Sicheres Vergnügen

„Sicheres Vergnügen“ – eine neue Schweizer Broschüre gibt „Sextipps von Mann zu Mann“. Und behandelt dabei auch Möglichkeiten, safer Sex ohne Kondom zu haben.

Die Broschüre „Sicheres Vergnügen – Sex-Tipps von Mann zu Mann“  vermittelt im praktischen Taschenformat (halbe Postkartengröße) eingangs eine wesentliche Botschaft:

„Anonymer Sex und schnelles Vergnügen? Oft braucht es dafür keine Worte. Deshalb wissen beide Partner, wie sie sich schützen, und jeder übernimmt die Verantwortung für sich selbst.“

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Die Broschüre thematisiert pragmatisch verschiedene Situationen des Sex zwischen Männern, von der „großen Liebe“ bis zu „anonymer Sex und schnelles Vergnügen“, oder auch die (gern auch als ‚Schutz‘-Möglichkeit gedachte) Konstellation regelmäßiger Sexpartner (wie Fuckbuddies, geschlossene Sex-Zirkel etc.):

„Wiederholt Sex mit Freunden oder Bekannten, die du schon länger kennst? Vertrautheit verführt zu falschen Schlüssen punkto Sicherheit.
Wer beim letzten Test HIV-negativ war, muss es heute nicht mehr sein. Rede mit deinen Partnern, wie ihr euch schützt.“

Vor allem geht der Text auch auf Möglichkeiten ein, Safer Sex ohne Kondom zu haben:

„Sex ohne Gummi? Sicher möglich!
Bumsen ohne Gummi mit deinem festen Partner kann sicher sein. Das geht so:
1. Gemeinsamer Test und Beratung im Checkpoint oder bei einer Teststelle mit Beratung
2. 3 Monate lang Safer Sex – konsequent mit allen Partnern
3. Gemeinsamer HIV-Test mit Partner
4. Seid ihr beide HIV-negativ, dann sagt einander klar: Entweder seid ihr euch treu oder ihr macht mit anderen Sexpartnern nur Safer Sex.
5. Wer die Vereinbarung nicht einhält, teilt das dem Partner sofort mit. Legt im Voraus fest, wie ihr das machen wollt. Dann gelten wieder die Safer-Sex-Regeln, bis eine Infektion mittels Test ausgeschlossen
werden kann.
Wie sicher ist diese Methode? Sehr sicher, wenn ihr beide die Vereinbarung einhaltet.“

Die Broschüre thematisiert auch ansatzweise, dass viele Männer versuchen, von Aussehen und Körper auf den HIV-Status zu schließen, sich danach ihre Sexpartner auszusuchen. Vom eingefallenen Gesicht bis zum tastenden Griff an den Arsch – individuelle Strategien bzw. Versuche von Risikominderung, die leicht daneben gehen können.

„Auf gesundes Aussehen achten
Eine HIV-Infektion ist nicht sichtbar. Du siehst keinem an, ob er HIV-positiv oder HIV-negativ ist. Jugend, gutes Aussehen oder kräftiger Body sagen nichts über den HIV-Status oder andere sexuell übertragbare Infektionen.“

Die Broschüre behandelt erfreulicherweise auch die Situation, die nach dem EKAF-Statement (‚keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs‚) entstanden ist:

„HIV-positiv und nicht ansteckend?
HIV-positive Menschen mit wirksamer antiretroviraler Therapie übertragen das Virus beim Sex nicht unter drei Bedingungen:
1. Die Viruslast ist seit mindestens sechs Monaten nicht mehr nachweisbar.
2. Die HIV-Therapie wird eingehalten und regelmässig vom Arzt kontrolliert.
3. Es liegen keine anderen sexuell übertragbaren Infektionen vor (z.B. Syphilis).
Und wen betrifft das?
– Menschen in festen Partnerschaften, bei denen ein Partner HIV-positiv und der andere negativ ist.
-Denn nur in einer vertrauensvollen Beziehung kann der HIV-negative Partner sicher sein, dass die drei Bedingungen erfüllt sind.
-Nur so kann ein gemeinsamer Entscheid zusammen mit dem beratenden Arzt für oder gegen Kondome gefällt werden.
Mit Gelegenheitspartnern und in neuen Partnerschaften schützt weiterhin nur Safer Sex.“

Die Broschüre geht auf viele weitere Themen ein, wie Beschneidung und Mikrobizide zur Senkung des Infektionsrisikos, und findet insbesondere zur so genannten PrEP [ein (evtl. vermeintlich) HIV-Negativer nimmt antiretrovirale Medikamente, um sich vor einer HIV-Infektion zu ’schützen‘] deutliche Worte:

„Schlucke auf keinen Fall HIV-Medikamente, wenn du nicht HIV-positiv bist! Sie nützen dir nichts, ihr Schaden kann hingegen gross sein.“

Sicheres Vergnügen – Sextipps von Mann zu Mann
Herausgegeben von der Aids-Hilfe Schweiz © 2008
Mitarbeit: Thomas Bucher, Urs Witwer, Lukas Meyer, Claire Comte, Steven Derendinger, Benedikt Zahno, Roger Markowitsch, Vincent Jobin, Andrea Ostinelli
Gestaltung: schloss-ludwig.ch
Mit Unterstützung des Bundesamtes für Gesundheit
Download als pdf Sicheres Vergnügen (4,17 MB)
Alternativ kann die Broschüre auch über den Online-Shop der Aids-Hilfe Schweiz bestellt werden.

Die Grundhaltung der Broschüre erinnert stark an die Bezeichnung der Präventionskampagne der DAH für MSM „ich weiss was ich tu„.
Viele der Botschaften und die Gestaltung der Broschüre sind ansprechend. Besonders an dem Punkt „Sex ohne Gummi? Sicher möglich!“ ist die Broschüre ein begrüßenswerter Schritt in neue Realitäten. Und der (bundesdeutsche) Leser fragt sich, warum haben wir eine solche Broschüre nicht in Deutschland?
Eine Frage, die sich erst recht stellt, wenn es um die Frage geht, welche Auswirkungen das Statement der EKAF für das eigene Sex-Verhalten hat.
Gerade bei dieser Frage allerdings erweist sich die Broschüre als letztlich zaghaft, beinahe mutlos. Reduziert sie doch das Statement der EKAF allein auf praktische Informationen für eine bestimmte Konstellation: den „festen Partner“. Alles andere („Ohne Gummi mit mehreren Partnern“) wird reduziert auf ein „theoretisch schon, aber …“.
Die Aussagen des EKAF-Statements rein auf feste Partnerschaften zu reduzieren scheint eine verengte Wahrnehmung der Aussagen der Eidgenössichen Aids-Kommission, zudem angesichts der Realitäten vieler schwuler Männer und ihrer Beziehungen zumindest in Teilen realitätsfremd. Hier scheint die Broschüre ein Schritt in die richtige Richtung, wirkt allerdings ein wenig mutlos, mehr an Ausagen auch für andere Lebensrealitäten zu treffen.

Sex Pigs – a rough guide to dirty sex

Wie kann Prävention, Förderung sexueller Gesundheit aussehen für schwule Männer, die sich entscheiden, Sex ohne Kondom zu haben? Eine australische Kampagne geht szenenah Wege, Risikominimierung zu ermöglichen.

Die australische Positivengruppe ‚Positive Life New South Wales‘ hat 2007 und 2008 eine Kampagne durchgeführt unter dem Titel ‚Sex Pigs – a rough guide to dirty sex‘.

Sex Pigs - a rough guide to dirty sex (c) positivelife.org.au
Sex Pigs - a rough guide to dirty sex (c) positivelife.org.au

Eine Kampagne, die sich gezielt an schwule HIV-positive Männer wendet, die sich entschieden haben, Sex ohne Kondom zu haben. Sowie an HIV-negative oder ungetestete Männer, die sich in dieser ‚Szene‘ bewegen. Eine Kampagne, die sexuell übertragbare Krankheiten thematisiert, Syphilis, Hepatitis C, sexuelle Gesundheit. Eine Kampagne, die Gruppensex, gang bang, Fisten, Party-Drogen und andere Themen angeht, verständlich, in Alltagssprache. Eine Kampagne für eine Szene, die die Initiatoren als ’sex pig culture‘ bezeichnen.

Kathy Triffit von Positive Life New South Wales erläutert

„I received a directive to develop a prevention campaign for guys who have been described as being into sexually adventurous sex — group sex, fisting, drugs, and so on. Because we’re an organization geared towards HIV-positive people, what we’re doing here is we’re speaking to HIV-positive guys who choose not to use condoms.“

Worum geht es? Erneut Triffit:

„The messages are about sexual health. It’s more serious for an HIV-positive guy to get syphilis, for example — it progresses a lot faster. So there’s a message there around testing for STIs. There are messages there around changing gloves and condoms when you’re moving from partner to partner — from ass to ass, if you want to be graphic. Because there’s not only syphilis, but there’s also sexually transmitted hep C [hepatitis C], which is really starting to emerge as an area that we need to be looking at.“

Die Broschüre wird in Australien gezielt an Orten vertrieben, an denen ‚Sex vor Ort‘ angeboten wird. Ergänzt wird sie um Internet-Informationen, Anzeigen in Szene-Publikationen, aber auch um Einbindungen in Gay Dating Platformen wie gaydar.

Erst jüngst hatte sich die Studie „Wie leben schwule Männer heute?“ u.a. mit der Frage beschäftigt, wie in Deutschland die HIV-Prävention in ‚Kernbereichen sexueller Interaktion‘ verbessert werden kann.

Sex Pigs – a rough guide to dirty sex
eine Kampagne von Positive Life New South Wales
online als pdf hier

Die Kampagne wurde auf der Welt-Aids-Konferenz in Mexico mit einem Poster erläutert (als pdf hier):
Triffitt K. Sex pigs: A rough guide to dirty sex — a new approach to prevention. In: Program and abstracts of the XVII International AIDS Conference; August 3-8, 2008; Mexico City, Mexico. Abstract THPE0347

‚Restrisiken maximal wie bei Safer Sex‘ – Positionspapier der Aids-Hilfe Hessen zu EKAF

Im Folgenden als Dokumentation ein „Positionspapier der AIDS-Hilfe Hessen zur Veröffentlichung der
Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen (EKAF)“ [ siehe ‚keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV- Therapie ohne andere STDs‚] vom 30. Januar 2008

HIV-Infektiosität unter einer stabilen und wirksamen antiretroviralen Therapie (sART)
Positionspapier der AIDS-Hilfe Hessen zur Veröffentlichung der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen (EKAF) vom 30. Januar 2008

Vorbemerkung:
In Deutschland wird derzeit darüber diskutiert, wie mit den Empfehlungen der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen (EKAF) zur Beratung gut behandelter HIV-infizierter Menschen umgegangen werden soll. Die EKAF ist das höchste Beratergremium der Schweizer Regierung zu HIV und Aids. Sie setzt sich zusammen aus VertreterInnen der Wissenschaft und den wesentlichen Akteuren der HIV-Prävention. In ihrer Bedeutung ist sie vergleichbar mit dem Deutschen Nationalen Aids-Beirat der Deutschen Bundesregierung. Die Empfehlungen wurden einstimmig verabschiedet und am30.01.2008 veröffentlicht.

