NRW: HIV-positiver Drogengebraucher stirbt an Milzbrand (akt.)

Ein HIV-positiver drogengebrauchender Mann ist in Nordrhein-Westfalen an den Folgen von Milzbrand (Anthrax) gestorben. Über diesen selten auftretenden Fall berichtet das Robert-Koch-Institut (RKI).

Das RKI erläutert:

„Aus Nordrhein-Westfalen (Städte Region Aachen) wurde der Fall eines 42-jährigen Mannes übermittelt, der am 13.12.2009 an den Folgen von kutanem Milzbrand verstorben ist. Der Mann hatte sich vermutlich Heroin intravenös in die Kniekehle injiziert. Im Wundabstrich von der Injektionsstelle wurden aerobe Sporenbildner diagnostiziert. Die Verdachtsdiagnose Milzbrand wurde am 18.12.2009 mittels PCR bestätigt. Neben einem chronischen intravenösen Drogenabusus lagen bei dem Verstorbenen eine chronische Hepatitis B und C, eine HIV-Infektion sowie ein chronischer Alkohol- und Benzodiazepinabusus vor.“

Das RKI weist auf ähnliche Fälle in Schottland hin:

„In den letzten Wochen wurden aus Schottland wiederholt Fälle von Milzbrand nach intravenösem Heroinabusus bekannt. Bislang haben die schottischen Behörden Kenntnis von 14 Fällen, von denen 7 verstarben (Stand 11.1.2010). Soweit bekannt ist, hatte der Aachener Fall keine direkte Verbindung zu Schottland.“

Nachtrag 18.01.2010: Über den Fall berichtet das RKI auch in der Ausgabe 02/2010 des Epidemiologischen Bulletins „Kutaner Milzbrand nach intravenösem Heroinabusus“ (S. 15)

weitere Informationen
RKI 14.01.2010: Milzbrand-Todesfall bei einem i.v. Drogenkonsumenten in Nordrhein-Westfalen
RKI: Milzbrand (Anthrax) – Kurzinformation anlässlich eines Milzbrand-Todesfalles bei einem i.v. Drogenkonsumenten im Dezember 2009 in Deutschland
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New York: Kontroverse um Safer Use

Risiken minimieren, HIV-Infektionen vermeiden – auch beim Drogengebrauch? In New York hat sich eine kontroverse um eine safer use – Kampagne entzündet.

Die Stadtverwaltung von New York legte eine Broschüre für Drogengebraucher/innen auf. Ziel sei es, so die Stadt, Menschen die intravenös Drogen konsumieren zu helfen soweit möglich Schäden zu vermeiden.

In der Broschüre informiert die Stadt unter anderem über gesundheitliche Themen im Zusammenhang mit dem intravenösen Gebrauch von Drogen, auch über HIV und Aids. Und darüber, wie durch Techniken des ’safer use‘, des sichereren Drogenkonsums, gesundheitliche Probleme vermindert, u.a. auch das Risiko einer HIV-Übertragung deutlich reduziert werden kann.

Die Stadt New York (bzw. deren Department of Health and Mental Hygiene) ließ im Rahmen einer größeren Kampagne 70.000 Exemplare der 16-seitigen Broschüre „Take Charge, Take Care – 10 Tips for safer use“ drucken, für insgesamt 32.000$. Sie wurde gezielt bei drogengebrauchenden Menschen verteilt.
Die Broschüre wurde einem Bericht von CNN zufolge bereits 2007 erstellt, gerät aber erst jetzt in die Kritik.

Safer Use - Broschüre der Stadt New York
Safer Use - Broschüre der Stadt New York

Derartige Informationen, um beim Drogengebrauch Risiken zu minimieren, sind im Rahmen von harm reduction international erfolgreich und auch in Deutschland längst akzeptiert. Die Neu-Infektionszahlen mit HIV bei Drogengebraucher/innen wären vermutlich wesentlich höher, gäbe es nicht Kampagnen zu safer use, Spritzentausch und Gesundheitsförderung.

Doch nicht so in den USA. Was selbst UNAIDS empfiehlt, muss nicht in den USA akzeptiert werden, wie die Stadt New York nun merkt: Vertreter der staatlichen Drogenbehörde DEA argumentieren in Medien gegen die Broschüre. Sie hielte niemanden davon ab, Drogen zu konsumieren – die Broschüre sei im Gegenteil eine Art „Gebrauchsanweisung für Drogenkonsum“, so der höchste New Yorker DEA-Vertreter. Die Boulevard-Presse springt bereitwillig auf, mit ‚Argumenten‘ wie ‚Verschwendung von Steuergeldern‘ oder ‚Erziehung zum Heroinspritzen‘, agitiert mit Schlagzeile wie ‚Heroin für Dummies‘.

New Yorks Bürgermeister Michael Bloomberg verteidigte die Broschüre; die Gesundheitsverwaltung müsse ein Interesse daran haben, dass bestimmte Dinge die eh stattfinden so gesundheitsverträglich wie möglich erfolgten. Es gebe keinen sicheren Weg, Heroin zu konsumieren, aber es gebe weniger gefährliche Wege bestimmte Dinge zu tun.

Nachtrag: die Broschüre der Stadt New York, einst online als pdf unter der Adresse http://www.nyc.gov/html/doh/downloads/pdf/basas/drug_use_take_care.pdf, ist inzwischen nicht mehr online verfügbar.

32.000 Dollar – wenn diese pragmatische Kampagne geeignet ist, Leben zu retten, Gesundheit zu verbessern, ist dieser Preis geradezu ein Schnäppchen.
Doch – nicht für dogmatische Ideologen.

Das erfolgreiche Konzept harm reduction, zu dem auch safer use – Kampagnen gehören, wird immer noch bekämpft – nicht nur in Russland, auch in den USA. Die Vertreter einer Abstinenz-Politik erheben immer wieder ihre Stimme – einer Abstinenz-Politik auf dem Rücken der Menschen. Einer Abstinenz-Politik, die mit ihrem Dogmatismus Risiko läuft, zusätzliche HIV-Infektionen und gesundheitliche Schäden zu riskieren – allein um der ‚reinen Lehre‘ willen.

weitere Informationen:
Stadtverwaltung New York: drug use – take care (pdf)
New York Post 03.01.2010: Heroin for dummies
CNN 04.01.2010: NYC heroin pamphlet — is it a help or a how-to guide?
Boing Boing 04.01.2010: Guide to shooting smack published by City of New York
POZ 06.01.2010: Safe Injection Pamphlet for New York City Drug Users Raises Controversy
harm reduction coalition: getting off right – a safety manual for injecting drug users (pdf)
Deutsche Aids-Hilfe: Safer Use (Direkt-Link zur online-Bestellung)
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USA: saubere Spritzbestecke – bald endlich möglich

Es ist ein lange überfälliger Sieg für sinnvolle Präventions-Maßnahmen in den USA: nach dem Repräsentantenhaus stimmte nun auch der US-Senat der Aufhebung des Verbots von Nadeltausch-Programmen für iv-Drogengebraucher zu.

