UNAIDS-Direktor in Berlin

Michel Sidibé, der neue Generaldirektor von UNAIDS, stattet am 12. und 13. Februar Berlin und der Aids-Hilfe einen Besuch ab.

Anfang Dezember war Michel Sidibé zum neuen UNAIDS-Direktor ernannt worden. Er wurde Nachfolger von Peter Piot, der UNAIDS seit der Gründung 1995 als Executive Director geleitet hatte.

Michel Sidibé, offiziell seit 1. Januar 2009 im Amt, war zuvor bei UNAIDS Deputy Executive Director of Programmes sowie Assistant Secretary-General of the United Nations.

Am 12. und 13. Februar 2009 ist Sidibé in Berlin, u.a. zu Gesprächen mit der Berliner und der Deutschen Aids-Hilfe.

Im Rahmen der institutionellen Partnerschaft von UNAIDS mit dem queeren Film-Preis der Berlinale TEDDY AWARD besucht Michel Sidibé am Freitag 12.2.2009 zum ersten Mal Deutschland in seiner neuen Funktion. Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH) hat aus diesem Anlass zivilgesellschaftliche Akteure im Feld HIV/ AIDS zu einem Treffen mit Michel Sidibé zu ihrer Mitgliedsorganisation SUB/WAY berlin e.V eingeladen.
Diskutiert wird über Chancen und Herausforderungen von zivilgesellschaftlichem Engagement im internationalen Kontext der HIV-Prävention. Der Schwerpunkt der Veranstaltung liegt auf dem Thema internationale Sexarbeit.

Carsten Schatz, Vorstandsmitglied der DAH, betonte im Vorfeld: „Gerade für den Zugang zu Sexworkern bedarf es neben den staatlichen Akteuren vor allem der zielgruppenspezifischen Prävention von Seiten der Zivilgesellschaft. Der Fachbereich Internationales der Deutschen AIDS-Hilfe setzt sich seit längerem mit dem Thema Sexarbeit auseinander und wird im Rahmen internationaler Kooperationen zukünftig gezielte Präventionsprojekte starten.“

Bereits am Vortag besuchte Sidibé die Berliner Aids-Hilfe, u.a. um deren Arbeit kennen zu lernen und Fragen internationaler Zusammenarbeit zu diskutieren. Bei dem Treffen, das teilweise im Rahmen des zweimal die Woche stattfindenden „Frühstücksbrunch“ der Berliner Aids-Hilfe stattfand, wurden auch das ‚Schöneberger Modell‘ (Verzahnung ambulanter, stationärer und psychosozialer Versorgung in Zusammenarbeit mit Selbsthilfeorganisationen) und die Kooperation mit der Ukraine sowie das Problem der Reisebeschränkungen für Menschen mit HIV und Aids besprochen.

Demonstration gegen homophobe Gewalt (akt.2)

Mehrere Hundert Schwule und Lesben demonstrierten in Schöneberg gegen homophobe Gewalt. Politiker aller im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien riefen zu gesellschaftlichem Engagement gegen Homophobie auf.

In Anwesenheit von Dr. Heidi Knake-Werner, Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, fand am Samstag, 24.01.2009 eine Mahnwache mit Kundgebung und anschließender Demonstration gegen homophobe Gewalt statt. Konkreter Anlass war ein Vorfall am 21. Januar, bei dem ein junger Mann im Nollendorf-Kiez von Angreifern lebensgefährlich verletzt worden war.

Bei der Kundgebung sprachen Sebastian Finke (Maneo), Mechthild Rawert (SPD, Mitglied des Deutschen Bundestages), Sascha Steuer (CDU, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin), Stefan Liebich (LINKE, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin), Thomas Birk (Grüne, Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin) und Markus Löning (FDP, Mitglied des Bundestages).

Mechthild Rawert betonte, Homophobie müsse gesellschaftlich begegnet werden. Derartige Attacken seien ein Angriff auf eine freie Gesellschaft und eine Herausforderung für alle. Sie forderte unter dem Beifall der Teilnehmer erneut, die sexuelle Identität mit in das Grundgesetz aufzunehmen.

Sascha Steuer hob ebenfalls hervor, dass es sich hier nicht nur um einen Angriff auf einzelne handele, sondern auf die freie Gesellschaft als Ganzes. Niemand könne hier aus seiner Verantwortung entlassen werden. Er appellierte an die im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien, beim Thema Umgang mit Homophobie zusammen zu arbeiten und sich gemeinsam zu engagieren.

Stefan Liebich wies darauf hin, dass -so notwendig ein Eingreifen des Staates gegen homophobe Gewalttäter sei- der Homophobie doch gesellschaftlich begegnet werden müsse. Es gehe nicht darum, sich gegen einzelne Gruppen zu wenden – Gewalt sei niemals zu tolerieren, egal von wem sie ausgeübt werde. Gegen Schwulenfeindlichkeit dürfe nicht nur mit Mahnwachen reagiert werden, jeder sei aufgefordert auch im Alltag gegen Homophobie einzutreten.

Thomas Birk forderte ein breites gesellschaftliches Bündnis gegen Homophobie, an dem sich nicht nur Schwule und Homosexuellen-Organisationen beteiligen sollten.

Markus Löning forderte, die Arbeit an Schulen zu intensivieren. Insbesondere gelte es darauf zu achten, dass die vorhandenen Unterrichtsmodule zu Homosexualität auch gelehrt würden. Auch er betonte, Toleranz sei nicht nur ein Thema für Sonntagsreden, sondern im täglichen Leben zu leben.

An die Mahnwache und Kundgebung schloss sich eine Demonstration durch den Nollendorf-Kiez an, die bis zum Nollendorf-Platz führte. Die Veranstalter schätzten die Zahl der Teilnehmer auf über 500 (Polizeischätzung 400).

Die Mahnwache gegen homophobe Gewalt, nur 48 Stunden vorher angekündigt, kann sicher als Erfolg betrachtet werden. Politiker aller im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien entsandte sofort Sprecher, und die Zahl von 500 Teilnehmern ist angesichts des kurzen zeitlichen Vorlaufs beachtlich.
Bemerkenswert: die beiden Fugblätter zur Ankündigung der Demonstration (die vorab im Viertel verteilt wurden) hingen bei einem Großteil der schwulen Kneipen, Bars, Geschäfte nicht im Fenster – wohl aber z.B. beim Nachbarschafts-Kiosk. Manche Gaststätte homosexueller Natur zog es vor, statt für die Kundgebung gegen Homophobie lieber für eine ‚Gay Wedding Messe‘ zu plakatieren …

siehe auch
SamstagIstEinGuterTag: Die Szene wehrt sich – 500 bei Demo gegen homofeindliche Gewalt
Tagesspiegel24.01.2008: 500 Menschen protestieren gegen Überfall auf Homosexuellen
Tagesspiegel 26.01.2008: Angst im schwulen Kiez
taz: Protest gegen Homophobie
SZ: Von wegen Toleranz
Handelte es es sich doch nicht um einen homophoben Überfall? SamstagIstEinGuterTag: doch kein schwulenfeindlicher Hintergrund? queer.de: kein schwulenfeindlicher Hintergrund?
oder doch? Maneo: Übergriff hatte „homophobe Intention“
„If you’re homophobic, you must be an immigrant?“
Siegessäule 13.2.2009: Doch kein homophober Überfall?
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Berlin: Mahnwache gegen homophobe Gewalt

Mit einer Mahnwache und einer Demonstration protestieren heute Schwule und Lesben in Berlin gegen homophobe Gewalt in der Stadt.