Auf Grundlage des aktuellen Standes der Diskussion gehen wir davon aus, dass die Grundaussage des EKAF-Papieres breite fachliche Unterstützung findet.

Die Kontroverse fokussiert aus unserer Sicht eher die Frage, ob die Aussagen der EKAF veröffentlicht werden sollten und welche Folgen dies für die Prävention von HIV-Neuinfektionen haben würde. Im Einklang mit unseren Leitbildern lehnen wir es ab, der Öffentlichkeit Informationen vorzuenthalten oder Informationen interessengeleitet zu entstellen, auch nicht aus präventionstaktischem Kalkül. Insbesondere das Unterdrücken neuer Erkenntnisse hinsichtlich der Übertragungswege und der Infektiosität von HIV ist in keinem Fall ein legitimes Mittel zur Erfüllung irgendeines Zwecks.

Position
Trotz aller Bedenken, die hinsichtlich möglicher Restrisiken in die Diskussion gebracht werden, besteht unserer Kenntnis nach Einigkeit darüber, dass die Restrisiken maximal denen von Safer Sex entsprechen.Da ein weitgehender Konsens in der Fachöffentlichkeit besteht, Safer Sex (unter Verwendung von Kondomen) zu empfehlen, und wir dies – nicht ohne den Hinweis auf Restrisiken – schon immer tun, schließen wir uns der Aussage der EKAF im Grundsatz an.

Wir leiten daraus die folgende Formulierung ab:

„Wer seit mindestens 6 Monaten eine Viruslast unter der Nachweisgrenze hat,
die Therapie konsequent durchführt und keine anderen symptomatischen
STIs hat, überträgt HIV bei Kondomverzicht mit einer Wahrscheinlichkeit, die
der von Safer Sex (unter Verwendung von Kondomen) ohne diese Voraussetzungen
entspricht.“

Die in letzter Zeit zunehmende Fokussierung von Risikowahrnehmung und Verantwortung auf Menschen, die von ihrer Infektion wissen, halten wir präventionslogisch für kontraproduktiv. Sie ist falsch angesichts der Erkenntnis, dass Neuinfektionen nicht nur überwiegend von Menschen ausgehen, die von ihrer Infektion nicht wissen, sondern dies vor allem dann geschieht,wenn sich die Träger des Virus gerade selbst erst infiziert haben, und sich somit noch in der Phase der Primärinfektion befinden.

Wir begrüßen, dass eine Aussage, die von vielen Experten seit längerem außerhalb der Öffentlichkeit getroffen wird, nun die Öffentlichkeit erreicht hat.

Wir gehen davon aus,dass die Veröffentlichung der EKAF einen wichtigen Beitrag dazu leistet,

– den Wandel des Selbstbildes von Betroffenen zu befördern;

– eine Normalisierung der gesellschaftlichen Wahrnehmung von HIV/AIDS zu befördern;

– einen den Realitäten angemessenen Blick auf Übertragungsmöglichkeiten und -wahrscheinlichkeiten zu eröffnen, und so den Abbau von Fehleinschätzungen und daraus resultierenden Ängsten zu befördern;

– Aushandlungsprozesse in Beziehungen, auch im Hinblick auf Schwangerschaft und Kinderwunsch zu erleichtern;

– von Infektionsängsten unbelastete sexuelle Begegnungen zu ermöglichen, und selbst bei Safer Sex-Unfällen Ängste abzubauen. In diesem Zusammenhang erwarten wir zudem einen Bedeutungsverlust der PEP.

– die Angst vor einem positiven HIV-AK-Test mit den daraus resultierenden Folgen abzubauen und so die Motivation zum Test zu stärken (mit den daraus resultierenden Vorteilen für die Sekundärprävention);

– ein gelingendes individuelles Risikomanagement zu realisieren,

– indem zum einen Schutzillusionen abgebaut werden (hierzu zählen wir neben dem negativen
Serosorting vor allem die Identifikation von Orten/Settings und Partnern, die als „sicher“ phantasiert
werden, was einer fehlgeleiteten subjektiven Sicherheitsvorstellung gleichkommt), und
– indem zum anderen das Bewusstsein für die Bedeutung der Prävalenz von HIV und anderen STIs
bei MSM geschärft wird;

– unsere Präventionsstrategien weiterzuentwickeln, u.a. auch durch die Festigung bestehender Standards, wie die Stärkung von Selbstbestimmungsprozessen, die Berücksichtigung von Lebensqualität und die Orientierung an der gelebten Wirklichkeit;

– die Rechtsprechungspraxis zu verändern.

Implikationen für die Beratungsarbeit und die Prävention
Die hessischen Aidshilfen verfolgen in ihrer Beratungsarbeit als ein wesentliches Ziel „die Wiederherstellung, Wahrung und Erweiterung der persönlichen Entfaltungsmöglichkeiten“ und „die Ausweitung des Handlungsfeldes und der Handlungsalternativen“ der Beratungssuchenden (Leitlinien zur psychosozialen Beratungsarbeit).

In diesem Sinne unterstützen wir Ratsuchende, auf die die von der EKAF benannten Voraussetzungen zutreffen, in ihrer Auseinandersetzung mit der Frage, in wie weit eingeübte (negative) Selbstbilder angesichts die Neubewertung, die durch Veröffentlichung der EKAF vorgenommen wird, überdacht werden müssen. Wir zielen dabei darauf ab, die entlastenden Aspekte dieser Aussagen wirksam werden zu lassen.

Wir sind uns jedoch auch der Tatsache bewusst, dass die Aussagen der EKAF nicht ausschließlich eine Entlastung darstellen, denn für die Betroffenen wird die Auseinandersetzung mit der eigenen Infektiosität komplexer.Wir gehen davon aus, dass die Wahrnehmung der Veränderungen in der Viruslast für die betroffenen KlientInnen an Bedeutung gewinnt. In unserer Beratungsarbeit müssen wir uns folglich den medizinischen und psychosozialen Herausforderungen stellen, die durch ein intensiviertes „Therapie-Monitoring“ entstehen können. Um den hieraus resultierenden Beratungsbedarfen gerecht werden zu können, aktualisieren wir fortwährend unser medizinisches Fachwissen und setzen uns bei unserem Bundesverband dafür ein, dass entsprechende Fortbildungsmaßnahmen angeboten und Informationsangebote bereitgestellt werden.

Darüber hinaus unterstützen wir Ratsuchende in ihren Bemühungen, die veränderte wissenschaftliche Bewertung der Infektiosität unter einer wirksamen ART in das eigene Risikomanagement zu integrieren. Auch in dieser Frage schreiben wir gemäß unserem Leitbild niemandem Antworten und Lösungen vor, sondern arbeiten ergebnisoffen. Wir enthalten niemandem Informationen vor und stellen Transparenz her sowohl im Hinblick auf unterschiedliche wissenschaftliche Bewertungen als auch im Hinblick auf unsere eigenen Ziele und Haltungen als BeraterInnen und die fachlichen Diskurse, die diese beeinflussen.

Diese Haltung in der Beratung entspricht der unserer Präventionsarbeit. Wir stellen uns den Herausforderungen, die aus der zunehmenden Individualisierung der Präventionsstrategien erwachsen sind und bieten unsere Unterstützung in der Gestaltung eines gelingenden Risikomanagements an. Wir bieten Anlass und Informationen, um die individuellen Strategien zu hinterfragen und abzusichern und fördern die individuelle Auseinandersetzung mit Wünschen, Phantasien und Sehnsüchten sowie die Bereitschaft, diese zu kommunizieren. Hierdurch fördern wir die Bereitschaft zur Übernahme von Eigenverantwortung. Gegenüber der Politik und unseren Finanzgebern fordern wir die Unterstützung ein, die für den Ausbau und die Weiterentwicklung unserer personalkommunikativen Angebote notwendig ist.

Verabschiedet auf demVerbandstag der AIDS-Hilfe Hessen am 12.11.2008
www.aids-hilfe-hessen.de

Das Positionspapier der Aids-Hilfe Hessen steht auf deren Internetseiten auch als Download (pdf) zur Verfügung.

DAH unterzeichnet Mexiko-Manifest

Die Deutsche Aids-Hilfe hat sich als Organisation dem Mexiko-Manifest angeschlossen. Der Delegiertenrat hat am 15.11.2008 die Unterschrift ratifiziert.

Der Delegiertenrat der DAH, höchstes Organ der DAH zwischen den Mitgliederversammlungen, legt satzungsgemäß „mit dem Vorstand die Grundlinien der Arbeit der DAH fest, unterstützt den Vorstand und beaufsichtigt ihn auch.“
Der Delegiertenrat besteht aus Landesdelegierten, je zwei Vertreter(inne)n der drei nach Größe der Aidshilfen geordneten Mitgliederversammlungs-Stimmgruppen, je zwei Vertreter(inne)n der von der Mitgliederversammlung anerkannten Netzwerke sowie bis zu drei von der Mitgliederversammlung direkt gewählten Einzelpersonen.

Das “Mexico Manifest – Manifest der Menschen mit HIV und Aids zum Welt-Aids-Kongress 2008 in Mexico City” war auf Initiative der Schweizer Positiven-Organisation LHIVE entstanden.

Mitte Oktober hatte bereits der Vorstand der DAH sich dem Mexiko-Manifest angeschlossen. Am 5. Oktober 2008 war der Vorstand der deutschen Aids-Hilfe neu gewählt worden.

Die ‚Rektalstudie‘ – ist eine Studie zur HIV-Übertragung bei Analverkehr sinnvoll und notwendig? (akt.)

Braucht es eine Studie, die HIV-Konzentration im Darm und Übertragungsrisiken am Menschen untersucht? Und wenn ja, wie kann diese so konzipiert werden, dass Studienteilnehmer keine Risiken eingehen? Die ‚Rektalstudie‚ sieht sich kritischen Fragen ausgesetzt.

Worum geht es?
Auslöser der Debatte um das Thema ‚Infektiosität und Analschleimhaut‘ ist das Statement der EKAFkeine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„.
In ihrem Statement sagt die EKAF klar “das Risiko einer HIV-Übertragung beim Sex ohne Kondom unter vollständig supprimierter Viruslast ist deutlich geringer als 1:100.000. Das verbleibende Restrisiko lässt sich zwar wissenschaftlich nicht ausschließen, es ist aber nach Beurteilung der EKAF und der beteiligten Organisationen vernachlässigbar klein.”

Im Statement der EKAF wird nicht unterschieden zwischen Vaginal- und Analverkehr. Und dennoch kaprizierte sich von Anbeginn an genau auf diese Frage ein großer Teil der Debatte: können Daten für die HIV-Transmission bei Vaginalverkehr auf Analverkehr übertragen werden?

Die Schweizer reagierten früh auf diesbezügliche Fragen und Vorwürfe. Schon bald hat Prof. Hirschel präzisiert:

“Wenn man keine Studien hat, muss man auf den Verstand ausweichen. Es gibt keinerlei gute biologische Gründe, die erklären könnten, warum die vaginale Transmission sich von der rektalen Transmission unterscheiden soll.”
Und ob das Übertragungs-Risiko zwischen analem und vaginalem Verkehr nicht doch unterschiedlich sein könne?
Vielleicht, aber die verfügbaren Daten von nicht behandelten Patienten zeigen, dass die Risiken vergleichbar sind.”

