Bundestag verabschiedet Gesetz zur Regelversorgung mit Diamorphin – Deutsche AIDS-Hilfe: Gesetz ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer praxisnahen Versorgung Heroinabhängiger
Berlin, 28.05.2009. Der Deutsche Bundestag hat heute mit deutlicher Mehrheit einer Veränderung des Betäubungsmittelgesetztes zugestimmt: Damit ist die seit Jahren von der Deutschen AIDS-Hilfe geforderte gesetzliche Grundlage geschaffen, um die Behandlung mit Diamorphin in den Katalog der Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung bundesweit aufzunehmen. Mehrjährige wissenschaftliche Studien in sieben Städten haben belegt, dass es Heroinabhängigen besser geht und sie stabilisiert, wenn sie unter strengen Auflagen regelmäßig mit künstlich hergestelltem Heroin (sog. Diamorphin) behandelt werden.
Dazu erklärt Hansmartin Schön, Bundesvorstand der Deutschen AIDS-Hilfe e.V. (DAH):
„Die Veränderung des Betäubungsmittelgesetzes und die hiermit verbundene Einstufung von Diamorphin als verschreibungsfähiges Medikament rettet Menschenleben. Der entscheidende Durchbruch ist die Umwandlung eines Straftatbestandes in eine verschreibungspflichtige Behandlung. Gerade die Heroinabhängigen, bei denen alle anderen Behandlungsoptionen nicht den gewünschten Erfolg brachten und die bisher unter menschenunwürdigen Bedingungen leben mussten, bekommen nun eine Möglichkeit, den Ausstieg aus dem Kreislauf von Illegalität und Beschaffungskriminalität zu finden. Nun gilt es, zügig im gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) die Kriterien für die Abrechenbarkeit der heroingestützten Substitutionsbehandlung festzulegen, damit weitere Städte Anträge bei den entsprechenden Landesbehörden stellen können.“
„Dieser Schritt war längst überfällig“, ergänzt Dirk Schäffer, Referent Drogen und Strafvollzug in der DAH: „Im Sinne schwerkranker Menschen haben fachliche und ethische Überlegungen nun Vorrang vor Parteitaktik und ideologischen Schranken gewonnen. Die DAH bedankt sich bei allen Bundestagsabgeordneten, die dazu beigetragen haben, dass sich nun endlich eine Parlamentsmehrheit für das seit Jahren von uns geforderte Gesetz gefunden hat.“
Die Deutsche Aids-Hilfe will’s wissen – wie ihre Internetseite genutzt und wie bewertet wird.
Die Deutsche Aids-Hilfe führt in der Zeit vom 15. bis 24. Mai 2009 eine online-Befragung durch. Wie wird dass Internetangebot der Aids-Hilfe aidshilfe.de genutzt? Wie wird der derzeitige Internetauftritt bewertet? Und welche Wünsche haben Nutzer für die Zukunft?
All dies möchte die Deutsche Aids-Hilfe erfahren mit einer kurzen online-Umfrage.
Die Ergebnisse der Befragung sollen einfliessen in die Verbesserung des Internetauftritts der Deutschen Aids-Hilfe aidshilfe.de: noch in diesem Jahr soll der Internetauftritt aidshilfe.de komplett neu gestaltet werden.
Die Umfrage benötigt nur wenig Zeit -kann aber dabei helfen, die Internetangebote der Deutschen Aidshilfe im Interesse aller Nutzer zu verbessern – also: mitmachen!
Aufgrund des großen auch internationalen Interesses liegt dieses Positionspapier seit 23.04.2009 auch in englischer und französischer Sprache vor:
english version: „HIV Therapy and Prevention – position paper by Deutsche Aids-Hilfe“ als pdf
version francaise “Thérapie contre le VIH et Prévention – document de prise de position de l’Aids allemand contre le sida, la Deutsche Aids-Hilfe e.V. (DAH)” als pdf
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Deutsche AIDS-Hilfe zieht Beteiligung am SÖDAK zurück
Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH) wird sich in diesem Jahr nicht am Deutsch-Österreichischen-Schweizer Aids-Kongress (SÖDAK) in Sankt Gallen/Schweiz beteiligen und stellt die Mitarbeit am Kongress mit sofortiger Wirkung ein.
Dazu erklärt Carsten Schatz, Bundesvorstand der Deutschen AIDS-Hilfe e.V.: „Unserer Entscheidung ist ein gründlicher Abwägungsprozess vorangegangen: Die DAH sieht die Grundlagen der diesjährigen Konferenzausrichtung, wie sie seit 1998 erfolgreich im sog. Genfer Prinzip auf internationaler und mit dem Essener Prinzip (1999) auf nationaler Ebene eingeführt wurden, als nicht gegeben an. Die DAH bedauert insbesondere, dass die Einbindung von Menschen mit HIV/Aids nicht im notwendigen Maße stattgefunden hat. Nicht über, sondern mit den Menschen mit HIV/Aids und deren Communities als die Experten in eigener Sache zu sprechen, halten wir für ein unverzichtbares Qualitätskriterium für eine zukunftsfähige Präventionsarbeit.“
Die DAH befürwortet den solidarisch geschlossenen Rücktritt des SÖDAK 2009 Community Board (CB) von der Mitarbeit am SÖDAK und schließt sich dieser Konsequenz an. Mit dem Rückzug verbindet der Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe zugleich die Forderung, dass bei zukünftigen Kongressen wieder an die bewährte Zusammenarbeit nach dem Genfer Prinzip angeknüpft und eine Teilnahme der Menschen mit HIV/Aids aktiv – zum Beispiel durch eine höhere Investitionsbereitschaft für Stipendien – ermöglicht wird.
Die DAH wird die zukünftige Kongressorganisation gerne dabei unterstützen, ein Konzept zu entwickeln, das den Rahmenbedingungen, Bedürfnissen und Erwartungen aller Beteiligten Rechnung trägt.
Informationen zum Genfer Prinzip
(Pressemitteilung der Deutschen Aids-Hilfe vom 28.04.2009)
This position paper now is available in an english version as pdf „HIV Therapy and Prevention“.
The paper states that
„Transmission during sexual contact without a condom is improbable when the following conditions are met:
– the viral load of the HIVpositive partner has been under detection limit for at least six months,
– antiretroviral medication has been taken consistently,
– the sexual partners have no mucosal defects, e.g. as a consequence of sexually transmitted infections.“
Deutsche Aids-Hilfe regards this statement as „a meaningful and effective supplement to our safer sex messages to date and introduces new possibilities for precvention“.
Read the complete position paper „HIV Therapy and Prevention“ here.
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Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH) kritisiert die Verhaftung einer jungen Frau wegen angeblich bewussten Infizierens von Sexualpartnern mit dem HI-Virus.
Dazu erklärt Marianne Rademacher, Frauenreferentin der Deutschen AIDS-Hilfe e.V.: „Die junge Frau sollte so schnell wie möglich freigelassen werden. Ihre Verhaftung ist nach Einschätzung der uns bisher vorliegenden Informationen eine unverhältnismäßige Aktion der hessischen Justiz. Wir fordern die Medien auf, sachlich über den Fall zu berichten und nicht vorzuverurteilen. Die Verantwortung für den angeblich ungeschützten Sexualverkehr wird allein der jungen Frau zugeschoben, ohne nach der Mitverantwortung ihrer Sexualpartner zu fragen. Die deutsche Politik der HIV- und Aidsbekämpfung wird aber gerade deshalb als beispielhaft betrachtet, weil sie von der Verantwortung jedes einzelnen, von der Solidarität und der Bekämpfung jeder Art von Stigmatisierung ausgeht. Die hessische Justiz will offenbar ein Exempel statuieren. Die Justiz ist und darf aber keine Akteurin der HIV-Prävention in Deutschland sein.“
Seit den 1990er Jahren haben die Verurteilungen im Zusammenhang mit HIV-Übertragungen zugenommen. Das ist nicht ohne Auswirkungen auf die Präventionsarbeit im HIV/Aids-Bereich geblieben. Die öffentlichkeitswirksame Bestrafung von Menschen mit HIV/Aids kann aber leicht die Illusion entstehen lassen, der Staat habe das Problem unter Kontrolle, und so Personen dazu veranlassen, ihr Schutzverhalten (Safer Sex) zu vernachlässigen. Strafrechtliche Prozesse haben in solchen Fällen keine abschreckende Wirkung. Denn nur eine Person, die weiß, dass sie HIV-positiv ist, kann strafrechtlich belangt werden. Die Kriminalisierung der HIV-Übertragung führt unter Umständen dazu, dass Menschen es vorziehen, sich aus Angst vor Repressionen nicht testen zu lassen. Die DAH geht weiterhin von gemeinsamer Verantwortung aller Beteiligten in einvernehmlichen sexuellen Kontakten aus. Das war und bleibt die Basis unserer Arbeit.
[Pressemitteilung der Deutschen Aids-Hilfe vom 14.04.2009]
[15.04.2009 abends: Namen und identifizierende Merkmale aus Text und Kommentaren entfernt]
„was lange währt, wird endlich gut“ – ein abgegriffener Spruch, und doch, er scheint gut geeignet, zutreffend für das abschließende Positionspapier, das die Deutsche Aids-Hilfe zur Frage der Senkung der HIV-Viruslast unter die Nachweisgrenze und Konsequenzen für den Einzelnen sowie für die HIV-Prävention vorgelegt hat.
„was lange währt, wird endlich gut“
Ja, die DAH hat sich Zeit gelassen. Über 14 Monate sind seit der Publikation des EKAF-Statements vergangen, eines Statements zudem, dessen Inhalte und wesentliche Botschaften zumindest in Fachkreisen schon weit vorher bekannt waren.
14 Monate sind eine lange Zeit, und viele (Positive , Aktivisten, Mitarbeiter/innen in Aids-Hilfen und -Beratungen… ) wurden ungeduldig, drängelten. Andere hingegen betätigten sich mit Verve als Bremser, gar Blockierer, wollten eine -womöglich gar ‚zu positive‘- Stellungnahme verhindern oder doch verzögern.
14 Monate sind eine lange Zeit – die aber vielleicht erforderlich war. Erforderlich, um zu einer überlegten, reflektierten und tragfähigen Position zu kommen. Zu einer Position, die auch in den nun sicherlich neu aufflammenden Debatten argumentiert, begründet werden kann, Bestand haben wird. Und eine Position, die -das darf nicht vergessen werden- auch innerhalb von Aidshilfe(n) tragfähig ist.
Denn Lebens- und Präventions-Realität wird diese Position nur, wenn möglichst viele, HIV-Positive, Ungetestete wie auch HIV-Negative, Aids-Hilfe Mitarbeiter und -Mitarbeiterinnen, Berater und Beraterinnen davon überzeugt sind, überzeugt werden können, dass dies die richtige, die zukunftsweisende Position ist. Dieses Positions-Papier bietet die Voraussetzungen dafür.