In der Nacht von Dienstag auf Mittwoch, gegen 01:30 Uhr, wurde im Berliner Homo-Kiez um den Nollendorf-Platz ein 23-jähriger Mann von vier bis fünf bisher unbekannt gebliebenen Männern zusammengeschlagen und dabei schwer verletzt.

Berliner Schwule und Lesben reagieren am Samstag, 24. Januar (12:00 Uhr, Eisenacher Straße Ecke Kleiststraße) mit einer Mahnwache mit anschließendem Zug durch das Viertel. Aufgerufen zur Mahnwache hatten LSVD und Maneo.

Der LSVD erklärte im Vorfeld der Mahnwache:

„Innerhalb kurzer Zeit erlebte Berlin eine ganze Welle homophober Gewalt, beinahe monatlich haben wir Anschläge und brutale Übergriffe hinnehmen müssen: Die Anschläge auf das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen im August wie auch im Dezember. Die Attacke auf einen offen schwulen Mann, die mit einem Kieferbruch endete im Oktober, der brutaler Angriff auf 2 lesbische Frauen im November, ein Ende scheint nicht in Sicht.“

Der Regierende Bürgeremeister Klaus Wowereit verurteilte die homophobe Gewalt:

„Die Gewaltakte der vergangenen Tage zeigen ebenso wie die Anschläge auf das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen, dass Feindseligkeit gegen Lesben und Schwule in unserer Stadt leider nach wie vor ein virulentes Problem ist. Berlin ist und bleibt aber eine offene und tolerante Metropole, auch wenn es immer wieder Leute gibt, die gegen dieses Prinzip militant und gewaltsam verstoßen. Offenheit und Toleranz müssen dort, wo gegen diese Prinzipien verstoßen wird, mit allen rechtstaatlichen Mitteln verteidigt werden. Die Ermittlungsbehörden arbeiten daran, die Täter ausfindig zu machen und einem Strafverfahren zuzuführen. Die Zivilgesellschaft ist gefordert, Courage zu beweisen und Gesicht zu zeigen gegen Intoleranz und Gewalt.“

Als Redner treten bei der Mahnwache vor Ort auf

– Mechthild Rawert (SPD) – Mitglied des Deutschen Bundestages
– Sascha Steuer (CDU) – Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin
– Stefan Liebich (LINKE) – Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin
– Thomas Birk (Grüne) – Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin
– Markus Löning (FDP) – Mitglied des Bundestages

weitere Informationen:
Senatskanzlei: Wowereit verurteilt Angriff auf Homosexuelle
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Aids-Aktionsplan Berlin – viel heisse Luft, oder doch strategischer Aufbruch?

„AIDS-Aktionsplan für Berlin!“ – unter diesem Titel versuchten Vertreter von Aids-Initiativen, Politik und Verwaltung die Zukunft der Aids-Politik in Berlin zu diskutieren.

„Im Jahr 2007 hat die Bundesregierung ihren aktuellen Aids-Aktionsplan vorgestellt. … In der Bundeshauptstadt fehlt bisher ein übergeordneter Aktionsplan, der den neuen Herausforderungen in der Aids-Bekämpfung gerecht wird.“ Mit dieser These war die Diskussion zur zukünftigen Fortentwicklung der Berliner Aids-Politik angekündigt.

Hintergrund der Debatten ist der ‚Integrierte Gesundheitsvertrag‘. Dieser „Integrierte Gesundheitsvertrag“ (pdf hier insbes. ‚Handlungsfeld HIV/Aids ab S. 22, sowie Anlage 9 Projektträger xls) regelt seit einigen Jahren die Förderung von Projekten im Gesundheitsbereich durch das Land Berlin. Er „definiert die vier Handlungsfelder chronische Erkrankungen und besondere gesundheitliche Bedarfslagen; HIV/AIDS, sexuell übertragbare Erkrankungen und Hepatiden, Verbundsystem Drogen und Sucht und einen Innovationsfonds, der Modellprojekte im Bereich Gesundheitsförderung und Prävention unterstützen soll.“ (Parität Berlin)

Das Gesamtjahresbudget des Integrierten Gesundheitsvertrags ist für 2006 mit 11,15 Mio € angesetzt, mit Kürzungen um 148.000€ pro Folgejahr. 2,175 Mio € des Jahresbudgets (2006) entfallen auf das ‚Handlungsfeld HIV/Aids, Sexuell übertragbare Erkrankungen und Hepatitiden‘.

Der Vertrag trat am 1. Januar 2006 in Kraft mit einer Laufzeit von fünf Jahren – per 1.1.2011 ist also eine Neu-Regelung erforderlich. Vor diesem Hintergrund fanden die von Kai-Uwe Merkenich (Berliner Aidshilfe) moderierte Podiumsdiskussionen im Rahmen des Kongresses ‚HIV im Dialog‘ statt.

H. Drees, Parität Berlin
H. Drees, Parität Berlin

Heike Drees (Parität Berlin) berichtete über die Evaluation der Aids-Projekte.
Der Bereich HIV/Aids sei der erste der Bereiche des IGV, bei dem eine Evaluation durchgeführt worden sei (März 2007 bis Juni 2008, von Fox GmbH Köln). Diese Evaluation habe zu Empfehlungen geführt:
– als wirkungsorientierte Empfehlung wurde die Entwicklung eines Rahmenkonzeptes vorgeschlagen (politische und strategische Zielsetzungen, künftige Arbeitsschwerpunkte, fachliche Leitlinien, Vereinbarung über Qualitätsstandards, Leistungsbeschreibungen sowie Dokumentationssystem und Berichterstattung);
– als bedarfsorientierte Empfehlung wurden Ausbau, Stärkung und Entwicklung vorgeschlagen (zielgruppenspezifischer Prävention und individueller Handlungskompetenzen (insbesondere für MSM und Migranten), spezifische Hepatitis- und STI-Prophylaxe sowie systemische personenzentrierte Hilfsprozesse).
Im Zeitraum Juli 2008 bis Juli 2009 sollen nun Ziele, Zielgruppen, Aufgabenschwerpunkte und Leistungsbeschreibungen konkretisiert werden, zudem sei die Verbesserung der Dokumentationssystematik geplant.

