Spermawäsche erhöht die Sicherheit bei Kinderwunsch nicht mehr als erfolgreiche antiretrovirale Therapie – britischer Richtlinien-Entwurf

Der Entwurf zur britischen Richtlinie zur Behandlung der Unfruchtbarkeit führt aus, dass eine Sperma-Wäsche nicht mehr unbedingt erforderlich sein muss bei serodifferenten Paaren mit Kinderwunsch, bei denen der Mann HIV-positiv ist und die Frau nicht. Sofern der Mann eine erfolgreiche antiretrovirale Behandlung durchführe und Sex ohne Verwendung von Kondomen sich auf die Ovulations-Periode beschränke, werde durch eine Sperma-Wäsche das Risiko einer Infektion nicht weiter reduziert:

„sperm washing may not further reduce the risk of infection“

Der Richtlinien-Entwurf aktualisiert die bisherige Richtlinie aus dem Jahr 2004 und wurde herausgegeben vom National Institute for Health and Clinical Excellence (NICE). Seine Aufgabe ist es u.a., dem britischen National Health Service besonders effektive und Kosten-effiziente Behandlungsverfahren zu empfehlen.

Die Autoren des Entwurfs weisen darauf hin, dass ihre Empfehlung nicht außerhalb ihres Kontextes auf andere Sachverhalte übertragen werden sollte.

Der Entwurf ist bis 3. Juli 2012 für Diskussion und öffentliche Beratung offen.

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zur Situation in Deutschland siehe auch
ondamaris 28.06.2011: ‘Leitlinien zur Diagnostik und Behandlung HIV-betroffener Paare mit Kinderwunsch’ – Aktualisierung verzögert sich (dort auch Link auf die am 09. September 2011 verabschiedeten Leitlinien).

weitere Informationen:
aidsmap 22.05.2012: NICE says sperm washing is no safer than effective treatment and timed intercourse
Entwurf der Richtlinie (pdf), zu Sperma-Wäsche siehe S. 105 – 122
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GNP+: Griechische Polizei und Gesundheitsbehörden verletzen Menschenrechte und medizinische Vertraulichkeit

Als Teil eines von der Regierung autorisierten Vorgehens gegen Hunderte von nicht lizenzierten Bordellen in ganz Griechenland sind Prostituierte verhaftet und gezwungen worden zu HIV-Tests, und sehen sich nun Strafanzeigen ohne Rückgriff auf ein ordnungsgemäßes Verfahren ausgesetzt, zudem wurden sie öffentlich in den Medien identifiziert.

Als Ergebnis dieser Maßnahmen werden Frauen angeklagt unter dem Vorwurf vorsätzlicher schwerer oder gefährlicher Körperverletzung, nur weil sie HIV-positiv sind. Es gibt keinen Beweis für Gefährdung oder Übertragung auf andere, noch ist es klar, ob auch nur eine dieser Frauen ihren HIV-Status vor diesem Test kannte. Sie stehen vor weiteren Anklagen für Vergehen im Zusammenhang mit angeblicher illegaler Prostitution.

Diese Aktionen der griechischen Polizei und des Ministeriums für Gesundheit und KEELPNO [1] verletzen die grundlegenden Menschenrechte. Sie stehen auch im Widerspruch zu grundlegenden Prinzipien der öffentlichen Gesundheit der informierten Zustimmung und des freiwilligen Zugangs zu Dienstleistungen.

Wir schließen uns der UNAIDS-Presseerklärung und dem offenen Brief der EATG an in ihre Forderung an die griechischen Behörden, ihre Maßnahmen im Hinblick auf evidenzbasierte Programme zu überprüfen und ein günstiges rechtliches Umfeld zu schaffen, das für alle Menschen einschließlich SexarbeiterInnen und ihre Kunden, Menschen, die Drogen nehmen, Migranten und Asylbewerber den Zugriff auf freiwillige und vertrauliche HIV-Prävention, Behandlung, Pflege und Support-Services ermöglicht, so dass sie HIV-Infektionen vermeiden können oder ein gesünderes Leben führen können, falls sie HIV-positiv sind.

Das Global Network of Sex Work Projects (NSWP) hat sich für die Achtung der Rechte von Frauen, Männer und Transgender SexarbeiterInnen seit 1992 eingesetzt, darunter gegen die obligatorische Registrierung und Prüfung von Sexarbeiterinnen. „Wir fordern, dass die griechische Regierung die nicht gerechtfertigte Verfolgung dieser Frauen stoppt und das erzwungene Testen von Sexarbeiterinnen beendet, die aufgrund des Vorwurfs der Sexarbeit verhaftet wurden“, sagt Ruth Morgan Thomas, Global Coordinator von NSWP. „Es ist Zeit, derartige diskriminierende Strafverfolgung und medizinische Verhaltensweise, welche die grundlegenden Menschenrechte von SexarbeiterInnen verletzen, zu beenden.“

GNP + hat seit langem für die Förderung und den Schutz der Menschenrechte aller Menschen mit HIV und die Beseitigung von rechtlichen und politischen Hindernisse für die HIV-Pflege befürwortet. „Solche diskriminierenden Anwendung des Strafrechts und der Polizeibehörde sind kontraproduktiv und ineffizient für die HIV-Prävention und stigmatisiert zusätzlich eine bereits marginalisierte Gruppe“, sagt Kevin Moody, GNP + Internationaler Koordinator und CEO. „Wir fordern für die griechische Regierung und die Polizeibehörden, die obligatorische HIV-Tests und die Verletzung der Geheimhaltungspflicht zu stoppen und wirksamere Maßnahmen zu erwägen, um die Gesundheit, Würde und das Wohlbefinden von Menschen mit HIV zu fördern.“

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[Presseerklärung von GNP+ und NSWP; Übersetzung ondamaris; Original-Text siehe unten]

siehe auch:
ondamaris 08.05.2012: Griechenland: HIV-Zwangstests bei Prostituierten

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Violation of human rights and breaches of medical confidentiality by the Greek Police and Health Authorities

The Global Network of People living with HIV (GNP+) and the Global Network of Sex Work Projects (NSWP)

As part of a Government authorised crackdown on hundreds of unlicensed brothels around Greece, sex workers are being arrested, submitted to forced HIV testing and facing criminal charges without recourse to due process, as well as being publically identified in the media.