„was lange währt, wird endlich gut“
Gut – diese drei Buchstaben, dieses eine Wort genügen, um das Positions-Papier der DAH im ersten Ansatz zu bewerten.
Es ist gut, denn es prüft das Statement der EKAF,wägt ab – und kommt zu einer eigenen, lang erwarteten Position der DAH.
Gut aber vor allem, weil es neben der reinen Positionierung zwei weitere bedeutende Schritte geht:
Das Positions-Papier setzt sich öffentlich, für jeden nachvollziehbar und transparent, mit Argumenten, mit Für und Wider auseinander, wägt ab, kommt zu einer Entscheidung – und begründet diese.
Vor allem aber: das Positions-Papier bleibt nicht verharren bei der trockenen, abstrakten Position. Es geht vielmehr mutig gleich zwei weitere Schritte: es übersetzt in lebensnahe, den Situationen, dem Lebensalltag, dem Liebes- und Sexleben gerecht werdende Empfehlungen, und es weist den Weg in neue Chancen für die HIV-Prävention.
„Ja, und was heißt das für mich? Für meine Situation?“ – Diese Fragen waren oft zu hören in den letzten Monaten, in vielen Diskussionen über „die EKAF“. Und zumindest die laut geäußerte Antwort lautete meist „nix genaues weiß man nicht“. Das EKAF-Statement blieb das, als was es ursprünglich publiziert wurde, eine Stellungnahme von Medizinern zu Fragen der Infektiosität.
Die Deutsche Aids-Hilfe hat in ihrem Positions-Papier die Stellungnahme der EKAF nun mit ‚Fleisch‘, mit Leben versehen. HIV-Positive, HIV-Negative, Ungetestete in verschiedensten Lebenssituationen, von HIV Betroffene und von HIV Bedrohte, ob schwuler Mann, Hetero mit gelegentlichen ‚Männer-Kontakten‘, Frau mit oder ohne Kinderwunsch, Drogengebraucher(in), Mensch in Haft – sie finden nun lebensnahe, lebensbejahende Empfehlungen, wie das Statement der EKAF, wie die Frage der ‚Präventionsmethode Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze‘ in ihrem Leben integriert, gelebt werden kann.
Die Chancen des EKAF-Statements nicht nur abstrakt aufzuzeigen, sondern sie in konkreten Empfehlungen lebbar zu machen – das ist das eigentliche Verdienst dieses Positionspapiers.
Das Statement der EKAF („keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs„) hat für viele Diskussionen gesorgt. Immer wieder wurde angemahnt, was ist die Position der Deutschen Aids-Hilfe. Nun, nach 14 Monaten, hat die DAH ihre abschließende Position veröffentlicht – detailliert, begründet und zukunftsorientiert.
“Eine HIV-infizierte Person ohne andere STD unter einer antiretroviralen Therapie (ART) mit vollständig supprimierter Virämie … ist sexuell nicht infektiös” – dieser Satz sorgt seit Januar 2008 für viele intensive, oft aufgeregte Diskussionen. Doch – die EKAF, die Eidgenössische Kommission für Aids-Fragen, das ist die Schweiz. Was sagen Organisationen in Deutschland dazu, vor allem die Deutsche Aids-Hilfe (DAH)?
Eine erste Positionierung zeichnete sich bereits ab mit dem Haltungspapier des Delegiertenrats der DAH vom März 2008 („Neue Wege sehen, neue Wege gehen!„), später ergänzt durch ein erstes Positionspapier des DAH-Vorstands („HIV-Therapie und Prävention – Stellungnahme der DAH„).
Anfang April 2009 nun, lang erwartet, liegt die endgültige Position der DAH vor.
„Bei sexuellen Kontakten ohne Kondom mit einem/einer HIV-positiven Partner/in ist eine HIV-Übertragung unwahrscheinlich, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
-Die Viruslast des HIV-positiven Partners/der HIV-positiven Partnerin ist seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze,
– die antiretroviralen Medikamente werden konsequent eingenommen,
– bei den Sexpartnern/-partnerinnen liegen keine Schleimhautdefekte (z. B. als Folge sexuell übertragbarer Infektionen) vor“
und stellt zur Bedeutung dieser zentralen Botschaft fest
„Unsere bisherigen Safer-Sex-Botschaften werden durch diese Aussage sinnvoll und wirksam ergänzt; in der Prävention eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten.“
Prävention muss lebbar sein, und dies -so die DAH- bedeute
„Aufgabe der Prävention ist es, die nötigen Informationen für die Kommunikation über dieses Risiko und für das individuelle Risikomanagement zielgruppengerecht und an den Interessen der Zielgruppen orientiert bereitzustellen.“
Doch es geht um mehr als „nur“ darum, zielgruppengerechte Information bereitzustellen. Es geht darum, diese auch lebbar zu machen, in den Lebensalltag zu übersetzen – mittels Empfehlungen.
Empfehlungen – das bedeutet die DAH übersetzt in ihrem Positionspapier die „zentrale Botschaft“ in Ratschläge, Hinweise, Anmerkungen. Empfehlungen, die auf die spezifischen Lebenssituationen verschiedener Gruppen eingehen:
– HIV-Positive mit nicht nachweisbarer Viruslast
– HIV-Positive mit nachweisbarer Viruslast, Ungetestete und HIV-Negative
– HIV-Positive mit HIV-positiven Sexpartner(inne)n
– Drogengebraucher(innen)
– Menschen in Haft
– bei Kinderwunsch, Schwangerschaft und Stillen
Für jede dieser Konstellationen werden konkrete, lebensnahe Empfehlungen und Anregungen gegeben und in einem eigenen Kapitel die Hintergründe erläutert – bis hin zu Fragen von Schleimhaut-Läsionen, sexuell übertragbaren Erkrankungen oder regelmäßigen Routine-Untersuchungen.
Empfehlungen, die die zentrale Botschaft des Positionspapiers in Lebensrealitäten übersetzen, für verschiedene Gruppen und Situationen anwendbar machen.
Auf diese Weise wendet sich das Positionspapier nicht nur an HIV-Positive, HIV-Negative und Ungetestete. Es stellt darüber hinaus auch eine wichtige und lebensnahe Basis für Beraterinnen und Berater in Aids-Hilfen und anderen Beratungsstellen dar, sowie für Ärzte und Ärztinnen.
Auf einer übergeordneten Ebene der öffentlichen Gesundheit (New Public Health) kommt die DAH zu dem Schluß
„Sowohl die konsequente (100-prozentige) Verwendung von Kondomen als auch die dauerhafte Senkung der Viruslast beim/bei der HIV-positiven Partner/in – bei Abwesenheit von Schleimhautläsionen/STDs bei beiden Partner(inne)n – bieten eine ausreichende Sicherheit zur Vermeidung einer HIV-Infektion, das Restrisiko einer HIV-Übertragung ist vernachlässigbar gering. Bei Kombination beider Methoden nähert sich das Restrisiko gegen Null.“
Die „Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze“ bezeichnet die DAH konsequenterweise als eine weitere Präventionsmethode.
Auf Befürchtungen von Kritikern, es könne nun zu steigenden Neu-Infektionen kommen, entgegnet die DAH selbstbewusst
„Insgesamt kann die DAH den Befürchtungen nicht folgen, es könnte zu einer Zunahme der Infektionen kommen, wenn die „Viruslast-Methode“ in der Prävention eingesetzt wird. Im Gegenteil: die DAH sieht in dem Nutzen, den die antiretrovirale Therapie bietet, eine Chance in der Prävention.“
Das „Positionspapier“ ist so weit mehr, als der Name zunächst vermuten lässt:
Das Statement der EKAF zu bewerten, eine eigene Position zu finden und zu begründen ist nur der erste Schritt. Das „Positionspapier“ geht auch den zweiten Schritt, kommt zur Umsetzung in konkrete Empfehlungen – und versucht so, sie zu nutzen, die Chancen, die sich in der Prävention neu ergeben.
Erstmals geht damit eine auch international bedeutende Aids-Organisation den Schritt, nicht nur zu kommunizieren, dass erfolgreiche antiretrovirale Therapie unter bestimmten Bedingungen die Infektiosität drastisch senkt, sondern auch zu sagen, was dies konkret für den/die Einzelne(n) und seine/ihre Handlungen bedeuten kann – und wie es in Prävention übersetzt werden könnte.
weitere Informationen:
faz.net 08.04.2009: Auf’s Kondom verzichten? queer.de 09.04.2009: Aids-Hilfe: Kondom muss nicht immer sein
aidsmap 21.04.2009: German NGO endorses treatment as prevention
thewarning 22.04.2009: L’association allemande Deutsche AIDS Hilfe fait sienne le protocole suisse
POZ 22.04.2009: German AIDS Group Endorses HIV Treatment as Prevention
e-Ilico 27.04.2009: L’association Deutsche AIDS Hilfe fait sienne le protocole suisse sur le traitement anti-VIH en prévention
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Die Veröffentlichung des sogenannten EKAF-Statements 2008 hat viele Diskussionen ausgelöst. Die Deutsche Aids-Hilfe e.V. (DAH) hat hierzu ihre Position zum Thema HIV-Therapie und Prävention abschließend entwickelt. Diese Position im Folgenden als Dokumentation:
HIV-Therapie und Prävention – Positionspapier der Deutschen AIDS-Hilfe e. V. (DAH)
April 2009
1. Die HIV-Therapie ist ein wichtiges Element des Risikomanagements und kann zur Entstigmatisierung von Menschen mit HIV beitragen
Die antiretrovirale Therapie (ART) hat die Lebenserwartung von Menschen mit HIV deutlich erhöht und die Lebensqualität vieler Positiver wesentlich verbessert. Sie hat darüber hinaus einen wichtigen primärpräventiven Nebeneffekt: das Ansteckungsrisiko wird deutlich vermindert.
Eine Übertragung bei sexuellen Kontakten ohne Kondom ist unwahrscheinlich (1), wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
– die Viruslast des HIV-positiven Partners/der HIV-positiven Partnerin ist seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze,
– die antiretroviralen Medikamente werden konsequent eingenommen,
– bei den Sexualpartnern/-partnerinnen liegen keine Schleimhautdefekte z.B. als Folge sexuell übertragbarer Infektionen vor.
Das heißt: Das Risiko einer HIV-Übertragung ist unter den oben genannten Bedingungen so gering wie bei Sex unter Verwendung von Kondomen.
Unsere bisherigen Safer-Sex-Botschaften werden durch diese Aussage sinnvoll und wirksam ergänzt; in der Prävention eröffnen sich dadurch neue Möglichkeiten.