Drees betonte, es bedürfe ihrer Ansicht nach nicht eines zusätzlichen Aids-Aktionsplans Berlin, wohl aber einer Berliner Strategie zur Umsetzung des nationalen Aids-Aktionsplans. Dazu bedürfe es eines darauf abgestimmten differenzierten Angebots- und Hilfesystems sowie bedarfsorientierter Finanzierung der Projektarbeit bei bedarfsorientierter Weiterentwicklung der Versorgung.

Auf Nachfrage erläuterte Drews, als eines der wesentlichen Probleme habe die Evaluation aufgezeigt, dass bisher Zahlen und Daten der Projekte nicht vergleichbar seien. Hier seien dringend Änderungen erforderlich. Zudem würden Projekte bisher dazu tendieren, unter dem Stichwort ‚Prävention‘ undifferenziert „alles zu machen“, hier sei eine stärkere Konkretisierung und Fokussierung erforderlich. Es müsse klarer werden, welcher Träger für welche Aufgabenbereiche zuständig sei.

Dr. Ruth Hörnle, GA Schöneberg
Dr. Ruth Hörnle, GA Schöneberg

Dr. Ruth Hörnle (Zentrum für sexuelle Gesundheit und Familienplanung Gesundheitsamt Berlin-Schöneberg) stellte die Arbeit der Gesundheitsberatungen vor.
Nach dem GDG 2006 (Gesundheitsdienste-Reform-Gesetz vom 25.5.2006) sei die Anzahl der Beratungsstellen ab 1.7.2008 reduziert worden auf nunmehr 5 Sozialmedizinische Dienste (vorher 11) und 4 STD/Aids-Beratungsstellen (vorher 6). Sie betonte u.a. die Probleme mit der Beratung und Versorgung von Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus. Als einen Lösungsansatz bevorzuge sie den Vorschlag eines (in Italien bereits angewandten) ‚anonymen Krankenscheins‘ (Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität, siehe auch Abschlussbericht pdf).
Als Ziele benannte Hörnle die langfristige Sicherung der Personalmittel sowie der Sachkosten für die Zentren für sexuelle Gesundheit und Familienplanung sowie die Sicherstellung der Therapie von HIV und Aids für Menschen ohne Papiere und ohne Krankenversicherung.

Marcel de Groot (LABAS)
Marcel de Groot (LABAS)

Marcel de Groot (Vorstand LABAS Landesverband Berliner Aids-Selbsthilfegruppen e.V. und Geschäftsführer Schwulenberatung e.V.) verwies nach einer umfangreichen Erläuterung der Aufgabenbereichen der Labas-Mitglieder u.a. auf das Problem schwer erreichbarer MSM (MSM = Männer die Sex mit Männern haben). Er betonte die Schwierigkeiten der Labas-Gruppen aufgrund steigenden Aufgaben-Umfangs bei sinkenden verfügbaren Mitteln.

Karin Lompscher
Karin Lompscher

Karin Lompscher, Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz,  betonte eingangs, Ursache vieler Probleme sei das fehlende Bundes-Präventionsgesetz (siehe Post ‚Referentenentwurf Präventionsgesetz‚) als Handlungsgrundlage. Sie betonte, dass der Bereich HIV/Aids bisher von Kürzungen und Streichungen weitgehend ‚abgeschirmt‘ worden sei.
Der Integrierte Gesundheitsvertrag habe sich als Modell bewährt und solle prinzipiell beibehalten werden. Allerdings werde es für eine Neuauflage des IGV erforderlich sein, veränderten Rahmenbedingungen zu entsprechen und z.B. neue Zuständigkeiten bei den Handlungsfeldern zu definieren. Gerader angesichts der Haushaltssituation des Landes sei es erforderlich, in die zukünftigen Verhandlungen mit guten inhaltlichen Argumenten zu gehen.

Lompscher verwies auf veränderte Aufgabenstellungen. So sei es sicher richtig, das Problem schwer erreichbarer Gruppen zu benennen. Das allein sei allerdings weder neu, noch reiche es aus. Vielmehr müssten endlich auch Lösungsansätze, die Frage des ‚wie‘ behandelt werden. Zudem sei gerade diese Gruppe (der schwer erreichbaren MSM) bisher auch nicht gerade im Fokus der Arbeit der Projekte – dies müsse sich ändern. Fragen wie die Migration und insbesondere Menschen ohne Papiere / illegaler Aufenthaltsstatus müssten stärker einbezogen werden, aber auch die spezifischen Probleme von Menschen aus einkommensschwachen Gruppen.
Lompscher verwies darüber hinaus darauf, Strukturen innerhalb der Projektelandschaft stärker zu vernetzen, z.B. die Frage, wie ÖGD (Öffentlicher Gesundheitsdienst) und Aids-Projekte besser mit einander kooperieren könnten.

Senatorin Lompscher im Gespräch mit K.Merkenich (BAH)
Senatorin Lompscher im Gespräch mit K.Merkenich (BAH)

Auf Nachfragen aus dem Zuhörerkreis betonte Lompscher, zukünftig sei eine deutlich bessere Bedarfsorientierung der vorhandenen Träger erforderlich. Wenn dies nicht klappe, Rollen nicht ausgefüllt, Dokumentationen nicht erstellt, Daten nicht geliefert werden, stelle sich für sie die „Frage, haben wir die richtigen Träger?“.

Werden Menschen mit HIV und Aids (die ja nicht nur Teil der Zielgruppe, sondern auch Kunden und Verbraucher sind, an den politischen Entscheidungsprozessen für die Weiterentwicklung der Förderpolitik im Aidsbereich beteiligt? Senatorin Lompscher stellte klar, die Einbindung von Positiven in die politischen Prozesse sei nicht nur über die an den Diskussionen ja auch beteiligten Selbsthilfe-Projekte gewährleiste. Sie begrüße zudem auch, wenn Positive selbst direkt ihre Vorstellungen und Interessen formulieren und sich an sie wenden würden.

zum Thema siehe auch die Post-Serie „sexuelle Gesundheit in Berlin„:
1. HIV/Aids in Berlin
2. HIV-Neuinfektionen in Berlin
3. Syphilis in Berlin
4. Hepatitis C in Berlin
5. Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
6. Ausblick und mögliche Konsequenzen

Dass eine Evaluation der Aids-Projekte und ihrer Arbeit stattfindet, ist zu begrüßen – allerdings sollte in der Konsequenz daraus für einen zukünftigen Gesundheitsvertrag nicht nur eine Fortschreibung des status quo resultieren. Vielmehr wäre eine strategische inhaltliche Weiterentwicklung wünschenswert.

