Patientenverfügung – persönliche Erfahrungen

Der Bundestag debattiert derzeit mehrere Entwürfe für eine gesetzliche Regelung zur Patientenverfügung. Ein schwieriges Thema, wie schon intensive Debatten im Vorfeld gezeigt haben.
Einige persönliche Gedanken.

Viele Menschen befürchten, im Falle eigener Handlungsunfähigkeit könnte ihrem Willen nicht entsprochen werden. Sie seien dann vielleicht von Apparaten abhängig,  womöglich unter Umständen, die ihnen unwürdig erscheinen.

Gedanken, die nur zu verständlich sind. Gedanken, bei denen man schnell zustimmt, ja, da muss eine Patientenverfügung her.

Ich habe selbst mehrfach solche Situationen erlebt, mit Freunden, Angehörigen und persönlich.
Ich habe selbst erlebt, dass Ärzte sich über den Willen des Patienten oder auch von Angehörigen zunächst hinweg setzen. Und sicher in den meisten Fällen nicht aus Ignoranz oder gar Boshaftigkeit, sondern aus Interessenkonflikten oder weil sie Entscheidungsfaktoren anders bewerten. Und ich habe Situationen erlebt, die mir die Grenzen von Patientenverfügungen aufgezeigt haben.

Ein erstes Beispiel.
Ich habe selbst miterlebt (bei engsten Angehörigen), wie Ärzte Schmerztherapie mit Opiaten bei Krebs im Endstadium verweigerten mit der Begründung, die mache doch abhängig. Und als das dann durchgesetzt war, den Patienten dermaßen mit Opiatpflastern zuklebten, dass er völlig ruhiggestellt war, leer ins Nirgendwo starrte, nichts mehr wahrnahm. Nur eigenmächtiges Eingreifen trotz heftigsten Protests des Pflegepersonals („also, das ist ja … also … ich hol jetzt den Chef!“) gab ihm wieder das Bewusstsein zurück, nur gezieltes Entfernen und Halbieren der Pflaster schuf eine von ihm als akzeptabel empfundene Situation, die der Chefarzt unter Protest mit „nach massiver Intervention und auf einzige Verantwortung eines Angehörigen“ in der Akte vermerkte.

Eine Patientenverfügung hatte mein Angehöriger vorher (trotz meiner Bitten angesichts der absehbaren Situation) nicht gemacht. Ob sie in dieser Situation geholfen hätte? Klarheit hätte sie zumindest gebracht.

Eine andere Situation.
Ich habe schon frühzeitig eine Patientenverfügung für mich selbst gemacht. Und darin auch Dinge geregelt wie die Frage von Schmerztherapie oder lebenserhaltenden Maschinen – ’selbstverständlich‘ war ich dagegen, im Fall des Falles auf Maschinen angewiesen zu sein, nur um noch einige Stunden oder Tage länger dahin zu vegetieren …

Wenige Jahre später war ich in der Situation, dass der Arzt sagte, nun seien wirklich alle Möglichkeiten ausgeschöpft, er sei ratlos, könne nichts mehr tun. Eine Aussage, die weder meinen Mann noch mich sehr erstaunte oder schockierte, zu offensichtlich waren längst die Realitäten.
Und doch – hätte es in dieser Situation auch nur den absurdesten Rettungsanker gegeben, ich hätte nach ihm gegriffen. Ich wollte leben, unter allen Umständen, und sei es nur für einen Tag, eine Stunde, einen Moment länger. Ich hätte jede Maschine akzeptiert.

Es kam anders, gottseidank.
Und neben vielem anderen war bald klar, diese Patientenverfügung, die ich vor einigen Jahren wohlüberlegt, nach vielen Stunden des Nachdenkens und von Gesprächen niedergeschrieben hatte, kam in die Tonne. Sie wurde meinem Willen in dieser Situation nicht gerecht. Die Extremsituation „es geht jetzt dem Ende entgegen“, sie erwies sich für mich als nicht vorstellbar, nicht planbar – auch nicht für eine Patientenverfügung. Ich hatte mich in mir selbst getäuscht.

Und ich befürchte, dass vorgefertigte, ankreuzbare oder sonstwie als Muster fertig konfektionierte Vorlagen von Patientenverfügungen (wie sie auch derzeit wieder überall kursieren) mich zu einer Patientenverfügung verleitet hätten, die noch weiter von meinem Willen in der konkreten Situation entfernt gewesen wären.

Ich habe viel erfahren, viel gelernt über mich in jenen Tagen.

Ich erzähle diese persönlichen Erlebnisse (trotz meines Versuches, meine persönlichen Seiten weitgehend aus ondamaris heraus zu halten), um zu zeigen, dass Patientenverfügungen eine sinnvolle Sache sein können – und dass es leicht ist, eine Patientenverfügung zu erstellen, aber schwer, eine Patientenverfügung zu verfassen, die tatsächlich dem eigenen Willen gerecht wird.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich derartige Grenzsituationen ‚vorweg-fühlen‘ und dann schriftlich so regeln kann, dass sie meinen Willen in der zukünftigen Situation abbilden.

Ich habe meine Patientenverfügung längst geändert, ‚entschärft‘.
Und ich habe versucht Strukturen aufzubauen, bei denen ich für den Fall, dass ich nicht selbst für mich entscheiden kann, die zu treffenden Entscheidungen in die Hände von Menschen lege, denen ich vertraue – und die bereit sind, diese Verantwortung anzunehmen.

– – –

Der Deutsche Bundestag debattiert derzeit drei unterschiedliche Entwürfe zur gesetzlichen Regelung einer Patientenverfügung, den ‚Zöller-Faust-Entwurf‘ (Drucksache 16/11493, pdf), den ‚Bosbach-Entwurf‘ (Drucksache 16/11360, pdf) und den ‚Strünker-Entwurf‘ (Drucksache 16/8442, pdf).

Der Bundestag hat den Entwurf Stünker bereits am 26. Juni 2008 in erster Lesung beraten. Am heutigen 21. Januar 2009 wurden die beiden Entwürfe Zöller-Faust und Bosbach in erster Lesung beraten. Die weitere Beratung findet jetzt anschließend in den Ausschüssen statt.

ACT UP – Mythos oder Modell?

ACT UP – Mythos oder Modell einer Bürgerrechts-Bewegung HIV-Positiver?
einige persönliche Gedanken

Einer der ‚Höhepunkte‘ von Positiven-Aktivismus in Deutschland war ACT UP. Eine Bewegung, eigentlich aus den USA stammend, die bald auch hier mit zahlreichen Gruppen präsent war. Aktionen durchführte, Themen in die Öffentlichkeit brachte, Aufmerksamkeit in den Medien herstellte. Um dann recht schnell wieder zu verschwinden – warum?

Wie kam es, dass plötzlich Ende der 1980er HIV-Positive mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen und Forderungen für ihre Interessen eintraten? ACT UP entstand m.E. in Deutschland aus zwei Momenten heraus, einem Gefühl von Angst und Bedrohung sowie einem Erleben von Aktivwerden unter US-Schwulen und -Positiven.

Eine nennenswerte Zahl (überwiegend schwuler) Menschen in Deutschland empfand Ende der 1980er / Anfang der 1990er Jahre Gefühle von Angst. Gefühle, die sich vielleicht festmachen lassen an damaligen nicht immer unbegründeten Befürchtungen wie „jetzt machen die uns fertig / unsere mühsam erkämpften Freiheiten kaputt / unsere Szenen kaputt (Gauweiler)“, und von Bedrohung, die sich u.a. manifestierte in Stichworten wie ‚Maßnahmenkatalog‘, ‚Internie­rung; ‚Absonderung‘, und an einigen Personen, unter ihnen ein schwedischer Arzt, ein bayrischer Politiker (von nämlichen Arzt beraten) und ein Berliner In­nensenator.

Hinzu kamen erste Berichte aus den USA, über die zu er­leben war, dass dort (nicht nur) Schwule auf die Straße gingen, für ihre Rech­te eintraten, für ihre Szenen, für ihre Leben kämpften. Mit medienwirksamen Aktionen öffentliche Meinung beeinflussten und so ignorante Politiker, Behör­den und Unternehmen unter Druck setzten.

Ignoranz und Bedrohung waren in den USA sicher größer ausgeprägt als in Deutschland, ebenso das Gefühl der Angst (Stichwort Debatte ‚gay holocaust‘), dennoch waren auch in Deutschland genügend Druck, genügend Emotion vorhanden, dass eine nennenswerte Zahl Menschen aktiv wurde. Hinzu kam, dass Andreas Salmen, frisch zurück aus den USA, direkten Transfer amerika­nischer Ideen, Strategien und Kampagnentechniken möglich machte – und sich selbst massiv engagierte.

Bald gab es auch in Deutschland zahlreiche ACT UP Gruppen (Berlin, Bonn, Dortmund, Hamburg, Frankfurt, Karlsruhe, Mainz, München, Nürnberg, Würz­burg), die viele lokale und einige teils sehr gut wahrgenommene bundesweite Aktionen durchführten (die bekanntesten darunter sicher Die Ins gegen Luft­hansa, der ‚Marlboro-Boykott‘ und die Besetzung des Doms zu Fulda im Sep­tember 1991).

 

ACT UP - Feuer unter'm Arsch (Aids-Froum DAH Sonderband 1991)
ACT UP - Feuer unter'm Arsch (Aids-Froum DAH Sonderband 1991)

 

Doch die Blüte von ACT UP dauerte in Deutschland nicht lange. Zwar gab es eine ACT UP – Gruppe noch bis Ende der 1990er Jahre (Frankfurt), ACT UP als aktionistische Form positiver und positivenpolitischer Selbsthilfe jedoch spielte schon Mitte der 1990er Jahre in Deutschland keine nennenswerte Rol­le mehr.

ACT UP – warum ein schnelles Ende?
Zum baldigen Ende der ACT UP – Bewegung in Deutschland nach kurzzeitiger Blüte trugen m.E. mehrere Gründe bei, u.a.:
– mit den Tod von Andreas Salmen im Februar 1992 verloren die deut­schen Aktivisten nicht nur ihren spiritus rector, sondern auch eine Füh­rungsperson, Theoretiker und Kristallisationspunkt.
– viele der Aktionen in Deutschland waren letztlich aus den USA und der dortigen Situation gesetzte Themen (z.B. Kirche, Philip Morris) und hatten mit der Lebensrealität vieler deutscher Positiver nur wenig zu tun.
– die medizinische Situation änderte sich seit der Zulassung von ddI zu­nächst schleichend, bald schneller. Der existentielle Handlungsdruck wurde geringer.
– einige Aktive wandten sich bald vom politischen Aktivismus ab und (aus einem Gefühl veränderter Notwendigkeiten heraus) dem Therapie-Akti­vismus zu.
Letztlich scheint mir hatte in Deutschland zudem ACT UPs Tendenz zu zuspit­zen, zu provozieren, zu polarisieren keine ausreichende Basis im Kontext einer Gesellschaft, die eher geprägt ist von Konsens-Politik. Die kulturel­len Unterschiede zwischen Deutschland und den USA spiegeln sich hier m.E.deutlich wieder. So fassten auch aktionistischere Schwulen- und Lesbengruppen wie OutRage oder QueerNation, die in Folge von ACT UP in Großbritannien und den USA entstanden, in Deutschland nie recht Fuß.
Nebenbei, auch in den USA, wo es noch zahlreiche ACT UP – Gruppen gibt (wie ebenfalls in Paris), ist ACT UP seinem ‚godfather‘ Larry Kramer zufolge „dead – a shadow of its former self. The greast days of Aids activism are no more“ (Larry Kramer im Interview auf gaywired.com, 27.11.2008).

ACT UP – ein Modell für positiven Aktivismus?
Als Mythos hat ACT UP lange überlebt. Gelegentlich sind selbst heute noch Bemerkungen zu hören wie „Jetzt müsste man ACT UP haben“ oder „warum macht ihr nicht mal wieder ACT UP“. Es stellt sich die Frage, ist ACT UP heute noch möglich, denkbar?