Sauberes Spritzenbesteck verfügbar zu machen für iv-Drogengebraucher, um so Übertragungen von HIV und anderen Krankheiten zu vermeiden, ist eine sichere und vielfach erfolgreich erprobte Präventionsstrategie (harm reduction).

Dennoch ist harm reduction, dies wirksame Instrument der Prävention in zahlreichen Staaten bisher nicht umgesetzt. So ist Spritzentausch in Russland tabu – und bisher auch in den USA.

Eine erstaunliche Allianz, eine Allianz aus ideologischen Gründen. Russland argumentiert,dies sei unrussisch, und beharrt auf einer Abstinenz-Politik. Mit der Folge steigender HIV-Infektionszahlen bei iv-Drogengebrauchern.

Auch die US-Politik setzte lange ausschließlich auf Abstinenz. Der frühere US-Präsident Bill Clinton äußerte mehrfach, einer sei er größten Fehler in seiner Präsidentschaft sei gewesen, das Verbot von Nadeltausch-Programmen nicht aufzuheben. Sein nachfolger George W. Bush hingegen war eher ein Vertreter der Ausweitung des Abstinenz-Gedankens auch in der Aids-Politik.

Nun endlich wird Realität, was Clinton nicht anging: die Aufhebung des US-Verbots von Nadeltausch-Programmen. Der US-Senat stimmte Mitte Dezember einem Gesetz zu, mit dem 2010 das Nadeltausch-Verbot aufgehoben werden wird. Das Repräsentantenhaus hatte bereits vorher zugestimmt.

preventionjustice 14.12.2009: Long Overdue, Ban on Syringe Exchange Funding to be Lifted
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harm reduction – Erfolgs-Strategie, die nicht überall geschätzt wird

HIV-Epidemien unter Drogengebrauchern können mit einem leicht realisierbaren Konzept gemindert werden – ‚harm reduction‘. Doch immer noch versperren sich zahlreiche Staaten dieser erfolgreichen Präventionsmethode aus ideologischen Gründen.

Wie kann die Zahl der HIV-Infektionen unter DrogengebraucherInnen reduziert werden? Hilft eine repressive Drogen-Politik? Oder sind Konzepte zielführend, die versuchen negative Folgen des Drogenkonsums (so auch Übertragungen von Krankheiten) zu mindern (harm reduction)?

Die New York Times weist in einem Artikel auf einen HIV-Übertragungsweg hin, der oftmals gerne in Vergessenheit gerät oder bewusst außer Acht gelassen wird: der intravenöse Drogengebrauch.

In vielen Staaten Europas und Afrikas ist die sexuelle Übertragung inzwischen der Haupt-Übertragungsweg von HIV. In einigen Staaten allerdings machen Infektionen via intravenösem (iv) Drogengebrauch einen Großteil der gesamten HIV-Infektionen aus.

So wird der Anteil der HIV-Infektionen durch unsaubere Nadeln geschätzt auf
83% in Russland,
64% in der Ukraine,
74% in Kasachstan,
72% in Malaysia, und
52% in Vietnam.

Auch für HIV-Übertragungen durch iv-Drogengebrauch gibt es Präventionsmodelle, die längst ihre Wirksamkeit gezeigt haben: safer use – Nadeltausch – harm reduction. Der Austausch von gebrauchten Nadeln gegen saubere, das Ermöglichen eines hinsichtlich des HIV-Übertragungsrisikos ’saferen‘ Drogengebrauchs ist ein pragmatischer Politikansatz, den viele Staaten verwirklicht haben, mit dem sie ihre HIV-Neuinfektionszahlen unter Drogengebrauchern deutlich reduzieren konnten.

‚Nadeltausch ist Aids-Prävention, die funktioniert‘, resümiert auch die New York Times. Niemand möge Kondome wirklich freiwillig – aber jeder Drogengebraucher ziehe saubere Nadeln vor, wenn sie nur verfügbar seien. Entsprechend haben zahlreiche Staaten in Europa genauso Australien und Neuseeland ‚harm reduction‘ – Programme.

Umso tragischer, dass einige Staaten, und gerade Staaten mit einer gravierenden HIV-Epidemie unter iv-Drogengebrauchern, sich diesem Weg der HIV-Prävention völlig verweigern. Der Grund meist: Ideologie – die Überzeugung, man könne nicht den als schlecht betrachteten Drogengebrauch erleichtern, auch nicht um der Gesundheit ganzer Bevölkerungsgruppen zuliebe.

Eines der Beispiele für Staaten, die ‚harm reduction‘, Nadeltausch und Methadon-Programme aus ideologischen Gründen ablehnen, ist Russland. Trotz internationaler Appelle ist Methadon in Russland weiterhin nicht verfügbar, ebenso gebe es keine Zugangsmöglichkeiten zu sauberem Spritzbesteck.

Gerade auch die deutsche Aids-Politik zeigt, dass ein an harm reduction orientiertes Vorgehen erfolgreich sein kann. Erfolgreich auch hinsichtlich einer Reduzierung der Neuinfektionen bei iv-DrogengebraucherInnen.

Umso erschütternder ist es, dass Staaten wir Russland, die ein massives Problem mit hohen und steigenden Infektionszahlen bei Drogengebrauchern haben, weiterhin Methadon-Programme ablehnen, eine einzig Abstinenz-orientierte Drogenpolitik haben.

weitere Informationen:
The New York Times 25.11.2009: The Needle Nexus – Why Needle Exchange is Crucial to AIDS Prevention
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Russland: weiterhin kein Methadon – trotz internationaler Appelle

In Russland steigen die HIV-Infektionszahlen unter Drogengebrauchern. Internationale Experten fordern von der russischen Regierung Methadon-Programme – doch diese lehnt ab.