As a result of these actions women are to face prosecution on charges of intentionally causing grievous bodily harm merely because they are HIV positive. There is no proof of exposure or transmission to others nor is it clear that any of these women knew their HIV status prior to this test. They are facing further charges for misdemeanours related to alleged illegal prostitution.

These actions of the Greek Police and the Ministry of Health and KEELPNO[1]violate fundamental human rights. They also contravene fundamental public health principles of informed consent and voluntary access to services.

We join UNAIDS (press statement) and others (EATG open letter ) in urging the Greek authorities to review their actions with a view to adopting evidence-based programmes and an enabling legal environment that supports all people—including sex workers and their clients, people who use drugs, migrants and asylum-seekers—to access voluntary and confidential HIV prevention, treatment, care and support services so that they can avoid HIV infection or live a healthier life if HIV-positive.

The Global Network of Sex Work Projects (NSWP) has campaigned for the respect of female, male and transgender sex workers rights since 1992, including opposing the mandatory registration and testing of sex workers. /“We demand that the Greek government stop the unjust prosecution of these women and end the forced testing of sex workers arrested on sex work related charges,“/ says Global Coordinator of NSWP, Ruth Morgan Thomas. /“It is time to end such discriminatory law enforcement and medical practices, which violate the fundamental human rights of sex workers.“/

GNP+ has long advocated for the promotion and protection of human rights of all people living with HIV and for the removal of legal and policy barriers to HIV care. /“Such discriminatory use of the criminal law and police authority is counterproductive and ineffective to HIV prevention efforts and further stigmatizes an already marginalized group,“/ says GNP+ International Coordinator and CEO, Kevin Moody. /“We call for the Greek government and police authorities to stop mandatory HIV testing and breaches of confidentiality, and consider more effective measures that promote the health, dignity and well being of those living with HIV/.“
[1]
*Hellenic Centre for Disease Control and Prevention *

(Nicht) Willkommen mit HIV

Die Aids-Organisation der Vereinten Nationen UNAIDS hat unter dem Titel „Welcome (not)“ eine Info-Grafik erstellt, die aufzeigt, in welchen Staaten und Regionen weltweit Menschen mit HIV willkommen sind – oder nicht:

mit HIV (nicht) willkommen (Grafik: UNAIDS)
mit HIV (nicht) willkommen (Grafik: UNAIDS)

UNAIDS zufolge verwehren 5 Staaten HIV-Positiven Visa selbst für kurzzeitige Einreise, weitere 5 Staatenverlangen eine Offenlegung des HIV-Status für eine Einreise. 21 Staaten deportieren HIV-Positive, sobald ihr HIV-Status bekannt wird. Weitere 47 Staaten haben weitere Formen der Ein- oder Beschränkungen der Reise- oder Aufenthaltsbedingungen für HIV-Positive.

Erfolg: sechs Staaten haben in jüngerer Zeit ihre zuvor bestehenden Einreisebeschränkungen aufgehoben.

mehr hier: UNAIDS: Welcome (not)

Grossbritannien: National Aids Trust rückt von informierter Einwilligung vor HIV-Tests ab und fordert ‚opt-out‘ (akt.)

Der ‚National Aids Trust‘ fordert „neue HIV-Test-Ideen“ – und rüttelt am Prinzip des frewilligen HIV-Tests mit vorheriger Information und Einverständnis. Er fordert einem Medienbericht zufolge nun umfassende regelmäßige HIV-Tests (nicht nur) bei ’sexuell aktiven schwulen Männern‘  – die automatisch erfolgen sollten, es sei denn, die Person entscheidet sich explizit dagegen (sog. ‚opt-out‘).

‚opt-out‘ ist eine Strategie bei HIV-Tests, sie befindet sich im Gegensatz zu ‚opt-in‘. Beide beziehen sich auf die Frage, ob eine Person in einen HIV-Test vorher explizit einwilligen muss oder nicht:
opt-in: KlientIn / PatientIn willigt explizit (und nach Beratung) in den HIV-Test ein
opt-out: KlientIn / PatientIn lehnt HIV-Test explizit ab und verhindert dadurch dessen Durchführung
In Deutschland wie in den meisten Industriestaaten ist bisher i.d.R. bei HIV-Tests das ‚opt-in-Verfashren Standard.

In dem ‚Testing Action Plan Second Edition 2012‘ (der erste stammt aus 2009) des National AIDS Trust heisst es nun unter anderem:

„The UK must move from reliance on its traditional ‘opt-in’ model of voluntary HIV testing to an ‘opt-out’ approach across the range of healthcare settings including all newly registering patients in general practice …“

It is important that testing efforts reach those most at risk from HIV and, in particular, those who would otherwise be diagnosed late. To do this, the UK must move from reliance on its traditional ‘opt-in’ model of voluntary HIV testing, usually conducted within sexual health clinics, to a more ‘opt-out’ approach (also known as provider-initiated testing) across a range of healthcare settings. This is where an HIV test is usually offered alongside other routine tests; the patient can turn down the offer, but must explicitly say no.“

Der 1987 gegründete ‚National Aids Trust‚ NAT ist eine britische (im Auftrag der britischen Regierung / Gesundheitministerium installierte) NGO (Nichtregierungsorgansaition) auf dem Gebiet der Aids-Bekämpfung und HIV-Prävention.