Über die spontane Antwort an den Fragenden hinaus „dann mach’s doch – sei ACT UP“ bleibt im Rückblick der Eindruck, ACT UP war in Deutschland Er­gebnis eines seltenen Moments, getrieben von Wut und Angst, getrieben auch von Aktivismus der eine Bahn suchte – und selbst damals immer nur von einer kleinen Gruppe Menschen aktiv nach vorne gebracht. Diese Aus­gangsvoraussetzungen (und die Bereitschaft, das erforderliche nicht geringe Maß an Zeit und Engagement aufzubringen) scheinen mir heute nicht gege­ben.

Die Frage, ob ACT UP hierzulande als Modell für positiven Aktivismus generell taugt, hat sich damit m.E. weitgehend erledigt. Ich denke nein.

(Randbemerkung: Die These „Gefühle von Angst/Bedrohung/Wut als Basis für Aktivismus“ scheint sich in den USA derzeit erneut zu bewahrheiten. Dort gehen nach den als Schock erlebten Abstimmungsniederlagen junge Leute zu Tausenden auf die Stra­ßen, engagieren sich erneut (‚Stonewall 2.0‚). Ein Druck, der hier -auch angesichts einer kon­sens-orientierten Gesellschaft – derzeit nicht vorhanden ist.)

Allerdings zeigt ACT UP auch in Deutschland eines: Auch wenige können die Welt verändern – wenn sie es wollen. ACT UP bestand nie aus vielen aktiven Menschen, vielleicht einigen Tausend in den USA, sicher kaum 100 in Deutschland. Und dennoch – ACT UP konnte Öffentlichkeit schaffen, Aids-Politik und -Lebensrealitäten ein wenig verändern. In dieser Hinsicht könnte ACT UP auch heute noch Modell sein – dafür, dass es „nur“ eine kleine, motivierte und zu Engagement bereite Gruppe Menschen braucht, um Themen zu setzen, um Veränderungen anzustoßen. Dies ist m.E. eine Erfahrung, die man an ACT UP sichtbar machen kann.

Mir persönlich schiene dabei die Frage spannend, ob Aktions- und Organisationsformen wie ACT UP nicht nur gegen etwas (wie eine damals in Sachen Aids ignorante Politik), sondern auch für eine Idee, einen Gedanken, eine Hoffnung möglich wäre, und wenn ja wie …
„il sogno di una cosa“ (PPP)

Wenn allerdings Kramer Recht hat („activism was based, pure and simple, on fear“), dann fehlt dieser Art Aktivismus heute einfach die Grundlage.

(Text konzipiert für die Veranstaltung ‚25 Jahre Deutsche Aids-Hilfe‚ der Akademie Waldschlößchen)

Aids-Hysterie und die ’sorgenvolle Denunziation‘

Die Aids-Hysterie Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre trieb Menschen zu teils bestürzenden, teils erschreckenden Verhaltensweisen – von Denunziation vermeintlich HIV-positiver Nachbarn bis zur vermeintlich fürsorglichen Zwangsuntersuchung des eigenen Sohnes.

Die kleine Ausstellung ‚Zeitgeist(er) – Skurriles und Nachdenkliches zu HIV’ zeigt unter anderem einige sehr eindrückliche Beispiele, wie die Stimmung in Teilen der Bevölkerung Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre in Sachen Aids und HIV-Infizierte war.
Beispiele von Denunziation, Diffamierung und menschlichen Abgründen …

So wendet sich ein Briefschreiber 1992 an das Bundesgesundheitsamt, um mitzuteilen, dass „Herr L (Name und Adresse vollständig angegeben) HIV-positiv ist und seine schwere Erkrankung durch häufig wechselnde Männerbekanntschaften überträgt“. Er bittet um vertrauliche Behandlung seiner Nachricht – und Einleitung „entsprechender Schritte“:

Ein Jahr später meldet ein anderer Briefschreiber per Einschrieben mit Rückschein „aus Gewissensgründen“ einen Mitbürger „wegen AIDS“ und nennt auch gleich mögliche ‚Kontaktpersonen‘:

Im dritten Beispiel begehrt ein promovierter Vater vom Robert-Koch-Institut, nein er erwartet, dass sein Sohn „umgehend zu einer Untersuchung“ einbestellt wird, und erwartet Antwort innerhalb von 14 Tagen.
Der Grund seines Ansinnens: er habe „Grund zu der Annahme, dass sein Sohn [vollständige Adresse genannt] sich mit HIV infiziert“ habe, und der Herr Dr. möchte „seine weitere Studienförderung davon abhängig machen, dass er mir einen entsprechenden Untersuchungsbefund vorweist und sich künftig dem Ergebnis des Untersuchungsbefunds entsprechend verhält“. Wie das aussehen soll? Herr Dr. präzisiert weiter „also Intimkontakte zu Nichtangesteckten meidet wenn er infiziert ist, bzw. zu möglicherweise Infizierten (vorsichtshalber alle nichtuntersuchten Homo- und Bisexuellen und deren ständige oder vorübergehende Partner) unterläßt, wenn er Glück gehabt hat und noch nicht infiziert ist“:

Die drei Beispiele stehen vermutlich für eine größere Anzahl an Briefen ähnlichen Inhaltes, die Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre an Bundesgesundheitsamt und Robert-Koch-Institut gerichtet wurden. Dennoch, schon diese drei Briefe geben exemplarisch nicht nur einen Eindruck von der Stimmung, die damals herrschte. Sondern sie berichten auch davon, zu welchen Verhaltensweisen Menschen unter den damaligen Bedingungen fähig waren. Und lassen die Frage im raum stehen, ob sich wirklich so viel geändert hat, oder ob solche Briefe auch heute wieder geschrieben werden würden …

über Schuld und Hetze

Das Vierbuchstabenblatt kloppt das alte Märchen … und ich kann gar nicht so viel fressen wie ich … möchte …

Heute Am 1. Dezember 2008 steht auf Bild.de zum Thema ‚Die wichtigsten Fragen und Antworten zu HIV und Aids‘ u.a. die Frage

„Gibt es Risikogruppen?“

stundenlang die ‚prägnante‘ Antwort

„Homosexuelle Männer und Drogenabhängige sind besonders gefährdet, aber leider auch Unschuldige: Unter den 63.500 Infizierten sind auch etwa 400 Kinder, die HIV über ihre Mutter bekommen haben.“

Das ist mindestens in zweifacher Hinsicht eine Unverschämtheit – wegen des Wortes „Unschuldige„, des Märchens (Mythos) von schuldigen und unschuldigen HIV-Infizierten (immerhin, früher haben manche auch noch ‚Opfer‘ geschrieben), und wegen dieses kleinen vergifteten „leider„, bei dem man sich dann denken kann, welche emotionale Beschreibung statt des ‚leider‘ auf die Gruppen vor dem Komma gedacht ist …

Müsste ich nicht gerade k…, würd ich jetzt an den Presserat schreiben …

Dokumentiert hat’s BildBlog – nebst der späteren „Bild ist ja doch so politisch korrekt“ – Änderung

Lebensversicherung: der Ausschluß HIV-Positiver ist nicht mehr zeitgemäß (akt.)

Menschen mit HIV sind in Deutschland von zahlreichen Versicherungen weitgehend ausgeschlossen. Potenziell zu einer HIV-Risikogruppe gehören zu können, erschwert einer großen Gruppe von Menschen den Abschluss von Versicherungen. Britische Versicherer zeigen, wie unzeitgemäß dieses in Deutschland noch übliche diskriminierende Verhalten zahlreicher Versicherer ist.

HIV-Positive haben in Deutschland seit zwanzig Jahren große Probleme, Versicherungen abzuschließen. Zahlreiche Versicherer fragen in ihren Anträgen nach einem etwaigen HIV-Test sowie dessen Ergebnis. Dies betrifft nicht nur Lebensversicherungen, sondern z.B. auch Berufsunfähigkeits-Versicherungen, Unfallversicherungen oder private Krankenversicherungen. Zudem wird anhand von Risikofaktoren kalkuliert,ob etwa ein Antragsteller potenziell ein hohes Risiko eines ‚Schadenfalls‘ hat – auch hinsichtlich HIV-Infektion und Aids. So wird HIV im Denken von Versicherungen zu einem Risikofaktor, der vielen schwulen (oder als solchen vermuteten) Männern Versicherungen erschwert.

Ein Problem, das weit mehr als ‚belanglos‘ ist. ‚Mit HIV schlechter versichert?‚ oder gar ‚kein Versicherungsschutz wegen HIV‚, vor diesem und ähnlichen Problemen stehen oftmals HIV-Positive – und Menschen, die aus welchen Gründen auch immer potenziell dafür gehalten werden.

Keine Lebensversicherung abschließen zu können – dies ist weit mehr als eine Frage persönlicher Lebensführung und eines Gefühls der Absicherung. So berichtet in dem jüngst von der Deutschen Aids-Hilfe vorgestellten Film ‚Jung Positiv‘ ein junger Mann, der im Kfz-Gewerbe gelernt hat, über gravierende Folgen seines Versicherungsproblems: “Meister machen – der Traum ist geplatzt. Wer gibt mir schon noch einen Kredit, als Positiver? Die verlangen ja eine Lebensversicherung als Sicherheit. Und die bekomm’ ich mit HIV doch nicht.”

Wie entstand diese Situation? Warum diese Versicherungsprobleme, und warum heute noch?

1988 – Am Jahresanfang entscheidet der Verband der Lebensversicherungsunternehmen e.V., für alle Anträge auf Lebensversicherung eine Frage nach einem vorliegenden positiven HIV-Antikörpertest zu empfehlen. Zudem wird für alle Lebensversicherungen über 250.000 DM Versicherungssumme empfohlen, in die dabei fälligen ärztlichen Untersuchung auch einen HIV-Antikörpertest einzubeziehen. Bei HIV-positiven Antragstellern sollte ein Vertragsabschluss abgelehnt werden.

Die Folgen dieses Entschlusses sind weitreichender als zunächst vermutet. Sie betreffen bald nicht nur HIV-positive Menschen direkt. Eine große Zahl Menschen, ob HIV-positiv oder nicht, berichtete bald über Probleme, Versicherungen nur mit Schwierigkeiten abschließen zu können – nicht nur Lebensversicherungen, auch z.B. Berufsunfähigkeits- oder private Krankenversicherungen, gar Unfallversicherungen und (im Leistungsfall) Reisekrankenversicherungen waren und sind betroffen.

Über das so genannte ‚Scoring‘ und andere Verfahren der Risikokalkulation versuchen Versicherer, potenzielle Risiken vor Vertragsabschluss zu erkennen, Antragsteller  mit hohen Risiken nicht als Kunden anzunehmen. Da könnte die Kombination „Mann, jung, nicht verheiratet“ schon verdächtig sein – potenziell schwul? Ist gar als Begünstigter zudem auch ein Mann angegeben, werden vielleicht gar ‚verdächtige‘ Vor-Erkrankungen wie Syphilis oder Hepatitis angegeben, ist es unter Umständen schnell vorbei mit dem angestrebten Versicherungsschutz. Und wenn gar ein HIV-Test gemacht wurde, selbst wenn der negativ ausgefallen ist, das sagt doch was – und da wollen Sie versichert werden?

Die Merkmale ’schwul‘ oder ‚potenziell HIV/Aids‘ sowie die dahinter liegenden Risiko-Algorithmen als Filter-Faktoren des Risiko-Scorings wurden selten nachweisbar publik – immer wieder wurde und wird jedoch vermutet, dass einige Versicherer weit über die konkrete Frage nach dem HIV-Status hinaus auf diese oder ähnliche Weisen versuchen,  schwule Männer als Kunden (als ‚Risiken‘) zu vermeiden.

Doch inzwischen haben sich die Lebensrealitäten HIV-Positiver verändert. Eine Vielzahl an Medikamenten ist zugelassen, und auch wenn die HIV-Infektion letztlich immer noch potenziell tödlich ist, nähert sie sich doch immer weiter einer chronischen Infektionskrankheit an. Die Lebenserwartung von HIV-Infizierten, Ende der 1980er Jahre oft nur mit wenigen Jahren bemessen, erreicht heute in westlichen Industriestaaten oftmals fast die statistisch ’normale‘ Lebenserwartung.