1.1 Information als Grundlage für Kommunikation, selbstbestimmtes und verantwortungsvolles Handeln
Die Information, dass eine HIV-Übertragung bei sexuellen Kontakten mit HIV-Positiven unter den oben genannten Bedingungen unwahrscheinlich ist, ist nicht nur für das Risikomanagement (und damit für die Primärprävention) wichtig, sondern kann für Menschen mit HIV und Aids eine Erleichterung und Verbesserung ihrer Lebenssituation und -perspektiven bedeuten, weil sie den Abbau irrationaler Ängste ermöglicht, wie Delegiertenrat und Vorstand der DAH Anfang März 2008 in einer Erklärung betonten. (2) Das gilt auch für HIV-Negative und Ungetestete, etwa Partner/innen in serodifferenten Partnerschaften (3), (weitere) Sexpartner/innen oder Familienangehörige.
Als Selbsthilfeorganisation der von HIV und Aids besonders Bedrohten und Betroffenen und als Präventionsorganisation begrüßt die Deutsche AIDS-Hilfe daher, dass die schweizerische Eidgenössische Kommission für Aidsfragen (EKAF) am 30. Januar 2008 das Positionspapier „HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös“ veröffentlicht hat. Die EKAF hat diese Information, die bis dahin „unter der Hand“ bereits kommuniziert wurde (vor allem in der Beratungspraxis), zum Gegenstand der öffentlichen Diskussion, der Kommunikation unter (Sex-)Partnerinnen und -Partner und zu einem Thema für die Aufklärung gemacht.
Indem die DAH nun ihr eigenes Positionspapier veröffentlicht, verfolgt sie das in ihrem Leitbild formulierte Ziel, „dass die Gesellschaft als Ganze und jede und jeder Einzelne informiert, selbstbestimmt und verantwortungsvoll mit den Risiken von HIV/Aids … umgehen kann“. (4)
1.2 Wie sicher ist sicher genug?
Die DAH verfolgt einen Ansatz der lebensweltorientierten Prävention und Gesundheitsförderung. Das heißt unter anderem: Präventionsbotschaften müssen „lebbar“, also möglichst stabil und einfach umsetzbar sein. In der Frühzeit der HIV-Prävention hat sich die DAH daher für die Propagierung von „Safer Sex“ entschieden. „Safer“ steht in diesem Zusammenhang dafür, dass die Befolgung der empfohlenen „Safer-Sex-Regeln“(5) eine HIV-Übertragung unwahrscheinlich macht und insofern „sicherer“ als ungeschützter Sex ist, aber keinen völlig sicheren Schutz vor einer Infektion bieten (den es nur bei Abstinenz gäbe). Das vor allem im angelsächsischen Raum verbreitete Konzept „Safe Sex“ (durch Abstinenz oder Vermeidung jeglichen Kontakts mit Körperflüssigkeiten (6)) dagegen hielten und halten wir nicht für lebensnah und nicht für wirksam, weil es die sexuellen Bedürfnisse und die Lust ignoriert.
Safer Sex heißt also: Es besteht ein Restrisiko (siehe 3.), das es aus Sicht der DAH zu benennen gilt. Ob der oder die Einzelne es akzeptiert, ist allerdings seine oder ihre autonome Entscheidung. Aufgabe der Prävention ist es, die nötigen Informationen für die Kommunikation über dieses Risiko und für das individuelle Risikomanagement zielgruppengerecht und an den Interessen der Zielgruppen orientiert bereitzustellen. Das gilt in gleicher Weise für andere Strategien der Risikominimierung oder Risikominderung, über deren (ggf. auch irrtümlich angenommene) Wirksamkeit und Schwächen die DAH ebenfalls umfassend informiert – auch dann, wenn sie eine geringere Schutzwirkung und Sicherheit als die klassischen Safer-Sex-Regeln bzw. eine stabil unter der Nachweisgrenze liegende Viruslast bei gleichzeitiger Abwesenheit von Schleimhautdefekten bieten: Wir vertreten den Standpunkt, dass auch „Besser-als-nichts-Strategien“ wichtige Pfeiler im Köcher der Prävention sind. Insbesondere in bevölkerungsbezogener Sicht kann eine sehr sichere Strategie (z. B. Safer Sex) nämlich sehr unsicher werden, wenn die Anwendung nicht konsequent gelingt (und umgekehrt kann eine Schutzstrategie mit beschränkter Effektivität, aber konsequenter Anwendung, die Zahl der HIV-Übertragungen senken helfen). (7) Darüber hinaus wissen (und verteidigen) wir, dass maximal präventives Verhalten nicht immer das Ziel individuellen Risikomanagements ist, sondern dass Menschen je nach Situation und Disposition z. B. den Lustgewinn und die Folgen einer möglichen Infektion gegeneinander abwägen. (8)
1.2.1 Neutrale Informationen oder Empfehlungen?
Die Deutsche AIDS-Hilfe bewegt sich im Spannungsfeld zwischen Präventionsorganisation mit öffentlichem Auftrag und Selbsthilfe- sowie Interessenvertretungsorganisation. Während aus Perspektive der Selbsthilfe und Interessenvertretung die Befähigung zum selbstverantwortlichen Umgang mit den Risiken sowie die Stärkung und der Schutz der Autonomie im Zentrum stehen, ist das vorrangige Ziel aus Sicht der New Public Health die möglichst weitgehende Vermeidung von HIV-Übertragungen.
Von öffentlicher Seite (und auch aus den Zielgruppen unserer Arbeit) erwarten viele Menschen daher von der DAH nicht nur neutrale Informationen, sondern auch Empfehlungen. Ein solches Vorgehen entspricht auch unserem Selbstverständnis als bundesweites Netzwerk der Kompetenzen für die strukturelle Prävention und Gesundheitsförderung im Kontext von HIV und Aids – in dieser Rolle sehen wir es als unsere Aufgabe, Informationen im Licht der strukturellen Prävention und an den Interessen und Lebenswelten der Menschen aus unseren Zielgruppen zu bewerten. Entscheidend dabei ist aber, dass auch Empfehlungen die Autonomie des oder der Einzelnen nicht verletzen dürfen.
Empfehlungen können indes immer nur allgemeiner Art sein. Neben der Informationsaufbereitung und -vermittlung sind daher das Angebot vertiefender Kommunikation und individueller Beratung für uns zentral.
1.3 Selbstbestimmt heißt: freiwillig und ohne Zwang!
Respekt vor der autonomen Entscheidung des oder der Einzelnen gebietet nicht nur, die verfügbaren Informationen zum Risikomanagement unverkürzt und zielgruppengerecht zu verbreiten, sondern auch, Versuchen entgegenzutreten, das Individuum zu „maximal präventivem Verhalten“ zu drängen. Das heißt konkret: So, wie die Entscheidung für oder gegen den Kondomgebrauch in der Hand des Individuums liegt, so liegt auch die Entscheidung, ob und wann mit einer antiretroviralen Therapie begonnen wird, beim Menschen mit HIV. Hier darf kein Druck und kein Zwang ausgeübt werden (z. B., aus primärpräventiven Gründen mit einer Behandlung zu beginnen).
1.4 Selbstverantwortung, Mitverantwortung und Verantwortung für andere
Die Entscheidung über das individuelle Risikomanagement (und damit über die Nutzung der angebotenen Informationen bzw. die Umsetzung von Empfehlungen) liegt beim Individuum. Wir sehen den Einzelnen und die Einzelne dabei allerdings nicht allein mit dieser Verantwortung, sondern sehen immer auch die Mitverantwortung der anderen – insbesondere dann, wenn die Partner/innen hinsichtlich ihres Wissens, Wollens, Fühlens und Könnens nicht auf gleicher Augenhöhe sind.
Um selbstbestimmt entscheiden und verantwortlich handeln zu können, braucht der und die Einzelne aber – neben ausreichenden Informationen – auch entsprechende Kompetenzen und Ressourcen sowie Akzeptanz und Solidarität. Die Schaffung von Strukturen und Verhältnissen, in denen solche Kompetenzen erworben werden können und solche Ressourcen zur Verfügung stehen, fordert die DAH von Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Gesellschaft ein. Das gilt auch für Akzeptanz und Solidarität: Um sie zu fördern, muss die sogenannte Allgemeinbevölkerung nicht zuletzt auch über den aktuellen Wissensstand zu Strategien des Risikomanagements informiert werden.
2. Botschaften
Die zentrale Botschaft lautet:
Bei sexuellen Kontakten ohne Kondom mit einem/einer HIV-positiven Partner/in ist eine HIV-Übertragung unwahrscheinlich, wenn folgende Voraussetzungen erfüllt sind:
-Die Viruslast des HIV-positiven Partners/der HIV-positiven Partnerin ist seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze,
– die antiretroviralen Medikamente werden konsequent eingenommen,
– bei den Sexpartnern/-partnerinnen liegen keine Schleimhautdefekte (z. B. als Folge sexuell übertragbarer Infektionen) vor.
2.1 (Weitere) Botschaften und Erläuterungen für HIV-Positive mit nicht nachweisbarer Viruslast
Unter „HIV-Positiven mit nicht nachweisbarer Viruslast“ verstehen wir im Folgenden Menschen mit HIV, die sich einer wirksamen ART unterziehen und deren Viruslast sich seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze befindet. Eine wirksame Therapie führt dazu, dass die Viruslast im Blut, im Sperma und in den Schleimhäuten unter die Nachweisgrenze sinkt, wodurch auch eine Ansteckung der Sexpartner/innen unwahrscheinlich wird.
Geschwüre oder Entzündungen der Schleimhäute am Penis, im Darm oder in der Scheide bei einem/einer der Sexpartner/innen – vor allem durch sexuell übertragbare Krankheiten wie Syphilis und Herpes – erhöhen dieses Risiko wieder, weil sich in geschädigter Schleimhaut HIV anreichert und sie außerdem durchlässiger für HIV ist. Das Risiko für den HIV-negativen Partner wird unwägbar. Bis zur Ausheilung sollte wieder Sex mit Kondom praktiziert werden (bzw. ohne dass HIV in den Körper/auf Schleimhäute gelangt).
Im Übrigen gilt: Bei auffälligen körperlichen Veränderungen, die auf eine sexuell übertragbare Krankheit hindeuten könnten, sollte man sich ärztlich untersuchen und gegebenenfalls behandeln lassen. Auch die Partner/innen sollten informiert werden, damit sie sich ebenfalls untersuchen und gegebenenfalls behandeln lassen können.
Bis zum erfolgreichen Abschluss einer STD-Behandlung lautet die Empfehlung „Sex mit Kondom“.
2.1.1 Botschaften für feste Partnerschaften mit HIV-Negativen oder Ungetesteten
Taucht in festen Partnerschaften zwischen HIV-Positiven mit nicht nachweisbarer Viruslast und HIV-Negativen oder Ungetesteten das Thema „Sex ohne Kondome?“ auf, so empfehlen wir folgende Vorgehensweise:
– die Beschäftigung mit den dazu vorliegenden Informationen (Unterstützung und Beratung dazu bieten z. B. die Aidshilfen, aber auch behandelnde Ärztinnen und Ärzte und Mitarbeiter/innen weiterer Beratungsstellen), sodass die Grundlagen für eine informierte Entscheidung gegeben sind,
– die Kommunikation über diese Informationen,
– eine gemeinsame Entscheidung, mit der beide gut leben können, sowie in der Folge
– die regelmäßige Einnahme der HIV-Medikamente und der regelmäßige Besuch beim Arzt/bei der Ärztin, um die Wirksamkeit der Medikamente und die Abwesenheit von Schleimhautdefekten zu überprüfen.