Die Datenlage ist bisher tatsächlich scheinbar schlecht. Es gibt kaum Studien über die Konzentration von HIV in der Darmschleimhaut, sowie über die Auswirkungen erfolgreicher Therapie hierauf. Ob diese schlechte Datenlage allerdings überhaupt für die Diskussion relevant ist, ist auch angesichts der Erwiderungen von Prof. Hirschel fraglich.

Das Kompetenznetz HIV (Leitung: Prof. Brockmeyer, Bochum) schaltete sich ein. Und plant nun eine Studie. Die so genannte „Rektalstudie„. Ziel dieser Studie soll es sein, die Virusbelastung der Darmschleimhaut auch bei mechanischer Beanspruchung (mittels eines Dildos) zu untersuchen.
Auf dem Internetangebot des Kompetenznetz HIV ist die Studie nicht verzeichnet.
Eine Vor-Studie hierzu rekrutiert allerdings bereits Teilnehmer.
Und der Vorstand der DAH setzt sich kritisch mit der Studie auseinander.

An die Studie könnten viele Frage gestellt werden – und sie müssen gestellt werden, auch zum Schutz der potenziellen Teilnehmer.
So bleibt zunächst zu klären, was die Rationale einer solchen Studie ist und sein kann. Wie relevant ist das Thema dieser Studie tatsächlich für die weitere Diskussion und Entscheidung über Konsequenzen aus dem EKAF-Statement?
Ist sie tatsächlich erforderlich? Gelten die Begründungen von Prof. Hirschel nicht, oder warum werden sie als nicht ausreichend betrachtet?
Kann eine Studie zur rektalen Transmission überhaupt in einer Konstellation durchgeführt werden, die ethisch vertretbar ist? In der die Studienteilnehmer nicht unnötig gefährdet werden? Ist die Studie vertretbar und verantwortbar?
Wie sieht die Patienteninformation aus? Waren Patienten-Organisationen, Menschen mit HIV daran beteiligt?
War oder ist Aidshilfe oder Aidshilfe-Mitarbeiter an dieser Studie beteiligt? Wann, wer, in welchem Umfang?
Hinterfragenswert auch die Vor-Studie, die bereits rekrutiert. Was wird hier konkret untersucht? Wie informiert sind die Studienteilnehmer?

Fragen über Fragen – umso erstaunlicher, dass diese Studie in aller Stille vorbereitet und konzipiert wurde. Und dass die Vorstudie bereits Patienten rekrutiert.

Davon abgesehen könnte man auf den Gedanken kommen, dass mit der Rektalstudie Schein-Aktionismus betrieben wird. Wird hier eine Schein-Debatte geführt, die von den wichtigen Fragen im Zusammenhang mit dem EKAF-Statement und möglichen Konsequenzen daraus nur ablenkt, eine Auseinandersetzung damit verzögern soll?

Nachtrag
24.012.2009: Auf Initiative des Vorstands der Deutschen Aids-Hilfe haben VertreterInnen des Patientenbeirats sowie DAH-Mitgliedsorganisationen eine Vereinfachung der Studie sowie einen Verzicht auf vorherige Stimulation vorgeschlagen.

DAH-Vorstand schließt sich Mexiko-Manifest an

Der Vorstand der Deutschen Aids-Hilfe hat auf seiner Sitzung am 17. bis 19. Oktober 2008 in Berlin einstimmig beschlossen, das Mexiko Manifest zu unterzeichnen.

Das „Mexico Manifest – Manifest der Menschen mit HIV und Aids zum Welt-Aids-Kongress 2008 in Mexico City“ war auf Initiative der Schweizer Positiven-Organisation LHIVE entstanden. Ihm haben sich inzwischen zahlreiche Organisationen und Einzelpersonen angeschlossen.
Das Manifest ist eine Reaktion auf das Statement der Eidgenössischen Aids-Kommission EKAF „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“ und die Debatten um dieses Statement (siehe auch „EKAF-Statement, Reaktionen und Folgen„).

Erst am 5. Oktober 2008 war der Vorstand der deutschen Aids-Hilfe neu gewählt worden.

Der Vorstand betonte, mit dem Unterzeichnen des Mexiko-Manifests sei die Debatte nicht beendet. Eine Stellungnahme des DAH-Vorstands zum EKAF-Statement selbst wurde für Dezember 2008 angekündigt.

25 Jahre Deutsche AIDS-Hilfe
25 Jahre Deutsche AIDS-Hilfe

Bundesregierung: EKAF hat „keine Auswirkungen auf HIV-Prävention“

‚Zur Zukunft der zielgruppenspezifischen HIV-Prävention bei schwulen Männern“ hat sich namens der Bundesregierung Staatssekretär Dr. Klaus Theo Schröder geäußert. Anlass war eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Barbara Höll, Klaus Ernst, Karin Binder, Katja Kipping, Monika Knoche, Elke Reinke, Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion ‚Die Linke‘ vom 22.09.2008 (Bundestagsdrucksache 16/10304, als pdf hier).

In ihrer Antwort formuliert die Bundesregierung ihre Unterstützung für die neue bundesweite Präventionskampagne der DAH „ich weiss, was ich tu!„:

Die Bundesregierung befürwortet die Ausarbeitung und Durchführung der zielgruppenspezifischen Kampagne für die Zielgruppe der MSM durch die DAH.

Dr. Klaus Theo Schröder - Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit (Foto: BMG)
Dr. Klaus Theo Schröder - Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit (Foto: BMG)

Wichtiger (auch vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen darüber, wie szene-nahe Kampagnen zu gestalten sind) ist die Antwort auf die Frage „Wie beurteilt die Bundesregierung den Gebrauch von szenetypischen Gegriffen für den sexuellen Kontakt in der Gruppe der MSM im Rahmen einer Präventionskampagne?„. Dr. Schröder antwortet:

„Die Bundesregierung hält die zielgruppenspezifische Ansprache und den Gebrauch von zielgruppenspezifischen Begriffen in der HIV-Prävention weiterhin für richtig und notwendig.“

Auf die Frage, „welche HIV-Präventionsmöglichkeiten gibt es neben dem Kondom und wie könnten diese im Sinne der HIV-Prävention vermittelt werden?“ bemerkt die Bundesregierung u.a.:

„Das Kondom gilt weltweit und auch in der HIV-Prävention in Deutschland als wirksamster Schutz vor der HIV-Infektion. Darüber hinaus gelten die Safer Sex-Regeln …“

… um in Sachen des EKAF-Statements und seiner Beurteilung durch die Bundesregierung zu ergänzen

„Die Stellungnahme der … EKAF und insbesondere ihre Gültigkeit für homosexuelle Sexualkontakte wird weltweit wissenschaftlich sehr kontrovers diskutiert.
Nach Auffassung der Bundesregierung hat das Statement deshalb zum jetzigen Zeitpunkt keine Auswirkungen auf die HIV-Prävention, insbesondere auch nicht für homosexuelle Männer. …“

Immerhin, die Bundesregierung sieht Forschungsbedarf:

Untersuchungen sind daher erforderlich zu den Unterschieden zwischen dem Transmissionsrisiko über vaginale Schleimhaut und dem über rektale Schleimhaut unter einer effektiven antiretroviralen Therapie.

… hüllt sich aber hinsichtlich ihrer Ambitionen diese Forschungen auch zu fördern ein wenig im Nebel. Sie verweist auf ein Düsseldorfer Forschungsprojekt zum sexuellen Risikoverhalten sowie RKI-Studien zur Rolle anderer sexuell übertragbarer Infektionen bei HIV. Keine Aussagen zu Forschungen hinsichtlich des EKAF-Statements, stattdessen belanglose Allgemeinplätze:

Sollten Forscherinnen und Forscher darüber hinaus erfolgversprechende Anträge für Forschungsvorhaben einreichen, wird die Bundesregierung die Möglichkeit einer finanziellen Unterstützung sorgfältig prüfen.

Das EKAF-Statement hat keine Bedeutung für die HIV-Prävention, wohl aber die Positiven, meint die Bundesregierung:

„… HIV-Positive können mit ihrem Verhalten zur Nichtübertragung des Virus entscheidend beitragen. Hierfür wird auch ein Klima benötigt, das es HIV-Positiven ermöglicht, offen über ihre Infektion zu sprechen. Dies ist … bis heute nicht ausreichend gewährleistet.

Wie sie dieses bisher ihrer eigenen Ansicht nach nicht ausreichend gewährleistete Klima zu schaffen oder befördern gedenkt (über die iwwit-Kampagne hinaus), dazu äußert sich die Bundesregierung nicht.
Immerhin, der Bundesregierung scheint bekannt, dass es nicht „die homosexuelle Lebensweise“ gibt: Auf die Frage „Wie haben sich nach Ansicht der Bundesregierung die Lebensweisen schwuler Männer verändert?“ antwortet Staatssekretät Dr. Klaus Theo Schröder namens der Bundesregierung

„Die Lebensweisen homosexueller Männer haben sich in den vergangenen Jahren nicht wesentlich geändert. Es handelt sich zudem um eine sehr heterogene Gruppe, die unterschiedliche Lebensweisen führt  …“

Barbara Höll, eine der Initiatorinnen der Kleinen Anfrage, kommentierte in einer Stellungnahme „Erfreut nehme ich die Antwort der Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage zur Kenntnis, dass die Bundesregierung das Konzept der strukturellen Prävention (hier: Emanzipation und Akzeptanz schwuler Männer als Voraussetzung für eine erfolgreiche HIV-Prävention) unterstützt und befürwortet. Aber dies steht im Widerspruch zu ihrer eigenen Politik. Die völlige rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen wäre umgehend umzusetzen, insbesondere durch das Gleichstellen der Lebenspartnerschaft mit der Ehe. Nur dann wären Schwule, wie auch Lesben, auch rechtlich gleichgestellt und ihre Lebensweisen stärker akzeptiert. Wer die HIV-Prävention bei schwulen Männern stärken will, muss die Akzeptanz schwuler Lebensweisen fördern. Nur ein selbstbewusst schwuler Mann, der gesellschaftlich akzeptiert wird, kann auch erfolgreich HIV-Prävention umsetzen.“

Die vollständige Antwort der Bundesregierung steht hier auf ondamaris als pdf zur Verfügung.

Kurz nach Vorlage ihres Berichts (pdf hier) über den ‚Stand der rechtlichen Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften‘ (den TheGayDissenter liebevoll ‚Homophobiebericht‘ betitelt) äußert sich die Bundesregierung auch zur Zukunft der HIV-Prävention bei schwulen Männern.
Zunächst ist es zu begrüßen, dass die Bundesregierung -nachdem sie in der Vergangenheit selbst für einige Stolpersteine gesorgt hatte-
die erste bundesweite HIV-Präventionskampagne der DAH für schwule Männer („ich wiess, was ich tu!“) unterstützt, und dass sie auch zilegruppengerechte Sprache begrüßt.

Erstaunlich, wenn auch nach dem Verhalten in den letzten Monaten zu erwarten, ist dass die Bundesregierung im Statement der EKAF keinerlei Auswirkungen auf die HIV-Prävention sieht. Man könnte den Eindruck bekommen, die Lebensrealitäten schwuler Männer sind hier teilweise weiter als die Einsichtsfähigkeit der Bundesregierung.