Die Situation des Lebens mit HIV hat sich verändert – doch bei der Frage, ob HIV-Positive eine Lebensversicherung abschließen können, herrschte lange Stillstand. Nun scheint sich langsam auch hier Veränderung abzuzeichnen.

So bemerkte Hans Jäger bei den ‚Münchner Aids-Tagen in Berlin‚ 2008, inzwischen biete die Allianz als erster deutscher Versicherer auch eine Lebensversicherung für HIV-Positive an. Die Allianz hat dies bisher m.W. nicht bestätigt.

Weiter sind Nachbar-Staaten: so bietet der Verband der britischen Versicherer Interessenten einen Ratgeber an unter dem Titel „HIV and life insurance – A consumer guide for gay men“ (pdf). Dort heißt es, schwule Männer seien in der Vergangenheit von Versicherern oftmals unfair behandelt worden. Insbesondere sollen zukünftig Menschen in Lebenspartnerschaften nicht anders als verheiratete Paare behandelt werden. Gezielt wird darauf hingewiesen, dass Fragen nach Homosexualität nicht länger akzeptabel seien, bestimmte Berufe nicht mehr als Indikator für höheres HIV-Risiko betrachtet würden, vielmehr eine fallweise Beurteilung erforderlich sei. Die Tatsache eines HIV-Test werde nicht per se als negatives Kriterium bewertet, und auch mit positivem HIV-Test gebe es spezielle Versicherer, die u.U. Lebensversicherungen anbieten würden.
Zudem hat der selbe Verband einen Ratgeber für Menschen herausgegeben, die in Ländern mit hoher HIV-Prävalent gelebt oder dorthin gereist sind (pdf) – ein Thema, das in Deutschland zwar auch Versicherungen erschwert, aber selten wahrgenommen wird.

Lebensversicherungen auch für Schwule, auch in Lebenspartnerschaften, auch ohne HIV-Test – was in Deutschland wohl immer noch ein großes Problem darstellen dürfte, ist in Großbritannien nicht nur möglich, sondern sogar mit hohen Versicherungssummen machbar. So bemerkt pinknews: „Two companies, Royal Liver and Bright Grey, were praised for their industry-beating limit of £1,000,000 of cover without HIV testing for gay men within a civil partnership.“

Der pauschale Versicherungs-Ausschluß für HIV-Positive und die resultierenden Risiko-Kalkulationen und Spekulationen einiger Versicherer scheinen nicht mehr zeitgemäß. Sie sind diskriminierend, beeinträchtigen weit mehr als hinnehmbar die individuelle Lebensplanung zahlreicher Menschen und stellen ganze Gruppen unter Generalverdacht. Es ist dringend an der Zeit, dass die Versicherungsbranche reagiert.

Nebenbei, befürchtete Stigmatisierung und Diskriminierung sind zwei der Faktoren, die Menschen daran hindern, einen HIV-Test zu machen, so von ihrem HIV-Status zu erfahren (und z.B. ggf. auch rechtzeitig behandelt werden zu können). Ein undifferenziertes Aussortieren, eine pauschalisierende ‚Risikokalkulation‘ über das Ausschliessen ganzer Kundengruppen können so auch dazu beitragen, dass HIV-Prävention unnötig erschwert und beeinträchtigt wird. Ganz abgesehen davon, dass sie das Bild, das die Gesellschaft sich von HIV-Positiven macht, auch nicht gerade positiv beeinflussen …

Nachtrag
25.11.2008: koww hat bei der Allianz nachgefragt – mit dem Ergebnis „kann ich Ihnen für der Fall HIV positiv keinen Versicherugsschutz anbieten.“ koww, danke der Nachfrage – nu werd ich mal bei Dr. Jäger nachhaken …
28.11.2008: Dr. Jäger teilt per Email zum Thema Lebensversicherung für HIV-Positive mit „Hier hat sich inzwischen Einiges getan. Eine – wie ich meine – vollständige Zusammenfassung wird Mitte Januar 2009 zur Verfügung stehen“. Sobald diese ‚Zusammenfassung‘ vorliegt, werde ich weiter berichten.

das Experiment ‚mit HIV leben‘

Leben mit HIV ist ein einziges riesiges Experiment. Eines, an dem Positive mittendrin teilnehmen. Als Studienobjekte und -subjekte, ungefragt und unfreiwillig, qua Überleben, und mit Nutzen. Einige Nachdenklichkeiten.

Beim morgendlichen Scan der zahlreichen Feeds bleibt das Auge hängen an einer kleinen Notiz, kaum mehr als einem Link auf einen Fachartikel, der sich mit einem möglichen Zusammenhang von HIV, Medikamenten  und Ptosis beschäftigt.

Ptosis?
Ich werde stutzig. Erinnere mich.
Vor einigen Jahren. Etwas irritiert sitze ich bei meiner Augenärztin, berichte ihr von dem Gefühl, im Alltag schlechter sehen zu können als früher. Augenuntersuchungen zeigen keine Beeinträchtigungen. Einige Monate später, inzwischen ist dem Mann des öfteren aufgefallen „du siehst abends immer so müde um die Augen aus“. Erneut einen Termin bei der Augenärztin machen. Als es soweit ist, fällt auch ihr auf, dass beide Lider sehr tief hängen, bei einem Auge das Lid schon die Pupille beinahe zur Hälfte überdeckt.
Zahlreiche Untersuchungen folgen, Diagnose Ptosis, schließlich drei Operationen in einer renommierten Augenklinik. Degenerierte verfettete Lidheber-Muskeln (Levatoren), wird bei den Operationen festgestellt.

Nein, einen möglichen Zusammenhang mit HIV oder den Medikamenten sehe er nicht. Davon habe er auch noch nie gehört, antwortet der Professor, der mich operiert hat, auf meine Fragen. Auch die Augenärztin, seit vielen Jahren sehr erfahren in Sachen HIV-Patienten, sieht keinen Zusammenhang. Ja, das mit den degenerierten Muskeln, der Verfettung, das sei schon seltsam, und sehr ungewöhnlich in diesem Alter – aber die Verbindungen die ich zu Lipodystrohie und Fettumverteilungsstörungen sehe, da sei ihr nichts von einem möglichen Zusammenhang bekannt. Wahrscheinlich bin ich wieder zu hellhörig, bringe zu viel direkt mit HIV und den Medikamenten in Zusammenhang, denke ich.

Und nun, im Herbst 2008, nur wenige Jahre nach diesem ‚Erlebnis‘, lese ich mehr per Zufall diesen Report, der einen Zusammenhang zwischen genau dieser Art von Ptosis und der Einnahme von HIV-Medikamenten über einen langen Zeitraum herstellt.

Da ist es wieder, dieses Gefühl, Teil eines Experiments zu sein. Versuchskaninchen. Studieren, Erfahrungen sammeln am lebenden Objekt. Was anderes heißt es, lange mit HIV, mit HIV-Medikamenten zu leben, zu überleben?

Es waren HIV-Positive, die erstmals über seltsame Körper-Veränderungen berichteten. Die Stiernacken, abgemagerte Arme und Beine, dicker werdende Bäuche immer wieder thematisierten, dem Bauch schließlich gar den Namen ‚Crix-Belly‘ gaben und damit klar zum Ausdruck brachten, wo sie den Verursacher vermuteten.
Es dauerte lange, bis diese körperlichen Veränderungen von behandelnden Ärzten, später auch von forschenden Klinikern ernst genommen wurden. Noch ein wenig länger, bis das, was Positive zunächst nur vereinzelt wahrnahmen, irgendwann als Syndrom erkannt wurde, den Namen ‚Lipodystrophie-Syndrom‘ bekam.

Im Verlauf der inzwischen 25jährigen Geschichte von Aids waren es schon häufiger zuerst Betroffene, Patienten, Positive (je nach bevorzugtem Sprachgebrauch und Blickwinkel), die auf ungewöhnliche Effekte, seltsame Nebenwirkungen, neuartige Erkrankungen aufmerksam machten. Und die darauf drangen, dringen mussten (weil es sonst niemand tat), diese Symptome ernst zu nehmen.

Und es waren und sind besonders die HIV-Positiven der ersten Generationen, die zuerst diese seltsamen Effekte bemerken, an sich selbst feststellen – lange bevor sie häufiger auftreten, zu einem auch von der Fachöffentlichkeit anerkannten Bild werden. Bei denen Langzeit-Folgen oftmals einfach zeitbedingt am frühesten, am häufigsten, am intensivsten auftreten.

Leben mit HIV, Leben mit Aids-Medikamenten – das ist ein Experiment, ein derzeit laufendes Experiment, mit HIV-Positiven als Teilnehmer. Unser Leben, unser Leben mit HIV, unser Leben mit Aids-Medikamenten ist das Experiment.

Das ist weniger spektakulär, als es zunächst klingen mag.
Denn – es waren HIV-Positive, die -zu Recht- damals darauf drangen, dass die ersten Aids-Medikamente schnell zugelassen, schnell in der Praxis verfügbar wurden.
Und es liegt im Wesen von Nebenwirkungen, dass sie teils sehr selten und damit u.U. spät auftreten. Es liegt im Wesen von Langzeit-Nebenwirkungen, dass sie erst nach vielen Jahren oder bei bestimmten Kombinationen von Faktoren und Ereignissen auftreten.

Also – dieses Gefühl, Teil eines Experiments, einer Studie am lebenden Objekt zu sein, ist nicht sehr spektakulär. Aber es ist gelegentlich doch sehr erschreckend.
Und es ist gelegentlich ermüdend, sich immer wieder -freiwillig, und mit Nutzen- wie ein Versuchskaninchen zu fühlen, zudem wie eines, das vom Medizinsystem selbst nicht immer ernst genommen wird 😉

Ach ja, und die Ptosis?
Die Autoren kommen zu dem Schluss

„We report the novel findings of blepharoptosis and external ophthalmoplegia in patients who are receiving ART. Ptosis was preceded by lipodystrophy with long-term use of both thymidine-analogue– and protease inhibitor–containing ART. The findings are most consistent with myogenic ptosis in a generalized mitochondrial myopathy syndrome. Clinicians should also be watchful for other potential myopathic ptosis-associated complications, including proximal weakness, dysphagia, deafness, and cardiac conduction disturbances.“

Scott Baltic: Long-Term HIV Therapy Can Cause Ophthalmologic Problems (medscape, kostenlose Registrierung erforderlich)
Blepharoptosis and External Ophthalmoplegia Associated with Long Term Antiretroviral Therapy (ClinInfDis)

Die ‚Rektalstudie‘ – ist eine Studie zur HIV-Übertragung bei Analverkehr sinnvoll und notwendig? (akt.)

Braucht es eine Studie, die HIV-Konzentration im Darm und Übertragungsrisiken am Menschen untersucht? Und wenn ja, wie kann diese so konzipiert werden, dass Studienteilnehmer keine Risiken eingehen? Die ‚Rektalstudie‚ sieht sich kritischen Fragen ausgesetzt.

Worum geht es?
Auslöser der Debatte um das Thema ‚Infektiosität und Analschleimhaut‘ ist das Statement der EKAFkeine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„.
In ihrem Statement sagt die EKAF klar “das Risiko einer HIV-Übertragung beim Sex ohne Kondom unter vollständig supprimierter Viruslast ist deutlich geringer als 1:100.000. Das verbleibende Restrisiko lässt sich zwar wissenschaftlich nicht ausschließen, es ist aber nach Beurteilung der EKAF und der beteiligten Organisationen vernachlässigbar klein.”

Im Statement der EKAF wird nicht unterschieden zwischen Vaginal- und Analverkehr. Und dennoch kaprizierte sich von Anbeginn an genau auf diese Frage ein großer Teil der Debatte: können Daten für die HIV-Transmission bei Vaginalverkehr auf Analverkehr übertragen werden?