2.1.2 Botschaften für Gelegenheitskontakte
Beim Sex mit Gelegenheitspartner(inne)n empfiehlt sich weiterhin die Verwendung von Kondomen, da die Bedingungen der regelmäßigen STD-Kontrolle (um die Abwesenheit von Schleimhautdefekten bei beiden Partnern/Partnerinnen zu überprüfen), der Kommunikation und der gemeinsamen Entscheidung hier in der Regel nicht gegeben sind.
Positiven mit sexuellen Gelegenheitskontakten neben ihrem/ihrer festen Partner/in empfehlen wir eine regelmäßige Kontrolle auf sexuell übertragbare Krankheiten, da diese häufig ohne auffällige Symptome verlaufen (bzw. da Symptome häufig nicht bemerkt werden) und oft nur durch ärztliche Untersuchungen bzw. im Labor festgestellt werden können.
2.2 Botschaft für HIV-Positive mit nachweisbarer Viruslast, für Ungetestete und HIV-Negative
HIV-Positiven mit nachweisbarer Viruslast, Ungetesteten und HIV-Negativen empfehlen wir – inbesondere bei sexuellen Gelegenheitskontakten – weiterhin die Befolgung der Regeln „Anal- und Vaginalverkehr mit Kondom“ und „Kein Blut/Sperma in den Körper oder auf Schleimhäute gelangen lassen“.
Für Partnerschaften zwischen HIV-Negativen oder Ungetesteten und HIV-Positiven mit nicht nachweisbarer Viruslast gelten die unter 2.1 und 2.1.1 gemachten Aussagen.
Taucht in festen Partnerschaften zwischen HIV-Negativen und/oder Ungetesteten die Frage „Sex ohne Kondom?“ auf, gelten die bisherigen Empfehlungen. (9)
2.3 Exkurs: Botschaften für HIV-Positive mit HIV-positiven Sexpartner(inne)n
Beim Sex zwischen HIV-positiven Partner(inne)n steht die mögliche Übertragung von anderen STDs oder einer Hepatitis C im Mittelpunkt des präventiven Handelns. Da manche STDs bzw. die Hepatitis C bei Menschen mit HIV schneller und schwerer verlaufen können, empfehlen wir ihnen, sich mindestens zweimal jährlich auf diese Krankheiten untersuchen zu lassen.
Um eine „Superinfektion“ (d. h. die Übertragung einer Virusvariante auf den Partner/die Partnerin bzw. die Ansteckung mit einer Virusvariante des Partners/der Partnerin) zu verhindern, reicht die wirksame Therapie eines Partners aus. Möglich (aber epidemiologisch nicht relevant) ist eine Superinfektion, wenn beide Partner/innen unbehandelt oder in einer Therapiepause sind. Nachteilig kann eine Superinfektion werden, wenn dabei medikamentenresistente Viren übertragen werden.
2.4 Besonderheiten bei Drogengebraucher(inne)n
Die erweiterten Präventionsbotschaften, die natürlich auch für Drogengebraucher/innen gelten, beziehen sich ausschließlich auf die sexuelle HIV-Übertragung. Beim Drogengebrauch gilt nach wie vor, dass eine Übertragung bei der gemeinsamen Benutzung von Spritzen und Kanülen erfolgen kann. Zwar ist davon auszugehen, dass auch hier das Risiko gesenkt wird, wenn die Viruslast unter der Nachweisgrenze liegt. Allerdings können die Ergebnisse der Studien zur sexuellen Transmission von HIV nicht auf die Transmission bei intravenösem Drogengebrauch übertragen werden, denn bei der sexuellen Übertragung stellt die intakte Schleimhaut eine Barriere gegen HIV dar, während es eine solche Barriere beim intravenösen Drogengebrauch nicht gibt. Daher gelten die Präventionsbotschaften (Safer-Use-Empfehlungen) in diesem Bereich unverändert weiter, zumal Safer Use auch das Risiko einer Übertragung anderer Infektionskrankheiten wie z. B. Hepatitis B und C minimiert.
Nichtsdestotrotz gilt auch für Drogengebraucher/innen, dass der oben geschilderte Sachverhalt vor allem für HIV-serodifferente Paare in der Substitution entlastend sein kann. Auch wenn die Präventionsbotschaften für den Drogengebrauch weiterhin bestehen, sollten die Änderungen, die sich im Bereich Sexualität ergeben, besprochen werden, denn Drogengebraucher/innen und Substituierte benötigen – wie alle anderen auch – solche Informationen, um ein auf ihr Leben abgestimmtes Risikomanagement betreiben zu können.
2.5 Besonderheiten bei Menschen in Haft
In Gefängnissen besteht die Besonderheit, dass Inhaftierte kaum über Präventionsmittel (Kondome, Gleitgel, Spritzen, Kanülen oder Substitution) verfügen. Ihr Risiko, sich beim Sex oder beim Drogengebrauch in Haft zu infizieren, ist hoch. Zudem wird auch die für das unter 2.1.1 beschriebene Vorgehen notwendige dreimonatliche Viruslastbestimmung häufig nicht oder in viel größeren zeitlichen Abständen vorgenommen als draußen. Es gilt daher weiterhin, sich für eine gute medizinische Versorgung der HIV-positiven Gefangenen einzusetzen, die der Versorgung außerhalb der Gefängnismauern entspricht, und die o. g. Argumente (bessere medizinische Versorgung = mehr Sicherheit in Haft) in die Diskussionen mit den Anstaltsärzten und Anstaltsärztinnen einfließen zu lassen.
Gegenüber Gefangenen sollten die Informationen zur sexuellen Übertragung möglichst in einem Informations- oder Beratungsgespräch mitgeteilt werden, um hier auch den Informationspart, den Ärztinnen und Ärzte aus HIV-Schwerpunktpraxen sonst übernehmen, zumindest teilweise abzudecken. (Leider ist nicht davon auszugehen, dass die von den Anstaltsärztinnen oder -ärzten gegebenen Informationen mit denen in einer HIV-Schwer–punktpraxis vergleichbar sind.) Um ein sinnvolles Risikomanagement in Haft betreiben zu können, muss im Informations- oder Beratungsgespräch der Haftalltag genauer beleuchtet werden (z. B. das Thema sexuelle Beziehungen in Haft, Risiken der einzelnen sexuellen Praktiken, Viruslast und Medikamenteneinnahme, STDs, Risiken beim Drogengebrauch).
2.6 Besonderheiten beim Thema Kinderwunsch, Schwangerschaft und Stillen
Für Paare mit Kinderwunsch, in denen eine/r oder beide der Partner/innen HIV-positiv ist/sind, gelten folgende Aussagen:
– Bei nicht nachweisbarer Viruslast und Erfüllung der unter 1. und 2. genannten Bedingungen kann die Zeugung des Kindes auf natürlichem Weg erfolgen, ohne eine Ansteckung des Partners/der Partnerin zu riskieren.
– Bei HIV-positiven Müttern mit nicht nachweisbarer Viruslast ist das Risiko einer HIV-Übertragung auf das Kind während der Schwangerschaft und unter der Geburt gering. Bei entsprechender medizinischer Betreuung durch Spezialist(inn)en ist daher auch eine vaginale Geburt möglich.
– Weiterhin abgeraten wird jedoch vom Stillen – für eine Änderung der Empfehlung reichen die wissenschaftlichen Daten bisher nicht aus.
3. Hintergründe und Erläuterungen
3.1 Bedeutung von Schleimhautläsionen und sexuell übertragbaren Krankheiten (STDs)
Schleimhautläsionen (Geschwüre, Entzündungen) spielen eine erhebliche Rolle bei der Transmission von HIV: Bei HIV-negativen Partner(inne)n stellen sie eine Eintrittspforte für HIV dar. Bei HIV-positiven Partner(inne)n führen sie zu einer Anreicherung von Immunzellen im Geschwür bzw. in der Entzündung. Da ein Teil dieser Immunzellen mit HIV infiziert ist, reichert sich auch HIV in und um die Läsion herum an.
Schleimhautläsionen kommen z. B. vor bei
– sexuell übertragbaren Krankheiten: Syphilis und Herpesinfektionen führen zu Geschwüren und erhöhen damit am stärksten von allen STDs die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Transmission. Bei anderen STDs ist entscheidend, wie umfangreich die Entzündungsreaktion der Schleimhaut ist: Gonokokken (Tripper) und Chlamydieninfektionen können im Darm zu ausgedehnten Entzündungen führen – während sie im Rachen ggf. nur geringfügige Läsionen verursachen.
– Colitis ulcerosa, Morbus Crohn, Amöbenruhr
– Fisteln von Scheide oder Darm/Anus.
Die Erhöhung der Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung bei gleichzeitig vorliegenden STDs ist bei nicht antiretroviral therapierten Menschen mit HIV in zahlreichen wissenschaftlichen Studien gut belegt (z.B. Laga 1993, Craib 1995, Fleming 1999, Cohen 2005). Für Menschen mit stabiler antiretroviraler Therapie gibt es bislang keine aussagekräftigen epidemiologischen Studien, allerdings wurden Erhöhungen der HIV-Konzentration in den genitalen Sekreten (Schleimhäuten) bei gleichzeitig vorliegender STD nachgewiesen (Sadiq 2002).
Sexuell übertragbare Krankheiten können ganz oder phasenweise asymptomatisch verlaufen. Daher kommt der Diagnostik/dem Screening von STDs auch bei fehlender Symptomatik hohe Bedeutung zu. Folgende Untersuchungen sind möglich und üblich:
– Syphilis Serologie (Blutuntersuchung)
– Herpes Inspektion und Anamnese (Befragung/Krankengeschichte), ob Herpesbläschen oder Geschwüre beobachtet wurden. Die Serologie ist aufgrund der relativ hohen Prävalenz von untergeordneter Bedeutung, denn die Antikörper bleiben lebenslang nachweisbar.
– Chlamydien Abstriche vaginal/zervikal, aus der Harnröhre, aus dem Rektum und dem Rachen. Alternativ oder ergänzend zum Harnröhrenabstrich (beim Mann schmerzhaft) ist eine Urinuntersuchung möglich.
– Gonokokken Abstriche vaginal/zervikal, aus der Harnröhre, aus dem Rektum und dem Rachen. Beim Mann wird ein Abstrich aus der Harnröhre in der Regel bei fehlenden Symptomen nicht für erforderlich gehalten, da Gonokokken – im Gegensatz zu Chlamydien – beim Mann zu Beschwerden in der Harnröhre führen.
