Hebammen) nach § 53 Abs. 1 Nr. 3 Strafprozeßordnung (StPO) das Recht, das Zeugnis über das, was ihnen in ihrer beruflichen Eigenschaft anvertraut worden ist, zu verweigern. § 97 Abs. 1 und 2 StPO ergänzt dies um ein Beschlagnahmeverbot:

§97 (1) 2.: „Der Beschlagnahme unterliegen nicht … Aufzeichnungen, welche die in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3b Genannten über die ihnen vom Beschuldigten anvertrauten Mitteilungen oder über andere Umstände gemacht haben, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht erstreckt; …“, und

§97 (2) Satz 2: „Der Beschlagnahme unterliegen auch nicht Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der Ärzte, Zahnärzte, Psychologischen Psychotherapeuten, Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten, Apotheker und Hebammen erstreckt, wenn sie im Gewahrsam einer Krankenanstalt oder eines Dienstleisters, der für die Genannten personenbezogene Daten erhebt, verarbeitet oder nutzt, sind, sowie Gegenstände, auf die sich das Zeugnisverweigerungsrecht der in § 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3a und 3b genannten Personen erstreckt, wenn sie im Gewahrsam der in dieser Vorschrift bezeichneten Beratungsstelle sind.“

Entsprechend kommt z.B. der Landesbeauftragte für den Datenschutz Mecklenburg-Vorpommern zu dem Schluß

„Den Mitarbeitern sollte durch einen entsprechenden Hinweis in der Dienstanweisung bewusst werden, dass Beschlagnahmen von Patientenunterlagen durch die Staatsanwaltschaft in der Regel unzulässig sind und Akten nicht heraus gegeben werden dürfen …“ (Der Landesbeauftragte für Datenschutz Mecklenburg-Vorpommern: „Datenschutz im Krankenhaus“,S.74, pdf)

Auch das Bundesverfassungsgericht hat sich zur Frage der Patientenakten geäußert:

„Wer sich in ärztliche Behandlung begibt, muß und darf erwarten, daß alles, was der Arzt im Rahmen seiner Berufsausübung über seine gesundheitliche Verfassung erfährt, geheim bleibt und nicht zur Kenntnis Unberufener gelangt.“ (BVerfGE 32, 373, 380)

Das BVerfG ergänzt sogar explizit

„Andererseits läßt sich ein solcher Eingriff [Einblick in die Patientenkartei, d.Verf.] nicht generell mit dem Interesse an der Aufklärung von Straftaten rechtfertigen, die allein dem Patienten zur Last gelegt werden. Wird bei einem Arzt die Karteikarte des Beschuldigten ohne oder gegen dessen Willen beschlagnahmt, so liegt darin in aller Regel eine Verletzung des dem Einzelnen zustehenden Grundrechts auf Achtung seines privaten Bereichs.“ (ebenda)

Wie also kommt ein Darmstädter Amtsrichter an die Krankenakte aus dem Klinikum?

Laut Aussage des Frankfurter Fachanwalts für Medienrecht Felix Damm („Beckmann“, 27.04.2009) ist es „zu einer Beschlagnahme gekommen“.

Was erst recht viele Fragen aufwirft, z.B. die nach der Vertraulichkeit des Arzt-Patient-Verhältnisses.

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weitere Informationen:

Unabhängiges Zentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein: Datenschutzrechte der Patienten

Deutsches Ärzteblatt 2008: Krankenunterlagen: Wer darf Einsicht nehmen?

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