Zu begrüßen ist, dass der Bundesregierung bekannt ist, dass das gesellschaftliche Klima für HIV-Positive bisher alles andere als diskriminierungsarm ist. Auch wenn die Bundesregierung dies leider ausschließlich unter dem Präventions-Aspekt sieht, die Lebensrealitäten von Positiven in der Allgemeinbevölkerung wie auch in den eigenen Szenen ist häufig von Verstecken, Stigmatisierung und Diskriminierung beeinträchtigt (wie gerade wieder das gestern bekannt gewordene Urteil des Berliner Landesarbeitsgerichts zeigt(siehe ‚HIV-Positiver erstreitet Entschädigung wegen Diskriminierung‘)).
Wenn der Bundesregierung diese Tatsache (des ’nicht ausreichend‘ diskriminierungsarmen gesellschaftlichen Klimas) bekannt ist, ist es allerdings umso erstaunlicher, dass nach dieser Feststellung keinerlei über iwwit hinausreichende Ansätze erkennbar sind, wie denn die Situation von Menschen mit HIV  zum Besseren verändert werden könnte. Möglichkeiten hierzu hätte die Bundesregierung vermutlich genug …

EKAF im Alltag – Drohkulisse oder Chance?

Welche Konsequenzen hat das EKAF-Statement zur Infektiosität bei erfolgreicher Therapie, für Positive, für die Betroffenengruppen, für die Prävention? Eine spannende Podiumsdiskussion befasste sich mit den Konsequenzen des EKAF-Statements für den Alltag.

Im Januar 2008 veröffentlichte die Eidgenössische Aids-Kommission EKAF ihr Statement (siehe ‚keine Infektiosität bei erfolgreicher Therapie ohne andere STDs‚). Ein Statement, das heftige Reaktionen von verschiedensten Seiten auslöste, von „endlich spricht jemand das aus …“ bis „das darf man doch nicht laut sagen …„. Anlässlich der Welt-Aids-Konferenz in Mexiko Stadt im August 2008 präsentierten Positive das Mexico Manifest, in dem sie forderten, das Statement anzuerkennen und zu einer offenen Debatte und uneingeschränkten Aufklärung zurück zu kehren.

‚EKAF – Konsequenzen für den Alltag?‘, unter diesem Titel fand am 13. September 2008 im Rahmen des Kongresses ‚HIV im Dialog‘ eine lebhafte Podiumsdiskussion zu dem Schweizer Statement statt. Unter Moderation von Corinna Gekeler (Berlin) diskutierten Michael Jähme (Köln), Götz Bähr, Matthias Hinz und Jens Ahrens (alle Berlin).

Podiumsdiskussion EKAF - Konsequenzen für den Alltag?
Podiumsdiskussion EKAF - Konsequenzen für den Alltag?

Das Bild von Positiven werde sich in der Gesellschaft in Folge des EKAF-Statements verändern, betonte Michael Jähme und verwies auf das große Potential an entstigmatisierender und Diskriminierung abbauender Wirkung, das mit dem EKAF-Statement genutzt werden sollte.
Auch kondomfreier Sex könne unter bestimmten Umständen safer Sex sein. Dies werde sicherlich die künftige Prävention komplizierter gestalten – aber da müsse sich die Prävention einer veränderten Realität anpassen. Zudem liege hierin doch auch die Chance, dass Positive nun einen noch größeren Anreiz hätten, auf ihre Gesundheit zu achten.

Götz Bähr wies darauf hin, dass das EKAF-Statement für eine kleine Gruppe eine neue Perspektive biete – nur denjenigen Positiven, die eine Kombitherapie machen. Dies seien vielleicht 30% aller Menschen mit HIV in Deutschland. Was sei mit den anderen? Entstehe nun ein Druck zu noch früherem Therapiebeginn? Vielleicht gar zu einem Therapiebeginn nicht aus medizinischen sondern epidemiologischen oder psychologischen Gründen? Zudem, Motor der HIV-Infektion seien diejenigen, die ungetestet aber mit HIV infiziert seien – eine Frage, die nicht außer Acht geraten dürfe, wo blieben hier die Test-Kampagnen?
Es müsse zudem im Fokus bleiben, dass HIV-Negative und Ungetestete sich weiterhin bemühen negativ zu bleiben. EKAF sei hier ein Moment zusätzlicher Sicherheit. Die Verantwortung dürfe jedoch nicht noch mehr einseitig auf HIV-Positive verschoben werden.
Zudem könne das EKAF-Statement dazu führen, dass der Druck auf Positive jetzt noch mehr wachse, sich zu offenbaren – vielleicht sogar mit ‚Offenlegung der Werte‘.

Matthias Hinz warnte vor der ‚Monogamie-Falle‘ – nirgends im EKAF-Statement wird Monogamie als Bedingung genannt, vielmehr heißt es in dem Artikel von Vernazza et al. „HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös“. Zudem sehe er die Gefahr einer Re-Medikalisierung der Debatte, wenn z.B. in der Tendenz auch die früher von den Communities entwickelte und getragene Prävention (bei MSM) nun von ‚Experten‘, von Medizin und Pharma vereinnahmt werde.
Der Slogan ‚Kondome schützen‘ sei heute kaum noch situationsgerecht. Die Zeit der einfachen Botschaften sei vorbei; nicht nur die Zeit, auch die Bedrohung sei eine andere geworden. Er stelle die Prognose, der Slogan ‚Kondome schützen‘ werde irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft nicht mehr verwendet. Nicht etwa, weil er obsolet geworden sei, sondern weil er der Komplexität der Situation nicht mehr gerecht werde.

Hinz wies darauf hin, dass seit Jahrzehnten durch die Angst von Positiven, für andere eine Quelle der Ansteckung zu werden, weitaus mehr Neuinfektionen verhindert wurden als durch jedes Selbstschutz-Interesse von Nicht-Positiven oder Präventionskampagnen. Wenn diese oft stark übersteigerte Angst nun zumindest etwas auf ein realistischeres Maß zurückgeht, sei das im Interesse der Positiven zu begrüßen. Das Argument, dass die Prävention diese Angst zum Funktionieren braucht, sei vielleicht verständlich, es wäre aber unethisch und kontraproduktiv, diese (endlich) weniger werdende Angst künstlich am Leben halten zu wollen. Hier müsse sich die Prävention was anderes einfallen lassen, um mit den sich verändernden Umständen umzugehen.

Immer wieder war in den Diskussionen die vielfach wahrnehmbare Angst Dritter (z.B. aus Politik und Verwaltung) Thema, „wir (die Positiven) könnten unsere Angst verlieren, andere zu infizieren“. Werde hier versucht eine Angst zu Lasten von Menschen mit HIV aufrecht zu erhalten, um nur nicht an alten Präventionskonzepten rühren zu müssen?
„Ich stelle mich als HIV-Positiver nicht mehr als Drohkulisse zur Verfügung!“, kommentierte dazu Michael Jähme. Überall freue man sich über Fortschritt in der HIV-Forschung – warum ausgerechnet hier nicht?

Eine spannende, inhaltlich sehr dichte und facettenreiche Diskussion – dank pointierter wie auch kenntnisreicher Beiträge der Diskutanten und besonders der intensiven Vorbereitung und guten Moderation durch Corinna Gekeler. Vielleicht beteiligen sich beim nächsten Mal auch die anwesenden Vertreter aus Politik und Verwaltung an der Diskussion?

‚Die Debatte um die Bedeutung des EKAF-Statements wird nur weiter gehen, wenn wir uns selbst darum kümmern‘, hatte Michael Jähme zu Beginn der Diskussion betont. Diese Veranstaltung wies einen guten Weg, wie Debatten inhaltsreich weiter geführt werden können – ohne Polemik, aber mit kontroversen Themen und Diskussionen.

Manifest der Menschen mit HIV und AIDS zum Welt-AIDS-Kongress 2008 in Mexico City

Im Folgenden als Dokumentation ein ‚Manifest‘, das von Menschen mit HIV und Aids am 3. August 2008 auf dem Welt-Aids-Kongress in Mexico City vorgestellt wurde:

MANIFEST

der Menschen mit HIV und AIDS zum Welt-AIDS-Kongress 2008 in Mexico City

Die Veröffentlichung der Eidgenössischen Kommission für Aids-Fragen (EKAF) in der Schweizerischen Ärztezeitschrift vom 30. Januar 2008 über die Nicht-Infektiosität von Menschen mit HIV* hat viele Reaktionen hervorgerufen.

Die daraus resultierende Debatte über die Evidenz der zugrundeliegenden Studien und die Kritik an der breiten öffentlichen Mitteilung haben auch rund um die Welt die Organisationen von Menschen mit HIV und AIDS und deren Repräsentanten zusammengerufen:

A. Wir begrüssen ausdrücklich die Veröffentlichung der EKAF.

Sie ist wissenschaftlich hinreichend begründet und begünstigt die Lebensgestaltung, die Lebensqualität und insbesondere die Integration von Menschen mit HIV und AIDS und damit auch eine strukturelle, nachhaltige Prävention für Menschen, die ihren aktuellen HIV-Status nicht kennen.

Die offene Verfügbarkeit aller wissenschaftlichen Fakten ist die Grundlage für jede glaubwürdige Aufklärung und Information.

Nur eine aufgeklärte, tolerante Gesellschaft, in der die Menschen mit HIV und AIDS integriert sind, kann eine nachhaltig wirksame Antwort auf die Herausforderung HIV und AIDS geben.

B. Wir fordern angesichts der EKAF-Veröffentlichung weltweit die Institutionen und Repräsentanten der Wissenschaft, Medizin und Wirtschaft, der Regierungen, der WHO und der UNAIDS auf,

1.die auf wissenschaftlichen Studien basierende Evidenz der EKAF-Verlautbarung anzuerkennen,
2.die unterschiedlichen Lebenswirklichkeiten von Menschen mit HIV und AIDS zu respektieren,
3.die Mündigkeit von Individuum und Gesellschaft zu akzeptieren,
4.volle und uneingeschränkte Aufklärung zu garantieren,
5.bestehendes Wissen konsequent zu erweitern,
6.den Zugang zu antiviralen Therapien weltweit voranzutreiben.

C. Wir erkennen den konkreten Einsatz der Akteure für diese Forderungen an folgenden Merkmalen:

1. Die Debatte über die Bedeutung der EKAF-Verlautbarung für die Prävention wird objektiv und evidenzbasiert geführt.

Jeder Versuch, Information und Diskussion aus moralischen, politischen, oder anderen nicht sachbezogenen Motiven zu unterbinden, wird als inakzeptable Zensur ausdrücklich abgelehnt.

Die verschiedenen möglichen individuellen Schutzmassnahmen und ihre HIV-Transmissionsrisiken werden grundsätzlich mit gleichen wissenschaftlichen Massstäben beurteilt.

2. Das bisher in der Öffentlichkeit wahrgenommene Bild von Menschen mit HIV und AIDS wird deren tatsächlichen Alltagsrealitäten angepasst.

Das heisst vor allem: Auf das Bild des gefährlichen und verantwortungslosen HIV-Infizierten und dessen Instrumentalisierung wird genauso verzichtet, wie auf das Bild des bemitleidenswerten Zeitgenossen ohne Selbstverantwortung.

3. Die Öffentlichkeit wird über Prävention, Behandlung und die aktuellen Lebenswirklichkeiten transparent und uneingeschränkt informiert.