3.2 Bedeutung der Viruslast im Blut und in den genitalen/rektalen Sekreten
Einer Senkung der Viruslast im Blut folgt in der Regel auch eine Senkung der Viruslast in den genitalen und rektalen Sekreten und Schleimhäuten. Ausnahmen sind jedoch möglich. Bei einigen wenigen HIV-Positiven, deren Viruslast im Blutplasma länger als ein halbes Jahr unter der Nachweisgrenze war und bei denen keine STDs vorlagen, konnte HIV im Sperma nachgewiesen werden (Nachweisgrenze für Blutplasma 40 Kopien/ml, Nachweisgrenze für Sperma ca. 200 Kopien/ml); allerdings war die gemessene Viruslast in einem niedrigen Bereich (< 1500) und Transmissionen wurden von diesen Fällen nicht berichtet.
Wissenschaftlich ist nicht geklärt, ob es einen Schwellenwert für die Viruslast im Blut bzw. den genitalen Sekreten gibt, unterhalb dessen eine Infektion nicht mehr stattfinden kann.
3.3 Bedeutung von Therapietreue und Therapiekontrolle
Eine „stabile antiretrovirale Therapie“ beinhaltet regelmäßige Kontrollen der Viruslast, in der Regel alle drei Monate. Die Therapie sollte kontinuierlich eingenommen werden, um Schwankungen der Wirkstoffkonzentration und damit die Gefahr einer Entwicklung von Resistenzen mit nachfolgendem Therapieversagen zu minimieren.
Resistenzen und Therapieversagen gehen allerdings nicht ausschließlich auf mangelnde Therapietreue zurück. Auch andere Faktoren können dazu führen, dass die erforderlichen Wirkstoffkonzentrationen im Blut nicht erreicht werden. Ratsuchende sollten in der Beratung auf diese Faktoren hingewiesen werden:
– Wechselwirkungen mit anderen (auch nicht verschreibungspflichtigen) Medikamenten oder naturheilkundlichen Substanzen können zu einem Wirkungsverlust der HIV-Medikamente führen. Die Einnahme anderer Medikamente sollte daher mit dem HIV-Arzt/der HIV-Ärztin abgesprochen werden.
– Erkrankungen können die Aufnahme der HIV-Medikamente in den Körper verzögern oder verhindern (Brechdurchfall, Lymphom, atypische Mykobakteriose).
– Nach Operationen des Magen-Darm-Trakts kann es zur verminderten Aufnahme von Medikamenten kommen.
3.4 Bedeutung der Kommunikation zwischen den Partner(inne)n
Die Präventionsmethode „Senkung der Viruslast unter die Nachweisgrenze“ bedarf – mehr als bei Verwendung von Kondomen – einer funktionierenden Kommunikation zwischen den Sexualpartner(inne)n. Mangelnde Therapietreue oder unbeabsichtigte Therapiepausen (z. B. im Urlaub) sollten thematisiert werden; es sollten dann wieder Kondome verwendet werden.
Grundsätzlich sollten in der Beratung sexuelle „Außenkontakte“ und der Umgang mit ihnen angesprochen werden, auch wenn die Paare zum Zeitpunkt der Beratung davon ausgehen, keine Außenkontakte zu pflegen. Sexuelle Außenkontakte bergen prinzipiell die Problematik, dass STDs erworben werden können und dann ggf. die Voraussetzungen für die Methode „Viruslast“ nicht mehr gegeben sind.
3.5 Vergleich: Stärken und Schwächen von Kondomen und der„Viruslastmethode“
Beide Methoden verfügen über ein unterschiedliches Profil von Vor- und Nachteilen. Beide Methoden lassen sich miteinander oder mit anderen Strategien der Risikosenkung kombinieren. Die Beratung kann bei der Auswahl individuell passender Präventionsmethoden helfen.
3.5.1 Verwendung von Kondomen
Stärken
– kann ohne Abklärung von Vorbedingungen erfolgen
– reduziert das Risiko auch für andere sexuell übertragbare Infektionen (v. a. Syphilis, Tripper, Chlamydieninfektion); eignet sich daher besonders für Sex mit Gelegenheitspartner(inne)n oder für Sexarbeit
– bietet gleichzeitig Schwangerschaftsverhütung (wenn gewünscht).
Schwächen
– Anwendungsfehler möglich: Beschädigung des Kondoms bei der Handhabung, Verwendung ungeeigneter Gleitmittel (z. B. fetthaltiger Öle), Verwendung von Gleitmittel zwischen Kondom und Penis)
– Materialfehler möglich (sehr selten)
– Effektivität sinkt bei nicht durchgehender (100%iger) Verwendung, z. B. infolge Alkoholkonsums vor dem Sex oder erektiler Dysfunktion.
3.5.2 Senkung der Viruslast unter medikamentöser Behandlung
Stärken
– deckt neben den Sexualpraktiken mit hohem HIV-Übertragungsrisiko (Analverkehr, Vaginalverkehr) auch „kleine Risiken“ ab, die sich durch das Kondom nicht reduzieren lassen oder bei denen gewöhnlich kein Kondom verwendet wird, z. B. Oralverkehr, Spermaspiele mit Schleimhautkontakt, Trinken von Muttermilch, nichtinsertive Schleimhaut-Schleimhaut-Kontakte, Blutkontakte
– Schwangerschaft möglich (falls gewünscht).
Schwächen
– erfordert eine Abklärung der Vorbedingungen: die Viruslast ist seit mindestens sechs Monaten unter der Nachweisgrenze von derzeit 40 Viruskopien/ml, Kontrollen der Viruslast erfolgen regelmäßig, d. h. in der Regel alle 3 Monate, die Therapie wird zuverlässig eingenommen und es liegen bei beiden Partnern keine Schleimhautläsionen z. B. durch sexuell übertragbare Erkrankungen vor
– unzureichende Senkung der Viruslast in den genitalen/rektalen Sekreten möglich (selten)
– Anstieg der Viruslast bei Medikamenten-Wechselwirkungen oder Therapieversagen möglich (erfolgt in der Regel langsam und wird bei Kontrollen bemerkt)
– kein Schutz vor anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen.
3.5.3 Wirksamkeit von Kondomen und „Viruslastmethode“
Sowohl die konsequente (100-prozentige) Verwendung von Kondomen (10) als auch die dauerhafte Senkung der Viruslast beim/bei der HIV-positiven Partner/in – bei Abwesenheit von Schleimhautläsionen/STDs bei beiden Partner(inne)n – bieten eine ausreichende Sicherheit zur Vermeidung einer HIV-Infektion, das Restrisiko einer HIV-Übertragung ist vernachlässigbar gering.(11) Bei Kombination beider Methoden nähert sich das Restrisiko gegen Null.
Die Graphik stellt das Transmissionsrisiko für 100 Sexualakte bei diskordanten MSM-Paaren dar (nach Garnett, Gazzard 2008). Die Autoren beziehen sich auf eine Modellrechnung von Wilson et al. (2008), die von einem hohen Transmissionsrisiko ausgeht und den Wert der Methode „Viruslast“ kritisch betrachtet.
3.6 Wissenschaftliche Datenlage zum Thema Viruslast und Infektiosität bei Heterosexuellen und Männern, die Sex mit Männern haben (MSM)
Die epidemiologische Datenlage zum Thema „Viruslast und Infektiosität“ ist für Männer, die Sex mit Männern haben, schlechter als für Heterosexuelle. An dieser Ungleichheit wird sich in den nächsten Jahren voraussichtlich nichts ändern. Die einzige randomisierte Interventionsstudie (HIV Prevention Trial Network 2008), die derzeit zur Senkung der Infektiosität bei antiretroviraler Therapie läuft, hat die Rekrutierung abgeschlossen und kein einziges MSM-Paar eingeschlossen.
Darf man nun MSM eine bei Heterosexuellen beeindruckend wirkende Präventionsmethode so lange vorenthalten, bis auch zu MSM Daten vorliegen, oder ist es nicht angesichts der deutlich höheren HIV-Inzidenz bei MSM geboten, Analogieschlüsse zu ziehen und Empfehlungen auf geringerem Evidenzniveau auszusprechen, um gerade bei MSM alle Möglichkeiten in der Prävention nutzen zu können?
Es ist nicht anzunehmen, dass sich der Zusammenhang zwischen Viruslast und Infektiosität grundlegend anders bei MSM als bei Heterosexuellen darstellt. Sowohl bei HIV-positiven Heterosexuellen als auch bei MSM senkt eine effektive antiretrovirale Therapie die Viruslast auf ein tausendstel bis zehntausendstel. Bei Heterosexuellen ist durch Kohortenstudien erwiesen, dass es bei Erfüllung der o. g. Bedingungen praktisch zu keinen Infektionen mehr kommt (Barreiro, 2006, Bernasconi 2001, Castilla 2005, Melo 2006, Quinn 2000, Gray 2001). Für MSM liegen solche Kohortenstudien nicht vor. Lediglich eine epidemiologische Studie mit MSM in San Francisco belegt eine deutliche Reduktion der Infektiosität nach Einführung der antiretroviralen Therapie (Porco 2004). Beobachtungen aus klinischen Kohorten und der Praxis weisen darauf hin, dass auch bei MSM-Paaren eine ähnliche Reduktion der Infektiosität zu beobachten ist.
Auch wenn man einen „Sicherheitsfaktor“ einbezieht (und die Möglichkeit in Betracht zieht, dass die Effektivität der Methode bei MSM bzw. bei Analverkehr geringer sein sollte als bei Heterosexuellen), kann man mit einer Wirksamkeit rechnen, die die Wirksamkeit bei der Verwendung von Kondomen erreicht oder übersteigt (s. oben).
3.7 Individuelle Ebene und Public Health
Auf der individuellen Ebene gibt es derzeit wissenschaftlich kaum mehr Kontroversen darüber, dass eine Transmission bei Einhaltung der Kriterien (Viruslast mindestens ein halbes Jahr unter der Nachweisgrenze, Therapietreue, keine Schleimhautläsionen) eine HIV-Übertragung unwahrscheinlich ist.
Anders stellt sich die Situation auf Public-Health-Ebene dar. Hier gibt es Befürchtungen, dass es durch die Aufnahme der „Viruslastmethode“ in die Prävention zu einem Anstieg der HIV-Neuinfektionen kommen könnte: In einer südwestpazifischen Stellungnahme (Wilson 2008) zur Veröffentlichung der Eidgenössischen Kommission für Aidsfragen (2008) wird anhand eines mathematischen Modells angenommen, dass HIV-Positive mit stabiler ART, die bisher Safer Sex praktiziert haben, nun in großem Umfang auf Kondome verzichteten. Ausgehend von der Annahme, dass durch die Verwendung von Kondomen bei stabiler ART das Risiko einer HIV-Übertragung gegen Null sinkt, nehmen Wilson et al. an, dass das Risiko (auf das Restrisiko-Niveau der verbleibenden Methode) steigt, wenn auf eine der beiden Methoden verzichtet wird. Insgesamt könnte es bei diesem Szenario tatsächlich zu einem „Risiko–anstieg“ und damit auf die Bevölkerung bezogen zu einem potenziellen Zuwachs an Infektionen kommen – auch wenn das Risiko für das Individuum vernachlässigbar gering bleibt.