National Aids Trust HIV Testing Plan 2012
National Aids Trust HIV Testing Plan 2012

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Aktualisierung
11.05.2012, 12:30: Der Plan spricht neben der als ‚Priorität‘ (priority for action) bezeichneten Einführung von ‚opt-out‘ auch  von ‚Partner Notification‘. ‚Derzeit‘ sei diese jedoch ‚keine Priorität‘:

„Partner notification for those recently diagnosed with HIV can prove an effective means by which to test those who may have been exposed to the risk of infection. … By getting individuals tested, diagnosed and on to treatment, HIV partner notification could make a significant contribution to the personal and public health benefits of earlier HIV diagnosis, including reduced onward transmission. However, at present, practice around HIV partner notification is rather disparate and under-prioritised.

Partner notification should be commissioned consistently to national quality standards across the country. To inform such standards a nationwide audit of current practice around HIV partner notification should also be undertaken.“

Bie den ‚Priorities for Action‘ des NAT-Plans heißt es zudem

„HIV partner notification for those newly diagnosed with HIV needs to be better prioritised, resourced and performed.“

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National AIDS Trust: Testing Action Plan Second Edition 2012 (pdf)
GayStarNews: National AIDS Trust calls for gay men to have to ‘opt-out’ of HIV testing

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siehe auch
ondamaris 05.11.2009: opt-in oder opt-out? Literatur zur Debatte um opt-in und opt-out
ondamaris 22.10.2009: Bericht „HIV-Testungsansatz im deutschen Gesundheitswesen“ (akt.)

Therapie als Prävention „gefährliche Hereinnahme einer Public-Health-Ethik in individuelle Therapie-Entscheidungen zulasten des Einzelnen“ – Rolf Rosenbrock im Interview

Der Gesundheitswissenschaftler Rolf Rosenbrock erinnert in einem Interview an die grundlegenden Konflikte in der deutschen Aids-Politik (zwischen Sozialwissenschaften und Medizin). Rosenbrock äußert sich in dem Interview auch zum Konzept von HIV-Behandlung als Prävention.

Rosenbrock, bis Ende Mai 2012 Leiter der Forschungsgruppe Public Health im Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB), wurde am 26. April zum neuen Vorsitzenden des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes gewählt.

Rolf Rosenbrock war maßgeblich am Zustandekommen der gültigen Linie der Aids-Politik in Deutschland beteiligt (u.a. 1986 „Aids kann schneller besiegt werden“) – über die Geschichte berichtet er u.a. in dem Interview, das Jochen Drewes und Hella von Unger mit ihm führten und das im DAH-Blog veröffentlicht ist.

„In den drei Jahren verschärfte sich mein Verhältnis zur Medizin, weil ich massiv und dauerhaft dieser übergriffigen Arroganz begegnet bin, die vielen Angehörigen dieser Disziplin eigen ist – und das gepaart mit großer Ignoranz.“

Rosenbrock äußert sich auch zu derzeitigen Entwicklungen in der Gesundheitspolitik, auch zu HIV/Aids:

„In den reichen Ländern kann man die gesamte HIV-Politik auch als Machtkampf verstehen: zwischen Sozialwissenschaft und Medizin, zwischen Selbsthilfe und professionellen, medizinischen, behandelnden Institutionen. In der ersten Runde haben wir klar gewonnen, weil die Medizin nichts in der Hand hatte. In der zweiten Runde, der „Remedikalisierung“, haben wir viel verloren: Nicht mehr der Patient steht im Mittelpunkt, sondern das Medikamentenregime. Und die dritte Runde wird jetzt eingeläutet.“

Konkret äußert er sich zum Einsatz von HIV-Medikamenten rein aus präventiven (nicht Behandlungs-) Gründen (‚Behandlung als Prävention‘):

„Dagegen sprechen aber unter anderem ethische Argumente: Noch nicht behandlungsbedürftige Menschen bekämen dann eine hochgiftige Therapie mit unerwünschten Nebenwirkungen verpasst. Den Nutzen hätte nicht das therapierte Individuum, sondern die Gesellschaft und die Community. Das ist eine gefährliche Hereinnahme einer Public-Health-Ethik in individuelle Therapie-Entscheidungen zulasten des Einzelnen.“

Entsprechend klar habe sich auch der Nationale Aids-Beirat (dessen Mitglied Rosenbrock ist) erst jüngst positioniert (siehe „Der Nationale AIDS-Beirat positioniert sich zur Prävention von HIV mit antiretroviralen Medikamenten„).

Ein Kern-Gedanke in Rosenbrocks Wirken:

„die sozial bedingte Ungleichheit von Gesundheits- und Lebenschancen [ist] die zentrale Herausforderung nicht nur für die Gesundheits-, sondern auch für die Sozial-, die Arbeitsmarkt- und die Bildungspolitik“.

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DAH-Blog 11. Mai 2012: Selbstbestimmung fördert die Gesundheit

Griechenland: HIV Zwangstest bei Prostituierten (akt.)

HIV Zwangstest seit Ende April 2012 in Griechenland ohne Einwilligung des/der Betroffenen möglich: Die griechischen Gesundheitsbehörden KEELPNO führen nun in Zusammenabreit mit der griechischen Polizei vermehrt Zwangs-HIV-Tests durch bei Personen, die in legalen sowie illegalen Bordellen arbeiten, sowie bei Prostituierten auf dem Straßen-Strich und bei Drogengebraucher/innen. Das Gesundheitsministerium Griechenlands verlangt eine Intensivierung der Zwangstests bei legalen und illegalen Prostituierten.