Die Schweizer reagierten früh auf diesbezügliche Fragen und Vorwürfe. Schon bald hat Prof. Hirschel präzisiert:

“Wenn man keine Studien hat, muss man auf den Verstand ausweichen. Es gibt keinerlei gute biologische Gründe, die erklären könnten, warum die vaginale Transmission sich von der rektalen Transmission unterscheiden soll.”
Und ob das Übertragungs-Risiko zwischen analem und vaginalem Verkehr nicht doch unterschiedlich sein könne?
Vielleicht, aber die verfügbaren Daten von nicht behandelten Patienten zeigen, dass die Risiken vergleichbar sind.”

Die Datenlage ist bisher tatsächlich scheinbar schlecht. Es gibt kaum Studien über die Konzentration von HIV in der Darmschleimhaut, sowie über die Auswirkungen erfolgreicher Therapie hierauf. Ob diese schlechte Datenlage allerdings überhaupt für die Diskussion relevant ist, ist auch angesichts der Erwiderungen von Prof. Hirschel fraglich.

Das Kompetenznetz HIV (Leitung: Prof. Brockmeyer, Bochum) schaltete sich ein. Und plant nun eine Studie. Die so genannte „Rektalstudie„. Ziel dieser Studie soll es sein, die Virusbelastung der Darmschleimhaut auch bei mechanischer Beanspruchung (mittels eines Dildos) zu untersuchen.
Auf dem Internetangebot des Kompetenznetz HIV ist die Studie nicht verzeichnet.
Eine Vor-Studie hierzu rekrutiert allerdings bereits Teilnehmer.
Und der Vorstand der DAH setzt sich kritisch mit der Studie auseinander.

An die Studie könnten viele Frage gestellt werden – und sie müssen gestellt werden, auch zum Schutz der potenziellen Teilnehmer.
So bleibt zunächst zu klären, was die Rationale einer solchen Studie ist und sein kann. Wie relevant ist das Thema dieser Studie tatsächlich für die weitere Diskussion und Entscheidung über Konsequenzen aus dem EKAF-Statement?
Ist sie tatsächlich erforderlich? Gelten die Begründungen von Prof. Hirschel nicht, oder warum werden sie als nicht ausreichend betrachtet?
Kann eine Studie zur rektalen Transmission überhaupt in einer Konstellation durchgeführt werden, die ethisch vertretbar ist? In der die Studienteilnehmer nicht unnötig gefährdet werden? Ist die Studie vertretbar und verantwortbar?
Wie sieht die Patienteninformation aus? Waren Patienten-Organisationen, Menschen mit HIV daran beteiligt?
War oder ist Aidshilfe oder Aidshilfe-Mitarbeiter an dieser Studie beteiligt? Wann, wer, in welchem Umfang?
Hinterfragenswert auch die Vor-Studie, die bereits rekrutiert. Was wird hier konkret untersucht? Wie informiert sind die Studienteilnehmer?

Fragen über Fragen – umso erstaunlicher, dass diese Studie in aller Stille vorbereitet und konzipiert wurde. Und dass die Vorstudie bereits Patienten rekrutiert.

Davon abgesehen könnte man auf den Gedanken kommen, dass mit der Rektalstudie Schein-Aktionismus betrieben wird. Wird hier eine Schein-Debatte geführt, die von den wichtigen Fragen im Zusammenhang mit dem EKAF-Statement und möglichen Konsequenzen daraus nur ablenkt, eine Auseinandersetzung damit verzögern soll?

Nachtrag
24.012.2009: Auf Initiative des Vorstands der Deutschen Aids-Hilfe haben VertreterInnen des Patientenbeirats sowie DAH-Mitgliedsorganisationen eine Vereinfachung der Studie sowie einen Verzicht auf vorherige Stimulation vorgeschlagen.

Bareback verbieten ? (akt.)

Mit einem völlig neuen, innovativen und sehr freiheitlichen Vorschlag greifen die Schwusos Hamburg in die aktuelle Bareback-Debatte ein:

Schwusos Hamburg: Bareback verbieten
Schwusos Hamburg: Bareback verbieten

Danke an TWIMC für das Bild!

Nachtrag 07.09.2008:
hier das Motto der Schwusos komplett und in ‚voller Schönheit‘ … [© Schwusos Hamburg]

Schwusos Hamburg: Bareback verbieten!
Schwusos Hamburg: Bareback verbieten!

Zur Frage, wie dümmlich oder gefährlich dieser Vorschlag ist, verkneife ich mir jeglichen Kommentar …

Vaernets Experimente in Buchenwald

Die Emslandlager (u.a. Esterwegen, Börgermoor und insbesondere Neusustrum) stehen für die Region, in der vermutlich die meisten Homosexuellen im Deutschen Reich inhaftiert waren (Hoffschild 1999). Buchenwald hingegen steht u.a. für eine besonders abscheuliche Form der Misshandlung Homosexueller in der NS-Zeit.

Buchenwald
Buchenwald

In Buchenwald war nur ein vergleichsweise geringer Anteil der Inhaftierten Homosexuelle (Statistiken sprechen von ca. 500 Homosexuellen unter den insgesamt ca. 240.000 Menschen, von denen ca. 56.000 umkamen). Aber Buchenwald hatte Carl Værnet. Den Arzt, der in Buchenwald Versuche mit Homosexuellen anstellte – der ihnen ‚künstliche Hormondrüsen‘ implantierte, um sie von ihrer Homosexualität zu ‚heilen‘.

Carl Værnet wurde am 28. April 1893 als Carl Jensen im kleinen Ort Løjenkær nahe Århus geboren. Er beendete sein Medizinstudium in Kopenhagen im Juni 1923 mit der Bewertung „cum laude“. Kurz zuvor, am 21. November 1921, hatte er die Änderung seines Namens von Jensen in Værnet beantragt (dänisch værne etwa schützen, verteidigen, wehren).
Im November 1924 ließ Værnet sich als praktischer Arzt nieder. Er widmete sich u.a. der ‚Kurzwellentherapie‘, baute eine zunächst gut florierende Praxis auf.

Bereits in seiner medizinischen Ausbildung kam Værnet mit Hormonexperimenten in Kontakt. Am Kopenhagener Kommunehospital führte Dr. Knut Sand 1923 bei vier Homosexuellen Hodentransplantationen durch – mit dem Ziel, dass diese sich anschließend vom weiblichen Geschlecht angezogen fühlen sollten. Sand vertrat die Auffassung, Homosexualität könne durch eine gestörte Hormonbalance erklärt werden. Værnet interessierte sich schon bald für Fragen der Hormone, insbesondere der Hypophyse sowie der Keimdrüsen.
1932 lernte Værnet bei einer Reise nach Berlin u.a. auch Magnus Hirschfeld und dessen Institut für Sexualwissenschaften kennen. Später äußerte er, hier bei Hirschfeld sei die Grundlage zu seinem ‚Lebenswerk‘ künstliche Hormondrüse entstanden, und zur These Homosexualität könne durch zusätzliche Gabe von Testosteron geheilt werden.
Værnet begann bald mit eigenen Forschungsarbeiten und entwickelte eine ‚künstliche Drüse‘, eine Kapsel, die in der Leistengegend eingesetzt und kontinuierlich Hormon abgeben sollte.

1941 wurde Værnet, inzwischen Mitglied der dänischen Nazi-Partei DNSAP, von ‚Reichsgesundheitsführer‘ Dr. Leonhard Conti nach Deutschland eingeladen.
Im Sommer 1943 -Værnet war u.a. aufgrund von Ermittlungen wegen unberechtigter Abgabe von Morphium an eine Patientin unter Druck – verkaufte er seine Kopenhagener Klinik an die deutsche Wehrmacht. Mit Passierschein der deutschen Wehrmachtskommandantur reisten Værnet und Familie am 6. Oktober 1943 in einer deutschen Militärmaschine nach Berlin aus.

In Deutschland erhalte er, so hatte ihm der Reichsarzt SS Dr. Ernst Grawitz (General der Waffen-SS mit ständigem Kontakt zum Innenminister und ‚Reichsführer SS‘ Heinrich Himmler) versprochen, alle für seine Forschungen erforderliche Unterstützung. Bald schon konnte Værnet Himmler persönlich über seine ‚Forschungen‘ informieren und fand auch aufgrund seiner Hinweise auf die Möglichkeit einer Heilung von Homosexualität interessierte Zustimmung.
Nach dem er eingewiligt hatte in den Rang eines ‚Sturmbannführers SS‘ und nach Abschluss eines Vertrages mit der SS konnte Værnet bald seine als ‚geheim‘ titulierte Arbeit aufnehmen, in Berlin und ab November 1943 in Prag in Laboratorien die überwiegend der SS gehörten. 1944 wurde Værnet angeboten, Versuche zu Hormonausscheidungen und Hormongaben an verschiedenen Gruppen von Homosexuellen zu machen. Im Konzentrationslager Buchenwald.

Carl Vaernet 24.8.1944 "Die künstliche männliche Sexualdrüse ist fertig"
Carl Vaernet 24.8.1944 "Die künstliche männliche Sexualdrüse ist fertig"

Zu diesem Zeitpunkt betrachtete Vaernet die Entwicklung seiner ‚künstlichen Hormondrüse‘ als technisch weitgehend abgeschlossen – konkrete Versuche zum Nachweis ihrer Wirksamkeit standen nun an. Die weltweiten Patentrechte an Værnets ‚künstlicher Hormondrüse‘ hielt eine am 5.5.1943 gegründete dänische Firma.
Værnet ergriff die Chance, die sich ihm bot. Versuche mit seiner künstlichen Drüse an KZ-Häftlingen, mit dem Ziel dass diese durch die Einpflanzung ’sexuell normal‘ werden – die Chance, auf die er gewartet hatte. Solche Versuche waren wohl nur in Konzentrationslagern möglich – und konnten dort auch ohne Zustimmung der Betroffenen problemlos erfolgen.

Carl Vaernet 30.10.1944 "Die Operationen in Weimar-Buchenwald wurden ... ausgeführt."
Carl Vaernet 30.10.1944 "Die Operationen in Weimar-Buchenwald wurden ... ausgeführt."

Mindestens viermal hielt sich Værnet 1944 in Buchenwald auf (erstmals am 26.7.1944). Dabei operierte er 17 Männer zwischen 23 und 60 Jahren, 7 ‚Sittlichkeitsverbrecher‘ sowie 10 Homosexuelle. Die erste Operations-Serie fand am 16.September 1944 statt, die zweite am 8. Dezember. Die Versuche sollten u.a. dazu dienen, die ‚Erhaltungsdosis‘ zu bestimmen, und die prinzipielle Wirksamkeit zu prüfen.
Den ‚Probanden‘ wurden subkutan im rechten unteren Bauchbereich unter örtlicher Betäubung eine ‚künstliche Drüse‘ implantiert, die von da an Testosteron abgeben sollte. In der Folgezeit sollte gemessen werden, ob sich sexuelles Verhalten und sexuelle Orientierung wie gewünscht verändern.
Den Homosexuellen, an denen die Versuche durchgeführt wurden, wurde bei erfolgreichem Verlauf die Freilassung versprochen. Ein Versprechen, das in keinen einzigen Fall erfüllt wurde. Bei zwei der Operierten besteht eine mögliche Verbindung zwischen der Operation und ihrem baldigen Tod.

In Buchenwald arbeitete Værnet eng zusammen mit Dr. Schiedlausky, Standort-Arzt der Waffen-SS, sowie mit Dr. Erwin Ding. In Buchenwald wurden Homosexuelle häufig als Versuchspersonen für zahlreiche medizinische Experimente genutzt – u.a. auch für die berüchtigten Versuche Dr. Dings mit der tödlichen Infektionskrankheit Flecktyphus.
Værnet selbst berichtete am 10. Februar 1945 Heinrich Himmler über seine Arbeiten und legte einen abschließenden Bericht vor (in dem er diesem gegenüber ‚tiefste Bewunderung und unverbrüchliche Treue‘ äußert. Von Grawitz erhielt er erneut finanzielle Mittel für die Fortsetzung seiner Arbeiten.