Geschätzt eine Million Menschen mit HIV, und ca. zwei Millionen iv-Drogengebraucher/innen – Russland sei gerade dabei, die Kontrolle über die Situation zu verlieren, betonte Robin Gorna, Direktorin der International Aids Society (IAS) zum Auftakt einer internationalen Aids-Konferenz in Moskau. Internationale Experten kritisierten, insbesondere die HIV-Epidemie unter russischen Drogengebrauchern hätte verhindert werden können, wenn die Regierung sich frühzeitiger engagiert hätte.

Die russische Regierung müsse nun dringend aktiver werden im Kampf gegen Aids, betonte die IAS. Dazu gehöre auch, iv-Drogengebrauchern den Zugang zu sauberen Spritzen sowie zu Methadon zu ermöglichen.

Die russische Drogenpolitik basiert bisher weitestgehend auf einer Art ‚Abstinenz-Ansatz‘. Akzeptierende Drogenarbeit, Harm Reduction – Konzepte, die in der vor-Ort-Realität russischer Aids-Prävention kaum eine Rolle spielen.
Entsprechend fordern internationale Experten, Russland solle zur Reduzierung der Infektionsraten im Drogenbereich schnellstens Methadon-Programme sowie Harm-Reduction-Strategien einführen und in die Praxis umsetzen.

Doch Gennadi Onischenko, oberster ‚Hygienearzt‘ Russlands, steht diesen Gedanken alles andere als aufgeschlossen gegenüber. Er betonte am Rande der Konferenz, er sei „aus vollster Überzeugung gegen Substitutionstherapie“. Russland biete Drogenkonsumenten andere Programme abseits von Methadon an. Russland spreche sich kategorisch gegen Methadon als Bestandteil in Präventionsprogrammen aus, so Onischenko.

Michel Sidibé, Generalsekretär von UNAIDS, betonte hingegen, Substitutionsprogramme z.B. mit Methadon hätten sich vielerorts, auch in Nachbarländern Russlands, als hilfreich und sinnvolles Instrument der Aids-Prävention erweisen.

Methadon ist in Russland nicht zugelassen und nur illegal erhältlich.

weitere Informationen:
UNAIDS 27.10.2009: Eastern Europe and Central Asia HIV conference for joint efforts towards Universal Access
Michel Sidibe: Universal Access: Status of the Global Response and the Way Forward. Rede zur Eröffnung des 3. EECAAC am 28.10.2009 (pdf)
AFP 28.10.2009: Russia Rejects Methadone to Stem HIV Epidemic
POZ 28.10.2009: Advocates: Russia’s HIV Strategy Ineffective Among High-Risk Groups
International Aids Society 28.10.2009: Researchers, public pealth experts urge russia to expand HIV prevention programmes for people who inject drugs
SZ 29.10.2009: Aids-Problem in Russland: Infiziert und ignoriert
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Offener Brief der DAH an die Ministerpräsidenten der Länder

Offener Brief der DAH an die Ministerpräsidenten der Länder

Gesetzesantrag des Landes Nordrhein-Westfalen:
Entwurf eines Gesetzes zur besseren Bekämpfung des Einbringens von Rauschgift in Vollzugsanstalten
Drucksache 734/09

Sehr geehrte Herren Ministerpräsidenten,

am 16.10.2009 soll der oben genannte Gesetzesentwurf auf die Tagesordnung der Sitzung des Bundesrates. Hintergrund ist, dass rund 25-30 % der Gefangenen in Justizvollzugsanstalten Drogengebraucher/innen sind und sich damit auch vermehrt Probleme rund um den Drogenhandel im Vollzug stellen. Die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH) sieht viele der in der Begründung zum Gesetzesentwurf dargestellten Probleme in einer ähnlichen Weise, allerdings sind unsere Schlussfolgerungen und Lösungsvorschläge andere, als die nun geforderten Gesetzesverschärfungen.

Nordrhein-Westfalen zeigt in seiner Begründung auf, dass es durch den Drogenkonsum in Haft zu Überdosierungen, Drogentodesfällen und Händlerhierarchien kommt. Auch auf die gesundheitlichen Gefahren wird hingewiesen, da es durch die gemeinsame Benutzung nicht steriler Spritzen und Nadeln zur Übertragung von HIV und Hepatitis unter Gefangenen kommen kann. All dies sieht auch die Deutsche AIDS-Hilfe, aber können die gesundheitlichen Risiken und die weiteren Probleme ernsthaft mit Gesetzesverschärfungen verbessert werden?

Inzwischen gibt es in Deutschland nur noch eine Justizvollzugsanstalt, die den Gefangenen sterile Spritzen gegen bereits Gebrauchte eintauscht (JVA für Frauen, Berlin-Lichtenberg). Dieses Projekt besteht seit über 10 Jahren, und wie auch die Wissenschaftliche Begleitung zeigte, hat sich dieses Projekt als erfolgreich erwiesen. Um die Infektionsgefahren in Justizvollzugsanstalten zu reduzieren, ist eine Ausweitung dieses Angebots auf andere Justizvollzugsanstalten dringend erforderlich. Ferner stellt sich die Substitution mit Methadon oder Buprenorphin als eine weitere Alternative der Infektions-prophylaxe, aber auch zur Reduzierung des Drogenkonsums und in der Folge des Drogenhandels im Vollzug dar. Denn mit einer guten Substitution lässt sich auch die Nachfrage nach illegalen Betäubungsmitteln entsprechend verringern.

Im Januar 2009 wurde im Landtag Nordrhein-Westfalens eine kleine Anfrage zur Substitutionspraxis in Haft gestellt. Danach erhielten 1,64 % der Gefangenen Substitutionspräparate, allerdings wurden nur 0,78% der Gefangenen länger als 6 Wochen behandelt. Demnach werden maximal 0,78 % der Gefangenen substituiert, die restlichen 0,86 % erhalten nur einen medikamentengestützten Entzug. Bedarfsgerecht ist dies bei einem eigentlichen Anteil von 25-30 % der Gefangenen nicht.

Das Ziel „Reduzierung des Drogenhandels im Vollzug“ würde durch eine bedarfsgerechtere Substitution eher und besser erreicht werden als durch eine Gesetzesverschärfung. Ganz nebenbei wäre eine verbesserte Substitutionspraxis auch ein humanitärer Beitrag gegenüber Drogen abhängigen Gefangenen und würde die Anschlussbehandlungen nach Haftentlassung erleichtern und vergünstigen.