Bereits seit September 2011 führen mobile Teams der griechischen Gesundheitsbehörden KEELPNO mit Einverständnis der Prostituierten Tests auf HIV, Hepatitis B und C sowie Tuberkulose durch. Hierbei wurde bei den untersuchten Gruppen ein deutlicher Anstieg festgestellt.

Erst jüngst war das Verhalten der Staatsanwaltschaft und Polzei Griechenlands international in die Kritik geraten, als diese Photos und Daten von elf HIV-positiv getseteten Prostituierten online stellte (siehe ondamaris 2.5.2012: Mittelalter à la grecque ? – griechische Polizei stellt HIV-positive Frauen öffentlich an den Pranger).

Eine internationale Petition wendet sich an den griechischen Präsidenten Lucas Papademos und fordert ihn auf, die HIV Zwangstest s zu beenden.

Eule (Symbol der Athena) auf der Akropolis (Foto: wpopp)
Eule (Symbol der Athena) auf der Akropolis (Foto: wpopp)

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Aktualisierung
11.05.2012, 12:00: UNAIDS zeigte sich besorgt über die jüngsten Vorgänge in Griechenland und fordert Griechenland auf, die Rechte von Sexarbeiter/innen sowie ihren Kunden zu achten und für umfassende und auf Freiwilligkeit basierende HIV-Programme einzusetzen. „There is no evidence that punitive approaches to regulating sex work are effective in reducing HIV transmission among sex workers and their clients.“

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EMG 05.05.2012: Warning signs of HIV+ ‚explosion‘ date back to early 2010, health ministry admits
change.org: To the Prime Minister of Greece: Stop the forced testing and outing of sex workers
Prof. Matthew Weait 05.05.2012: Greek brothel arrests
UNAIDS 10.05.2012: UNAIDS calls on Greece to protect sex workers and their clients through comprehensive and voluntary HIV programmes

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JungeWelt 07.08.2012: »Sie wurden als ›biologische Bomben‹ bezeichnet«

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Reaktionen auf ‚Migranten‘-Clip der Aids-Hilfe Köln – ist Kritik ‚böswillig‘, oder der Clip rassistisch und ‚grottenschlecht‘? (akt.2)

Die Aids-Hilfe Köln ist wegen eines umstrittenene Migrations-Spots in der Kritik. Der Journalist Norbert Blech fragt auf queer.de „Humorvoller Gligée oder rassistisches Klischee?“ Inzwischen haben auch die Aids-Hilfe Köln sowie die Macher des Spots reagiert (siehe Aktualisierung des Artikels auf queer.de). Sie erläutern ihre Intention mit dem Clip („Öffentliche Beratungsgelder werden durch immer atomisiertere Zielgruppenbetreuung nach Ansicht der Kölner Aidshilfe sinnlos verbraten“) – und bezeichnen Kritiker als „böswillig“ oder „unverschämt“.

„Ist der Spot von René Gligée zur Kölner AIDS-Gala 2011 rassistisch?“, hat die Readktion von queer.de in einer Abstimmung zum Artikel gefragt. „Ja, das geht gar nicht!“, finden derzeit knapp 57%, knapp 20% sagen „Er ist zumindest missverständlich“. 23,5% meinen „Nein, er ist lustig und macht Sinn.“ (Stand 25.4., 14:45 Uhr, 136 Teilnehmer/innen).

Auf queer.de, ondamaris, Facebook und Google+ löste der Spot Diskussionen aus. Die Aids-Hilfe habe „den Bezug zur Realität verloren“ vermutet ein Leser, andere finden den Clip einfach „grottendämlich“, „humorlos“, „peinlich“ oder „grauenhaft schlecht“. Andere hingegen finden den Spot „lustig“ oder „eher harmlos“ – oder stören sich an als überzogen empfundener Kritik

„Irgendwie werden Begriffe wie „menschenverachtend, verletzt religöse Gefühle, Frauen erniedrigend und rassistisch“ heutzutage ziemlich inflationär gehandhabt!“

Zur Frage, wie rassistisch der Spot sei, bemerkt ein Leser trocken

„Warum sollten die Aids-Hilfen in der Rassismus-Diskusssion weiter sein als der Rest des Landes?“

und ein queer.de-Leser merkt an

„Ich habe noch keinen gesehen der es geschafft hätte, komisch und intelligent daher zukommen, wenn er sich braune Schmiere ins Gesicht kletscht. Im besten Fall wird es peinlich und unangenehm – meistens kommt nur Mist dabei herum.“ (#2)

Ein Kommentator auf queer.de (#17) stellt fest

„Der Spott macht sich halt nicht nur über Beratungsarbeit lustig, sondern hauptsächlich über deren Klienten! Und das mit eindeutigem Rassismus!“

und bemerkt trocken

„Einfach mal überlegen, die CDU hätte einen ähnlichen Spott mit Schwulen in der Beratung gedreht, mit Nasalstimme, Fummel und allem, um dann zu sagen, eine solche Arbeit wäre eine finanzielle Verschwendung.“

Zudem verweist er auf mögliche Folgen:

„Die Aids-Hilfe hätte das nicht abnehmen dürfen, der Spott geht gegen die eigenen Prinzipien und wird die Arbeit mit Migranten erschweren.“

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Aktualisierung
25.04.2012, 14:30: Unter dem Tilel „Verteilungskämpfe um Fördermittel dürfen nicht auf dem Rücken von Migrantinnen und Migranten ausgetragen werden“ bemerkt ‚Die Linke NRW‘ in einer Presseerklärung:

„Ganz offenbar spielt die Verteilung von Fördergeldern eine Rolle für die Entstehung des Videoclips.
Dieses Video ist zutiefst rassistisch und politisch abscheulich. Gerade in Köln agiert seit Jahren die extrem rechte Initiative „pro Köln“, die sich gegen die angebliche Islamisierung der Stadt und den Bau von Moscheen wendet. Selbst wer nicht in Köln lebt, hat diese Debatte verfolgen können. Wer in Köln lebt, weiß erst recht, in welchen Dunstkreis er sich begibt, wenn er sich parallel zu den „pro Köln“-Kampagnen gegen Islamisierung und Moscheen gegen ein „Mekka“ an Beratung für MigrantInnen wendet. …
Mit der klischeehaften Darstellung unterschiedlicher MigrantInnen in der Videoproduktion dürfte die AIDS-Hilfe Köln e.V. sich zudem um den Ruf gebracht haben, auch eine kompetente Anlaufstelle für Migrantinnen und Migranten zu sein. …
Die Lesben- und Schwulenbewegung hat richtigerweise und oftmals erfolgreich dagegen gesetzt, dass die Kenntnis spezifischer Lebenssituation notwendige Voraussetzung für angemessene Beratungsangebote ist und dabei immer auf die Selbstorganisation von Betroffenen gesetzt werden muss. Auch AIDS-Hilfe ist als Selbstorganisation insbesondere schwuler Männer entstanden. Auch vor diesem Hintergrund sind die völlig undifferenzierten Angriffe der AIDS-Hilfe Köln e.V. auf ein angeblich drohendes „Migrationshintergrundberatungsmekka” vollkommen absurd.“

25.04.2012, 15:15: Carsten Schatz, Mitglied im Vorstand der Deutschen Aids-Hilfe, äußert kurz und knapp zu dem Clip ‚Migrationshintergrundberatungsmekka‘ :

„Ich bin fassungslos.“

25.04.2012, 16:30: Leser-Kommentar auf queer.de (#32):

„Dieses Video würde auf der Seite „Politcal Incorrect“ in keiner Weise auffallen. Und das sollte zu denken geben.“

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Österreich: OLG-Graz: Sex zwischen Hiv-Positiven ist nicht strafbar – Anklage zurückgewiesen

Ein Grazer Staatsanwalt wollte die staatlichen Safer Sex Regeln und Sex zwischen Hiv-Positiven kriminalisieren. Das Landesgericht und das Oberlandesgericht haben seine Anklage jedoch zurückgewiesen. Das Rechtskomitee LAMBDA (RKL), Österreichs Bürgerrechtsorganisation für homo- und bisexuelle sowie transidente Frauen und Männer, begrüßt die Verwerfung der absurden Anklage.

Der unbescholtene Mann ist Hiv-positiv. Die Staatsanwaltschaft (StA) Graz hat gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, weil ihn ein anderer Hiv-positiver Mann beschuldigt, ihn mit Hiv angesteckt zu haben. Tatsächlich hatte der Mann mit diesem anderen Mann vor Jahren einvernehmlichen sexuellen Kontakt, jedoch entsprechend den vom Gesundheitsministerium und den Aids-Hilfen propagierten Safer Sex Regeln, also mit Sexualpraktiken, bei denen eine Ansteckung so gut wie ausgeschlossen ist (Oralverkehr ohne Ejakulation in den Mund).

Erpresst und angezeigt

Der mehrfach wegen Gewalt-, Suchtgift- und Vermögensdelikten vorbestrafte Anschuldiger hat die Anzeige, in der er ungeschützten passiven Analverkehr behauptete, erst Jahre nach dem sexuellen Kontakt erstattet und erst nachdem der Beschuldigte nicht bereit war, seine erheblichen finanziellen Forderungen zu erfüllen. Zudem hat er selbst in seiner Einvernahme angegeben, anderweitig sexuelle Kontakte (zB in Sexkinos) gehabt zu haben und hatte er im Internet flüchtige sexuelle Kontakte („Sexdates“) gesucht mit einem Profil, auf dem angegeben war: „Safer Sex: Niemals“. Darüber hinaus ist dieser Mann nach seinen eigenen Angaben heroinsüchtig, und war daher, außer dem sexuellen noch anderen Übertragungswegen für eine Hiv-Infektion ausgesetzt.

Das gegen den Anschuldiger (wegen des Verdachts der schweren Erpressung) eingeleitete Strafverfahren wurde „wegen der widerstreitenden Aussagen“ sogleich nach Einvernahme der beiden Männer eingestellt. Nicht jedoch das Verfahren gegen den unbescholtenen der beiden Männer. Diesen klagte die Staatsanwaltschaft Graz an: wegen des Verdachts der Gefährdung durch übertragbare Krankheiten (§ 178 Strafgesetzbuch). Auch zwischen Hiv-positiven seien ungeschützte Sexualkontakte strafbar und Oralverkehr sei auch ohne Ejakulation in den Mund strafbar, so die Staatsanwaltschaft, entgegen den staatlich propagierten Safer Sex Regeln.

Staatsanwalt kriminalisierte Safer Sex

Das Landesgericht für Strafsachen Graz hat die Anberaumung einer Hauptverhandlung verweigert und die absurde Anklage zurückgewiesen, weil eine Verurteilung des Mannes nicht nahe liege. Sex zwischen Hiv-Positiven sei nicht strafbar und die Staatsanwaltschaft habe nicht einmal versucht zu klären, ob der Anschuldiger zum Zeitpunkt des Sexualkontakts bereits Hiv-positiv gewesen sein könnte. Zudem seien sehr wohl die unterschiedlichen Ansteckungswahrscheinlichkeiten bei Anal- und Oralverkehr zu berücksichtigen. Der Staatsanwalt erhob Beschwerde. Das Oberlandesgericht Graz bestätigte jedoch die Zurückweisung der Anklage (OLG Graz 16.02.2012, 8 Bs 40/12m).