11. April 1945, 15:16 - Befreiung des KZ Buchenwald
11. April 1945, 15:16 - Befreiung des KZ Buchenwald

Nach 1945 wurde Værnet für seine Taten nicht zur Verantwortung gezogen. Im Rahmen der sog. ‚Ärzteprozesse‘ des Amerikanischen Militärtribunals in Nürnberg wurden seine Versuche in Buchenwald zwar mehrfach angesprochen, er selbst jedoch nicht angeklagt.
Bekannt wurden Værnets Versuche in Buchenwald schon bald nach dem Krieg. Ernst Kogon, selbst dort als politischer Gefangener, schildert die Versuche in Buchenwald schon 1946 in seinem Buch „Der SS-Staat“. Und ab 1947 tauchten Berichte über Værnets Versuche in Buchenwald in der dänischen Presse auf.

Værnet war schon in den letzten Kriegsmonaten (im März 1945) nach Dänemark zurückgekehrt. Spätestens seit Ende 1945 arbeitet er wieder an seinem ‚Lebenswerk‘, der künstlichen Hormondrüse, trat in Kontakt mit Pharmaunternehmen (u.a. Schering und DuPont) und erhielt dänische und US-Patentrechte.
Aufgrund zahlreicher Zeugenaussagen sowie Berichten des dänischen Widerstands ermittelte die dänische Polizei bald gegen ihn. Doch mit wenig Nachdruck, auch wenn Anfang 1946 schließlich die Anklageerhebung wegen ‚Landesverrats und anderer staatsgefährdender Tätigkeiten‘ erfolgte. Schlimmer noch, Værnet gelang (u.a. mit Unterstützung des argentinischen Legationsrats Pineyro) Ende 1946 die Flucht aus Dänemark. Über Schweden konnte er nach Brasilien und im Sommer 1947 weiter nach Argentinien gelangen. Dort arbeitet er schon bald wieder am Physiologischen Institut.

Carl Værnet starb am 25. November 1965 und ist gemeinsam mit seiner Frau Gurli auf dem Británico-Friedhof in Buenos Aires begraben.

Erst im März 1998 brachten Peter Tatchel und die britische Schwulengruppe OutRage! Bewegung in die Causa Værnet . Sie richteten ein Schreiben an den damaligen dänischen Ministerpräsidenten Poul Nyrup Rasmussen, in dem sie in zahlreichen konkreten Fragen um Aufklärung über Flucht und (fehlende) Schritte der dänischen Regierung baten. Zwar reagierte das dänische Justizministerium erst eineinhalb Jahre später (am 6. Juli 1999), und mit der abschlägigen Mitteilung, man sei „nicht im Besitz irgendwelcher Informationen über Carl Værnet“. Dennoch wurden die Archive in Sachen Værnet geöffnet – und bildeten die Grundlage für das äußerst lesenswerte Buch von Davidsen-Nielsen (s.u.).

Buchenwald - Gedenkstein für die homosexuellen Opfer
Buchenwald - Gedenkstein für die homosexuellen Opfer

Værnets ‚Versuche‘ sind weit mehr als ’nur‘ gruselige Experimente an einer kleinen Zahl homosexueller Männer, die deren Schädigung bewusst mit einschlossen. Sie sind Ausdruck einer Haltung, Menschen von Homosexualität heilen zu wollen, zu müssen – und sie haben bewusst „Spekulationen der Nazi-Führung von einer ‚Endlösung‘ der Homosexuellenfrage befördert“ [Davidsen-Nielsen]. Værnets Versuche waren ebenso wie Sterilisationen und Kastrationen Teil einer (insbesondere auch in der Homophobie Himmlers zum Ausdruck kommenden) Terrorpolitik gegen Homosexuelle.

Weitere Informationen:
Hans Davidsen-Nielsen et al.: ‚Carl Værnet – Der Dänische SS-Arzt im KZ Buchenwald“, Wien 2004
„The hunt for nazi concentration camp doctor carl vaernet“
homowiki: Carl Vaernet

Das Recht auf Nicht-Wissen

Anlässlich einer Verurteilung in der Schweiz (‚Ungetestet – trotzdem vor Gericht schuldig gesprochen‚), einiger Diskussionen und Kommentare hierzu wie auch eines Posts von TheGayDissenter (‚HIV/Aids: ungetestete Risikostifter!? – Ein Urteil aus der Schweiz‘) steht immer wieder die Frage im Raum, ob es ein Recht auf Nicht-Wissen (hier: des eigenen HIV-Status) gebe.

Dazu einige Gedanken:

Rückblende, Mitte der 1980er Jahre. In westdeutschen Großstädten haben sich nach der tristen Zeit der 50er, 60er und frühen 70er Jahre florierende schwule Szenen entwickelt. Boomende kommerzielle und alternative Strukturen, diskussionsfreudige und experimentierwillige schwule Bewegungen, Ideen und Projekte für andere, buntere, vielfältigere Zukunft.

In diese lebensfrohen schwulen Strukturen platzt 1983 Aids wie eine Bombe. Nach ersten Berichten über vermeintlich skurile Krebs-Fälle in den USA anfangs kaum wahrgenommen, wird Aids bald schon von vielen erlebt als eine massive Bedrohung der neu errungenen schwulen Freiheiten. Als Szenario erneuter Rückfälle in Adenauersche Zeiten, in Diskriminierung und Unterdrückung. Bis Aids zur selbst erlebten Realität wird, Bekannte Freunde Lover sterben, der Besuch von Trauerfeiern und Beerdigungen zu schmerzvoller Alltagsrealität junger, eigentlich lebensfroher Menschen Mitte Ende 30 wird.

Aids, das bedeutet in diesen Jahren Mitte, Ende der 1980er z.B.:
– Politiker, bei weitem nicht nur in Bayern, und erst recht ihre schwedischen Handlanger, diskutierten ernsthaft Absonderung, Internierung und Kennzeichnung von Menschen mit HIV und Aids.
– Schwule Treffpunkte, Bars Diskotheken Saunen sollen geschlossen werden (in Bayern werden dann z.B. ersatzweise in Saunen die Türen ausgehängt).
– In der Öffentlichkeit, auch in Teilen schwuler Szenen, werden HIV-Infizierte wahlweise als ‚Opfer‘, ‚Aids-Bomben‘ oder ‚Virenschleuder‘ wahrgenommen.
– Medikamente gegen HIV gibt es in den Anfängen nicht. Das erste später zugelassene Medikament wird anfänglich so hoch dosiert, dass viele den Eindruck haben, Aids-Kranke sterben nun an den Folgen des Medikaments, nicht an Aids.

In diesen Zeiten hatte es nicht nur oftmals keinen Nutzen, vom eigenen HIV-Status zu wissen (wenn man eh medizinisch nichts machen konnte …). Nein, von der eigenen HIV-Infektion zu wissen war mit derartig vielen Nachteilen verbunden, dass es geradezu ratsam sein konnte, sich nicht auf HIV testen zu lassen.

Über seinen eigenen HIV-Status nicht zu wissen, nicht wissen zu wollen, nicht wissen zu müssen war in dieser Zeit ein elementares Bedürfnis und gleichzeitig für viele beinahe (nicht nur gesellschaftliche) Notwendigkeit.
(Nebenbei, dass HIV-Tests mit Beratung vor- und nachher durchzuführen sind, und dass HIV-Tests ohne vorherige Einwilligung unzulässig und strafbar sind, hat sich in dieser Zeit entwickelt – und nicht grundlos.)

Und heute?
Vieles hat sich verändert. Gegen HIV stehen wirksame Medikamente Medikamente zur Verfügung. Die schlimmsten Szenarien gesellschaftlicher Diskriminierung sind derzeit weitgehend in der Mottenkiste der Geschichte verschwunden (auch wenn einige Ärzte-Funktionäre sie immer wieder gerne hervor holen).

HIV-positiv zu sein jedoch ist immer noch weit davon entfernt, den Status von ‚Normalität‘, von gesellschaftlich unbeeinträchtigtem Sein zu haben. Ist immer noch mit Diskriminierung, Benachteiligung, Ausgrenzung verbunden.

Solange der HIV-Status eines Menschen weiterhin mit massiven Beeinträchtigungen und Diskriminierungen verbunden ist, solange HIV-Positive auf ihrer Arbeit mit Diskriminierungen und mehr rechnen müssen, von Versicherungen ausgeschlossen sind, von staatlichen und privaten Stellen, in Gesellschaft und eigenen Szenen diskriminiert werden, mindestens solange ist m.E. ein Recht auf Nicht-Wissen um den eigenen HIV-Status ein unabdingbares Recht jedes Menschen.

Es gibt ein Recht, von der eigenen HIV-Infektion nicht zu wissen.

Und, nebenbei, wer heute fordert, mehr Menschen gerade aus dem von HIV stark betroffenen Gruppen sollten sich auf HIV testen lassen (auch, um dann rechtzeitig Zugang zu Behandlung zu haben), der sollte zunächst auch überlegen, wie diejenigen Hemmnisse, Benachteiligungen und Diskriminierungen abgebaut werden können, die Menschen mit HIV und Aids das Leben schwer machen – und die Menschen begründet überlegen lassen, ob es wirklich in der Realität eine gute Idee ist, von eigenen HIV-Status zu wissen. Diskriminierungen abbauen schützt Menschenleben – auch hier.

Wer wenn nicht wir …

Die gute Position, die die deutsche Aids-Politik und ihre Erfolge im europäischen und internationalen Vergleich einnehmen, wie auch die vergleichsweise guten Lebensrealitäten, die für viele (wenn auch nicht alle)  Menschen mit HIV und Aids in Deutschland möglich sind, haben viel zu tun mit dem Engagement von Betroffenen.
Menschen aus den von HIV am stärksten betroffenen Communities, besonders aus denen schwuler Männer, engagierten sich. Vor allem aber: HIV-Infizierte brachten ihre Interessen zu Gehör, forderten sie unüberhörbar ein – und wurden immer wieder selbst aktiv. Dies, dieses Engagement, auch dieser Aktivismus war ein zentraler Baustein einer (in Deutschland insgesamt) recht erfolgreichen Aids-Politik.

Und heute? Der Aids-Bereich ist zunehmend von einer Gesundheits-Bürokratie durchdrungen. Engagement, Engagement in eigener Sache, positiver Aktivismus hingegen werden immer seltener.

Wer, wenn nicht wir? Dies war in früheren Aids-Jahren eine der Devisen, die Positive dazu ermutigte, in eigener Sache aktiv zu werden. Inzwischen sieht es seit Jahren eher düster aus in Sachen Positiven-Aktivismus.
Oder nicht?

Sind HIV-Positive, die eine erfolgreiche antiretrovirale Therapie durchführen und ansonsten keine sexuell übertragbaren Erkrankungen haben, sexuell nicht mehr infektiös, wie es ein Statement der Eidgenössischen Aids-Kommission sagt? Die Debatten um dieses Statement, um Reaktionen darauf und mögliche Konsequenzen haben auch unter Positiven für Diskussionen gesorgt. Im Augenblick tut sich etwas, ‚gärt‘ etwas, diesen Eindruck mag man gewinnen. Anflüge von Positiven-Aktivismus scheinen wieder erahnbar.

Doch – wer genau hinschaut, beginnt sich bald Fragen zu stellen.  Wer ist dort aktiv? Ist das eine Bewegung aktivistischer Positiver? Weit gefehlt. Ein Häufchen Einzelkämpfer, diese Formulierung träfe vermutlich eher zu. Und – „die gleichen Verdächtigen wie früher“, diesen Eindruck würde der Beobachter wohl auch bald gewinnen. Nicht ganz zu Unrecht. Denn im wesentlichen engagieren sich wieder diejenigen, die (mindestens) schon in den 90ern aktiv waren.