Für uns ist es nicht „Ausdruck erhöhter Kriminalität“, dass Menschen Energien in die Beschaffung von Substanzen setzen, von denen sie physisch und psychisch abhängig sind. Setzen Sie sich für die Entkriminalisierung von Drogengebraucher/innen ein und nicht für die Strafverschärfung! Auch in Ihrem Bundesland bedarf es einer verbesserten Substitution und Infektionsprophylaxe in Haft, durch Ihre Unterstützung und Engagement kann dies erreicht werden.

Mit freundlichen Grüßen

Der Bundesvorstand

Methadon-Therapie: muss Krankenkasse zahlen – oder nicht?

Die Krankenversicherung muss nicht für die Methadon-Behandlung eines Drogengebrauchers aufkommen, urteilt das Landgericht Nürnberg-Fürth.

Ein Drogengebraucher genießt für die Methadon-Behandlung keinen Versicherungsschutz seiner Krankenkasse. Schließlich nehme er seine Abhängigkeit bewusst in Kauf. So urteilte Ende 2008 das Landgericht Nürnberg-Fürth. Die Krankenversicherung müsse die Kosten für eine Methadon-Behandlung nicht übernehmen.

Auf ein entsprechendes jüngst publiziertes Urteil weist die Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht des Deutschen Anwaltsvereins hin:

„Wer seine Abhängigkeit von Heroin bewusst in Kauf nehme, führe den Versicherungsfall der möglichen späteren Methadon-Behandlung vorsätzlich herbei. In solchen Fällen müsse die Krankenkasse nicht zahlen.“

Das Urteil gilt für eine Private Krankenversicherung.

In der Gesetzlichen Krankenversicherung werden die Kosten einer Substitutions-Behandlung mit Methadon übernommen – auf Antrag:

„Die Kosten der Methadonbehandlung werden bei entsprechender medizinischer Indikationsstellung vom substitutionsberechtigten Arzt durch die gesetzliche Krankenkasse übernommen. Dies klärt der Arzt mit Ihnen beim ersten Untersuchungs-/ Vorstellungstermin in der Substitutionspraxis. Danach wird der Antrag zur Kostenübernahme vom behandelnden Arzt bei der zuständigen Kassenärztlichen Vereinigung (KV) gestellt. Erst mit der Erteilung des Genehmigungsbescheides durch die KV werden die Kosten von der Krankenkasse übernommen.“ (midames – Münchner Informationssystem Drogen Alkohol Medikamente Eßstörungen Sucht)

In der Privaten Krankenversicherung können die Kosten für eine Methadon-Therapie auch weiterhin aus Kulanz vom Versicherer übernommen werden..

Es verwundert, warum der Deutsche Anwaltsverein jetzt auf dieses Urteil hinweist OHNE den Hinweis, dass es für die private Krankenversicherung gilt –  und eine Debatte anstößt.

In der Private Krankenversicherung gilt zunächst Vertragsfreiheit – ein Grund mehr, sich diesen Schritt genau zu überlegen. Der Fall der Methadon-Behandlung zeigt mögliche Konsequenzen …

Viel wichtiger aber ist die Frage nach Konsequenzen, wenn sich der Grundgedanke dieses Urteils auch generell durchsetzen sollte.
Denn – welcher Gedanke steht hinter diesem Urteil? Wieder der des Schuldprinzips. Wer für ein gesundheitliches Problem selbst verantwortlich ist, für den solle die Krankenversicherung auch nicht aufkommen, so diese Denkweise.

Eine gefährliche Denkweise, die an den Grundfesten unseres Versicherungssystems kratzt – nämlich dem der Solidargemeinschaft. Alle Versicherten stehen gemeinsam für alle Probleme aller ein. Durch die Verteilung der Kosten auf alle muss niemand existentielle Probleme aufgrund eines gesundheitlichen Problems befürchten – egal aus welchem Grund.

Wer dieses Prinzip aushöhlt – besonders, indem er das Schuldprinzip einführt -, legt damit die Axt an eines der Grundprinzipien unserer Gesellschaft, gefährdet den sozialen Frieden.

HIV-Positive sollten hellhörig werden: wer so denkt, wird irgendwann auch die Frage stellen, wie weit jemand für seine HIV-Infektion „selbst schuld“ sei – und die Übernahme Behandlungskosten durch die Gesetzliche Krankenversicherung in Frage stellen.

Danke an L. und das Forum für den Hinweis!.

weitere Informationen:
Landgericht Nürnberg-Fürth 11. Dezember 2008 (AZ: 8 O 3170/07) (publiziert u.a. in VersR Heft 20, 5. Juli 2009)
Ärzte-Zeitung 17.07.2009: PKV muss nicht aufkommen für die Methadonbehandlung
Deutscher Anwaltverein 28.08.2009: Krankenkasse muss Methadon-Behandlung nicht zahlen
Deutsches Ärzteblatt 28.08.2009: Urteil: Krankenkasse muss Methadon-Behandlung nicht zahlen
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20 Jahre JES-Netzwerk

20 Jahre Netzwerk von drogengebrauchenden Menschen – der Forums-Band „20 Jahre JES“ widmet sich dem Jubiläum einer erfolgreichen Selbsthilfe-Struktur.

Juli 1989 – Junkies (viele von ihnen HIV-positiv), Ex-User und Substituierte schließen sich während eines Seminars der Deutschen Aids-Hilfe (DAH) zusammen. Ihr Ziel: Belange und Interessen selbst und gemeinsam zu vertreten und für eine Verbesserung der Lebens- und Konsumbedingungen Drogen gebrauchender Menschen zu kämpfen.

2009 – das Netzwerk JES besteht 20 Jahre.  Die DAH würdigt das Jubiläum mit einem umfassenden Forums-Band.

Aus dem Vorwort:

„2009 wird das bundesweite JES-Netzwerk 20 Jahre alt. Hand aufs Herz: Wer hat bei der Geburt der Selbsthilfe von „Junkies, Ehemaligen und Substituierten“ damit gerechnet, dass sie nach zwei Dekaden immer noch existieren würde! Dabei hat JES nicht einfach nur „überlebt“: Was einmal klein anfing, hat sich im Lauf der Jahre zu einem bundesweit agierenden Selbsthilfe-Netzwerk entwickelt, dem heute etwa 25 Gruppen und Vereine angehören.“

Die DAH erläutert zum Band „20 Jahre JES“:

„Der vorliegende Band will die Haltungen, Ideale und Ziele von JES transparent machen und die positiven Wirkungen des Selbsthilfe- Engagements ins Blickfeld rücken. Zugleich stellt er JES-Projekte vor und greift Themen auf, mit denen sich JES in den vergangenen 20 Jahren beschäftigt hat.“

Aids-Forum DAH Band 56: „Für ein menschenwürdiges Leben mit Drogen – 20 Jahre JES-Netzwerk„, DAH-Bestell-Nr. 030056 (pdf, ca. 4 MB)

21. Juli: Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige

Gedenktag für verstorbene Drogenabhängige am 21. Juli

Ein Zeichen für Humanität und Miteinander

Berlin. Anlässlich des 11. bundesweiten Gedenktages für verstorbene Drogenabhängige am 21. Juli 2009 fordert der „Initiativkreis 21. Juli“ (Deutsche Aids-Hilfe e.V., Berliner Aids-Hilfe e.V., Notdienst Berlin e.V., Fixpunkt Berlin e.V. und JES Berlin) mit Nachdruck eine vorurteilsfreie Auseinandersetzung um die gesundheitliche und soziale Situation Drogen gebrauchender Menschen sowie wirksame Maßnahmen zur Reduzierung von Drogentodesfällen.