Umso erstaunlicher und frustrierender war es, zu erleben dass Vertreter von Projekten bei einer Diskussion über einen Weiterentwicklung der Aids-Arbeit ihre Beiträge weitgehend darin erschöpfen, ihre vielen Aufgaben aufzuzählen und über fehlende Mittel und die dringende Notwendigkeit von Aufstockungen zu lamentieren. Derlei ist seit Jahren zu hören, und so berechtigt es in einigen Fällen sein mag, es ist ermüdend, nicht ausreichend und bringt eine Diskussion um einen Aids-Aktionsplan nicht gerade nach vorne.

Positiv anzumerken ist, dass zumindest die Senatorin in die Zukunft gerichtete Statements machte, schemenhaft Ansätze einer zukünftigen Entwicklung von Prioritäten und Aufgaben skizzierte – und den Willen zu strategischer Neu-Gestaltung zeigte. Menschen mit HIV und Aids in Berlin sollten die Chance nutzen, sich aktiv in diesen Prozess einzubringen.

 

Berlin: homophobe Polizisten zum Chef, Hamburg: Fahne runter (akt.)

In Berlin wurde zum Christopher Street Day offiziell symbolisch die Regenbogenflagge gehisst. Einige Polizisten mochten das nicht, beschwerten sich. Nun müssen sie zum Rapport.

Leider gibt es in Berlin auch Homophobe Polizisten gegen Regenbogenflagge.

Nicht nur am Roten Rathaus hing zum CSD die Regenbogenflagge, sondern auch an anderen öffentlichen Gebäuden.
Polizeipräsident Dieter Glietsch hatte die Polizisten der Stadt zum offiziellen Hissen der Regenbogenflagge am Platz der Luftbrücke (dort hat u.a. das Landeskriminalamt seinen Sitz) am 25. Juni eingeladen, per Dienst-Email. So könne die Polizei ihre Bereitschaft zeigen, so Glietsch, „unterschiedliche Lebensweisen der Menschen in der Hauptstadt zu akzeptieren, ihnen ohne Vorurteile zu begegnen und das ihr mögliche zu tun, um sie vor vorurteilsmotivierter Kriminalität zu schützen.“
‚Die Polizei vermute eine hohe Dunkelziffer von Straftaten gegen Schwule, Lesben und Transgender. Auch mit dieser Aktion wolle die Polizei um Vertrauen werben.

Das missfiel einigen Polizisten. Einige von ihnen haben sich beschwert oder abfällig geäußert über diese Anordnung, die Regenbogenflagge zu hissen.

Nun müssen sie zu Polizeipräsident Dieter Glietsch zum Rapport. Sie sollen erläutern, was an diesem symbolischen Akt nicht in Ordnung sein soll. Und Glietsch will seinen Standpunkt darlegen.
Sicher sein den betroffenen Polizisten bisher nicht bekannt, dass „die Polizei auch bei uns daran mitgewirkt hat, Schwule und Lesben strafrechtlich zu verfolgen und gesellschaftlich zu diskriminieren“, so Glietsch der Presse zufolge.

Berichtet die Berliner Morgenpost: „Polizeibeamte müssen wegen CSD-Kritik zum Rapport“. Ähnliches in der Welt.

Nachtrag 23.7.2008: Die Deutsche Polizeigewerkschaft kritisiert den Berliner Polizeipräsidenten.

Der Berliner Polizeipräsident zeigt, dass es ihm ernst ist. Kritik gerne, nicht jedoch Beleidigungen und Schmähungen. Ob diese Maßnahme das Vertrauen von Schwulen und Lesben in die Polizei erhöht?

Hamburg (das ja gern die Konkurrenz Berlins als Schreckgespenst an die Wand malt) zeigt sich wieder einmal Wettbewerbs-bereit mit Berlin:
in Hamburg soll die Regenbogenflagge zum CSD erstmals am Rathaus gehisst werden, nur um kurz darauf wieder eingeholt zu werden „mit Rücksicht auf Hochzeitspaare“ – sie könnte ja bei Hochzeiten stören …
Schwulissimo fragt „Flagge zu peinlich zur Hochzeit?“ , Kalle bittet „Gib mir Hirn“ – und der Grünen-Politiker Farid Müller hält genau das (nein, nicht das mit dem Hirn, das mit dem Abhängen) für „eine praktikable Lösung“ … (allerdings dementierte sein Büro hinterher, das sei ‚kein authorisiertes Zitat‘)
Nachtrag 22.7.08: „doch keine schwule Fahnenflucht“

zusammen gegen Homophobie und Rassismus

Zusammen gegen Homophobie „Am Sonntag, den 8.6.2008 wurden am Heinrichsplatz in Berlin sieben queer lebende Menschen Opfer eines trans- und homophoben Angriffs. Da dieser Angriff im Rahmen des Dragfestivals stattfand, ist zu vermuten, dass es sich um eine gezielte Aktion gehandelt hat. Am Montag, den 9.6.2008 zogen in einer beispiellosen Spontandemo fast 3000 Transgender, Lesben, Schwule und queer lebende Menschen durch Berlin Kreuzberg um gegen den trans- und homophoben Gewalt zu demonstrieren“ (aus der Pressemitteilung von TransInterQueer, als pdf hier; weitere Informationen auch in dem Artikel „gelebte Solidarität in Berlin-Kreuzberg“ auf berlin.gay-web.de).

Anlässlich des Tansgenialen CSD (siehe Ibne Kreuzberg) zeigten viele Geschäftsleute entlang der Kreuzberger oranienstrasse (auf der das Abschlussfest des Transgenialen CSDs stattfand) Solidarität. Sie schmückten ihre Geschäfte mit Fahnen, die in türkischer und deutscher Sprache informierten „Du bist nicht allein – zusammen gegen Homophobie – gegen Rassismus – gegen Sexismus – gegen Faschos // Yalniz degilsin- hep beraber – homofobiye karsi – irkciliga karsi – cinsiyetcilige karsi – fasistlere karsi“.