„Nach unerfreulichen Vorfällen der jüngsten Zeit sind wir über die grundvernünftigen Entscheidungen der Grazer Richter hocherfreut“, sagt der Präsident des RKL und Rechtsanwalt des Angeklagten Dr. Helmut Graupner, „UNAIDS und die EU-Grundrechteagentur fordern im übrigen seit Jahren die Beseitigung derartiger Straftatbestände“.

(Pressemitteilung RK Lambda)

Aids-Hilfe Köln wegen umstrittenem Migrations-Spot in der Kritik

Billige Klischees, Verletzung religiöser Gefühle, Stammtisch-Niveau – die Aids-Hilfe Köln sieht sich für einen Video-Spot heftigen Vorwürfen ausgesetzt. Der Spot diskreditiere insbesondere die jahrelange erfolgreiche Präventionsarbeit in Migranten-Communities.

Ein Spot der Aids-Hilfe Köln spricht von „Beratung, koste es was es wolle“ und „bis die Fördertöpfe leer sind“. „Spätestens die Betonung der Kosten vermittelt den Eindruck, die Intention des Videos sei es, zielgruppenspezifische Prävention als teuren Unsinn zu erklären“, bemerkt Norbert Blech auf queer.de.

Der Spot wurde auf der Aids-Gala 2011 vorgestellt. Entstanden ist er im Kontext Kölner Planungen für spezielle Beratungszentren für Menschen mit Migrationshintergrund – Bemühungen, die die Aids-Hilfe Köln mit dem Spot als „Migrationshintergrundberatungsmekka“ zu konterkarieren versuche, das dann drohende Chaos darstellen wolle.

Darf alles getan werden, um „das eigene Stück von Kuchen“ zu sichern?, fragen sich Beobachter nun.

In ihrem Projekt ‚PaKoMi‚ hat die Deutsche Aids-Hilfe unter wissenschaftlicher Begleitung durch das Wissenschaftszentrum Berlin (WZB) Empfehlungen und Handbücher zu partizipativer und kooperativer Entwicklung von zielgruppenspezifischer HIV-Prävention mit Migrant(inn)en entwickelt. Diese sind in jeder Aids-Hilfe vorhanden.

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queer.de 24.04.2012: Humorvoller Gligée oder rassistisches Klischee?
DAH: Das PaKoMi-Handbuch ist da! (dort Link zu PaKoMi-Handbuch als pdf)

Deutsche AIDS-Hilfe: Bayern missachtet Rechte Gefangener

In einem offenen Brief hat die Deutsche AIDS-Hilfe (DAH) die bayerische Staatsministerin der Justiz, Dr. Beate Merk, aufgefordert, eine angemessene Versorgung heroinabhängiger bayerischer Häftlinge mit Substitutionsbehandlungen sicherzustellen.

Die Substitution mit Ersatzstoffen wie Methadon wird in bayerischen Haftanstalten den meisten Häftlingen vorenthalten. Damit verstößt Bayern gegen die entsprechenden Richtlinien der Bundesärztekammer sowie gegen das Bayerische Strafvollzugsgesetz, nach dem Gefangene eine genauso gute Gesundheitsversorgung erhalten müssen wie Menschen in Freiheit.

In ihrem offenen Brief appelliert die Deutsche AIDS-Hilfe daher an die Staatsministerin: „Achten Sie die Menschenrechte inhaftierter Drogengebraucher, sorgen Sie für den Schutz ihrer Gesundheit und ihres Lebens!“

Hintergrund des offenen Briefes sind zwei aktuelle Beschlüsse des Landgerichts Augsburg (siehe Pressemitteilung vom 17.4.2012). Zwei Häftlinge – einer davon HIV-positiv und mit dem Hepatitis-C-Erreger HCV infiziert – hatten geklagt, weil ihnen die JVA Kaisheim eine Substitutionsbehandlung verwehrte. Das Gericht lehnte die Anträge ab, ohne ein unabhängiges fachliches Gutachten einzuholen. Die Begründung des Beschlusses weist zahlreiche fachliche Fehler auf.

Auch die Deutsche Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS) hat sich daher mit einer Stellungnahme an Dr. Beate Merk gewendet. Mit Bezug auf eines der Urteile erklärt sie: „Die Urteilsbegründung entspricht nicht dem Stand des medizinischen Wissens und verletzt das Recht des Patienten auf eine angemessene Behandlung.“ Es bestehe „eine grundsätzliche Indikation zur fachgerechten Behandlung, und Behandlungsstandard ist die Substitutionsbehandlung.“

In einem weiteren offenen Brief bittet ein niedergelassener Arzt aus Ulm die Staatsministerin „um Aufklärung“. Einer seiner Patienten war erfolgreich substituiert und stand sogar wieder in einem Arbeitsverhältnis. Nach einem kurzen Rückfall kam er in Haft. „In der JVA wurde er, wie in Bayern wohl üblich, kalt entzogen“ und sei nun „ohne nennenswerte psychologische oder fachärztliche Betreuung“.

Zum erzwungenen Ausstieg aus der Substitutionsbehandlung in Haft merkt die DGS an: „Diese erhöht Gesundheits- und Lebensgefahren des Patienten erheblich.“

Die Deutsche AIDS-Hilfe bittet Staatsministerin Merk um eine Erklärung, warum die Rechte Gefangener auf angemessene Gesundheitsversorgung in Bayern missachtet werden. Unsere Mitgliedsorganisationen vor Ort und wir stehen gerne zu Gesprächen bereit und bieten Unterstützung zur Beseitigung der Missstände an.

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(Pressemitteilung DAH)

HIV/Aids-Handbuch für lateinamerikanische Gewerkschaften

Mit einem neu herausgegebenen Handbuch will die Internationale Transportarbeiter-Förderation Gewerkschaften in Lateinamerika Orientierungshilfen für den Umgang mit HIV und Aids am Arbeitsplatz geben.