Im Gedenken an die verstorbenen Drogenkonsumenten in Berlin führt der Initiativkreis am 21. Juli 2009 um 12:00 Uhr eine Veranstaltung im Oranienpark (Oranienplatz) in Kreuzberg durch. Die Schirmherrin der Veranstaltung ist Frau Katrin Lompscher – Senatorin für Gesundheit, Umwelt und Verbraucherschutz. Neben Dr. Ingo Michels vom Bundesministerium für Gesundheit werden Knut Mildner-Spindler (Sozialstadtrat Friedrichshain-Kreuzberg von Berlin) und Kerstin Dettmer (Fixpunkt) reden. Im Mittelpunkt der Veranstaltung steht ein Zeichen zu setzen und den Tod hunderter Menschen nicht schweigend hinzunehmen sowie die Öffentlichkeit über die Belange und Interessen Drogen gebrauchender Menschen zu informieren und zu sensibilisieren.

„Es ist schmerzhaft und nicht hinzunehmen, dass nach einem Anstieg der Drogentodesfälle in 2007 im Jahr 2008 wiederum ein Anstieg der Zahl der verstorbenen DrogengebaucherInnen auf 1449 Tote zu verzeichnen ist „, so Dirk Schäffer, Referent für Drogen der Deutschen AIDS-Hilfe e.V. Mit 152 Drogentoten in Berlin hat sich die Zahl im Jahr 2008 gegenüber dem Vorjahr leicht reduziert. „Gründe für den leichten Rückgang sind auch in den professionellen Angeboten für die Zielgruppe der Schwerstabhängigen zu finden. So gibt es in Berlin wirklich eine Vielzahl von ambulanten und aufsuchenden Hilfen.“, erläutert Heike Krause, Pressesprecherin vom Notdienst Berlin e.V.

„Der Drogenkonsumraum in der Dresdener Straße war nicht Ursache für die Zunahme der drogenszenen-bedingten Belastungen am Kottbusser Tor“, so Kerstin Dettmer vom Verein Fixpunkt e. V. “Die Gründe sind vielmehr in unzureichenden bzw. fehlenden Angeboten für Drogengebrauchende Menschen zu sehen. Aufgabe der Politik muss es aber sein, dafür Sorge zu tragen, d.h. notwendige Angebote zu schaffen, damit aus Minderheiten nicht unerwünschte Randgruppen werden“, so Dettmer weiter.

„Wenn nicht schnell ein neuer Standort für den Drogenkonsumraum in Szenenähe gefunden wird, könnte dies vermehrte HIV- und Hepatitisinfektionen sowie ein Anstieg der Drogentodesfälle in Berlin zur Folge haben“, so Claudia Rey von der Berliner Aids- Hilfe e.V. Auch für die Betroffenen selbst ist diese Schließung nicht nachvollziehbar, und die Mitarbeiter vor Ort werden viel Zeit aufwenden müssen, um Kontakte zu Drogenkonsumenten wieder herzustellen, erläutert ein Mitglied der Berliner JES Gruppe. Um der vielen tausend verstorbenen Freundinnen und Freunden, Bekannten und Angehörigen zu gedenken und zugleich für eine weit reichende Änderung der Drogenpolitik zu demonstrieren, veranstalten Aids- und Drogenhilfen, JES- und Elterngruppen im Rahmen des Gedenktages am 21. Juli in über 40 Städten Mahnwachen, Informationsveranstaltungen, Gottesdienste, Trauermärsche und andere öffentliche Kundgebungen, um damit den dringenden Handlungsbedarf anzuzeigen.

(Pressemitteilung der Deutschen AIDS-Hilfe, pdf)

Bundestag verabschiedet Gesetz zur Regelversorgung mit Diamorphin

Bundestag verabschiedet Gesetz zur Regelversorgung mit Diamorphin – Deutsche AIDS-Hilfe: Gesetz ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer praxisnahen Versorgung Heroinabhängiger

Berlin, 28.05.2009. Der Deutsche Bundestag hat heute mit deutlicher Mehrheit einer Veränderung des Betäubungsmittelgesetztes zugestimmt: Damit ist die seit Jahren von der Deutschen AIDS-Hilfe geforderte gesetzliche Grundlage geschaffen, um die Behandlung mit Diamorphin in den Katalog der Regelversorgung der gesetzlichen Krankenversicherung bundesweit aufzunehmen. Mehrjährige wissenschaftliche Studien in sieben Städten haben belegt, dass es Heroinabhängigen besser geht und sie stabilisiert, wenn sie unter strengen Auflagen regelmäßig mit künstlich hergestelltem Heroin (sog. Diamorphin) behandelt werden.

Dazu erklärt Hansmartin Schön, Bundesvorstand der Deutschen AIDS-Hilfe e.V. (DAH):

„Die Veränderung des Betäubungsmittelgesetzes und die hiermit verbundene Einstufung von Diamorphin als verschreibungsfähiges Medikament rettet Menschenleben. Der entscheidende Durchbruch ist die Umwandlung eines Straftatbestandes in eine verschreibungspflichtige Behandlung. Gerade die Heroinabhängigen, bei denen alle anderen Behandlungsoptionen nicht den gewünschten Erfolg brachten und die bisher unter menschenunwürdigen Bedingungen leben mussten, bekommen nun eine Möglichkeit, den Ausstieg aus dem Kreislauf von Illegalität und Beschaffungskriminalität zu finden. Nun gilt es, zügig im gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) die Kriterien für die Abrechenbarkeit der heroingestützten Substitutionsbehandlung festzulegen, damit weitere Städte Anträge bei den entsprechenden Landesbehörden stellen können.“

„Dieser Schritt war längst überfällig“, ergänzt Dirk Schäffer, Referent Drogen und Strafvollzug in der DAH: „Im Sinne schwerkranker Menschen haben fachliche und ethische Überlegungen nun Vorrang vor Parteitaktik und ideologischen Schranken gewonnen. Die DAH bedankt sich bei allen Bundestagsabgeordneten, die dazu beigetragen haben, dass sich nun endlich eine Parlamentsmehrheit für das seit Jahren von uns geforderte Gesetz gefunden hat.“

(Pressemitteilung der Deutschen Aids-Hilfe vom 28.05.2009)

Ein Auszug

Die Zahl der Blogs über das Leben mit HIV steigt – eine spannende Bereicherung ist ‚Jos Blog‘.