Anmerkung: ich weiss, dass der Slogan in türkisch nicht völlig korrekt geschrieben ist – allein, ich find in wp nicht die entsprechenden Sonderzeichen … 🙁

Fußball-EM in Kreuzberg 36

Fußball-EM in Kreuzberg 36

– ein Gast-Beitrag von Stefan Reck –

EM am KottiWer in Kreuzberg 36 bei der Europameisterschaft Fußball schaut, ist manchmal etwas irritiert. Fußballfans in dem Bezirk Kreuzberg, der gemeinhin als Klein-Istanbul bekannt ist, werden oftmals überrascht, wenn sie die Verhältnisse vor Ort nicht kennen.
Im türkischen Kiosk fällt ein Tor für die Deutschen, was man aber gar nicht vermutet, denn gejubelt wird trotzdem. Der Verkäufer entschuldigt sich sogar für das vermeintliche Tor der Türken, was sich im nächsten Moment als falsche Vermutung herausstellt. Es kann aber auch passieren, dass die Deutschen mit türkischen Fahnen herumlaufen und in vermeintlich türkische Kneipen gehen um dann irritiert festzustellen, dass die dort versammelten Zuschauer zwar alle die türkische Nationalität haben, aber frenetische Deutschlandfans sind. Geradezu irrwitzig wird es dann am Kottbusser Tor, eher einem sozialen Brennpunkt in Kreuzberg. Das in den 70er Jahren gebaute Kreuzberger Zentrum hat eine klare Aufteilung. Auf Straßenniveau schauen sich die türkischen Fans zusammen mit deutschen Freunden das Spiel an, wobei beide Seiten jubeln, auf der Galerie im ersten Stock feierten währenddessen türkische Jungs jedes Tor der Deutschen lauthals.

EM am KottiHintergrund für diese etwas verkehrte Welt ist der seit Jahrzehnten bestehende Kampf zwischen Türken und Kurden, der sich an diesem Ort entlädt. Während die meisten Türken mit Hingabe das Spiel ihrer Mannschaft verfolgen, sind die kurdischen Jungs immer auf der Seite der Gegner und da ist es zwar egal, wer da gegen die türkische Mannschaft spielt, bei der Deutschen Mannschaft ist der Jubel nur noch etwas lauter. Leider wird daraus dann schnell ein ziemlich nationalistisches und politisches Hick-Hack, was bei dem Halbfinalspiel doch noch zu einem kleinen Polizeieinsatz führte. Kurz nach dem Anpfiff rannten die Kurden skandierend auf die Straße und provozierten so die türkischen Fans. Schnell standen sich zwei Gruppen gegenüber, jede auf einer Straßenseite, und riefen ihre Parolen, die nun gar nichts mehr mit Fußball zu tun hatten.

Die Kurden riefen den Namen ihres inhaftierten Führers Abdullah Öcalan und lauthals Deutschland, die Türken hielten mit Rufen wie Bastarde, Türkiye und nationalistischen sowie faschistischen Gesten (dem Zeichen der Grauen Wölfe) dagegen. Ein kurdischer Vater sah sichtlich aufgebracht seinen Sohn auf der Galerie grölen. Ein kurzer Blick genügte und der Sohn wurde ruhig „Er hatte mir versprochen keinen Unsinn zu machen“ so der O-Ton zu dieser Situation.
Die Polizei tat ihren Job – sie trennte die Straße mit den Berliner Wannen und versperrten beiden die Sicht. Nach einer halben Stunde war die obskure Situation vorbei, die so manche Kreuzberger, die diese Aktion beobachteten, etwas irritierte.

Die meisten Türken waren jedenfalls traurig, ließen sich das Feiern aber nicht nehmen. So sah man in den Hauptstraßen Kreuzbergs viele Autos mit deutschen und türkischen Fahnen, überfüllt mit Menschen, die teilweise im Kofferraum der Fahrzeuge standen und mit einem ohrenbetäubenden Hupkonzert durch die Nacht fuhren. Auf der anderen Seite konnte man den einen oder anderen Deutschen mit türkischen Fahnen sehen, die das Ausscheiden der türkischen Mannschaft bedauerten. Verkehrte schöne und bizarre Welt in Kreuzberg.

Baumspende

Gedenkstein Baumspende im Berliner Tiergarten

Nach einem Nachmittag verbracht mit Beobachtungen am Rand des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen stromert man mit Kai auf dem Weg zur Schleuse durch den Tiergarten – und steht plötzlich vor einer bisher nie bemerkten Stele.

Bei näherer Betrachtung entpuppt sie sich als Gedenkstele. An eine Wiederaufforstung. Eine der besonderen Art.

In den 1940er Jahren hat der Tiergarten besonders gelitten. Die Nazis griffen massiv in die ursprünglich Lenné’sche Gartengestaltung eingegriffen hatten (im Rahmen ihrer ‚Germania‘-Planungen). Der Krieg und die Bombardierungen hinterließen auch im Tiergarten deutliche Spuren. Die deutlichsten Spuren am Gesicht des Tiergartens jedoch hinterließ der ‚Hungerwinter‘ 1948/49 – Berliner brauchten Brennholz, auch angesichts Hunger und eisiger Temperaturen. Innerhalb weniger Monate waren von den weit über Hunderttausend Bäumen des Tiergartens nur noch 700 (!) übrig geblieben. Stattdessen wurden Kartoffeln und Gemüse gepflanzt …

Bereits 1949 begann dann die Wieder-Anlage des Tiergartens. Im Rahmen eines Notstands-Programms wurde der Tiergarten zwischen 1949 und 1959 wieder aufgeforstet.

Gedenkstein Baumspende Tiergarten Berlin Sein heutiges Aussehen verdankt der Tiergarten dabei nicht zuletzt auch den zahlreichen Baum-Spenden aus Städten und Kreisen. Hieran erinnert die Stele.

Der „Gedenkstein für die Baumspenden westdeutscher Städte“ (Karl Wenke) entstand 1951 und wurde 1952 feierlich enthüllt. Neben einem Gedenktext nennt der Stein die Namen der mit Baumspenden hilfreichen Städte und Regierungsstellen.
Der aus Muschelkalk gefertigte Gedenkstein ist leider stellenweise bereits stark verwittert, die Inschriften teils nur mit Mühen zu entziffern.

Regenbogen-Flagge am Roten Rathaus

Am Roten Rathaus in Berlin wurde heute um 11:30 Uhr die Regenbogen-Flagge gehisst. Aktueller Anlass des Hissens der Regenbogen-Flagge ist der Beginn der ‚Pride Week‘ sowie der ‚Respect Gaymes‚, die den Auftakt dieser Woche bilden.

Die Flaggen vor dem Roten Rathaus wurden gehisst vom Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit sowie LSVD-Geschäftsführer Alexander Zinn. Kurt Krömer, gleichzeitig ‚Respekt-Botschafter‘ der ‚Respect Gaymes‘, unterstützte tatkräftig.

Nebenbei – in diesem Jahr feiert das Symbol der Lesben- und Schwulenbewegung -weitgehend unbemerkt- Geburtstag – die Regenbogen-Flagge wird 30.