Die Strategien von Prävention und Behandlung werden sowohl beim Individuum als auch in der Gesellschaft an die erforderliche Integration von Menschen mit HIV und AIDS angepasst.

Verantwortung ist unteilbar.

Das heisst auch: Die Rechtssprechung wird diesem Grundsatz und den wissenschaftlichen Fakten gerecht.

Alle Patienten und Patientinnen haben gleichermassen Zugang zu Information, und sie haben volle Entscheidungsfreiheit über das individuell beste Therapieregime und die eigene Strategie zur individuellen Prävention und Harm Reduction.

Im Sinne der Ottawa-Charta der WHO ist Gesundheitsförderung Bestandteil aller Strategien und Massnahmen. Sie zielt auf einen Prozess, allen Menschen ein höheres Mass an Selbstbestimmung über ihre Gesundheit zu ermöglichen und sie damit zur Stärkung ihrer Gesundheit zu befähigen.

4. Der bisherige Erfolgsweg der Prävention von HIV und AIDS mit unvoreingenommenen Aufklärungskampagnen wird beibehalten und gestärkt.

5. Studien, die sich am jeweils aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse orientieren und soziale Faktoren wie etwa Lebensgestaltung, und Gender einbeziehen, werden gezielt gefördert.

Das sind in der HIV-Transmissionsfrage zum Beispiel: Studien zur Risikominimierung beim Analverkehr, zur Differenzierung der Relevanz unterschiedlicher STDs bei HIV-Übertragungen und zur Adhärenz und zu Langzeitnebenwirkungen von ART.

6. Wirksame Therapie wird global als wirksame Prävention verstanden. Die Verteilung der Ressourcen wird weiter vorangetrieben.

Sie wird als prioritäre Grundvoraussetzung für Gesundheitsförderung, Prävention und Behandlung bewertet.

Die Versprechungen zur Überwindung des Arm-Reich-Grabens werden endlich eingelöst.

Organisationen
LHIVE                                                       Switzerland
P.V.A-Genève                                            Switzerland
AIDS-Hilfe Schweiz                                      Switzerland
HIV Europe                                                Europe
Positiv e.V.                                               Germany
Deutsches Community Advisory Board-HIV      Germany
AIDS-Hilfe Offenbach                                  Germany
Münchner AIDS-Hilfe e.V.                             Germany
Deutsche AIDS-Hilfe e.V.                               Germany
the WARNING                                             France
HIV Vereniging Nederland                              Netherlands
HIV-Danmark                                              Danmark
HIV-Sverige                                               Sweden
HIV-Iceland                                                Iceland
HIV Norge                                                  Norway
SIEC PLUS                                                 Poland
„Pozityvus gyvenimas“                                  Lithuania
The All Ukrainian Network PLWH                     Ukranie
Project THAMES                                          U.S.A.
EMPOWER                                                  India

Einzelpersonen:
Michèle Meyer                                         Switzerland
Mic Rasmussen  Meyer                              Switzerland
Christopher Park                                      Switzerland
Ervan Rached                                          Switzerland
Tommy Rauber                                        Switzerland
Ulli Würdemann                                        Germany
Michael Jähme                                         Germany
Bernd Aretz                                             Germany
Kalle Ohnemus                                          Germany
Konstantin Leinhos                                    Germany
Guido Kissenbeck                                      Germany
Olaf Lonczeswski                                      Germany
Matthias Hinz                                           Germany
Carsten Schatz                                        Germany
Stefan Stein                                            Germany
Engelbert Zankl                                         Germany
Ulrike Sonnenberg-Schwan                          Germany
Wolfgang Kirsch                                        Germany
Pierre Cuffini                                             France
Bernal Sabah                                            France
Bernard Forbes                                         U.K.
Julian Hows                                              U.K.
Peter Smit                                                Netherlands
Dr. Joseph Sonnabend                                U.S.A.
Michael Petrelis                                         U.S.A.
Sean Strubb                                             U.S.A.
Mike Barr                                                 U.S.A.
Peter McQuaid                                          U.S.A.
Tony Valenzuela                                        U.S.A.
Dermot Ryan                                            Australia
Neil McKellar-Stewart                                 Australia
Joel Reyes                                               Mexico
Monica Gonzales                                       Mexico
Itzuko Mendez                                         Mexico
Minerva Valenzuela                                   Mexico
Niklaus Ritter                                          Mauritius
Nakazono Hiroyuki                                    Japan
Konojar Akuyo                                         Japan
Patricia Ukoli                                           Nigeria

Anmerkung: das Manifest als pdf: Mexico Manifest deutsch und in der englischen Version Mexico Manifesto englisch

Bedeutung von ’sART ohne STD‘ – Infektiosität: Angst und Entlastung

Im Folgenden als Dokumentation ein Artikel zum Thema Infektiosität (Bezug: EKAF-Statement „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne anderer STDs„), der im „info #44“ der Deutschen Aids-Hilfe (Info Telefon Online Beratung) erschienen ist:

Bedeutung von ’sART ohne STD‘ (1) – Infektiosität: Angst und Entlastung

Bedeutet die Abnahme der Infektiosität durch die HIV-Therapie eine Veränderung dessen, was das Leben mit einer HIV-Infektion heute ausmacht? Und wird dies nicht nur zu einer veränderten Selbstwahrnehmung von Positiven, sondern auch zu einem allgemeinen Umdenken führen, an dessen Ende gar eine Entstigmatisierung von HIV steht?
Auf dem diesjährigen Treffen des Beraterteams von www.aidshilfe-beratung.de führte Prof. Dr. Martin Dannecker in seinen Workshop die Bedeutung der Infektiosität und somit auch der sART für das psychische Wohlbefinden von Positiven aus.

Psychische Belastung
Ausgangspunkt war, dass die Diskussion rund um sART nicht nur für die Prävention bedeutungsvoll ist, sondern auch für die psychische Situation von HIV-Infizierten. Schließlich „leiden nicht wenige Positive unter einer diffusen Angst, ihre Sexualpartner/innen trotz Safer Sex anstecken zu können“. Für manche Positive ist das Wissen um ihre Infektiosität sogar das größte Problem, das sie mit HIV verbinden. Dannecker sprach von dem „Introjekt der Ansteckung” und meint damit die Selbstwahrnehmung von Positiven als “monströse Infektionsträger“. Der Infizierte trage die Infektiosität als „verinnerlichtes Böses“ in sich, was sein seelisches Befinden erheblich beeinflusse.
Das eigentlich Revolutionäre an der ganzen Diskussion um die Viruslast sei, dass sie die Vorstellung von Positiven über sich selbst verändert: „Ich bin infiziert, aber praktisch nicht ansteckend“ (zumindest unter bestimmten Bedingungen) ist eine Vorstellung, die vor den Diskussionen um sART undenkbar war. Workshopteilnehmer bestätigten, dass für viele Positive die Infektiosität eine große Verunsicherung und die Möglichkeit der Nichtansteckung allein schon eine Art halbe (seelische) Heilung darstelle.
Nach Dannecker könne dann zu einer Ablösung vom „verinnerlichten Bösen“ kommen, wenn „durch sART unter gewissen Bedingungen die Grundlage dieser Angst entfällt“ Dann könne es auf längere Sicht auch zu einer Umschreibung der Sexualität von HIV-Infizierten kommen: Wenn man als HIV-Infizierter sexuell nicht mehr lebenslang ansteckend ist, wird sich die Sexualität wieder stärker mit dem Leben verbinden und ihre Verschränkung mit Krankheit und Tod abstreifen.“

Loslassen?
Diskutiert wurde, dass die Abnahme der Infektiosität durch ’sART ohne STDs‘ eine große Erleichterung sein mag. Für viele andere hingegen kann ein Umdenken als schwierig erlebt werden, da viele Gefühle an das Introjekt der Ansteckung gebunden sind und zum Beispiel Schuldgefühle nicht einfach von der Persönlichkeit abgestreift werden können.
Auch für Negative stelle sich die Frage, wie bereit sie sind, ihre Risikobereitschaft neu zu justieren und alte Angstgefühle hinter sich zu lassen. Wer so sozialisiert wurde, dass HIV eine der größten Bedrohungen seiner Gesundheit darstellt, erfährt Safer Sex wie das Sicherungsnetz für den Hochseilartisten. Von heute auf morgen auf dieses Sicherungsnetz zu verzichten, bloß weil andere davon überzeugt sind, dass man mit einem neuartigen Gerät auf dem Rücken jetzt fliegen kann, wird nicht für jeden auf Anhieb eine wunderbare neue Möglichkeit darstellen. Es braucht ja auch Vertrauen, sich auf das Neue einzulassen. Und woher weiß man, wie zuverlässig das Ding wirklich funktioniert…?

Auswirkungen für die Beratung
Durch die aktuelle Diskussion zur Risikoeinschätzung rückt wieder ins Bewusstsein, dass Safer Sex immer nur eine Minimierung des Risikos war und nie hundertprozentige Sicherheit versprechen konnte. Somit bringt jede Senkung der Infektiosität zusätzliche Sicherheit, egal welche Form der Risikominderung jemand für sich wählt. Selbst Safer Sex wird so noch mal sicherer! Was nicht nur für (Hoch-) Ängstliche eine gute Nachricht ist und manche PEP überflüssig machen wird.
Der Stellenwert der Medizin wird zwar zunehmen und wer ’sART ohne STDs‘ als Risikovermeidungsstrategie praktiziert, steht verstärkt in der Verantwortung, seine Viruslast zu beobachten. Beratung in Aidshilfe wird in Zukunft komplexer werden, wenn es darum, kompetent zur „medikalisierten Prävention“ zu beraten und der Dachverband ist gefordert, entsprechende Qualifizierungsangebote bereit zu halten.
Die Risikoeinschätzung einer HIV-Übertragung mag dank ’sART ohne STDs‘ für manche zwar im Bereich der allgemeinen Lebensrisiken angekommen sein, aber eben nicht für jede/n dort dauerhaft bzw. kontinuierlich bleiben. Durch ’sART ohne STDs‘ statt Kondombenutzung kann das regelmäßige Therapie-Monitoring also auch eine durchaus belastende Rolle spielen.
Auch zum Therapiebeginn wird weitergehende Beratung gefragt sein. Ob der eventuelle sexuelle Benefit ein zusätzlicher guter Grund wird, früher mit der HAART zu beginnen, dürfte sich durch die bisherige Sorgfalt gegenüber dem Beginn einer dauerhaften Einnahme starker Medikamente beantworten.

Resümee
„Was wäre, wenn…“ ist der große Horizontöffner, mit dem Martin Dannecker einen Blick in noch recht unbestimmte Gefilde ermöglichte. Es ging zur Abwechslung also einmal nicht um die Erfüllung der Kriterien, die man unter ’sART ohne STDs‘ versteht und wie man diese im Verhältnis zu Risikoeinschätzungen setzt. Und auch nicht darum, ob man sich auf (Rest-) Risiken einlassen und das Kondom weglassen könne. Das Faszinierende seiner Ausführungen war das, was auch viele Positive in der sART sehen: Die Möglichkeit, sich als nicht infektiös sehen zu können. Und auch nicht mehr als (so) ansteckend wahrgenommen zu werden.