Das wirft Fragen auf, Fragen nicht nur nach dem ‚warum‘.
Wo bleiben die Proteste außerhalb dieses kleinen Kreises?
Wo sind positive Vordenker?
Wo politisch interessierte, engagierte Positive?
Wo sind die jungen Positiven, die zornig, wütend sind?
Die ihre eigenen Wege gehen wollen (statt alten Säcken munter den Vortritt zu lassen und ausgetretenen Spuren zu folgen)?

Ist auch HIV, ist auch das was früher einmal Selbsthilfe war, längst ein gesättigter Markt geworden, in dem wir alle nur noch Kunden und Klienten einer allumfassenden Aids-Industrie sind, dick, fett, wohlgefällig?
Oder gibt es noch irgend etwas, über das wir uns aufregen? So sehr, dass wir bereit sind, den Arsch hoch zu bekommen, uns zu engagieren?

Oder ist die ‚Aktivisten-Mentalität‘ auch nur ein Überbleibsel einer alt werdenden Generation früherer Schwulenbewegter? Ist HIV als Thema längst passé?

Und was machen wir dann, wenn auch der letzte ‚alte Sack‘ den Aktivisten-Löffel aus der Hand gegeben hat? Fressen brav unsere Pillen? Machen brav, was Frau (oder Herr) Gesundheitsminister uns vorschreibt? Bekommen eben, völlig ruhiggestellt, nicht, was uns bewusst vorenthalten wird?

Ich will mich nicht in Rage schreiben ;-).  Aber für mich steht ernsthaft die Frage im Raum, wo bleibt sie, die nächste Generation Aktivisten? Wo soll sie her kommen?
(Und, um auf eines direkt einzugehen, bleibt mir an Land mit der ewigen Lamentiererei, ‚die Alten‘ ließen keinen Platz für euch – nehmt ihn euch, es ist bei weitem genug Platz da für’s aktiv werden. Und genügend Goodwill, auf Nachfrage zu unterstützen, zu erzählen, Erfahrungen bereit zu stellen.)

Wenn wir es nicht hinbekommen, uns wieder selbst in nennenswertem Umfang aktiv einzubringen, werden wir, wird das Thema HIV, werden die Interessen HIV-infizierter Männer und Frauen demnächst untergehen im Brei der Gesundheitspolitik. Wird der Aufmerksamkeits-Zirkus der Medien weiterziehen. Werden heute noch selbstverständliche Gelder (die auch Positiventreffen, Broschüren, Veranstaltungen etc. ermöglichen) schon bald perdu sein, nur noch romantische Erinnerung an ‚früher‘.

Bisher haben positive Bewegungen sich immer wieder neu erfunden, immer wieder nach Phasen der Besinnung den Arsch hoch bekommen.

Es wird auch nun Zeit, dass Positive wieder ihre Stimmen erheben.
Und dass neue Generationen Positiver ihre eigenen Stimmen erheben.

Wer, wenn nicht wir?

Talkrunde 25 Jahre Deutsche Aids-Hilfe

1983 wurde die Deutsche Aids-Hilfe (DAH) gegründet. Auf dem 126. Bundes­weiten Positiventreffen fand aus Anlass des 25jährigen Jubiläums am 25. Juni 2008 eine Podiumsdiskussion statt unter dem Motto „25 Jahre Deutsche Aids-Hilfe – Geschichte auch für die Gegenwart“

Ich weiss was ich tu!Auf dem Podium:
Bernd Aretz – seit 1984 immer wieder und in vielerlei Funktionen Aktiver in Sachen HIV/Aids und deren Institutionen, u.a. Herausgeber Infakt (früher posT), Vorstandsmitglied Aids-Hilfe Offenbach
Claudia Fischer-Czech – 1992 bis 1996 Frauen-Beauftragte, später Frauen-Referentin der Deutschen Aids-Hilfe, danach im Ausland, zeitweise bei ICW (In­ternational Community of Women with HIV and Aids); ab 1.7.2008 bei Kassan­dra (Prostituierten-Selbsthilfe)
Dirk Hetzel – in seinen letzten Tagen als HIV-Referent der Deutschen Aids-Hil­fe (DAH)
Carsten Schatz – Landesgeschäftsführer ‚Die Linke‘ Berlin, seit vielen Jahren Mitglied bei positiv e.V. (Veranstalter der Bundesweiten Positiventreffen)
Michael Schumacher – Seit 23 Jahren hauptamtlich im Aidsbereich beschäf­tigt. 5 Jahre Mitarbeiter in der Bundesgeschäftsstelle der Deutschen Aids-Hilfe (u.a. als HIV-Referent), seit 13 Jahren Geschäftsführer der Aids-Hilfe Köln
Moderation: Prof. Dr. Martin Dannecker – Professor für Sexualwissenschaften, früher Frankfurt am Main, jetzt Berlin

War Aidshilfe schon von Anfang an gesundheitsbezogene Selbsthilfe? Oder begann sie als Reflex zur Abwehr antischwuler Affekte ange­sichts der Bedrohung Aids?“ Mit dieser Frage eröffnet Martin Dannecker die Diskussion.

Bernd AretzDie Frankfurter Aidshilfe wurde gegründet von HIV-positiven Männern, die Mar­burger Aidshilfe hingegen aus politischen Gründen, aus der Befürchtung an­tischwuler Momente heraus, berichtet Bernd Aretz, der 1984 mit einem posi­tiven Testergebnis nach Frankfurt kam.

In Marburg z.B. sei die Schwulenbewe­gung vor Ort nicht begeistert gewesen. Tatsächlich habe es kaum HIV-infizierte gegeben; der HIV-Test sei gegen die politische Strömung angeboten worden. Dieses Spannungsfeld von Selbsthilfe positiver Männer und Abwehr antischwu­ler Reflexe durchzog Aidshilfe in ihren Anfängen.

Aretz kolportiert zur Illustrati­on eine Begegnung aus dieser Zeit: als er sich als hessischer Delegierter im DAH-Beirat vorstellte mit den Worten „ich bin ein schwuler Mann mit HIV“, habe ihm damals Dieter Runze entgegnet „sowas bespricht man hier nicht“.

Carsten SchatzCarsten Schatz wurde 1991 unfreiwillig im Krankenhaus auf HIV getestet. Er engagierte sich schnell bei Pluspunkt, einer aus Patienten der Charité (der sog. ‚Sofarunde‘) hervor gegangenen Gruppe in Berlin Prenzlauer Berg.

1992 sei er erstmals auf einer Bundes-Positiven-Versammlung (BPV) gewesen (damals in Hamburg). Er habe schockiert reagiert, als er erleben musste, dass HIV-positive Frauen ihren Platz in Aidshilfe erst gegen Widerstände einfordern, erkämpfen mussten.

Aidshilfe verstehe er als politische Organisation, die dafür einzutreten habe, dass Menschen mit HIV und Aids nicht ‚unter den Teppich gekehrt werden‘.

Dabei gelte es nach vorne zu stellen, was uns verbindet, wofür wir gemeinsam eintreten können.

Claudia Fischer-CzechDie Braunschweiger Aidshilfe wurde überwiegend von schwulen Männern ge­gründet, zur Abwehr von Stigmatisierung und Diskriminierung, ‚da gab es da­mals noch keine Positiven‘, berichtet Claudia Fischer-Czech, damals selbst Gründungs-Mitglied. Sie habe Aidshilfe zu dieser Zeit in Braunschweig als eine sehr solidarische Gemeinschaft empfunden, schnell seien auch Frauen aus den Be­reichen Drogengebrauch sowie Prostitution engagiert gewesen. Nach vier Jah­ren sei sie zu Hydra, einem Prostituiertenprojekt, gewechselt.

Mit ihrem positiven Testergebnis 1992 habe sie zunächst nicht offen umgehen wollen, die Ausschreibung der Stelle als Frauen-Beauftragte der DAH sei mit ei­nem ’nicht ganz freiwilligen Outing‘ verbunden gewesen. Damals hätten sich Frauen im schwulen Kontext der Aidshilfe nicht wohl, nicht gleichberechtigt ge­fühlt. Ziel sei es gewesen, Frauen überhaupt erst sichtbar zu machen. Auch re­gional habe es damals begonnen zu ‚brodeln‘, daraus habe sich dann die (schon von Carsten Schatz angesprochene) Hamburger ‚Palast-Revolution‘ er­geben. Im Frauenreferat der DAH habe sie zunächst gegen viele Widerstände arbeiten müssen, vor allem wenn es um Mittel und Eigenständigkeit ging.

Dirk HetzelIn die Aidshilfe Karlsruhe sei er als junger Mann gekommen, weil dies wohl der Ort gewesen sei, um schwule Männer kennen zu lernen, erzählt Dirk Hetzel. Die Aidshilfe dort sei aus der universitären Schwulenbewegung heraus entstan­den, nicht als Gesundheitsbewegung sondern mit dem Moment der Gefahren­abwehr und Antidiskriminierung. Offen positive Menschen habe er damals kaum gekannt, seine erste Begegnung mit einem HIV-Positiven sei Oliver Trautwein gewesen.

1989 sei er nach (damals noch West-) Berlin gewechselt, habe als Job im Som­mer 1989 bei der DAH im Versand angefangen, später im damals noch vorhandenen Presse-Bereich (Ausschnitt-Dienst). Der damalige Leiter des Referats Psychosoziales, Axel Krause, holte ihn in sein Referat. Krause erkrank­te bald schwer, Hetzel war de facto 2 Jahre lang alleiniger Mitarbeiter des Refe­rats, da keine Krankheitsvertretung (außer ihm als junger ‚Aushilfe‘) engagiert wurde. Damals habe es eine große Scham gegeben zu akzeptieren, dass Mit­arbeiter erkrankten, für lange Zeit nicht wieder kommen würden – ein heute befremdlich anmutender Umgang mit Krankheit und drohendem Verlust. 1992 habe er seine Festanstellung in der DAH erhalten; 1997 bei einem Kranken­haus-Aufenthalt sein positives Testergebnis.

Michael SchumacherIn Bonn habe es zwar positive Testergebnisse gegeben (Doktorarbeit Köthe­mann), im lokalen Schwulenzentrum jedoch keine Positiven, erzählt Michael Schumacher über die damalige Situation.

‚Da müssen wir was tun‘, sei der Impuls gewesen, der zur Gründung der Aids-Hilfe Bonn geführt habe. Er sei ei­nes der 7 Gründungsmitglieder der Aids-Hilfe Bonn, die zunächst in den Räu­men des Schwulenzentrums angesiedelt war. Dort habe er zunächst ehrenamt­lich mitgearbeitet, dann die erste hauptamtliche Stelle erhalten.

Nach 5 Jahren in Bonn habe er dann 5 Jahre in der DAH in Berlin gearbeitet (Schwulenreferat, dann Referent für Menschen mit HIV und Aids), nach einem einjährigen Kran­kenhaus-Aufenthalt sei er seit nun 13 Jahren Geschäftsführer der Aids-Hilfe Köln. In Köln habe er auch selbst sein positives Testergebnis erhalten.

Martin DanneckerEs gibt eine Phase der Angst vor der politischen Instrumentalisie­rung dieser Krankheit, primär schwuler Männer – und daraus die Bemühun­gen, befürchtete Re- Diskriminierungen schwuler Männer abzuwehren. Positive hatten darin keinen richtigen Platz, fast gab es ein Tabu des offen Positiven,“ fragt Martin Dannecker in die Runde, „ist da was dran?

Bernd Aretz erinnert sich an eine Begegnung 1987. Damals habe Ian Schäfer auf einer Tagung der HuK (Homosexuelle und Kirche) gefragt „was können wir für euch tun“. Fragen dieser Art seien damals sogar von Männern gekommen, sie selbst HIV-positiv waren. Sein Ziel sei hingegen immer gewesen zu fragen „was können wir für uns tun“. Auch erinnere er sich an eine Situation bei dem Treffen, an ein deutliches Erschrecken anderer Teilnehmer, als sie feststellen dass es offensichtlich auch Sex mit HIV-Infizierten geben könne.

Auch in Bonn gab es damals keine offen positiven schwulen Männer – sondern offen positiv war Oliver Köppchen, ein Hämophiler, erinnert Michael Schuma­cher.