PS:
Erstmals hängt an allen 12 Berliner Bezirks-Rathäusern (sowie am Abgeordnetenhaus) eine Regenbogen-Flagge. Bisher hatte sich einzig die Reinickendorfer Bezirksbürgermeisterin Wanjuta (CDU) immer geweigert. Zuletzt 2007 mit dem skandalösen Vergleich „Was, wenn die NPD käme, und auch eine Fahne hissen möchte?“ Nun hat Innensenator Körting das Hissen der Regenbogen-Flagge angeordnet.

2. PS:
Einige Meldungen in Sachen Regenbogen-Flagge aus der letzten Zeit:
Berlin-Reinickendorf: Die Homo-Schlacht zu Reinickendorf
Berlin – Marzahn-Hellersdorf: Regenbogenfahne vor Rathaus
Potsdam:Uni verbietet Regenbogenflagge
Werbemüll: Vodka feiert Regenbogen-Jubiläum
homofreundliche Arbeitgeber: Regenbogenflaggen über Schottland
Nix Freiheit unterm Regenbogen: Heißes Pflaster Serbien

Worte und Küsse

Viel wurde geredet, schon im Vorfeld der Errichtung des Denkmals, aber auch bei der heutigen Veranstaltung zur Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen. Einige persönliche Eindrücke.

Kulturstaatsminister Bernd NeumannBernd Neumann, Staatsminister für Kultur, wand sich und schlängelte durch sein Redemanuskript – und schaffte es weitgehend erfolgreich, das Wörtchen ’schwul‘ zu vermeiden (anders als die Pressemitteilung der Bundesregierung). „Dröge und verbissen“, meint antiteilchen. „Sehr beeindruckend“, wie der LSU meint, war das jedenfalls nicht. ‚Homosexuelle‘, dieses Wort immerhin kam ihm mehrfach über die Lippen, es war wohl unvermeidbar. Kostet es ihn Überwindung? Fast scheint es manchmal so.
Dass die Partei, der auch er angehört, auch diejenige war, die nach 1945 dafür sorgte, dass die Paragraphen 175 und 175a in der von den Nazis verschärften Version weiter fortbestanden, dass weiterhin Zehntausende schwuler Männer verfolgt und verurteilt wurden, diese Kritik schien Neumann schon des öfteren begegnet zu sein. Am Rand der Veranstaltung wurde er mehrfach darauf angesprochen, reagierte er gereizt. Und erweckte bestürzenderweise den Eindruck er sei der Ansicht, mit der heutigen Einweihung des Denkmals sei doch nun alles erledigt.

Der Kuss zweier Männer - nicht immer erwünscht? Neumann war schon in den Tagen vor der Einweihung unangenehm in Erscheinung getreten – er hatte sich geweigert, ein Foto mit dem Kuss zweier Männer (ein Still aus dem Film des Denkmals) auf der Einladungskarte für die Einweihung zu akzeptieren. Michael Elmgreen dazu in der ‚Zitty‘: „Der Kuss der beiden Männer auf unserem Video ist der Kern des Denkmals. Wir hätten diesen Kuss gern auf der Einladung gezeigt. Der Staatsminister hat aber deutlich gemacht, dass das nicht erwünscht ist.“ Und Künstler-Partner Ingar Dragset ergänzt „Den Kuss nicht auf der Karte zu zeigen und praktisch zu zensieren, war seine persönliche Entscheidung. … Den Kuss nicht zu drucken, zeigt, dass wir immer noch ein Problem haben.“

Klasu Wowereit, Regierender Bürgermeister von BerlinAnders in Sprache, Inhalt und Auftreten Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin. Er vermied es auffällig, Bernd Neumann bei den zahlreichen Möglichkeiten anlässlich Reden und Einweihung allzu jovial zu begegnen. Kein Handschlag, keine seiner sonst so offensichtlichen netten Gesten. Unübersehbare Distanz.
Immerhin, im Gegensatz zu Neumann hat Wowereit auch die Begriffe ’schwul‘ und ‚lesbisch‘ in seinem Wortschatz. Und, wichtiger, Wowereit findet auch Worte dazu, dass der Paragraph 175 in seiner von den Nazis verschärften Fassung auch nach 1945 weiter bestand, kritische Worte zu Fortbestehen und weiteren Verurteilungen. Und nachdenkliche Worte zum Verschweigen der homosexuellen Opfer in Nachkriegsdeutschland. Dazu, dass an der Einweihung des Denkmals keine schwulen Opfer mehr teilnehmen können – Pierre Seel, letzter bekannter Überlebender aus der Gruppe der Homosexuellen, starb 2005.

Albert Eckert, Sprecher der Initiative ‚der homosexuellen NS-Opfer gedenken‘, verwies in seiner Rede nicht nur auf die brutale Verfolgung von Schwulen im Nationalsozialismus. Er erwähnte auch, dass es auch „einzelne vom Nationalsozialismus begeisterte schwule Männer, schwule Täter“ gab. Wies auf die unterschiedliche Situation von Schwulen und Lesben im Nationalsozialismus hin. Und fragte „Konnte an all das ohne Geschichtsklitterung zugleich in einem Denkmal erinnert werden?“
Denjenigen Kritikern, die es „für skandalös halten, dass Bund und Land hier an das Unrecht erinnern, das Homosexuellen angetan wurde“, rief Dworek zu „Auch und gerade für Sie ist dieses Denkmal gebaut! Wenn es Sie stört, umso besser!“

Günther Dworek, Sprecher des LSVD, betonte „die ermordeten Homosexuellen haben keinen Grabstein. 63 Jahre nach der Befreiung gibt es nun einen zentralen Ort der Erinnerung. Endlich“. Dworek verwies wie Wowereit darauf, dass die Ehrung für die Verfolgten selbst zu spät komme. Und darauf, dass es auch in der Bundesrepublik 50.000 Verurteilungen nach §175 gab – „genauso viele wie in der NS-Diktatur“. Eine Anerkennung dieser nach Nazi-Recht in der Bundesrepublik verurteilten schwulen Männer stehe immer noch aus. Ein Satz, der Staatsminister Neumann vermutlich leider nicht wachrütteln wird.

Auch wenn es Bernd Neumann positiv anzurechnen ist, dass er diesen Termin der Einweihung eines Denkmals für Homosexuelle wahrgenommen hat – es war deutlichst zu merken, wie fern im das Thema Homosexualität ist, wie unangenehm der Gedanke, das Wort ’schwul‘ auch nur verbal in den Mund zu nehmen. Neumann erinnerte mich zeitweise frappierend an frühere Zeiten, in denen er (wenig erfolgreicher) Oppositionsführer in Bremen war. Und – Neumann machte drastisch deutlich, dass, wie Ingar Dragset es treffend ausdrückt, „wir immer noch ein Problem haben“. Wohl eher mehrere – insbesondere auch die immer noch offene Frage, wann denn der Verfolgung und Verurteilung schwuler Männer nach 1945 gedacht werden soll. Viele der hiervon Betroffenen leben noch – wollen wir wieder warten, bis die direkt Betroffenen eine Entschuldigung nicht mehr selbst erleben können?