Seit Februar 2008 berichtet Jo unter dem Motto „Ein bisschen schräg, ein bisschen schwul, ein bisschen positiv“. Jo ist 24, Berliner, schwul, seit 2006 HIV positiv, seit zwei Jahren mit Steffan zusammen und gelernter Bankkaufmann.

Aus Jo’s Blog heute als ‚Appetithappen‘ und Beispiel einer ganz anderen Lebensrealität mit HIV der Beitrag „Ein Auszug“:

Ein Auszug

„Es funktioniert einfach nicht mehr… Es tut mir Leid, ich muss das beenden, es geht nicht anders!“
Die Tür knallte, ich hörte seine Schritte im Flur auf der Treppe, dann, weit entfernt, die Haustür. Verdammt noch mal! Mir wurde schlecht. Ich hab ihn nicht verletzen wollen, ich wollte bloß das Beste für ihn und mich tun. Er hatte doch längst schon einen anderen im Blick und bei uns lief es gar nicht mehr, dann sollte er auch zu ihm gehen und mich in Ruhe lassen! Es tat schon genug weh… Also hatte ich beschlossen, den Kontakt völlig abzubrechen.
Ich schaltete den Computer ein, loggte mich ins Internet und sperrte ihn in sämtlichen Messengern, in denen ich ihn gespeichert hatte, dann zog ich mich um. In so einer Situation half nur eins: Party.

Es war Mittwoch und der Club nicht so gut besucht wie an einem Samstag, doch das war mir egal. Ich hatte meine Cocktails, die mich schnell in eine weiche Welt beförderten, die Musik und irgendein männliches Wesen, das mir beim Tanzen am Arsch rumspielte. In meinem Kopf drehte sich alles und ich sackte immer wieder in die Arme meines Gegenübers, die Bässe hämmerten in meinem Hirn und vor meinen geschlossenen Augen flimmerte buntes Licht. Es roch nach Trockeneisnebel, Schweiß und Alkohol und in meinem Herzen flackerte immer wieder ein dumpfer Schmerz auf. Dann griff ich zu einem Cocktail und brachte mein Herz zum Schweigen.
„Du siehst fertig aus“, bemerkte mein Tanzpartner, der mich an die frische Luft gebracht und vor die Tür des Clubs gesetzt hatte. Und ich hatte nicht mal mehr mitbekommen, wie er mich dort hin befördert hatte.
„Ich hatte einen scheiß Tag“, hörte ich mich lallen, er lachte.
„Haben wir den nicht alle mal? Aber du brauchst was zum wach werden, sonst kotzt du dich noch voll.“
„Mir ist aber gar nicht übel. Es geht mir wirklich fantastisch. Ich kann noch alleine stehen und laufen und bin ganz klar im Kopf…“ Ich versuchte, aufzustehen, kippte aber schon beim ersten Anlauf zur Seite. „Mir ist bloß ein bisschen schwindelig, das vergeht wieder…“
„Bleib hier, ich besorg dir was.“ Er verschwand einfach, ließ mich sitzen. Ich erinnere mich nicht mehr, wie lang er weg war, doch als er wiederkam, drückte er mir ein paar bunte Pillen in die Hand.
„Schlucken“, sagte er, ich grinste.
„Danke mein Freund, genau das brauch ich jetzt!“ Und die Party ging weiter.