Gab es ein Klima, dass man zwar solidarisch war, aber mit uns nichts zu tun haben wollte?“, fragt Martin Dannecker in die Runde.

„Sag es uns nicht“, sei das damalige Klima gewesen, antwortet ihm Bernd Aretz spontan. Damals sei eindeutig signalisiert worden, ‚ihr seid zumindest vollständig nicht erwünscht‘. Damals seien wohl auch eigene Ängste durch Ver­schweigen kompensiert worden.

Claudia Fischer-Czech weist auf einen Perspektiv-Wechsel hin. Sie habe sich ja schon „in wissentlicher Zeit“ mit HIV infiziert. Damals habe sich die Wahr­nehmung ihrer Person verschoben, eine ‚Degradierung zur Positiven‘ sei einge­treten, der eine Instrumentalisierung gefolgt sei. Sie sei damals Mittel zum Zweck geworden. Zu dieser Zeit sei in Reaktion auf diese Situation das ‚Netzwerk Frauen und Aids‘ gegründet worden. Doch auch dies sei heute von ‚Professio­nellen‘ durchdrungen, die die Mühen der damaligen Positionierungs-Arbeit nicht mit gemacht hätten, jetzt aber sehr wohl die Chancen nutzten.

Carsten SchatzDie Begründung der Bundesweiten Positiventreffen im Jahr 1986 hatte auch damit zu tun, dass sich Positive in Aidshilfen nicht wohl fühlten, erinnert sich Carsten Schatz. Auf einer Tour durch ostdeutsche Aidshilfen sei Michael Schu­macher und ihm in einer Aidshilfe ein ‚Posi-Thron‘ gezeigt worden – für den einzigen Positiven, der damals in diese Aidshilfe kam. Genau davor seien die Positiven damals weg gelaufen, „mit Liebe und Zuneigung wurde dir dein Leben entzogen“. Damals sei schon hinzu gekommen, dass er ja auch schon nicht mehr „die jungfräuliche Generation“ gewesen sei. Die Frage „du wusstest doch alles – warum trotzdem?“ habe unausgesprochen oft mit ihm Raum gestanden.

Die jungen Positiven heute infizieren sich alle „beim einzigen unsafen Sex“ ihres Lebens, ergänzt Michael Schumacher, und weist auf das Gefühl hin, man müsse sich in Aidshilfe erklären, rechtfertigen für seine Infektion.

Er habe damals für sich selbst keinerlei Schuldgefühle gegenüber seiner Infek­tion gehabt, berichtet Dirk Hetzel, wohl aber davor, wie das im professionellen Kontext wahrgenommen werde. Leider hätten genau diese Ängste sich auch als begründet erwiesen. Ein Kollege, der ihn damals bereits seit 10 Jahren kannte, habe in einer Mitarbeiterbesprechung nach seinem Statement reagiert mit den Worten „also das war jetzt die Meinung der beiden Positiven“. Er habe die Re­aktion einiger Kollegen damals als ‚Ausgrenzung pur‘ empfunden, sei nicht mehr als Fach-Kollege, sondern nur noch als ‚der Positive‘ wahrgenommen worden.

„Aidshilfe wurde 1985, zu Süßmuths Zeiten, erstmals vom Staat finanziert, übernahm Aufklärungsarbeit, da sie in den ‚Risikogruppen‘ über großes Ver­trauen verfügte. Geriet damals die Autonomie in Gefahr? Die Mischung von ’solidarisch‘ und ‚Gesundheitsfürsorge‘ – macht genau die das Pro­blem?“, fragt Martin Dannecker in die Runde.

Dirk Hetzel weist auf die Ambivalenz des Problems hin. Aidshilfe brauche die Neu-Infektionen ja geradezu, sonst gebe es ja zukünftig kein Geld mehr. Dies erkläre implizit auch die immer repressiveren Forderungen aus Politik und Me­dien – je mehr Normalisierung von HIV/Aids, desto mehr müsse skandalisiert werden, um den betriebenen Aufwand überhaupt noch zu rechtfertigen.

Die Rahmenbedingungen haben sich verändert, bemerkt Michael Schuma­cher, und wir beteiligen uns zu sehr an einer Verharmlosung der Situation. Dass die Zahlen steigen werden angesichts veränderter Rahmenbedingungen, mit der neuen Freiheit durch erfolgreiche Medikationen, sei geradezu normal. Hier sei Aidshilfe nicht ehrlich. Das müsse auch offen gesagt werden, dem müsse nicht mit Repressionen begegnet werden – und Aidshilfe müsse hier auch Konflikte aushalten, sei derzeit nicht mutig genug.

Bernd AretzBernd Aretz weist darauf hin, dass in der Anfangszeit keine Alternative zu staatlicher Finanzierung bestanden habe. Eine andere Frage sei, wie dies jetzt aussehe. Er stelle sich die Frage, ob die derzeitige Situation wirklich von einer Zensur seitens BzgA oder Ministerium gekennzeichnet sei – oder es sich nicht vielmehr um eine hausgemachte Krise handele, ein Versagen der eigenen In­stitutionen?

Es hat früher eine Zeit gegeben, in der Positive auch selbst politische Forderun­gen an die Öffentlichkeit getragen haben, erinnert Carsten Schatz. Heute fehle genau dies, dass Menschen mit HIV und Aids selbst ihre Interessen auf den Tisch legen und einfordern. Die DAH sei artig geworden, artig auch weil es an Druck fehle.

Das sei ein schwieriges Thema, bemerkt Dirk Hetzel, selbst in der Positiven-Community sei politische Meinungsäußerung schwierig, die Solidarität mit ein­ander sei brüchiger geworden.

Dieses „wir“ sei wesentlich verschwommener geworden als in den 90ern, dar­auf weist Martin Dannecker hin. Heutzutage differenzieren wir zu wenig, füh­ren zu wenig Diskurse. Er fordert, mehr das „wir“ zu reflektieren, deutlicher die unterschiedlichen Stränge aufzunehmen, unterschiedliche Interessen versteh­bar zu machen.

Die Positivenbewegung sei doch lange Zeit ein „Verein ich möchte Opfer bleiben e.V.“ gewesen, entgegnet Bernd Aretz. Erst seit zwei, drei Jahren zeichne sich langsam wieder mehr Bewegung ab.

Die Positivenbewegung hat sich mit der Aidshilfe als Präventions-Agentur ’soli­darisiert‘, bemerkt Dirk Hetzel. Der integrative Gedanke sei breit akzeptiert – mit der Folge, dass nun ein kritisches Gegenüber fehle, eine kritisch-solidari­sche Opposition außerhalb der Organisation.

Ein Großteil der Positiven glaubt, Aidshilfe nicht mehr zu brauchen, darauf weist Carsten Schatz hin. Bestimmt Themen -wie den Bereich ‚Aids und Arbeit‚- bearbeite Aidshilfe nicht mehr so, wie Positive es bräuchten. In den Mittelpunkt von Aidshilfe-Arbeit gehörten wieder mehr Themen gestellt, die le­bensnah an Positiven-Realitäten orientiert seien.

„Warum bewegen sich Positive nicht? Weil wir in Aidshilfen nur noch als Klien­ten behandelt werden“, wirft ein Zuhörer ein. „Positive haben keinen Raum mehr in Aidshilfen.“

„Es gibt einen zunehmenden Bruch zwischen Hauptamtlichen und Basisorgani­sation“, bemerkt ein weiterer Zuhörer, „entweder der Laden wird umgekrem­pelt und wieder zu einem Sprachrohr der Basis, oder er wird bald zum Sprach­rohr des Bundesgesundheitsministeriums.“

Martin DanneckerPrävention mit einem realistischen Blick auf die Lebenssituation schwuler Män­ner, genau da fange der Konflikt an, bemerkt Carsten Schatz. Die Frage sei, wie viel lasse sich Aidshilfe vom Staat vorschreiben, wie viel Selbstbewusstsein habe man noch?

Die Aidshilfen haben Arbeit für den Staat übernommen, und für relativ wenig Geld – und dafür einen verdammt guten Job gemacht, bemerkt Dirk Hetzel.

Man dürfe nicht die Realitäten in Aidshilfen und Selbsthilfen verkennen, wirft ein Zuhörer ein, auch dort gebe es grauenhafte Spießbürgerlichkeiten.

Und eine weit reichende Ent-Solidarisierung, entgegnet ein weiterer Zuhörer, und weist auf Rollbacks z.B. bei Themen wie Spritzen in den Knast oder Prosti­tution hin.

Ursprünglich autonome Positionen seien aufgegeben worden, darauf weist Mar­tin Dannecker gegen Ende der Veranstaltung hin. Als wie autonom, wie un­abhängig vom Staat versteht sich Aidshilfe noch? Es sei offensichtlich – wir brauchen eine offensive inhaltliche Debatte.

Ethik-Konferenz – Gedanken über eigene Standards

Beinahe zwei Wochen ist sie nun her, die dreitägige Ethik-Konferenz. Einige persönliche Gedanken, nicht über die Inhalte, sondern die Organisation.

Einst hatte es sich Aidshilfe als Erfolg angerechnet, auf wissenschaftliche Konferenzen zu HIV/Aids in Strukturen und mit Rahmenbedingungen dermaßen Einfluß auszuüben, dass HIV-Positiven und Aids-Kranken eine aktive Teilnahme ermöglicht wurde. „Nicht über, sondern mit uns reden“, lautete damals eine der Devisen. Der Deutsche Aids-Kongress Essen 1999 mag hier in vielfacher Hinsicht als Beispiel dienen, von Community-Beteiligung in Planung und Entscheidungsgremien über Community-nahe Themen im Kongressprogramm bis zu Ruheräumen und Rückzugsmöglichkeiten.

Erinnert man sich an diese damals erreichten Standards, erscheint die Ethik-Konferenz in Frankfurt in erstaunlichem Licht:
– Eine Community-Beteiligung bei der Konferenz-Planung und -Gestaltung? Keine Spur.
– Menschen mit HIV und Aids als (womöglich gar gleichberechtigte) Partner nicht nur im Auditorium, sondern auch als Experten auf den Podien? Fehlanzeige.
– Stattdessen genau das, was wir früher zu vermeiden trachteten: professorale Frontalbeschallung, oft weit ab von dem, was Lebensrealitäten von Aidshilfen, von HIV-Positiven seit Jahren ausmacht.
– Programmgestaltung, die auch Ruhe- und Rückzugsmöglichkeiten (nicht nur für ausgepowerte Positive) vorsieht? Null.
– Stattdessen wissenschaftliches Programm von morgens 9:00 Uhr bis abends 22:00 Uhr, keine Ruheräume, ein Hotel, das Kilometer vom Tagungsort entfernt ist.
Die Aufzählung ließe sich fortsetzen …

Organisatorisch in der Summe: eine Konferenz weit ab von allem, was im Aids-Bereich schon an Standards erreicht wurde. Ein Rückfall in Zeiten frühester Aids-Konferenzen.
Ein Rückschritt, ein bemerkenswerter Rückfall. Sagt er auch etwas darüber aus, wie ernst die eigenen früher so hoch gehaltenen Standards noch genommen werden?

Eine Aidshilfe, die die einst selbst entwickelten und proklamierten Standards in ihren eigenen Veranstaltungen nicht einhalten mag, gerät in Gefahr unglaubwürdig zu werden. Erst recht, wenn sie diese dann beim nächsten (fremden) Kongress wieder einfordert.

§175 – einmal Unrecht, einmal Recht?

Der Paragraph 175 des deutschen Strafgesetzbuchs regelte bis 1994 die Bestrafung einvernehmlichen Geschlechtsverkehrs zwischen Männern. Dr. Wiefelspütz (SPD) äußert auf Nachfrage, der §175 in der von den Nazis verschärften Fassung, von 1949 bis 1969 unverändert in der Bundesrepublik angewandt, sei kein Unrecht gewesen.

Abgeordnetenwatch ist ein (hier schon früh empfohlenes) Portal, das den direkten Dialog mit Abgeordneten ermöglicht. Ein kleines Stückchen Versuch von Bürgernähe und Transparenz.