Nachtrag 28.5.2008: den „ziemlich einsilbigen“ Neumann gibt’s im Interview bei TIMM zu sehen

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen eingeweiht

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen wurde von Kulturstaatsminister Neumann und dem regierenden Bürgermeister von Berlin Wowereit am 27. Mai um 13:00 Uhr eingeweiht.

Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Homosexuellen Einweihung

12. Dezember 2003. Der Deutsche Bundestag fasst den Beschluss, ein Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen zu errichten.

27. Mai 2008. Das ‚Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen‘ wird im Berliner Tiergarten durch Kulturstaatsminister Bernd Neumann der Öffentlichkeit übergeben.

Das Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen vor der Eröffnung3,50 Meter hoch, 1,90 Meter breit und 5 Meter lang – ab heute wird mit einer Stele mit eingelassenem Video der im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen gedacht.

Bis es zur Realisierung des Denkmals kam, hat es auch nach dem Bundestagsbeschluss noch viele Diskussionen um das Denkmal gegeben („Küssende! – aber welche?„), es wurde gestritten „was wird realisiert?„, die Konzeption weiter entwickelt (alle 2 Jahre ein neuer Film), dann wurde endlich gebaut, und seit Jahresanfang steht das Denkmal fertiggestellt aber verbrettert und wartet auf seine feierliche Übergabe an die Öffentlichkeit.
Denkmal: Die Kuss-Szene - für die ersten 2 Jahre

großes Interesse an der Denkmal-EinweihungAnlässlich der heutigen Enthüllung -die mit über 1.500 Teilnehmern und zahlreichen Medienvertretern auf sehr großes Interesse stieß- betont der LSVD: „Viele Jahrzehnte waren die homosexuellen NS-Opfer in Deutschland aus der offiziellen Gedenkkultur ausgeschlossen. Sie wurden von Entschädigungszahlungen ausgegrenzt. § 175 StGB, der sexuelle Begegnungen unter Männern unter Strafe stellte, blieb in der Bundesrepublik in seiner Nazi-Fassung aus dem Jahr 1935 bis 1969 unverändert in Kraft. In vielen Ländern dieser Welt sind Schwule und Lesben heute noch schwerer Verfolgung ausgesetzt. Aus seiner Geschichte heraus hat Deutschland eine besondere Verantwortung, Menschenrechtsverletzungen gegenüber Lesben und Schwulen entschieden entgegenzutreten.“

Die Übergabe stieß auf großes Interesse – bereits vorab hatten sich 450 geladene Gäste angemeldet.
Ingar Dragset bei der Eröffnung des DenkmalsKlaus Wowereit und Rosa von Praunheim bei der Eröffnung des DenkmalsKulturstaatsminister Bernd Neumann bei der Eröffnung des Denkmals An der feierlichen Übergabe an die Öffentlichkeit (siehe ‚Worte und Küsse‚) nahmen teil Bernd Neumann, (Kulturstaatsminister), Klaus Wowereit (Regierender Bürgermeister von Berlin), Günter Dworek (LSVD), Albert Eckert (Initiative ‚Der homosexuellen NS-Opfer gedenken‘) und Linda Freimane (ILGA Europe). Die beiden Künstler Michael Elmgreen und Ingar Dragset waren bei der Übergabe anwesend.

Auf der Erläuterungs-Tafel am Denkmal heißt es: „Im nationalsozialistischen Deutschland fand eine Homosexuellen-Verfolgung ohne gleichen in der Geschichte statt. 1935 ordneten die Nationalsozialisten die umfassende Kriminalisierung männlicher Homosexualität an. Dazu wurden die im § 175 des Strafgesetzbuches vorgesehenen Bestimmungen gegen homosexuelles Verhalten erheblich verschärft und ausgeweitet. Bereits ein Kuss unter Männern konnte nun zu Verfolgung führen. § 175 bedeutete Gefängnis oder Zuchthaus. Es gab über 50.000 Verurteilungen. Teilweise konnten die NS-Behörden die Kastration Verurteilter erzwingen. Mehrere tausend Schwule wurden wegen ihrer Homosexualität in Konzentrationslager verschleppt. Ein großer Teil von ihnen überlebte die Lager nicht. Sie starben aufgrund von Hunger, Krankheiten und Misshandlungen oder wurden Opfer gezielter Mordaktionen.
Erläuterungstafel am Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen Die Nationalsozialisten haben die Lebenswelten von Schwulen und Lesben zerschlagen. Weibliche Homosexualität wurde – außer im annektierten Österreich – nicht strafrechtlich verfolgt. Sie galt den Nationalsozialisten als weniger bedrohlich. Gerieten lesbische Frauen dennoch in Konflikt mit dem Regime, waren auch sie Repressionen ausgesetzt. Schwule und Lesben lebten in der NS-Zeit eingeschüchtert und unter stetem Zwang zur Tarnung.
Lange Zeit blieben die homosexuellen Opfer des Nationalsozialismus aus der Gedenkkultur ausgeschlossen – in der Bundesrepublik wie in der DDR. Hier wie dort wurden Schwule lange Zeit weiter strafrechtlich verfolgt. In der Bundesrepublik Deutschland galt der § 175 unverändert bis 1969 fort.
Aus seiner Geschichte heraus hat Deutschland eine besondere Verantwortung, Menschenrechtsverletzungen gegenüber Schwulen und Lesben entschieden entgegenzutreten. In vielen Teilen dieser Welt werden Menschen wegen ihrer sexuellen Identität heute noch verfolgt, ist homosexuelle Liebe strafbar und kann ein Kuss Gefahr bedeuten.