Die Betrachtungen führen zu weitergehenden Fragen:
– Bei der ’sART ohne STDs‘ geht es nicht um eine ‚gefühlte‘ Infektiosität, sondern um Laborwerte. Aber ist die Infektiosität in diesem streng rationalen Sinn das Prägende im Verhältnis von Positiven zu sich selbst und zwischen Positiven und Negativen?
– Es darf bezweifelt werden, dass gesellschaftliche Stigmatisierung auf solch rationalen Grundlagen basiert. Und selbst wenn, was hieße das denn für „Therapieversager“, „Späteinsteiger“, „Therapieverweigerer“ usw.?
– Was ist mit den vielen Positiven (und Negativen), für die die Infektiosität nicht das große, angstbesetzte Thema ist? Schließlich bedeutet Safer Sex für viele etwas anderes als Angstmanagement.
– Mit anderen Worten: Welche Bedeutung hat ’sART ohne STDs‘ für diejenigen, die sich trotz HIV einen angstfreien Umgang mit Sexualität bewahrt haben und für die Infektiosität nichts ‚Monströses‘, sondern ein Sachverhalt ist?

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(1) Gemeint ist ’sART ohne STDs‘: Erfolgreiche stabile antiretroviralen Therapie (sART) mit vollständig supprimierter Viruslast seit über sechs Monaten bei Abwesenheit von sexuell übertragbaren Erkrankungen.

Alles wird anders und alles bleibt gleich! – Die Bedeutung der HIV-Viruslast für die Prävention

Vorstand und Geschäftsführung der Deutschen Aids-Hilfe haben zum Statement der Eidgenössichen Aids-Kommission ein ‚Positionspapier Juni 2008‘  als Diskussionsgrundlage versandt.
Um allen Teilen der Communities eine Beteiligung an der Meinungsbildung der DAH zu ermöglichen, ist dieses hier im Folgenden dokumentiert:

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Alles wird anders und alles bleibt gleich!

Die Bedeutung der HIV-Viruslast für die Prävention

Therapie und Prävention

Die antiretrovirale Therapie hat die Lebenserwartung und die Lebensqualität von Menschen mit HIV in den letzten Jahren deutlich verbessert. Sie hat darüber hinaus eine Wirkung, die bislang fast ausschließlich als erwünschter Nebeneffekt wahrgenommen wurde: Eine stabile und funktionierende antiretrovirale Therapie senkt die Infektiosität von Menschen mit HIV erheblich. Seit einigen Jahren wird angesichts steigender HIV-Neuinfektionen daher auf internationalen Aids-Konferenzen von Wissenschaftlern gefordert, diese Erkenntnis auch für die Gestaltung neuer Präventionsbotschaften aktiv zu nutzen.

Diese Forderung gewann 2007 an Bedeutung: Die Forschung zu einem Impfstoff gegen HIV und zum Diaphragma sowie die Entwicklung von Mikrobiziden hatten schwere Rückschläge erlitten, sodass diese Mittel als Optionen der HIV-Prävention in weite Ferne gerückt sind. Demgegenüber weiß man seit Jahren, dass mit der antiretroviralen Therapie schon heute eine bedeutende Senkung der Infektiosität und damit der HIV-Neuinfektionszahlen erreicht werden kann.

Die Eidgenössische Kommission für Aidsfragen (EKAF) in Bern (Schweiz) hat am 30. Januar 2008 Aussagen zur Infektiosität HIV-infizierter Menschen veröffentlicht und damit erstmalig die antiretrovirale Therapie in die Prävention integriert. Nach Einschätzung der EKAF können diskordante (1) Paare unter folgenden Voraussetzungen auf Kondome verzichten: wenn die Viruslast des HIV-positiven Partners/der HIV-positiven Partnerin dauerhaft unter der Nachweisgrenze liegt, die Therapie konsequent eingehalten und kontrolliert wird (stabile und wirksame antiretrovirale Therapie, kurz: sART) und bei beiden Partnern keine anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen (STD, (2)) vorliegen. Die letzte Bedingung macht ungeschützten Sex mit Gelegenheitspartnern schwierig – die Option ist daher auf feste Partnerschaften beschränkt.

Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. begrüßt, dass es durch den Anstoß der Schweizer Kollegen nun auch zu einer Debatte über die Auswirkungen der antiretroviralen Therapie auf die HIV-Prävention kommt.
Die Veröffentlichung der EKAF hat in der Fachwelt kontroverse Reaktionen hervorgerufen. Weitestgehend Konsens besteht darüber, dass die präventive Wirkung der stabilen und wirksamen antiretroviralen Therapie sowie die Abwesenheit von STD (sART ohne STD) durch wissenschaftliche Daten für Oral- und Vaginalverkehr gestützt wird. Für die Abschätzung der Infektiosität bei Analverkehr bei nicht nachweisbarer Viruslast hingegen fehlen bislang weitestgehend sowohl wissenschaftliche Daten zur Grundlagenforschung als auch epidemiologische Daten (3).

In der Prävention orientiert sich die Arbeit der Deutschen AIDS-Hilfe e.V. seit je an den Lebenswelten ihrer Zielgruppen und an der Epidemiologie. Zu einer glaubwürdigen HIV-Prävention gehört unabdingbar, auch entlastende wissenschaftliche Erkenntnisse zu kommunizieren und diejenigen Bereiche zu benennen, in denen noch nicht genug Erkenntnisse vorliegen.
Zwar herrscht unter Experten weitestgehend Konsens, dass unter den genannten Bedingungen auch die Infektiosität beim Analverkehr deutlich sinkt. Dissens gibt es allerdings darüber, ob noch ein relevantes Infektionsrisiko vorliegt oder ob es vernachlässigbar gering ist. Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. wird sich dafür einsetzen, dass diese Forschungslücke geschlossen wird.

Alles wird anders

Gerade für Menschen, deren Leben unmittelbar durch HIV geprägt ist – vor allem Infizierte, Lebenspartner/innen und Familienangehörige – hat die Frage der Infektiosität eine hohe emotionale und auch soziale Bedeutung. Das Wissen um das geringe HIV-Übertragungsrisiko bei erfolgreicher antiretroviraler Therapie kann entlasten, die Diskussion darüber auf gesellschaftlicher Ebene der Stigmatisierung HIV-Positiver entgegenwirken.

Für einen Teil der diskordanten Paare eröffnet sich mit „sART ohne STD“ eine neue Präventionsoption. Generell aber bewirkt die Nachricht, dass die antiretrovirale Therapie unter bestimmten Bedingungen die Infektionsgefahr so weit senkt, dass eine sexuelle Übertragung stark reduziert oder sogar unwahrscheinlich ist, eine Reduktion der Angst.

Der Einsatz gegen Diskriminierung und Stigmatisierung und die Förderung von Solidarität mit Betroffenen war immer ein unverzichtbarer Bestandteil einer erfolgreichen HIV-Prävention und ist eine der zentralen Aufgaben der Deutschen AIDS-Hilfe. Neue Möglichkeiten in der Prävention, z. B. im Jahr 2007 die Beschneidung oder 2008 die „sART ohne STD“ verunsichern jedoch und lassen die Befürchtung aufkommen, die bisher sehr erfolgreiche Prävention könnte Schaden nehmen. Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. nimmt diese Befürchtungen ernst, sieht aber keine Erosion der Prävention, sondern wird sich dafür einsetzen, die Prävention mit den aktuellen Erkenntnissen zu ergänzen und zu stärken. Die neue Option wird dazu beitragen, dass die Prävention zielgruppengenauer, glaubwürdiger und noch stärker lebensweltorientiert gestaltet werden.

Die Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen Viruslast und Infektiosität wird und soll zudem auch Auswirkungen auf die Rechtssprechung haben. Die erfolgte oder (z. B. durch Kondomverzicht) in Kauf genommene HIV-Übertragung wird gegenwärtig strafrechtlich als Körperverletzung oder versuchte Körperverletzung verfolgt. Künftig wird das erheblich verminderte Übertragungsrisiko unter erfolgreicher antiretroviraler Therapie berücksichtigt werden müssen und sollte den Tatbestand der versuchten Körperverletzung nicht mehr erfüllen.

Alles bleibt gleich

Die alten Präventionsbotschaften bleiben unverändert erhalten und sind nach wie vor Kern der Präventionsarbeit. Für den Sex mit Gelegenheitspartnern oder neuen Partnern empfiehlt die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. nach wie vor Safer Sex – nicht nur zum Schutz vor HIV, sondern auch zur Reduktion anderer sexuell übertragbarer Krankheiten.

Aufgaben der HIV- und STD-Prävention

Die Präventionsanstrengungen sollten der epidemiologischen Entwicklung folgen:
– Ein großer Teil der HIV-Neuinfektionen geht von Personen aus, die von ihrer HIV-Infektion noch nichts wissen oder noch keine Therapie einnehmen.
– Ein großer Teil der HIV-Neuinfektionen betrifft Bevölkerungsgruppen mit höherem Infektionsrisiko, die sog. Zielgruppen der Präventionsarbeit der DAH.
– Sexuell übertragbare Erkrankungen stellen einen wichtigen Faktor bei der HIV-Übertragung dar.

Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. sieht sich in ihrer bisherigen Strategie bestärkt: Sie führte schon vor Jahren HIV-Testkampagnen bei Männern durch, die Sex mit Männern haben, damit mehr Männer, die ein Risiko hatten, zum Test gehen und eine eventuelle HIV-Infektion in einem frühen Stadium erkannt und rechtzeitig behandelt werden kann. Dieser Weg muss weiter ausgebaut werden. Differenzierte Testkampagnen werden auch in Zukunft, z. B. im Rahmen der MSM-Kampagne und bei i.v. Drogengebraucher(inne)n, durchgeführt werden.

In den letzten Jahren hat die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. in ihre HIV-Präventionsarbeit verstärkt auch andere STDs integriert, vor allem deshalb, weil diese die Übertragung von HIV begünstigen. Im Erhalt und Ausbau von niedrigschwelligen, kostenfreien und anonymen Angeboten der HIV- und STD-Beratung und -Testung für Menschen mit höherem Risiko sieht die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. eine wichtige Aufgabe der Präventionsarbeit.

Die Prävention wird komplexer

Der Erfolg von Safer Sex liegt auch darin begründet, dass die Botschaft kurz und prägnant ist („beim Bumsen Kondome, beim Blasen raus bevor`s kommt“). An sie wird man sich selbst „im Eifer des sexuellen Gefechts“ noch erinnern können, an komplexe Botschaften aber wohl kaum.

Trotz der Klarheit und der hohen Wirksamkeit von Kondom-Botschaften steigen weltweit die HIV-Infektionszahlen. Denn Wissen um die Schutzwirkung von Kondomen wird nicht in jeder Situation (z. B. Alkoholkonsum, erektile Dysfunktion, Unsicherheit, Fehlannahmen, „rosarote Brille“) in Handlung umgesetzt wird und gesellschaftliche Verhältnisse wie z.B. Mangel an Bildung oder Armut wirken vielerorts der Prävention entgegen. Die Prävention braucht zusätzlich neue „Pfeile im Köcher“ zur Bekämpfung der Epidemie. Am Beispiel der Beschneidung wird deutlich, dass die HIV-Prävention auch auf solche Methoden nicht verzichten kann, die weniger prägnant und sogar weniger effektiv sind als Kondome: Die WHO hat im Frühjahr 2007 die Beschneidung des heterosexuellen Mannes (vor allem in Ländern mit hoher HIV-Prävalenz) mit in das Präventionspaket genommen – obwohl die Beschneidung „nur“ eine Schutzwirkung von 60 % für nur einen der beiden Sexualpartner bietet. Die Beschneidung wird vor allem in Ländern südlich der Sahara in die Prävention integriert und braucht intensive Aufklärung, um der Fehlannahme, man sei nach einer Beschneidung geschützt, entgegenzuwirken.