Wir tanzten ausgelassen, verließen den Club nach einer Weile, zogen durch Bars, bis es Morgen wurde. Wir verbrachten den Tag miteinander in seiner Wohnung irgendwo in Friedrichshain, konnten den ganzen Tag nicht schlafen, waren berauscht und euphorisch. Als es dunkel wurde, machten wir uns wieder auf den Weg. Ich habe nicht viele Erinnerungen an die Stunden, in meinem Kopf sind Bilder von Pillen und feinem, weißen Pulver, Alkohol, bunten Farben. Meine Begleiter wechselten, ich war nie allein doch nie mit derselben Person länger als 24 Stunden zusammen. Es gab immer eine Bar, an der ich mich festhielt und trinken konnte, bis mir die Scheine ausgingen und ich zu einem Geldautomaten torkeln musste, mit zitternden Fingern meine Geheimzahl eingab und hoffte, dass der Automat viele neue bunte Scheine ausspuckte.
„Ich will noch einen.“ Der Barkeeper nickte. Es war voll und er im Stress, er und seine Kollegen liefen von einem Gast zum nächsten, verteilten bunte Getränke, sammelten Geld ein, einer stand allein an der Spüle und reinigte Gläser. Ich musste auf mein frisch gefülltes Glas warten, doch ich hatte mein Gefühl für Zeit und Raum so verloren, dass es mich nicht störte und ich mich wie ein Kind freute, als ich endlich wieder neuen Alkohol in den Händen hielt. Ich schüttete das Zeug wie ein Verdurstender in mich hinein, als ich bemerkte, dass jemand direkt auf mich zukam. Vieles habe ich vergessen, doch die dunklen, warmen Augen sind noch deutlich in meiner Erinnerung. Ein Lächeln, wilde, dunkle Haare, ein trainierter Oberkörper, große Hände neben meinem Glas auf der Theke. Er beugte sich zu einem der Barjungs, bestellte etwas, der nickte, kam kurz darauf mit zwei Gläsern zurück. Der schöne Unbekannte mit den tiefbraunen Augen reichte mir ein Glas.
„Hier, ich geb einen aus.“
„Danke!“ Ich prostete kurz in seine Richtung, dann kippte ich die klare Flüssigkeit in meinen Hals, hustete. „Das ist Wasser?!“
„Ich dachte, du könntest das vertragen. Siehst ein bisschen fertig aus. Lange Nacht gehabt?“ Er ergatterte einen Hocker neben mir, rückte nah an mich heran, damit wir uns bei der lauten Musik besser unterhalten konnten.
„Ich weiß nicht“, antwortete ich, sah ihm lange in die Augen. Mein alter Begleiter war verschwunden und ich brauchte dringend einen neuen; der schöne Unbekannte schien für diesen Posten wie gemacht.
„Was haben wir für einen Tag?“, fragte ich. Im Nachhinein schäme ich mich dafür, dass ich so abgestürzt war, dass ich nicht mal genau sagen konnte, wo ich war und welcher Wochentag es war, doch in dem Augenblick was es mir nicht peinlich. Mein Gegenüber lachte. Aber kein unangenehmes Lachen.
„Es ist Samstag, also mittlerweile schon Sonntag.“ Er zwinkerte mir zu, trank aus seinem Glas. „Du bist wohl wirklich nicht mehr ganz frisch. Was hat dir zu schaffen gemacht?“
„Ich bin wieder Single, aber das ist egal.“ Meine Augen suchten nach einem Barkeeper, ich wollte was Neues zu trinken. Doch alle waren beschäftigt und bemerkten mich nicht. „Mein ganzes Leben ist egal. Alles egal. Ich soll keinen Freund haben, will das Leben nicht. Ich hab diese scheiß HIV-Seuche, keiner bleibt bei mir, es ist alles egal, alles egal… Hey! Krieg ich noch einen?“ Endlich hatte einer der Jungs auf meinen suchenden Blick reagiert, nickte und mixte mir einen neuen Caipirinha.
„Du bist HIV positiv?“ Ich sehe immer noch genau vor mir, wie aus seinem lächelnden, freundlichen Blick ein geschockt-interessierter wurde. Nicht unangenehm, nicht zu neugierig oder ängstlich, wie ich es von anderen kannte. Sondern ehrlich interessiert und offen.
„Bin ich“, nickte ich. „Aber erzähl das nicht rum, ich hab einen Ruf zu verlieren.“
Ich hätte ein Lachen von ihm erwartet, doch in seinem Gesicht rührte sich nichts. Er schaute mich an, wohl in Gedanken versunken, während ich meinen Caipirinha entgegennahm, ein bisschen mit dem Strohhalm darin herumrührte, die Limettenstücke herausfischte und das Glas dann in einem Zug bis auf den Rohrzucker leerte. Ich merkte den Alkohol immer noch nicht, hatte wohl zu viel gekokst, aber wenigstens hatte ich keine Schmerzen mehr und fühlte mich freier.
„Ich hab es auch“, sagte mein schöner Unbekannter plötzlich. „Willst du mit zu mir?“
Jetzt musste ich lachen. „Das ist die plumpste Anmache, die ich je gehört habe!“
„Dann ist sie wenigstens außergewöhnlich. Los komm, du bist überall besser aufgehoben als hier.“
Er nahm mich mit und ich konnte und wollte mich nicht dagegen wehren. Er hielt mich an der Hand, zog mich hinter sich her und ich stolperte ihm nach so gut ich konnte.
Wir fuhren mit der S-Bahn, mussten einmal umsteigen, dann laufen, ich weiß nicht mehr wie lang. Aber ich weiß noch, wie ich, in seiner Wohnung angekommen, sofort den Weg ins Schlafzimmer fand und mich auszog. Ich konnte es nicht erwarten, aus meinen Klamotten zu kommen, legte mich aufs Bett, sah ihm beim Ausziehen zu. Nackt kletterte er über mich, leckte meinen Hals entlang.
„Ich will dich blank“, raunte er mir ins Ohr und aktivierte damit das allerletzte Stückchen Verstand in meinem Kopf.
„Zieh dir was drüber, ich will keine Probleme.“
„Na, wenn du meinst…“
Ich glaube, er war enttäuscht. Nehme ich ihm auch gar nicht übel. Wahrscheinlich hätte ich mich sogar bequatschen lassen, wenn er es versucht hätte, aber er hatte sofort klein beigegeben und ein Kondom aus dem Bad geholt. Und zur Belohnung durfte er sich in mir austoben.

(Gastbeitrag, © Jos Blog)
Nachtrag 29.04.2009: Jo hat heute die Fortsetzung gepostet.

eine Karte an Frau Merkel

Die heroingestützte Behandlung Opiatabhängiger hat im bisherigen Modellprojekt nach Überzeugung aller Beteiligten ihren Erfolg gezeigt. Doch Unionspolitiker gefährden nun eine Fortsetzung des erfolgreichen Modells. Eine Postkarten-Kampagne soll auf die Erfolge aufmerksam machen.

Seit dem 2002 initiierten Modellprojekt können Schwerstabhängige statt mit Methadon auch mit Heroin behandelt werden. Die das Projekt begleitenden Forscher, Fachverbände, Selbsthilfe, Wohlfahrts- Verbände wie auch die am Projekt beteiligten Städte sind (unabhängig von ihrer politischen Couleur) der Überzeugung, dass das Projekt erfolgreich ist.

Die bisherigen Ergebnisse zeigen, dass eine heroingestützte Behandlung

  • die gesundheitliche und soziale Situation verbessert,
  • illegalen Drogenkonsum und Delinquenz reduziert, und
  • die Wohn- und Arbeitssituation verbessert.

Doch dieses erfolgreiche Modellprojekt ist nun gefährdet. Unionspolitiker (unter ihnen auch der u.a. durch seinen Aids-Antrag bekannte Jens Spahn) verweigern eine Fortsetzung. Wollen mit aller Macht, entgegen aller positiven Ergebnisse aus ideologischen Gründen verhindern, dass Heroin für bestimmte Anwendungsfälle als Medikament anerkannt und in die Regelversorgung übernommen wird.

Da der Widerstand nur aus Teilen der CDU/CSU- Bundestagsfraktion kommt, soll nun mit einer bis Ende August laufenden Postkarten-Aktion Bundeskanzlerin Merkel aufgefordert werden, die heroingestützte Behandlung abzusichern.
HeroinKarteDie Angaben auf den Karten sind authentisch: die Zitate sind von DrogengebraucherInnen, die mit Heroin behandelt werden, selbst Ort und Vorname sind real. Nur die dargestellten Personen sind Modelle. Die Karten sind über die Aidshilfen erhältlich.

Repressive Mottenkiste im Bundestag

Am Freitag hat der Bundestag in einer weniger als einstündigen (von Phoenix live übertragenen) Sitzung einige Anträge zur Aids-Politik beraten und beschlossen.