Auf dem Weg zur Einweihung es DenkmalsMit diesem Denkmal will die Bundesrepublik Deutschland
– die verfolgten und ermordeten Opfer ehren,
– die Erinnerung an das Unrecht wach halten und
– ein beständiges Zeichen gegen Intoleranz, Feindseligkeit und Ausgrenzung gegenüber Schwulen und Lesben setzen.“ (Quelle: stiftung-denkmal.de)

Ein breites Presseecho fand das Denkmal schon vorab, von „Ecce homo“ über (nicht ganz zutreffend) „Endlos küssende Männer“ und „Ein dynamisches Denkmal“ bis „gleichgestellt“ und „Memorial to gay holocaust victims“. Besonders lesenswert: Elmgreen und Dragset im Interview über den Streit um das Denkmal

Bernd Neumann beim Blick auf die Kuß-SzeneVereinzelt wurde auch Kritik am Denkmal geäußert.
Dass mit Bernd Neumann ausgerechnet ein Vertreter derjenigen Partei das Denkmal einweiht, die auch für das Fortbestehen der NS-Fassung der Paragraphen 175 und 175a bis 1969 verantwortlich war, hat für manchen nachdenklichen Besucher einen bitteren Beigeschmack – der jedoch nur leise, am Rande geäußert wurde.
Deutlicher wird das das whk in seiner Kritik. Es spricht von einer „Verhöhnung der Opfer des nationalsozialistischen Terrors“, verweist auf einen von Manfred Herzer postulierten Rosa-Winkel-Mythos (dass die große Mehrheit der Homosexuellen „genau wie die anderen deutschen Männer und Frauen zu den willigsten Untertanen und Nutznießern des Nazistaates gehörte“ ) und meint nun werde man „am Rande des südöstlichen Großen Tiergartens auch so prominenten Opfern die Ehre erweisen wie dem bis 1945 an exponierter Stelle tätigen Theaterintendanten Hanns Niedecken-Gebhard, der 1936 die Festspiele zur Olympiade und 1937 Berlins 700-Jahrfeier inszenierte. Oder dem Weltrekordläufer Otto Peltzer. Bevor er 1938 wegen §175 nach Plötzensee und später Mauthausen kam, hatte er die Reichswacht redigiert, um ‚die Jugend auf die Bedeutung der Rassenhygiene hinzuweisen‘, in seiner Dissertation für ‚die zwangsmäßige Unfruchtbarmachung geistig Minderwertiger und somit Entarteter‘ sowie deren ‚Absonderung in Arbeitskolonien‘ plädiert und als NSDAP- und SS-Mitglied Reden für das SS-Siedlungsamt gehalten.“

Das Denkmal befindet sich an der Ebert-Straße Ecke Hannah-Arendt-Straße.
Weitere Informationen auch auf www.gedenkort.de

siehe auch:
Neusustrum – vergessenes Lager der Homosexuellen
Værnets Experimente in Buchenwald

PS. Die Verfolgung der Homosexuellen endete nicht mit 1945, und auch nicht 1969. Ein Beispiel (unter vielen denkbaren) in dem sehr lesenswerte Beitrag „Aversionstherapie 1973“

Gedenken an homosexuelle NS-Opfer

2008 ist ein Jahr des Gedenkens, auch des Gedenkens an schwule Opfer des Naziterrors. Gerade in jüngster Zeit häuften sich erfreulicherweise Meldungen und Veranstaltungen.
Zudem ist zu lernen, nicht nur in Deutschland benötigt die Realisierung von Denkmalen ihre Zeit.

In Berlin wird am 27. Mai das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Homosexuellen endlich enthüllt.

Ebenfalls in Berlin wird schon am 6. Mai das Spree-Ufer zwischen Luther- und Moltkebrücke nach Magnus Hirschfeld benannt. Zudem soll eine Büste enthüllt werden, die Magnus Hirschfeld darstellt. Sie ist eine Replik der von den Nazis zerstörten Büste.
Bereits seit 1994 erinnert eine Stele an das Institut für Sexualwissenschaft, das in der Nähe stand und 1933 von den Nazis geplündert wurde.

Bereits am 20.4.2008 fand in der Gedenkstätte Sachsenhausen im brandenburgischen Oranienburg anlässlich des 63. Jahrestages der Befreiung des KZ Sachsenhausen zum wiederholten Mal eine Gedenkveranstaltung für schwule KZ-Opfer statt.

Auch Frankreich beginnt seine homosexuellen Opfer des NS-Terrors zu ehren. Ende Februar wurde in Toulouse eine Straße nach Pierre Seel benannt, ein entsprechendes Straßenschild vom Bürgermeister eingeweiht.

Anders hingegen Österreich: wie XTRA! meldet, verzögert sich das österreichische Mahnmal für homosexuelle KZ-Opfer weiter. Bereits 2005 war ein Entwurf von Hans Kupelwieser unter dem Titel ‚Rosa Platz‘ ausgewählt worden. Der Sprecher des Kulturstadtrats verkündete jedoch jüngst, es sei bisher „keine alltagstaugliche Farbe gefunden“ worden. Der Künstler wurde mit einem neuen Entwurf beauftragt.

Immerhin, auf Initiative eines schwulen Arztes hat der 9. Wiener Gemeindebezirk beschlossen, den ehemaligen schwulen KZ-Häftling über den Heinz Heger in“Die Männer mit dem Rosa Winkel“ berichtete zu ehren. Ein Teil des Zimmermannplatzes wird zukünftig nach Heinz Heger benannt werden. Heger hatte lange Zeit im Haus Zimmermannplatz 1 gelebt.

Kurznachrichten 07.02.2008

„HIV-Arztpraxen fürchten das aus“, titelte der Berliner ‚Tagesspiegel‘ gestern. Berliner Ärzte befürchten eine deutliche Verschlechterung der Behandlungsqualität für HIV-Positive, da ihre Sondervergütungen gekürzt worden seien (bisher nur von der Berliner AOK) und diese zudem nur noch für Berliner Patienten gezahlt würden. Wieder einmal alles eine Frage des Geldes … ob die K3A-Studie im Kontext ärztlicher Honorarvereinbarungen steht?
Die dahinter stehenden strukturellen Probleme sind hinlänglich bekannt, z.B. aus der Ansiedlung von Wirtschaftsbetrieben im Umland von Großstädten. Strukturelle Probleme, die sicher auch einer Lösung bedürfen – Probleme jedoch, deren Leidtragende nicht Patienten, hier HIV-Positive sein können.

Das gerade auch in Deutschland ja sehr beliebte Reiseland Ägypten tut sich derzeit besonders in Sachen Diskriminierung HIV-Positiver hervor, berichtet pinknews über eine Serie von Verhaftungen von ägyptischen Bürgern, bei denen zudem teils unfreiwillig HIV-Tests gemacht wurden. Human Rights Watch protestiert.

Homophobie hat freies Fahrwasser„, weist ‚der Standard‘ auf den Plakatwettbewerb gegen Homophobie im Fußball hin, der anlässlich der EM 2008 in Wien veranstaltet wird. „2008: Endlich schwuler kicken …
In Köln finden 2010 die VIII. Gay Games statt. Schwulissimo berichtet über einen gewonnenen Großsponsor.

Last not least, „Fiskus scannt 100.000 Webseiten am Tag“, informiert die FAZ. Natürlich um ‚unternehmerische Tätigkeiten‘ zu finden, bei denen sich Steuern kassieren ließen. Wie gut, dass ich im Gegensatz zu einigen anderen Mit-Bloggern der Blog-Parade ruhigen Herzens beim Bloggen sagen kann: keine finanziellen Interessen…