Diese Position lässt verschiedene Argumente außer Acht:
– Die Kriterien für die Verwendung der „Viruslast-Methode“ sind streng gefasst; es kommen nur relativ wenige Personen dafür in Frage; seit Veröffentlichung der EKAF-Information vor einem Jahr konnten wir keine Reduktion der Kondomverwendung beobachten.
– Die Prävention hat seit 25 Jahren mit der Propagierung der Botschaft „Safer Sex“ genau diese Höhe eines Restrisikos toleriert. Für das Individuum wäre es nicht nachvollziehbar, wenn ein noch kleineres Restrisiko nicht toleriert würde. In der Prävention fokussieren wir seit 25 Jahren auf den Schutz, den eine Methode (z.B. Kondomverwendung) bietet, und nicht auf das sehr geringe Restrisiko.
– Die Aussicht, kaum mehr infektiös zu sein, kann für Menschen mit HIV einen Anreiz darstellen, rechtzeitig mit einer Therapie zu beginnen und die Therapie auch konsequent fortzusetzen. Derzeit beginnen zu viele Menschen mit HIV zu spät mit der Therapie; ca. 30 % der Neudiagnostizierten sind sog. „late presenter“.
Insgesamt kann die DAH den Befürchtungen nicht folgen, es könnte zu einer Zunahme der Infektionen kommen, wenn die „Viruslast-Methode“ in der Prävention eingesetzt wird. Im Gegenteil: die DAH sieht in dem Nutzen, den die antiretrovirale Therapie bietet, eine Chance in der Prävention.
3.8 Literatur (Auswahl)
[Literatur hier nicht dokumentiert; siehe Positionspapier auf aidshilfe.de]
– – –
Anmerkungen:
(1) Siehe hierzu die Erläuterungen unter 3.
(2) Papier „Neue Wege sehen – neue Wege gehen!“, vom Delegiertenrat der DAH in seiner Sitzung vom 7. bis 9. März 2008 in Abstimmung mit dem Vorstand verabschiedet
(3) Hier: ein/e Partner/in ist HIV-positiv getestet, der oder die andere HIV-negativ.
(4) Sie tut dies im Folgenden vor allem mit Blick auf diejenigen Individuen und Gruppen, die sie vertritt und mit denen und für die sie arbeitet: die Menschen, die mit HIV/Aids leben, und die von HIV, Aids, Hepatitis und anderen sexuell und beim Drogenkonsum übertragbaren Krankheiten besonders Bedrohten und Betroffenen.
(5) Die Safer-Sex-Regeln im engeren Sinn lauten: Beim Anal- und Vaginalverkehr Kondome benutzen, beim Oralverkehr kein Blut oder Sperma in den Mund gelangen lassen (für die Zielgruppe der Männer, die Sex mit Männern haben, z. B. in der Formulierung „Ficken mit Kondom. Beim Blasen raus bevor’s kommt.“). Im weiteren Sinne kann man unter „Safer Sex“ Maßnahmen verstehen, mit denen man verhindert, das HIV in einer für eine Ansteckung ausreichenden Menge in den Körper oder auf Schleimhaut gelangt.
(6) durch die Benutzung von Kondomen beim Anal-, Vaginal- und Oralverkehr und den Verzicht auf Zungenküsse
(7) Vgl. Aids-Hilfe Schweiz: Rahmen- und Positionspapier: Sexuelles Risikomanagement – April 2007/Januar 2008. Vom Vorstand an seiner Sitzung vom 24. April 2007 verabschiedet und für verbindlich erklärt. Aktualisiert am 30. Januar 2008. Bern: Aids-Hilfe Schweiz 2008
(8) Vgl. ebenda.
(9) Beide Partner/innen sollten drei Monate konsequent Kondome beim Anal- und Vaginalverkehr einsetzen, kein Blut/Sperma in den Körper oder auf Schleimhäute gelangen lassen und sich anschließend auf HIV testen lassen. Bis zur Mitteilung der Testergebnisse muss weiter konsequent Safer Sex betrieben werden. Fallen die HIV-Tests negativ aus, kann innerhalb der Partnerschaft auf Kondome verzichtet werden, sofern bei sexuellen Kontakten außerhalb der Partnerschaft die oben genannten Schutzmaßnahmen ergriffen werden. Das setzt allerdings großes Vertrauen und Offenheit voraus: Bei ungeschützten Kontakten außerhalb der Beziehung müssen die Partner/innen miteinander reden und sich beim Sex wieder schützen, bis sie das geschilderte Vorgehen wiederholt haben.
(10) Generell nimmt man an, dass Safer Sex das Risiko einer HIV-Übertragung um 95 % senkt. Restrisiken bestehen durch Anwendungsfehler, Materialfehler und sog. „kleine Risiken“ beim Sex, die durch das Kondom nicht abgedeckt werden oder bei denen in der Regel kein Kondom verwendet wird (Oralverkehr, andere Schleimhaut-Schleimhaut-Kontakte, Blutkontakte). Eine Cochrane-Analyse (Weller et al. 2006) bei Heterosexuellen berechnete einen Schutzeffekt von 80 %. Bei MSM geht man im Allgemeinen von einer geübteren Handhabung und daher von einem höheren Schutzeffekt (95 %) aus als bei Heterosexuellen. Eine Cochrane-Analyse zur Sicherheit von Kondomen bei MSM gibt es nicht.
(11) Bei beiden Methoden –der Verwendung von Kondomen und der Viruslastmethode – kann es in seltenen Fällen trotz korrekter Einhaltung der Regeln zu HIV-Transmissionen kommen; bei der Viruslastmethode ist bislang ein solcher Fall dokumentiert (Stürmer 2008).
[Das Positionspapier der DAH findet sich auch online auf dem Internetangebot der Deutschen Aidshilfe als pdf]
Über sexuell übertragbare Krankheiten informiert eine neue Broschüre speziell für Frauen, die Sex mit Frauen haben.
Sexuell übertragbare Krankheiten werden auch heute noch häufig tabuisiert. Sexuell übertragbare Krankheiten richten sich nicht nach der sexuellen Orientierung – sie betreffen Heterosexuelle ebenso wie Schwule und Lesben.
Speziell an Frauen, die Sex mit Frauen haben, wendet sich eine neue von der Deutschen Aids-Hilfe herausgegebene Broschüre:
Die Deutsche Aids-Hilfe schreibt über die neue Broschüre:
„Auch wenn es kein Thema in Lehre und Forschung ist, sexuell übertragbare Krankheiten und HIV/Aids machen auch vor Lesben nicht halt. Frauen, die (meist nur) Sex mit Frauen haben, können sich beim Sex die eine oder andere unangenehme Infektion einfangen. Die Broschüre informiert über sexuell übertragbare Krankheiten und richtet sich an alle Frauen, die Sex mit Frauen haben: an Lesben, bisexuelle Frauen, Femmes, Butchs, KVs, Queens, Drags, Dragkings, Lessies, Dykes … und an Trans* – Transgender, Transindente, Transsexuelle. Sie gibt die wichtigsten Informationen über Safer Sex, geht auf das STD-Risiko zwischen Frauen ein und zeigt auf, wie sich Frauen schützen können. Anschließend macht sie die häufigsten STDs zum Thema: wie sie übertragen werden, woran man sie erkennen kann und wie sie behandelt werden. Weitere Informationsquellen stehen am Ende der Broschüre.“
‚Frauenlust – und ws ist mit sexuell übertragbaren Krankheiten?‘
Deutsche Aids-Hilfe
Broschüre, Bestellnummer 023009
Berlin 2009 Format A5, 56 Seiten
Direkt-Link zur online-Bestellung hier
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Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH) kritisiert die im Vorfeld der ersten Afrika-Reise von Papst Benedikt XVI. gemachten Äußerungen gegen den Kondomgebrauch zum Schutz vor einer HIV-Infektion auf das Schärfste. Angesichts des millionenfachen Leids durch HIV und Aids auf dem afrikanischen Kontinent ist die kategorische Ablehnung des Kondoms durch den Vatikan zynisch und menschenverachtend.
Die DAH teilt die Kritik vieler Selbsthilfe- und UN-Organisationen wie UNAids: Altersgerechte Information, Aufklärung und der Zugang zu Kondomen und antiretroviralen Medikamenten sind der Schlüssel zur Eindämmung der Aids-Epidemie.
Die Deutsche AIDS-Hilfe fordert Papst Benedikt XVI auf, seine kompromisslose Haltung gegen das Kondom aufzugeben und die HIV-Prävention nicht länger zu behindern.
Dazu erklärt Tino Henn, Bundesvorstand der Deutschen AIDS-Hilfe e.V.: „Die Äußerungen von Papst Benedikt, Kondome würden das Aids-Problem in Afrika nicht lösen, sind unverantwortlich. Mit solchen Worten kann keine Botschaft der Hoffnung und Versöhnung nach Afrika gebracht werden, wie es der Vatikan beabsichtigt. Kondome sind unverzichtbarer Teil der weltweiten Aufklärungs- und Präventionskampagnen. Die Botschaft „Kondome schützen vor einer HIV-Infektion“ ist so einfach wie wirksam. Der Vatikan darf die Prävention nicht länger massiv behindern. Er versündigt sich – um die Sprache der Katholischen Kirche zu benutzen – dadurch nicht nur an den Gläubigen, sondern an der gesamten Menschheit.“
Anlässlich des Internationalen Frauentages (International Women’s Day) am 8. März fordert die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH) Politik, Medien und Gesellschaft auf, dem Thema „Frauen und HIV/Aids“ endlich mehr Aufmerksamkeit zu schenken und es zu enttabuisieren.
Die Lebensqualität und die Lebenserwartung von Menschen mit HIV und Aids haben sich – zumindest in den Industrieländern – aufgrund der zur Verfügung stehenden antiretroviralen Therapie in den letzten Jahren deutlich verbessert. Allerdings zeigen aktuelle Studien, dass es signifikante Unterschiede bei der medizinischen Behandlung von Frauen und Männern gibt. Diese Erkenntnisse beziehen sich sowohl auf das Ansprechen und die Nebenwirkungen von Medikamenten als auch auf die psychische Situation.
„Leider gibt es nach wie vor noch zu wenig wissenschaftliche Studien, die geschlechtsspezifische Unterschiede im Krankheitsverlauf und bei der Behandlung von HIV-Infektionen untersuchen. Die geschlechterspezifische Forschung in der Medizin, der Pharmakologie und den Sozialwissenschaften muss dringend intensiviert werden“, fordert Marianne Rademacher, Ärztin und Referentin für Frauen in der DAH.