Neben dem Aids-Aktionsplan der Bundesregierung stand dabei auch ein Antrag zahlreicher Abgeordneter (bes. Jens Spahn/CDU) sowie der Fraktionen von CDU/CSU und SPD zur Abstimmung.

Jens Spahn (CDU) ging -geschmückt mit einem Red Ribbon- insbesondere auch auf den von ihm mit initiierten Antrag ein. Er betonte die ‚große Einigkeit bei diesem Thema – im Grundsatz zumindest‘.
Er sprach dabei munter von ‚dramatisch steigenden Infektionszahlen‘, und von ‚Risikogruppen‘ (und nicht etwa ‚Betroffenengruppen‘), als ginge von Schwulen, DrogengebraucherInnen oder Frauen per se ein Risiko aus. Zudem betonte er zum Thema der Selbstverpflichtung bei ‚Anbietern anonymer sexueller Kontakte‘, dass in Großstädten ’stark steigende Infektionszahlen‘ festzustellen seien.

Spahn betonte im Vorgriff auf vermutete Äußerungen von seiten Becks (Grüne) und Parrs (FDP), ihm ginge es nicht um die Kriminalisierung Einzelner, sondern darum die Partybetreiber zu erreichen.

Die meisten folgenden Redner der Debatte gingen mehr auf verschiedene Aspekte des Aids-Aktionsplans ein, lobten die Regierung und betonten einzelne Lücken wie das Fehlen des Themas Heroinvergabe für Schwerstabhängige (Bender/Grüne; nebenbei: eben jener Spahn ist ebenfalls einer der deutlichen Gegner auch der Heroinvergabe) oder illegalisierte MigrantInnen (Knoche/Linke).

Auffällig war quer durch die Beiträge aller Redner, dass keiner der Abgeordneten es schaffte, zwischen der Zahl der Neu-Diagnosen und der der Neu-Infektionen zu unterscheiden.

Besonders erstaunlich war der Beitrag der Abgeordneten Knoche (Die Linke. PDS). Sie (die früher immerhin einmal Gesundheitsexpertin und drogenpolitische Sprecherin der Grünen im Bundestag war, bevor sie als Parteilose stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken wurde) bezeugte die ‚Anerkennung‘ ihrer Fraktion für den Aids-Aktionsplan der Bundesregierung und sprach von einem ’sehr guten Bericht‘. Kurz wurde kritisch auf die patentrechtliche Situation eingegangen. Zum Spahn-Antrag: nichts.

Fast folgerichtig, dass die Fraktion ‚Die Linke‘ sich bei der Abstimmung über diesen Antrag (16/4111) der Stimme enthielt. Hat die ‚linke‘ ‚Opposition‘ hierzu keine Meinung? Oder teilt sie etwa stillschweigend gar Spahns Ansichten?

Es blieb den Abgeordneten Bender und Beck von den Grünen vorbehalten, besonders zum Spahn-Antrag auch inhaltlich kritische Anmerkungen zu machen. Frau Bender bezeichnete Spahns Vorschläge als „Griff in die Mottenkiste der Repression“. Zu einer Infektion gehörten immer mindestens zwei Beteiligte. Sie nahm sein so gern zitiertes Beispiel der Österreichischen und Schweizer Maßnahmen auseinander: die Neuinfektions-Zahlen pro Million Einwohner lägen dort mit 55 und 95 deutlich über den deutschen (32) – und daran solle man sich ein Beispiel nehmen? (Spahn reagierte darauf mit dem Hinweis, selbst die österreichische Aidshilfe betone, wie unterstützend die dortigen Maßnahmen seien. Gekontert von Bender, wie wenig erfolgreich dies bei der Senkung der Neuinfektions-Zahlen sei).

Beck betonte (unter Beifall auch von Parr/FDP), man solle das Strafrecht beiseite lassen und Prävention und den realistischen Umgang mit Gefährdungs- Situationen in den Vordergrund stellen, nicht Tabus aufbauen.

Nach Abschluss der Debatte wurde der Spahn-Antrag mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD angenommen, bei Gegenstimme der Grünen und Enthaltung der FDP und der Linken.

Dies bedeutet in der Umsetzung nun u.a., dass

  • die bisherigen Präventions- Kampagnen weiterentwickelt werden sollen, einschließlich neuer Ansätze bei Migranten (der Antrag nennt nur die männliche Form) sowie zu ‚bare backing‘

  • Private-Public-Partnerships (in dieser Reihenfolge) in der HIV-Prävention wohl ausgebaut werden, einschließlich Beteiligung der Pharmaindustrie

  • der Druck auf ‚Anbieter von Orten sexueller Begegnung‘ erhöht wird, Kondome und Gleitmittel auszulegen, sowie auf Werbung und Unterstützung für unsafen Sex ‚vollständig‘ zu verzichten (womit Anbieter von sog. Bareback- oder ‚Biohazardmen‘- Parties nun wohl auf sehr dünnem Eis stehen dürften und auch z.B. Saunen- und Darkroom-Betreiber mit neuen Problemem rechnen könnten).

Nach zwei Jahren soll dies in einem Bericht geprüft werden, ggf. sind Vorschläge für eine rechtliche Regelung (!) vorzubereiten.
Zudem soll die Bundesregierung prüfen, ob die (wie von Bender dargestellt ja so Infektionszahlen-senkenden) Erfahrungen aus Österreich und der Schweiz bei der Verschärfung des Strafrechts in Deutschland handhabbar wären zur ‚Eindämmung der kommerziellen Angebote von ungeschützem Sex‘.

Wieder ist also ein Schritt mehr zu einer repressiveren Aids-Politik in Deutschland zu konstatieren. Ein Schritt, den der Bundestag mit großer Mehrheit und kaum Widerspruch vollzog.

Nebenbei bemerkt: es fiel auf, dass sowohl der Abgeordnete Parr (FDP) als auch eben jener Spahn (CDU) sich für das Kompetenznetz und dessen Kohortenstudie stark machten. Das scheint das Kompetenznetz gute Lobbyarbeit geleistet zu haben. Auf welchen bedeutenden Projektergebnissen oder wichtigen Forschungsergebnissen des Kompetenznetz hingegen die positive Einschätzung seitens der beiden Politiker beruht, blieb ungenannt. Auch strukturelle Probleme und die Fragen rund um den Datenschutz in der Kohortenstudie blieben unberührt.

Materialien:
Links auf die Bundestagsdrucksachen gibt’s in diesem früheren Posting