Die Option „sART ohne STD“ hingegen ist unter Idealbedingungen mindestens so effektiv wie die Verwendung von Kondomen bei nicht unterdrückter Viruslast. Die Herausforderung der Option „sART ohne STD“ liegt hier im Erreichen der optimierten Bedingungen, also in der Einhaltung der komplexen Voraussetzungen (keine STD, Therapiekontrolle, Therapietreue), der Definition der in Frage kommenden Personen und in der Vermeidung von Fehlannahmen. Fehlannahmen und Mythen (4) rund um HIV und Aids sind vielfältig, und die Thematisierung und „Bearbeitung“ solcher Mythen gehört zum festen Repertoire der Präventionsarbeit der Deutschen AIDS-Hilfe.

Neue Präventionsoptionen wie die Beschneidung und „sART ohne STD“ sind komplexer als die Kondom-Botschaften und erfordern eine gründliche Beratung und Information, um Fehlinformationen entgegenzuwirken. Das Wissen um neue Optionen darf kein „Geheimwissen“ bleiben. Im Gegenteil: es gibt eine moralische Verpflichtung zur Kommunikation. Präventionsagenturen wie die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. können und dürfen sich zu neuen Präventionsoptionen nicht passiv verhalten, weil sich die Menschen ihrer Zielgruppen sonst bei weniger verlässlichen Quellen informieren.

STDs als ein wichtiger „Motor“ der HIV-Epidemie rücken durch die EKAF-Informationen zunehmend in den Fokus der HIV-Prävention. Die Deutsche AIDS-Hilfe wird sich dafür einsetzen, dass Screening-Verfahren für STD, Diagnostik und Therapie gerade für Menschen mit höherem Risiko für eine HIV-Infektion zugänglich sind bzw. geschaffen werden.

Die Prävention wird vielfältiger und komplexer. Aber mit qualifizierter Information und Beratung wird sie auch passgenauer und erfolgreicher.
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(1) diskordante Partnerschaft: ein/e Partner/in ist HIV-positiv, der/die andere Partner/in ist HIV-negativ
(2) STD = sexually transmitted diseases
(3) die EKAF hingegen unterscheidet nicht zwischen den verschiedenen Sexualpraktiken (Oral- Vaginal- und Analverkehr) und bewertet das Risiko insgesamt als vernachlässigbar gering.
(4) Einige Fehlannahmen und Mythen seien als Beispiele genannt: „Eine Infektion kann man dem Partner ansehen“, „Wenn er ohne Gummi will, wird er negativ sein“, „Wenn er ohne Gummi will, wird er positiv sein“, „Wenn ich nur eindringe, also der Aktive bin, kann mir nichts passieren“, „Die Infektion ist heilbar“.

Mutlose Aids-Information

„Aus Furcht, dass populistische Medien (und Politiker) Aids als Vorwand zum Schüren von Ängsten nutzen, verzichtet man vorläufig lieber gleich auf unhysterisch stimmende Aufklärung.“

Zu diesem Schluss kommt (nicht nur) Jan Feddersen, der in der taz über eine Informationskampagne der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) berichtet, die von der Bundeszentrale für gesundheitlicher Aufklärung verhindert wird.

Eigentlich sollte die Kampagne „Ich weiss was ich tu!“ schon längst laufen – doch selbst banalste Botschaften, die früher problemlos gedruckt worden wären, unterliegen nun der Zensur der Gesundheitsbürokratie.

Ein lesenswerter Artikel aus dem Tollhaus der gesundheitlichen ‚Aufklärung‘ …
… der auch ein wenig beleuchtet, in welchem Umfeld es sowohl zu der (inzwischen von zahlreichen weiteren Personen und Institutionen unterstützten) Resolution einiger Positiver auf der Frankfurter Ethik-Konferenz (bewusst unter dem gleichen Titel „Ich weiss was ich tu!„) kam, als auch zum Zwischenruf „verantwortungslose Positive“ …

Nebenbei, dass die Kampagne der DAH bisher von der BzgA verhindert wird, die DAH dies mehr oder weniger klaglos hinnimmt, wirft auch die Frage auf, warum denn die DAH hier nicht lauter protestiuert, sich für ihre stolz entwicklete und präsentierte Kampagne einsetzt, eigene Haltung zeigt. Ach ja, Haltung … das hatten wir ja schon … ist an manchen Stellen unterentwickelt …

Virus-Mythen 1: verantwortungslose Positive

Bei Diskussionen über das Statement der Eidgenössischen Aids-Kommission EKAF, bei Reaktionen, bei Gesprächen über die Frage welche Bedeutung dieses für das Sex-, Liebes- und Beziehungsleben von Menschen mit HIV und Aids haben kann, und ob man ihnen diese frohe Botschaft überhaupt sagen dürfe, ist von Politikern, Bürokraten aber auch einigen Präventionisten oft (selten im Klartext, gern zwischen den Zeilen oder höflich verbrämt) der Gedanke zu hören, „die Positiven“ seien doch „viel zu verantwortungslos“ um mit dieser neuen Freiheit adäquat umgehen zu können.

Dieses Gerede von „diesen verantwortungslosen Positiven“, denen man „sowas ja nun nicht auch noch sagen“ dürfe – es macht mich zunehmend wütend, zornig.

Woher meinen Menschen, die solche Aussagen in die Welt setzen zu wissen, wie sich „die Positiven“ verhalten?
Wie bei fast allen gesellschaftlichen Gruppen gilt, es gibt nicht dieses absolute „die“. Vermutlich wird es auch in der großen Gruppe mit HIV infizierter Menschen einige geben, die sich gelegentlich so verhalten, wie es manche mit dem Begriff „verantwortungslos“ umschreiben. Aber – dies dürfte wohl für die Mehrzahl der HIV-Positiven so nicht gelten.

Ich bin im Verlauf der letzten Jahre vielen Positiven begegnet, auf Bundespositiven-Versammlungen, Positiventreffen, bei lokalen Veranstaltungen. Oftmals ist bei diesen Treffen -wie auch jüngst vor einigen Tagen- eines der Themen, wie lebe ich mein sexuelles Leben, wie gehe ich mit Fragen des safer sex, mit Verantwortung und ‚Fallenlassen‘ um. Und in den meisten Fällen bewundere ich, wie intensiv sich HIV-positive Männer und Frauen mit ihrem HIV, ihrer Sexualität auseinander gesetzt haben, welch ausgefeilte Strategien eines individuellen Risiko-Managements sie sich für die verschiedensten Situationen erarbeitet haben. Dabei ist immer wieder auch zu merken: mehr als alles andere haben HIV-positive Menschen vor einem Angst: dass andere sich bei ihnen mit HIV anstecken.

Sicher mag es auch bei diesen Strategien in Einzelfällen zu ‚Ausrutschern‘ oder ‚Versagen‘ kommen. Aber in der Mehrzahl gehen Menschen mit HIV nach (nicht nur) meinem Erleben mit ihrer Infektion und insbesondere möglichen Übertragungs-Risiken sehr informiert und überlegt um.

Verantwortungslos ist die Mehrzahl der Positiven nicht – verantwortungslos scheint mir dagegen sehr wohl dieses populistische Gerede, das fadenscheinigen Zwecken dient.

HIV-Positive pauschal als „verantwortungslos“ zu titulieren ist eine Beleidigung für all die Menschen, die sich bemühen, verantwortungsbewusste Wege zu finden, mit sich, ihrem HIV, ihrem Sexleben, ihren PartnerInnen umzugehen.

Mir scheint, manche schaffen es auch, Ihre Vorurteile hinter verbrämten Formulierungen zu verbergen. Ein Beispiel meinte ich jüngst zu erleben.

Frau Professor Dr. Elisabeth Pott befasste sich in ihrer Rede zur Eröffnung der Frankfurter ‚Ethik-Konferenz‘  am 19. Juni 2008 auch mit dem Statement der Eidgenössischen Aids-Kommission und den Folgen für die Prävention. Mit den Risiken, weniger den Chancen. Welche Gefahren bewegen Frau Professor Pott? Nun, das sagte sie recht deutlich. Gefährlich seien am Statement der EKAF die -so wörtlich- „Entwarnungs-Effekte“.

„Entwarnungs-Effekte“ – man muss sich dieses Wort langsam auf der Zunge zergehen lassen. Wonach schmeckt es?
Vor wem oder was wird denn da gewarnt? Und, wer warnt baut Droh-Kulissen auf. Prävention mit Angst? Angst vor Menschen?
Oder, andere Frage, was ist so schlimm daran, wenn Menschen mit HIV  endlich ein wenig weniger Angst haben dürfen, sie könnten ihre Partnerin, ihren Partner womöglich riskieren? Was empfindet, wer so etwas sagt, als so gefährlich? Die Freiheit, die sich hier eröffnet? Die Hoffnung, dass auch Menschen mit HIV unter bestimmten Umständen wieder ein unbefangeneres, weniger konfliktbeladenes Sex-Leben haben können?
Und – wer sagt so etwas? Nun, Frau Professor Pott ist nicht irgendwer. Sondern die Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BzgA), somit oberste ‚Aids-Präventionistin‘ des Landes …

Wer angesichts der neuen Beurteilung der Infektiosität von erfolgreich behandelten Positiven von „gefährlichen Entwarnungs-Effekten“ spricht, hat sicher nicht die Verbesserung der Situation von Menschen mit HIV und Aids im Sinn, freut sich nicht über Ent-Stigmatisierung und Abbau von Angst. So wird an neuen Drohkulissen gearbeitet – und zu denen braucht es eins, das Märchen vom „verantwortungslosen Positiven“.

Für viele Menschen mit HIV hingegen gilt längst „Ich weiss was ich tu!

Ich weiss was ich tu! (akt.)

‚Silence = Death‘?
oder:
Ich weiss was ich tu!

Die Eidgenössische Aids-Kommission für Aids-Fragen (EKAF, Bern/Schweiz) hat am 30. Januar 2008 ein Statement veröffentlicht, demzufolge Positive un­ter er­folgreicher The­rapie (Viruslast mind. 6 Monate nicht nachweisbar) ohne sexuell übertragbare Infek­tionen „sexuell nicht infektiös“ sind. Zuvor war die­ser Sachverhalt bereits seit Jah­ren auf wissenschaftlichen Konferenzen disku­tiert worden.

Die Deutsche Aids-Hilfe bemüht sich seitdem um eine eigene Stellungnahme, auch in Zusammenarbeit mit Robert-Koch-Institut und Bundeszentrale für ge­sundheitliche Aufklärung. Bisher ist es leider ergebnislos bei dem Bemühen ge­blieben.