Die „Bundesweite Arbeitsgruppe Frauenarbeit in Aidshilfe“ wendet sich anlässlich des Internationalen Frauentags wieder mit einer Plakat- und Postkartenaktion sowie zahlreichen Veranstaltungen gezielt an Frauen: Ziel der Veranstaltungen ist vor allem die Förderung der Solidarität mit den von HIV und Aids betroffenen Frauen. Der Veranstaltungskalender der regionalen Aidshilfen kann im Internet herunter geladen werden (pdf).
Anlässlich des Internationalen Frauentags erklärt Sylvia Urban, Bundesvorstand der DAH: „Von den mit HIV und Aids lebenden Menschen sind weltweit fast die Hälfte Frauen – in Deutschland sind es gut 20 Prozent. Um weitere Neuinfektionen wirksam zu bekämpfen, engagiert sich die DAH im Rahmen der strukturellen Prävention zielgruppenspezifisch für einen besseren Schutz der Frauen vor HIV und anderen sexuell übertragbaren Erregern. Zu den Hauptursachen vieler Gesundheitsprobleme gehören der schlechtere Zugang zu Informationen und zum Hilfesystem, sexuelle Gewalt gegen Frauen sowie eine prekäre wirtschaftliche und soziale Situation, unter der gerade auch allein erziehende Mütter häufig zu leiden haben. Daher setzt sich die DAH für einen verbesserten Zugang von Frauen zur HIV-Prävention und gegen Gewalt gegen Frauen ein.“
In Bayern werden Gefangene seit Jahresbeginn 2009 zur Kasse gebeten, wenn sie den Anstaltsarzt aufsuchen. Eine zynische Lösung, wenn de facto keine Arztwahl bestehe, meint die DAH.
Im Folgenden die Pressemitteilung der DAH als Dokumentation:
Befürchtungen, die Übertragung der Gesetzgebungskompetenz für den Strafvollzug auf die Länder könnten zu einer Verschlechterung des Standards in den Gefängnissen führen, scheinen wahr zu werden: Seit Januar bittet das Bayerische Justizministerium Gefangene zur Kasse, wenn sie einen Anstaltsarzt aufsuchen. Ermöglicht wird dies durch eine Regelung, die „die angemessene Beteiligung der Gefangenen an den Kosten der Krankenbehandlung“ (vgl. z.B. Art. 63 Abs. 2 BayStVollzG) vorsieht. Dahinter verbirgt sich der politische Wille des Gesetzgebers, dass auch im Bereich der Gesundheitsfürsorge die Eigenverantwortung der Gefangenen verstärkt und dem Äquivalenzprinzip Rechnung getragen werden soll, da den Gefangenen ein weitgehender Anspruch auf Gesundheitsfürsorge durch die Justizvollzugsanstalt zugebilligt werde.
Dazu erklärt Winfried Holz, Bundesvorstand der Deutschen AIDS-Hilfe e.V. (DAH): „Im Klartext bedeutet diese „Zuzahlungspauschale“ die Einführung der ´Praxisgebühr´ und die Kostenbeteiligung an Medikamenten. Da im Justizvollzug aber faktisch keine freie Arztwahl besteht, ist diese Praxis zynisch, denn der Anspruch auf Gesundheitsfürsorge wird eingeschränkt. So hat z.B. der Gefangene bei schweren Erkrankungen wie HIV und Aids keine Möglichkeit, einen Facharzt zu konsultieren, wenn der Anstaltsarzt dies nicht veranlasst. Ein so genanntes ‚Ärztehopping‘ – Hauptbegründung für die Einführung der Praxisgebühr außerhalb der Gefängnismauern – ist daher überhaupt nicht möglich und auch nicht gegeben.“
„Ausgerechnet an dieser Stelle wird mit dem Äquivalenzprinzip argumentiert, obwohl sich die Justizminister seit Jahrzehnten erfolgreich gegen die Angleichung der medizinischen Standards und Präventionsmöglichkeiten wehren, die außerhalb des Vollzuges bestünden“, erläutert Bärbel Knorr, DAH-Mitarbeiterin Drogen & Menschen in Haft. „Mit einer wirklichen Angleichung würde der Justizvollzug seiner Verantwortung allerdings gerecht werden, weil den Gefangenen dadurch eine Chance geboten würde, Eigenverantwortung für ihre Gesundheit zu übernehmen. Diese Angleichung ist aber nicht gegeben. Der bayerische Vollzug erfüllt nicht einmal die Minimalstandards der Suchtmedizin, wie zum Beispiel die Substitution und Infektionsprophylaxe bei Drogengebrauchern in Haft“, so Knorr.
Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz, das die Kostenbeteiligung seit dem 1.1.2009 eingeführt hat, verweist auf die „seit 2001 kontinuierlich gestiegenen Kosten der ärztlichen Behandlung sowie der Versorgung mit Arznei- und Hilfsmitteln“. Dazu meint Winfried Holz von der DAH: „Wenn Bayern das Äquivalenzprinzip ernst nähme, dann dürfte z.B. von HIV-Infizierten Gefangenen, die nur über ein Taschengeld von 30,- EUR im Monat verfügen, nur 0,90 EUR im Quartal an Zuzahlung verlangt werden (also auf den Monat umgerechnet 0,30 EUR). Die Verwaltungskosten für diese Praxis dürften den scheinbaren Einspareffekt bei weitem überschreiten.“
Ländliche Polit-Posse oder klein(geistig)e Kunst-Zensur?– irgendwie ist es von beidem etwas, was sich neulich in der Schwaben-Metropole Stuttgart zugetragen hat.
Die Stadt Stuttgart hat die „größte Selbsthilfekonferenz Europas“ (Programmheft) zu sich ins Rathaus eingeladen, die von der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) veranstalteten „Positiven Begegnungen 2009“. Und da es offenbar noch immer keine Selbstverständlichkeit ist, „so eine“ Veranstaltung in der guten Stube der Stadt willkommen zu heißen, sei es auch hier lobend bemerkt.
Man ist freundlich und offen zu den über 400 (meist HIV-positiven) Gästen, der Oberbürgermeister übernimmt die Schirmherrschaft, und zur Eröffnung gibt es warme Worte der Bürgermeisterin Müller-Trimbusch.
Das Schwerpunkt-Thema der Konferenz ist „Stigmatisierung und Diskriminierung“, und so erklärt denn die Bürgermeisterin auch: „Die Entstigmatisierung von Menschen mit HIV und AIDS ist eine der großen Aufgaben der nächsten Jahre. (…) Die Stadt Stuttgart unterstützt dieses Anliegen (…) Dass die Konferenz hier im Rathaus stattfindet, unterstreicht die besondere Bedeutung, die wir dem Thema beimessen.“
Alles sehr gut, sehr schön und wunderbar! – wäre da nicht diese peinliche Posse am Rande; am Rande zwar, aber doch mitten im Thema der Konferenz:
Noch vor Beginn der Veranstaltung, während draußen auf dem Platz die Fahnen der Aidshilfe gehisst werden, kommt es drinnen im Rathaus zum Eklat.
Im Foyer wird die Konferenz-Ausstellung „Bilder eines Stigmas“ von den Amtsträgern begutachtet und stößt auf Mißfallen.
(„Das Stigma ruft Ablehnung, Beklemmung oder Unbehagen bei Dritten hervor.“ Programmheft)
Bürgermeisterin Müller-Trimbusch verlangt vom Veranstalter DAH, daß etliche Fotos abgehängt werden müssen, so etwas ginge in einem schwäbischen Rathaus nicht.
Mit „so etwas“ sind Bilder von Frauen gemeint, die den Mut haben, sich und ihr Stigmatisiertsein zu zeigen, zu inszenieren, und damit offensiv und selbstbewußt ihre Würde und ihre Schönheit dem Stigma entgegen zu stellen.
Wunderbare Bilder einer begabten Photografin. Und, ja: diese Frauen sind teilweise unbekleidet!
(„In aller Regel versuchen Menschen, die von Stigmatisierung betroffen sind, sich ‚unsichtbar zu machen’. D.h. sie verbergen die sie stigmatisierenden Merkmale.“ Programmheft)
Nur kurz unterbrochen vom oben zitierten Auftritt der Bürgermeisterin bei der Eröffnungsveranstaltung, geht hinter den Kulissen der Tagung das Ringen zwischen Rathaus und Aidshilfe weiter. Die Frage ist: wieviel Entstigmatisierung verträgt die Gastfreundschaft des Rathauses? Das Ergebnis: die Bilder „dürfen“ doch gezeigt werden, alle, bis auf eines!
Dazu wird der anfänglich vorgeschobene Vorwurf des Sexismus nun von der Bürgermeisterin fallengelassen, und ersetzt durch den Hinweis, die religiösen Gefühle von Minderheiten schützen zu wollen.
(„Der Vorgang der Stigmatisierung verläuft häufig auf der Ebene von Vorurteilen und Klischees.“ Programmheft)
Und also geht das peinliche Theater des Rathauses weiter: der Hinweis „Zensiert“, welchen die Aidshilfe an die Leerstelle gehängt hat, die das zensierte Bild in der Ausstellung hinterlassen hat, wird von diensttuenden Geistern immer wieder entfernt. Man fürchtet um den guten Ruf der Stadt, der dadurch aber nur noch mehr Blessuren bekommt.
Der Ton verschärft sich, und schließlich steht die Drohung des Rathauses im Raum, die gesamte Ausstellung zwangsweise abzubauen, schlimmstenfalls auch die Konferenz einfach zu beenden.
(„Stigmatisierung und Diskriminierung gehen in der Regel Hand in Hand.“ Programmheft)
An diesem Punkt kommen einige Konferenzteilnehmer der DAH ungebeten und auf eigene Faust zu Hilfe und informieren durch kleine Aushänge überall im Rathaus über den Vorfall.
(„Engagierte Selbsthilfegruppen und funktionierende Netzwerke sind unverzichtbar.“ Programmheft, Grußwort der Landessozialministerin Stolz)
Es kommen Gespräche unter den Teilnehmenden über die Ausstellung und das Verhalten des Rathauses in Gang ( – gottseidank aber ohne die eigentliche Arbeit zu übertönen, schließlich ist es nur ein Randgeschehen). Unverständnis und eine gewisse Empörung machen sich Luft.
(„Damit machen sie vielen Menschen Mut und helfen mit, dass sachgerechte und auf Erfahrung basierende Entscheidungen getroffen werden können.“ Programmheft, Grußwort der Landessozialministerin Stolz)
In der folgenden Plenarsitzung erläutert nun der DAH-Vorstand (der die Sache bisher aus Rücksicht auf die Gastfreundschaft hinter den Kulissen ausgefochten hat) den 400 Teilnehmenden die Vorgänge.
Das inkriminierte Foto, das ohne das ganze Theater dezent unter zwanzig anderen in der Ausstellung gehangen hätte, strahlt jetzt als 12 Quadratmeter-Diashow im Großen Sitzungssaal und wird vom Publikum mit ausgiebigem Beifall bedacht.