Die Kompetenzen gewerkschaftlicher Mitarbeiter und Aktiver im Umgang mit HIV und HIV-Infizierten verbessern, Erfahrungen austauschen und zu konkreten Maßnahmen ermuntern – dies sind Anliegen des neuen Handbuchs „Manual de VIH/SIDA“ der ITF. Die 1896 gegründete ITF Internationale Transportarbeiter Föderation ist ein Dachverband von über 600 Gewerkschaften aus 140 Staaten.

Die ITF beschreibt dass Ziel des neuen Handbuchs:

„Mit Hilfe des in spanischer Sprache veröffentlichten HIV/Aids-Leitfadens der ITF sollen lateinamerikanische Gewerkschaften Kapazitäten zur Entwicklung von HIV-Strategien auf betrieblicher Ebene und zur Aushandlung von Kollektivverträgen mit HIV-Klauseln erwerben.
Das Handbuch enthält Fallbeispiele von Gewerkschaften in der Region, die in dieser Hinsicht Fortschritte erzielt haben, darunter die Sindicato de Empleados de Líneas Aéreas de Panamá (SIELAS), die die Aufnahme von HIV/Aids-Klauseln in Verträgen mit drei Fluggesellschaften durchsetzte. Gemeinsam mit einer Organisation, die sich im Bereich der HIV-Prävention engagiert, führte die Gewerkschaft ferner eine Sensibilisierungskampagne durch und verteilte Kondome.“

ITF: HIV/Aids-Handbuch für lateinamerikanische Gewerkschaften
ITF: HIV/Aids-Handbuch für lateinamerikanische Gewerkschaften

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weitere Informationen:
ITF News 13.04.2012: HIV/Aids-Handbuch für lateinamerikanische Gewerkschaften
ITF: Manual de VIH/SIDA (Spanisch; pdf)

25. April 2012 – ACT UP und Occupy Wall Street demonstrieren für ein Ende der Aids-Finanzkrise

Die Aids-Aktionsgruppe(n) ACT  UP feiern 25 Geburtstag: am 24. März 1987 – vor 25 Jahren – fand die erste ACT UP – Demonstration in New York statt. Aids-Aktivisten legten den Verkehr auf der Wall Street vor der New Yorker Börse lahm, um gegen hohe Preise für Aids-Medikamente und schleppende Zulassungsverfahren für neue Substanzen zu protestieren. Einige ACT UP – Aktivisten drangen bis in den Börsensaal (“das Parkett”) vor.

ACT UP begeht das 25-jährige Bestehen stilecht – mit einer Demonstration: ACT UP und Occupy Wall Street demonstrieren am 25. April 2012 ab 11:00 Uhr (Ortszeit) gemeinsam in New York für ein Ende der Aids-Finanzkrise. Dazu fordern sie eine Finanztransaktionssteuer, deren Einnahmen u.a. der Aids-Bekämpfung zugute kommen sollen:

„ACT UP is calling for a small tax (0.05%) on Wall Street transactions and speculative trades in order to raise the money needed to end the global AIDS epidemic and provide universal healthcare in the US.“

„AIDS has already claimed over 30 million lives. ACT UP is calling for an FST [Financial Speculation Tax; d.Verf.] to help raise the money needed to close the gap in access to life-saving HIV treatment, and to END THE AIDS CRISIS.“

„It’s time for effective healthcare to be made available to everyone — to the 99%, not just the 1%.“

ACT UP 25 Jahre
ACT UP 25 Jahre

Anfang April hatte einer der Gründer von ACT UP, der US-Autor und Aktivist Larry Kramer, der Aids-Aktionsgruppe ACT UP zum 25. Geburtstag gratuliert – mit kritischen Anmerkungen zum Schweigen der Schwulen.

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weitere Informationen:
ACT UP New York: ACT UP commemorates 25th anniversary by returning to Wall Street fopr massive protest (pdf)
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Deutsche AIDS-Hilfe kritisiert menschenverachtende Gerichtsbeschlüsse

Das Landgericht Augsburg hat die Klagen zweier heroinabhängiger Häftlinge auf eine Substitutionsbehandlung zurückgewiesen.

Die Justizvollzugsanstalt Kaisheim habe die Behandlung zu Recht abgelehnt, heißt es in den bisher unveröffentlichten Beschlüssen vom 28.3.2012. Die Substitution der Gefangenen – einer davon HIV-positiv und mit dem Hepatitis-C-Erreger HCV infiziert – sei medizinisch nicht angezeigt.

Dazu erklärt Sylvia Urban, Vorstandsmitglied der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH):

„Die Substitution steht den Gefangenen nach den Richtlinien der Bundesärztekammer zu. Wie in bayerischen Haftanstalten üblich, wird ihnen aus ideologischen Gründen eine wirksame Behandlung vorenthalten. Das schädigt ihre Gesundheit und möglicherweise auch die Gesundheit anderer Häftlinge. Das Gericht hat es versäumt, eine unabhängige fachliche Expertise einzuholen. Die Beschlüsse sind voller fachlicher Fehler und Missverständnisse.“

Das Gericht argumentiert unter anderem, es bestehe keine Aussicht auf Heilung. Die Gefangenen seien schon sehr lange abhängig und hätten bereits erfolglose Therapieversuche hinter sich. Damit nennt das Gericht genau die Kriterien, nach denen eine Substitution gemäß den Richtlinien der Bundesärztekammer sinnvoll ist.

Die Behandlung mit einem Ersatzstoff wie Methadon nimmt schwer Abhängigen den Suchtdruck, sodass kein Bedürfnis mehr nach Heroinkonsum besteht. So werden gesundheitliche Belastungen reduziert. Die Gefahr einer Übertragung von HIV oder HCV durch gemeinsam genutzte Spritzen wird ausgeschaltet. Zugleich dient die Substitution dem Vollzugsziel der Resozialisierung nach der Haftentlassung.