Wir begrüßen das Statement der EKAF und die breite Information der Öffent­lichkeit, sowie die daraus resultierende breite Debatte.
Die Stellungnahme der EKAF bedeutet für Menschen mit HIV und Aids und ihre Part­ner, dass
– ein tabuisiertes Thema, die (eigene) HIV-Infektion, enttabuisiert und wieder Thema von Gesprächen wird.
– sich die Wahrnehmung von Positiven verändert, wieder mehr der Realität annähert.
Positive weniger als Gefahr erlebt, Toleranz und Teilhabe steigen werden.
auch das Selbstbild von Positiven sich verändert, normalisieren kann.
die juristische Bewertung sich verändern wird.
Zudem wird durch die Veröffentlichung der EKAF die Kluft zwischen Präventi­ons-Bot­schaften und Lebenspraxis geringer. Aidshilfe gewinnt so auch wieder eine größere Nähe an die Lebensrealität der Menschen und Glaubwürdigkeit ih­rer Kampagnen zu­rück.

Wir fordern:

Information
Die Stellungnahme der EKAF sowie die verfügbaren Daten sind vorurteilsfrei und offen für jeden verständlich zu kommunizieren. Wissen darf nicht instru­mentalisiert werden. Verschweigen ist Ausdruck von Mißtrauen. Information vorzuenthalten ist unethisch.
Jeder Positive (& jeder Partner von Positiven) hat ein Recht auf Infor­mation über die Chancen und Risiken, die das EKAF-Statement für seine Le­benssituation be­deuten.

Keine Informations-Willkür
Die derzeitige Situation, dass nur ausgewählte Patienten bei ausgewählten Ärz­ten die Chancen des EKAF-Statements erfahren und umsetzen können, ist zy­nische Doppel­moral und unerträgliche Zensur.
Wir fordern Information statt scheinbar wohlmeinender Klientelisierung. Nie­mand hat das Recht zu entscheiden, wer ‚mündig genug‘ für diese Informatio­nen ist, und wer nicht.

Sich den veränderten Realitäten stellen
Will Prävention nicht vollends unglaubwürdig werden, muss sie sich den ver­änderten Realitäten aktiv stellen – statt durch Schweigen oder fehlende In­formation die Ent­stehung neuer Mythen zu begünstigen. Weiteres Schweigen vergrößert nur den bereits angerichteten Schaden.

Mut zur eigenen Haltung
Aidshilfe hat (ihrem Leitbild zufolge) das Ziel, dass „jeder Einzelne informiert, selbst­bestimmt und verantwortungsvoll mit dem Risiko von HIV und Aids um­gehen kann“. Die durch die EKAF aufgeworfenen Fragen, Information und dar­aus resultie­renden Botschaften gehören zu den Kern-Aufgaben der DAH. Die DAH hat die hierfür er­forderlichen Kompetenzen und fachkundigen Mitarbeiter. Die DAH ist nicht Interessen­vertreter einer Gesundheits-Bürokratie, sondern ihrer Mit­gliedsorganisationen sowie der Menschen mit HIV und Aids und ihrer Partner.
Es ist höchste Zeit, dass die DAH jetzt wieder den Mut zu eigener Haltung zurück gewinnt!

Wissenslücken schließen
Diejenigen Punkte, zu denen Dissens zwischen den Beteiligten besteht, müs­sen eben­falls klar und öffentlich benannt werden. Es reicht nicht, mantrahaft das Fehlen von Daten und Evidenz zu wiederholen. Wo Datenlücken bestehen (wie scheinbar bei der Beurteilung des Übertragungsrisikos bei Analverkehr oder der Auswirkung verschiede­ner STDs) fordern wir Datenlücken zu schlie­ßen, entsprechende Studien sind zu konzipieren und durchzuführen. Hier ist auch das Kompetenznetz HIV gefordert.

Gleichheit im Maßstab
Risiken dürfen nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Der Grad an Evidenz, der für die Aussagen zur Kondomverwendung reichte, muss auch für Aussagen zur In­fektiosität bei erfolgreicher Therapie (ohne STDs) genügen. Der Beweis einer Abwe­senheit von Risiko ist nicht möglich!
Kaum jemand bezweifelt, dass eine erfolgreiche Therapie mit Viruslast unter der Nach­weisgrenze die Infektiosität mindestens so stark senkt wie die Benut­zung von Kondo­men. „Wirksame Therapie ohne STDs“ ist mindestens genauso effektiv wie Kondome. Dies muss auch laut gesagt werden! Diejenigen Punkte des State­ments, zu denen weitgehender Konsens auch zwischen Forschern und Prävention be­steht (z.B. Oral-, Vaginalverkehr) sind entsprechend offen zu kommunizieren statt sie weiterhin zu ver­schweigen.

Wissen darf nicht instrumentalisiert werden!

Erfolgreiche Therapie ohne STDs kann auch safer Sex sein!

AutorInnen:
Michèle Meyer, Präsidentin LHIVE
Michael Jaehme
Matthias Hinz
Ulrich Würdemann

Erstunterzeichnende Personen und Organisationen:

Engelbert Zankl, Achim Teipelke, Wolfgang Vorhagen, Peter Smit (Amsterdam), Claudius A. Meyer, Frank Wieting, Bernd Aretz, Hermann Jansen, Birgit Krenz, Olaf Lonczewski, Gaby Wirz, Guido Kissenbeck, Werner Heidmeier, Konstantin Leinhos, Rolf Ringeler, Sven Karl Mai, Michael Bohl, Wolfgang Fannasch, Norbert Dräger, Felix Gallé, Dr. Axel Hentschel, Prof. Dr. Martin Dannecker, Rainer Wille, Wolfgang Richter, Stefan Schwerin, Bernard George, Carsten Schatz, Claudia Fischer-Czech, … u.a.
(Erstunterzeichnung war nur möglich am Rand der DAH-“Ethikkonferenz“ und des 126. Positiventreffens.)

– „positiv e.V.“, Projekt bundesweite Positiventreffen, Mitglied der DAH;
– „LHIVE“ – Organisation der Menschen mit HIV/Aids in der Schweiz;
– das „126. Bundesweite Positiventreffen“ in der Akademie Waldschlösschen mit 60 TeilnehmerInnen;

Wer diese Forderungen unterstützen möchte, kann dies gern per Kommentar oder Email (Kontakt-Formular) machen.

Die Resolution jetzt auch hier direkt als pdf zum Download (rechte Maustaste Ziel speichern unter).

Prof. Hirschel präszisiert …

Der Schweizer Aids-Forscher Prof. Bernard Hirschel hat einige Aussagen des Statements der EKAF („keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„) präzisiert.

Das Statement der EKAF hat für viele Reaktionen und Aufregungen gesorgt. Theorie und Praxis klaffen immer weiter auseinander.

In dieser Situation hat Prof. Hirschel einige Erläuterungen zum Statement der EKAF gegeben. Sie entstanden im Dialog mit Therapieaktivisten überwiegend der britischen Organisation Terrence Higgins Trust (THT). Der gesamte Text ist u.a. veröffentlicht von thewarning, einer französischen Seite zu schwuler Gesundheit. Der Artikel („recommandations suisses: le professeur Hirschel précise …“, in französischer Sprache; in englischer Sprache hier; danke an Kees für den Hinweis) ist insgesamt äußerst lesenswert, zumal er auch durch umfangreiche Verweise auf wissenschaftliche Literatur untermauerte Aussagen enthält.
Hier die mir am wichtigsten erscheinenden Gedanken und Aussagen von Prof. Hirschel (Übersetzung ondamaris):

Zur Frage, ob der wissenschaftliche Beweis (der EKAF-Aussagen) komplett genug sei: „Der wissenschaftliche Beweis wird immer ‚unvollständig‘ bleiben, da es unmöglich ist, die Abwesenheit von Risiko zu beweisen.“

Zur Frage der fehlenden Zustimmung anderer Forscher: „Haben Sie sie gefragt [die anderen Forscher, d.Übers.]? Haben Sie sich die Mühe gemacht dazwischen zu unterscheiden, was sie privat sagen, und was sie öffentlich sagen? Was sie öffentlich sagen wird beeinflusst von der Meinung ihrer Kollegen sowie von dem, was ich die Asymmetrie der Risikoeinschätzung nenne: das Verneinen eines Risikos, das dann doch eintritt, kann die Karriere gefährden, während der umgekehrte Fall ohne Konsequenzen bleibt.“

Zur Frage der Wahrscheinlichkeit (kann es sein, dass die Viruslast doch einmal schwankt): „Jeder Medizinstudent weiß, wenn die Frage lautet ‚kann‘, muss die Antwort heißen ‚ja‘. Beinahe alles kann geschehen in der Medizin. Aber ist es auch wahrscheinlich und bedeutend, oder ist es im Gegenteil unwahrscheinlich und ohne Bedeutung?“

Zur Frage, ob sexuell übertragbare Infektionen (STDs) die Viruslast in Genitalgeweben erhöhen können: „Das kann bei Patienten, die nicht [antiretroviral, d.Ü.] behandelt sind, gezeigt werden. Aber nur selten bei Patienten, die erfolgreich behandelt werden.“

Zur Frage, dass man asymptomatische STDs doch oftmals nicht bemerken könne: „Das ist wahr. Aber die Erhöhung der Viruslast im Genitaltrakt wird von einer Entzündung verursacht. Nun, asymptomatische STDs, per Definition, verursachen kaum oder keine Entzündung.“

Zur Frage der Übertragung durch homosexuellen Geschlechtsverkehr / Analverkehr und fehlenden Studiendaten: „Wenn man keine Studien hat, muss man auf den Verstand ausweichen. Es gibt keinerlei gute biologische Gründe, die erklären könnten, warum die vaginale Transmission sich von der rektalen Transmission unterscheiden soll.“ Und ob das Übertragungs-Risiko zwischen analem und vaginalem Verkehr nicht doch unterschiedlich sein könne? „Vielleicht, aber die verfügbaren Daten von nicht behandelten Patienten zeigen, dass die Risiken vergleichbar sind.“

Zur Frage, ob sich nicht doch Fälle finden lassen (werden), in denen trotz nicht nachweisbarer Viruslast HIV übertragen wurde: „Vor allem anderen, scheint mir, gilt es nachzudenken: wie könnte sich eine Infektion übertragen in Abwesenheit von Virus?“ Und „Wenn Sie sicher sein wollen, und sich nicht darauf verlassen wollen, was ein anderer sagt, benutzen Sie ein Präservativ!“

Zur Frage, was die möglichen Ausnahme-Fälle bedeuten würden: „‚Schwierige Fälle geben schlechte Gesetze.‘ Die offiziellen Empfehlungen für die öffentliche Gesundheit müssen Risiken und Nutzen für den typischen Fall abwägen, nicht für die Ausnahme.“

Hirschels Zusammenfassung zur Frage, ob die Schutzwirkung der erfolgreichen antiretroviralen Therapie mit der der (männlichen) Beschneidung verglichen werden könne: „In anderen Worten, die Behandlung schützt zu mehr als 90%, vielleicht mehr als 99,9% – verglichen mit 50 bis 75% Schutz durch die Beschneidung.“

Zur Frage, ob die Informationen des EKAF-Statements nicht Verwirrung auslösen könnten: „Eine gute Kommunikation muss sich auf exakte Informationen stützen. In Abwesenheit von Virus ist eine Übertragung sehr wenig wahrscheinlich. Die gegenteilige Behauptung ist entgegen den Fakten und gefährdet die Glaubwürdigkeit der Präventionsbotschaften.“