(„ Sich dem Fremd- und Selbststigma zu stellen, erfordert Mut und eine gewisse Kraft zur Auseinandersetzung. Am Ende des Prozesses kann jedoch eine neu gewonnene (innere) Freiheit stehen, die mehr Unabhängigkeit, Selbstzufriedenheit und Identitätsstärkung beinhaltet.“ Programmheft)
Kann man nun aus dieser Posse etwas lernen?
Zumindest hat sich einmal mehr gezeigt, daß sich Zensur nicht lohnt, daß sie im besten Fall sogar – wie hier – den Zensor bloßstellt.
Und für die Aidshilfe war es gewiss gut, wieder einmal zu erleben, daß sie sich gegen Versuche, ihre Arbeit aus sachfremden (meist parteipolitischen) Gründen zu behindern, erfolgreich wehren kann – mit Unterstützung ihrer „Zielgruppen“.
Insofern gehört auch dieser kleine „Bilderkampf“ zu den fruchtbaren Erlebnissen, die die Schwabenmetropole möglich gemacht hat.
Ob aber im Stuttgarter Rathaus auch etwas gelernt wurde, ist zu bezweifeln…
Im Folgenden als Dokumentation die Rede von Tino Henn, Vorstandsmitglied der deutschen Aids-Hilfe, anlässlich der Eröffnung der ‚Positiven Begegnungen 2009‚.
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,
liebe Freundinnen und Freunde,
im Namen des Vorstands der Deutschen AIDS-Hilfe e. V. heiße ich Sie herzlich willkommen zu den Positiven Begegnungen 2009.
„Positive Begegnungen“ – der Name dieser Konferenz zum Leben mit HIV, der größten Selbsthilfekonferenz in Europa, ist Programm: HIV-Positive begegnen anderen Menschen mit HIV, und sie begegnen ihrer sozialen Umwelt. Es geht bei dieser Veranstaltung darum, sich auszutauschen, sich selbst und andere zu hinterfragen und gemeinsam Strategien zu entwickeln, um ein möglichst gutes Leben mit HIV zu ermöglichen. Dazu gehört – getreu unserem Konzept der Strukturellen Prävention – ganz zentral, Strukturen zu verändern, die uns behindern, diskriminieren und stigmatisieren.
Was brauchen wir dafür? An erster Stelle Mut. Zum Beispiel den Mut, das Leben mit HIV und anderen „versteckten Behinderungen“ in die Öffentlichkeit zu tragen – etwa ins Stuttgarter Rathaus, mitten in die Schwabenmetropole. Lassen Sie mich an dieser Stelle der Stuttgarter Stadtverwaltung für ihre Gastfreundschaft unseren herzlichen Dank aussprechen und zugleich die Bürgermeisterin der Stadt Stuttgart des Referats für Soziales, Jugend und Gesundheit Frau Gabriele Müller Trimbusch herzlich willkommen heißen!
Mut gehört dazu, meine Damen und Herren – das war schon das Motto des zweiten Europäischen Positiventreffens, das 1988 in München stattfand. Mut, offen als Positiver auf die Straße zu gehen. Mut, Diskriminierung zu benennen und etwas dagegen zu tun.
Lassen Sie mich kurz auf zwei Themen eingehen, mit denen wir uns auf dieser Konferenz beschäftigen wollen, um gemeinsam und mit neuem Mut für unsere Interessen einzutreten: die Einschränkungen für HIV-Positive im Erwerbsleben und die soziale Sicherung für Menschen mit HIV und Aids.
Meine Damen und Herren, die Medikamente gegen HIV ermöglichen es vielen Positiven, über Jahre und Jahrzehnte gut mit dem Virus zu leben. Dennoch wird die Infektion häufig zum Problem für Beruf und Karriere. Da stellen sich Fragen wie „Erzähle ich meinem Arbeitgeber und den Kollegen davon?“, „Muss ich Nachteile befürchten?“, „Werden mich die Kollegen meiden oder sogar mobben?“ oder auf den ersten Blick nicht so präsente Fragen wie „Was passiert, wenn mich mein Arbeitgeber zu einem Auslandsaufenthalt zum Beispiel nach China schicken will, wo Menschen mit HIV, wie in einigen anderen Ländern auch, kaum ein Arbeitsvisum und manchmal gar keine Einreiseerlaubnis bekommen?“.
Sie sehen, es braucht viel Kraft, Selbstbewusstsein und Kreativität, um sich am Arbeitsplatz zu outen und sich dagegen zu wehren, ins Abseits geschoben zu werden. Und es braucht Arbeitsagenturen, Jobcenter, Arbeitgeber und Arbeitsmediziner, die mit gutem Beispiel vorangehen. Die für Menschen mit HIV und anderen chronischen Krankheiten oder Behinderungen diskriminierungsfreie Bedingungen schaffen. Es braucht Menschen und Organisationen, die weiterhin dafür kämpfen, dass Einreise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Menschen mit HIV und Aids weltweit abgeschafft werden.
Ein Arbeitgeber, der mit gutem Beispiel vorangeht, ist die Daimler AG, und deshalb freue ich mich sehr, Herrn Dr. Norbert Otten, Leiter Politische Aussagen und Public Policy, heute als unseren Gast begrüßen zu können. Wir danken der Daimler AG für die eben überreichte Spende von 5000,- €.
Bereits 1991 hat das Unternehmen erstmals eine Richtlinie zur Nicht-Diskriminierung infizierter Mitarbeiter verabschiedet. Im Jahr 2005 wurde eine konzernweite Richtlinie eingeführt, in der sich das Unternehmen gegen die Diskriminierung von Menschen mit HIV und Aids ausspricht, Betroffenen Vertraulichkeit zusichert und sich für Präventionsmaßnahmen einsetzt. HIV/Aids wird bei der Daimler AG als chronische Krankheit behandelt. Ein Beispiel, das hoffentlich Schule macht – dafür setzen wir uns ein.
Mut und Engagement, meine Damen und Herren, brauchen wir auch für das zweite von mir genannte Thema, das uns immer drängender beschäftigt: Die soziale Sicherung von Menschen mit HIV hat sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Hierzu trugen und tragen viele Faktoren bei. Zum Beispiel:
die Einführung von Hartz IV,
die Verschlechterungen bei den Erwerbsminderungsrenten,
die sehr niedrigen Rentenerhöhungen,
die Streichung bisher gewährten Mehrbedarfs.
Die Gesundheitsreformen, die Änderungen im SGB, besonders das Hartz-IV-Gesetz und dessen Folgen, haben besonders für sowieso schon niedrige Einkommensbereiche wie Bezieher von Hartz IV und von Grundsicherung negative Auswirkungen. Mit großer Sorge, häufig auch mit Wut und Empörung, beobachten wir diese Veränderungen. Der Sozialstaat gerät immer stärker unter Druck. Die Folge: überall in Deutschland lebt ein nennenswerter Anteil der Menschen mit HIV in Armut oder nahe an der Armutsgrenze. Die Deutsche AIDS-Hilfe wird sich daher verstärkt dafür einsetzen, dass sich Sozialleistungen endlich am realen Bedarf orientieren und nicht noch weiter gekürzt werden. Wir appellieren an die Politikerinnen und Politiker und an das Bundesministerium für Gesundheit und das Bundesministerium für Arbeit und Soziales, die Weichen für einen sozialen Schutz von Menschen mit HIV oder anderen chronischen Erkrankungen zu stellen. Bei den diesjährigen, aber auch den zukünftigen Wahlen werden wie sie an ihren Taten messen.
Ohne das jahrzehntelange Engagement von vielen Einzelnen stünden wir jetzt nicht hier, wären wir nicht so weit. Jeder, der sich engagiert und mitmacht, ist Vorbild für andere innerhalb der Community. Und die Selbsthilfebewegung von Menschen mit HIV und Aids, die selbstbestimmt und selbstverantwortlich handeln, ist oft Vorbild für andere. Darauf können wir stolz sein, und darauf sind wir auch weiterhin angewiesen. Denn nur so und nur gemeinsam können wir die Herausforderungen, die auf uns zukommen, meistern. Und davon wird es auch in Zukunft mehr als genug geben.
Ich danke allen, die an der Vorbereitung dieser Konferenz mitgewirkt haben: der Vorbereitungsgruppe, den Helferinnen und Helfern in Stuttgart, unserem Ehrenmitglied Laura Halding-Hoppenheit, der AIDS-Hilfe Stuttgart, den Küchenkräften und nicht zuletzt den Kolleginnen und Kollegen in der Bundesgeschäftsstelle in Berlin.
Meine Damen und Herren, liebe Freunde, ich wünsche uns allen, dass wir miteinander ins Gespräch kommen, Ideen entwickeln, Dinge anstoßen und mit Mut, Entschlossenheit und Kraft nach Hause zurückkehren. Mögen die Positiven Begegnungen uns viele positive Begegnungen bringen!
Die Deutsche Aids-Hilfe hat die Dokumentation zur Fachtagung „HIV/Aids _ Ethische Perspektiven“ (Juni 2008) vorgestellt.
Die Konferenz “HIV/Aids – Ethische Perspektiven” fand vom 19. bis 21. Juni 2008 in Frankfurt am Main statt.
Inzwischen liegt die Dokumentation dieser Fachtagung vor. Sie kann bei der Deutschen Aids-Hilfe bestellt werden und steht auch als pdf zur Verfügung.
Die DAH schreibt zur Dokumentation:
„Politik, Medien, Kirchen, Medizin, Forschung, Pharmaindustrie, Gesundheits- und Aidsorganisationen: Alle Beteiligten im HIV- und Aidsgeschehen handeln auf der Basis von Prinzipien, Überzeugungen, Moral und Werten. Die ethischen Grundlagen des Umgangs mit HIV und Aids im Zusammenhang mit Grundwerten unserer Gesellschaft genauer zu betrachten, war Thema der Fachtagung HIV/Aids – Ethische Perspektiven. Die Tagung bot Möglichkeiten, sich mit ethischen Fragen rund um HIV/Aids einmal fernab vom Alltagsgeschehen zu beschäftigen, eigene Positionen zu klären und in Auseinandersetzung zu gehen. Dabei zeigte die Tagung, wie unterschiedlich die Sichtweisen auf HIV/Aids sein können und verdeutlichte, dass die Bilder vom „alten Aids“ außerhalb von Aidshilfe nach wie vor prägend sind. Ziel dieser Tagungsdokumentation ist, die Leserin und den Leser an den Kontroversen zwischen universitärer Wissenschaft und Aidshilfe teilhaben zu lassen. Der Inhalt der Dokumentation wurde nach Relevanz für Aidshilfen ausgewählt. Dazu wurden die Vorträge und Diskussionen an einigen Stellen zusammengefasst und teilweise durch Gastbeiträge vertieft. Alle Beiträge basieren auf den Vorträgen, Podiumsdiskussionen und Workshops der Tagung.“
HIV/Aids – Ethische Perspektiven
Interdisziplinäre Fachtagung der Deutsche AIDS-Hilfe e.V. gemeinsam mit der Goethe-Universität Frankfurt am Main
Dokumentation als pdf
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