Derzeit gibt es auf Abgeordnetenwatch wieder ein Lehrstück darüber, die ernst Politiker ihre Wähler nehmen, und vor allem wie nachdenklich sie bei Homo-Themen sind – oder nicht.

Dr. Dieter Wiefelspütz ist Bundestagsabgeordneter und innenpolitischer Sprecher der SPD, direkt gewählt im Wahlkreis Unna II. Auf Abgeordnetenwatch geht er auf die Frage ein, ob die Verfolgung Homosexueller nach Paragraph 175 in der NS-Version bis 1969 Unrecht gewesen sei.

Hintergrund der folgenden Antworten von Wiefelspütz ist eine Debatte, die auch durch die Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen wieder aufflammte:
Das von den Nazis verschärfte Strafrecht gegen Homosexuelle (§175, §175a) bestand in der Bundesrepublik bis 1969 unverändert fort. Erst 1969 (und dann 1975) erfolgte eine Reform. 20 Jahre lang (1949 bis 1969) wurden Homosexuelle in Westdeutschland also nach Nazi-Recht verfolgt, diskriminiert, verurteilt.

Die auf der Hand liegende Frage: wenn die Verfolgung Homosexueller in der Zeit des Nationalsozialismus Unrecht war – war dann nicht auch die Verfolgung Homosexueller in der Zeit danach nach den gleichen Paragraphen Unrecht?
Dazu entspann sich ein Dialog, hier sind in Auszügen Antworten von Dr. Wiefelspütz wiedergegeben:

Dr. Wiefelspütz antwortet am 22.5.2008 auf eine Frage von Frau Resch:
„Ich halte es persönlich für richtig, daß aufgrund gewandelter Rechtsüberzeugungen § 175 StGB gestrichen wurde. Ich habe selber daran mitgewirkt. Auch an dem Beschluß des Deutschen Bundestags vom 14. Mai 2002 habe ich mitgewirkt. Das heißt freilich nicht, daß Urteile von bundesdeutschen Strafgerichten vor der Aufhebung des § 175 StGB Unrecht waren und es Veranlassung für Opferrenten gäbe.“
Und Herrn Meier, der sich ebenfalls für die Sache fragend einsetzt, antwortet Wiefelspütz am 22.5.2008 klar: “ ich setze mich nicht für die von Ihnen vorgeschlagene Rente ein“.
Auf Nachfragen nach einer Wiedergutmachung an die in der Zeit von 1949 bis 1969 verurteilten Homosexuellen stellt Wiefelspütz am 24.5.20087 nochmals klar: “ ich habe meinen Antworten an Sie und Frau Resch nichts hinzuzufügen“.

Das verwirrt den interessierten Leser ja nun doch (schon seit vielen Jahren) … das von den Nazis 1935 verschärfte Strafrecht gegen Homosexuelle war in der Zeit zwischen 1935 und 1945 Unrecht. Die selben Paragraphen, unverändert gültig in der Bundesrepublik zwischen 1949 und 1969, waren nach Ansicht von (nicht nur) Herrn Dr. Wiefelspütz kein Unrecht.

Erinnert sei daran, dass gerade auch Abgeordnete der Fraktion der SPD vor 1933 den denjenigen Politikern gehörten, die eine Forderung von Magnus Hirschfeld und anderen nach einer Reform des §175 (Legalisierung der ‚einfachen Homosexualität‘) unterstützten.

Und erinnert sei daran, dass viele der Opfer der Verfolgung Homosexueller nach Nazi-Recht in der Zeit zwischen 1949 und 1969 noch leben – und hier (im Gegensatz zum Denkmal) die Chance bestünde, Opfern noch zu Lebzeiten eine (wie auch immer geartete, materielle oder auch ideelle) Wiedergutmachung zukommen zu lassen.

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen eingeweiht

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen wurde von Kulturstaatsminister Neumann und dem regierenden Bürgermeister von Berlin Wowereit am 27. Mai um 13:00 Uhr eingeweiht.

Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Homosexuellen Einweihung

12. Dezember 2003. Der Deutsche Bundestag fasst den Beschluss, ein Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen zu errichten.

27. Mai 2008. Das ‚Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen‘ wird im Berliner Tiergarten durch Kulturstaatsminister Bernd Neumann der Öffentlichkeit übergeben.

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen vor der Eröffnung3,50 Meter hoch, 1,90 Meter breit und 5 Meter lang – ab heute wird mit einer Stele mit eingelassenem Video der im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen gedacht.

Bis es zur Realisierung des Denkmals kam, hat es auch nach dem Bundestagsbeschluss noch viele Diskussionen um das Denkmal gegeben („Küssende! – aber welche?„), es wurde gestritten „was wird realisiert?„, die Konzeption weiter entwickelt (alle 2 Jahre ein neuer Film), dann wurde endlich gebaut, und seit Jahresanfang steht das Denkmal fertiggestellt aber verbrettert und wartet auf seine feierliche Übergabe an die Öffentlichkeit.
Denkmal: Die Kuss-Szene - für die ersten 2 Jahre

großes Interesse an der Denkmal-EinweihungAnlässlich der heutigen Enthüllung -die mit über 1.500 Teilnehmern und zahlreichen Medienvertretern auf sehr großes Interesse stieß- betont der LSVD: „Viele Jahrzehnte waren die homosexuellen NS-Opfer in Deutschland aus der offiziellen Gedenkkultur ausgeschlossen. Sie wurden von Entschädigungszahlungen ausgegrenzt. § 175 StGB, der sexuelle Begegnungen unter Männern unter Strafe stellte, blieb in der Bundesrepublik in seiner Nazi-Fassung aus dem Jahr 1935 bis 1969 unverändert in Kraft. In vielen Ländern dieser Welt sind Schwule und Lesben heute noch schwerer Verfolgung ausgesetzt. Aus seiner Geschichte heraus hat Deutschland eine besondere Verantwortung, Menschenrechtsverletzungen gegenüber Lesben und Schwulen entschieden entgegenzutreten.“

Die Übergabe stieß auf großes Interesse – bereits vorab hatten sich 450 geladene Gäste angemeldet.
Ingar Dragset bei der Eröffnung des DenkmalsKlaus Wowereit und Rosa von Praunheim bei der Eröffnung des DenkmalsKulturstaatsminister Bernd Neumann bei der Eröffnung des Denkmals An der feierlichen Übergabe an die Öffentlichkeit (siehe ‚Worte und Küsse‚) nahmen teil Bernd Neumann, (Kulturstaatsminister), Klaus Wowereit (Regierender Bürgermeister von Berlin), Günter Dworek (LSVD), Albert Eckert (Initiative ‚Der homosexuellen NS-Opfer gedenken‘) und Linda Freimane (ILGA Europe). Die beiden Künstler Michael Elmgreen und Ingar Dragset waren bei der Übergabe anwesend.

Auf der Erläuterungs-Tafel am Denkmal heißt es: „Im nationalsozialistischen Deutschland fand eine Homosexuellen-Verfolgung ohne gleichen in der Geschichte statt. 1935 ordneten die Nationalsozialisten die umfassende Kriminalisierung männlicher Homosexualität an. Dazu wurden die im § 175 des Strafgesetzbuches vorgesehenen Bestimmungen gegen homosexuelles Verhalten erheblich verschärft und ausgeweitet. Bereits ein Kuss unter Männern konnte nun zu Verfolgung führen. § 175 bedeutete Gefängnis oder Zuchthaus. Es gab über 50.000 Verurteilungen. Teilweise konnten die NS-Behörden die Kastration Verurteilter erzwingen. Mehrere tausend Schwule wurden wegen ihrer Homosexualität in Konzentrationslager verschleppt. Ein großer Teil von ihnen überlebte die Lager nicht. Sie starben aufgrund von Hunger, Krankheiten und Misshandlungen oder wurden Opfer gezielter Mordaktionen.
Erläuterungstafel am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen Die Nationalsozialisten haben die Lebenswelten von Schwulen und Lesben zerschlagen. Weibliche Homosexualität wurde – außer im annektierten Österreich – nicht strafrechtlich verfolgt. Sie galt den Nationalsozialisten als weniger bedrohlich. Gerieten lesbische Frauen dennoch in Konflikt mit dem Regime, waren auch sie Repressionen ausgesetzt. Schwule und Lesben lebten in der NS-Zeit eingeschüchtert und unter stetem Zwang zur Tarnung.
Lange Zeit blieben die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus aus der Gedenkkultur ausgeschlossen – in der Bundesrepublik wie in der DDR. Hier wie dort wurden Schwule lange Zeit weiter strafrechtlich verfolgt. In der Bundesrepublik Deutschland galt der § 175 unverändert bis 1969 fort.
Aus seiner Geschichte heraus hat Deutschland eine besondere Verantwortung, Menschenrechtsverletzungen gegenüber Schwulen und Lesben entschieden entgegenzutreten. In vielen Teilen dieser Welt werden Menschen wegen ihrer sexuellen Identität heute noch verfolgt, ist homosexuelle Liebe strafbar und kann ein Kuss Gefahr bedeuten.

Auf dem Weg zur Einweihung es DenkmalsMit diesem Denkmal will die Bundesrepublik Deutschland
– die verfolgten und ermordeten Opfer ehren,
– die Erinnerung an das Unrecht wach halten und
– ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben setzen.“ (Quelle: stiftung-denkmal.de)

Ein breites Presseecho fand das Denkmal schon vorab, von „Ecce homo“ über (nicht ganz zutreffend) „Endlos küssende Männer“ und „Ein dynamisches Denkmal“ bis „gleichgestellt“ und „Memorial to gay holocaust victims“. Besonders lesenswert: Elmgreen und Dragset im Interview über den Streit um das Denkmal

Bernd Neumann beim Blick auf die Kuß-SzeneVereinzelt wurde auch Kritik am Denkmal geäußert.
Dass mit Bernd Neumann ausgerechnet ein Vertreter derjenigen Partei das Denkmal einweiht, die auch für das Fortbestehen der NS-Fassung der Paragraphen 175 und 175a bis 1969 verantwortlich war, hat für manchen nachdenklichen Besucher einen bitteren Beigeschmack – der jedoch nur leise, am Rande geäußert wurde.
Deutlicher wird das das whk in seiner Kritik. Es spricht von einer „Verhöhnung der Opfer des nationalsozialistischen Terrors“, verweist auf einen von Manfred Herzer postulierten Rosa-Winkel-Mythos (dass die große Mehrheit der Homosexuellen „genau wie die anderen deutschen Männer und Frauen zu den willigsten Untertanen und Nutznießern des Nazistaates gehörte“ ) und meint nun werde man „am Rande des südöstlichen Großen Tiergartens auch so prominenten Opfern die Ehre erweisen wie dem bis 1945 an exponierter Stelle tätigen Theaterintendanten Hanns Niedecken-Gebhard, der 1936 die Festspiele zur Olympiade und 1937 Berlins 700-Jahrfeier inszenierte. Oder dem Weltrekordläufer Otto Peltzer. Bevor er 1938 wegen §175 nach Plötzensee und später Mauthausen kam, hatte er die Reichswacht redigiert, um ‚die Jugend auf die Bedeutung der Rassenhygiene hinzuweisen‘, in seiner Dissertation für ‚die zwangsmäßige Unfruchtbarmachung geistig Minderwertiger und somit Entarteter‘ sowie deren ‚Absonderung in Arbeitskolonien‘ plädiert und als NSDAP- und SS-Mitglied Reden für das SS-Siedlungsamt gehalten.“

Das Denkmal befindet sich an der Ebert-Straße Ecke Hannah-Arendt-Straße.
Weitere Informationen auch auf www.gedenkort.de

siehe auch:
Neusustrum – vergessenes Lager der Homosexuellen
Værnets Experimente in Buchenwald

PS. Die Verfolgung der Homosexuellen endete nicht mit 1945, und auch nicht 1969. Ein Beispiel (unter vielen denkbaren) in dem sehr lesenswerte Beitrag „Aversionstherapie 1973“