In der Begründung des Gerichts offenbart sich demgegenüber ein erschreckendes Menschenbild: Dem einen Gefangenen attestiert der Richter, er suche „bewusst die Illegalität“. Im anderen Fall betont er, die JVA habe bei dem Häftling „völlig zu Recht“ eine „antisoziale Persönlichkeitsstruktur“ ausgemacht.

„Von einem Verständnis der Abhängigkeit als behandlungsbedürftiger Krankheit fehlt hier jede Spur“, sagt DAH-Haftexpertin Bärbel Knorr. „Die Sucht als Charakterschwäche darzustellen, kann man nur menschenverachtend nennen. Die Begründung der Gerichtsbeschlüsse entbehrt jeder fachlichen Grundlage.“

Der Stellungnahme einer auf Substitution spezialisierten Ärztin der Deutschen Gesellschaft für Suchtmedizin (DGS) maß das Gericht keine Bedeutung bei. Es bestehe auch „keinerlei Grund, zu dieser medizinischen Frage ein Sachverständigengutachten einzuholen“ und an der Einschätzung der Anstaltsärzte zu zweifeln. Diese aber haben offenbar nicht die suchtmedizinische Ausbildung, die sie zu Substitution und entsprechenden Expertisen befähigen würde.

Alles deutet darauf hin, dass die Substitution aus prinzipiellen Gründen abgelehnt wird. Während Bundesländer wie Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg und Berlin die Möglichkeiten zur Substitution in Haft ausbauen, ist diese hoch wirksame präventive Maßnahme in Bayern weiter verpönt und wird nur in Ausnahmefällen gewährt.

Sogar laufende Substitutionstherapien werden durch Inhaftierung beendet. Das zeigt ein weiterer aktueller Fall: Ein erfolgreich substituierter Mann kam nach einem kurzzeitigen Rückfall in Haft, wo man ihm die Weiterbehandlung verwehrte. Die Haftanstalt überließ den Mann seiner Sucht und damit erheblichen gesundheitlichen Risiken.

Laut Bayerischem Strafvollzugsgesetz müssen Gefangene eine genauso gute medizinische Behandlung erhalten wie Menschen in Freiheit. Gemäß Artikel 60 haben sie Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn diese notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern.

„Diese Rechte werden in Bayern durch die Verweigerung von Substitution fortwährend missachtet“, sagt DAH-Vorstand Sylvia Urban. „Die Landesregierung steht in der Pflicht, das medizinische Personal in den Anstalten aus- und weiterzubilden, damit auch in Haft eine bedarfsgerechte Versorgung von Suchtkranken gewährleistet ist.“

(Pressemitteilung DAH)

Pilot, Flugbegleiter: bald auch mit HIV möglich?

Auch HIV-Positive können bald Pilot werden, sofern es ihre Gesundheit erlaubt. Dies sieht eine Verordnung der Europäischen Agentur für Flugsicherheit vor, die am 8. April 2012 in Kraft trat. Wirksam werden die neuen Regeln in Deutschland erst 2013 oder 2014.

Die Zulassung von Piloten und Flugbegleitern zum Flugbetrieb ist in Europa durch eine EU-Verordung geregelt. Eine Neufassung dieser Verrodnung könnte nun dafür sorgen, dass bald auch HIV-Positive Pilot und Flugbegleiter werden können, wie das DAH-Blog meldet.

In der Richtlinie heisst es nun:

„Bewerber mit positivem HIV-Befund können vorbehaltlich einer zufrieden stellenden flugmedizinischen Beurteilung als tauglich beurteilt werden.“

Die enue Verordnung (Nummer: 1178/2011) der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA) trat am 8. April 2012 in Kraft. Die DAH weist allerdings darauf hin, dass es noch dauert, bis die neuen Regelungen in Deutzschland wirksam werden:

„Leider werden die neuen Regeln nicht sofort wirksam: In Deutschland wie in den meisten anderen europäischen Staaten verschiebt sich die Anwendung um mindestens ein Jahr, maximal bis zum 8. April 2014. Das Jahr 2012 nutzt das Bundesverkehrsministerium erst einmal dazu, entsprechende Verwaltungsvoraussetzungen zu schaffen.“

Die DAH betont, dass routinemässige HIV-Tests weder für Piloten noch für Flugbegleiter vorgeschrieben seien – dafür gebe es keine gesetzlichen Grundlagen.

Pilot (Foto: avtraining1)
Pilot (Foto: avtraining1)

Noch 2007 rühmte die Financial Times die Einstellungen der Lufthansa als „die wohl härteste Eingangsuntersuchung“ – mit dem verweis unter anderem auf eine äußerst rigide Politik in Sachen HIV: “wer beispielsweise HIV-positiv ist, fliegt raus.”

In den USA hatte erst vor wenigen Tagen der Oberste Gerichtshof (Supreme Court) geurteilt, ein HIV-positiver Pilot habe kein Recht, gegen die US-Regierung zu klagen, weil die Sozialversicherung der US-Flugsicherheitsbehörde Federal Aviation Authority FAA seinen HIV-Status mitgeteilt hat.

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weitere Informationen:
Europäische Agentur für Flugsicherheit: Acceptable Means of Compliance and Guidance Material to Part-MED1 (pdf)
Kommission der Europäischen Gemeinschaften: Entwurf zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. …/… der Kommission zur Festlegung der Durchführungsbestimmungen für die Beurteilung der flugmedizinischen Tauglichkeit von Beschäftigten in der Zivilluftfahrt gemäß Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates (pdf)
DAH-Blog 08.04.2012: Piloten und Flugbegleiter: HIV bald kein Ausschlusskriterium mehr
Washongton Times 28.03.2012: Man can’t sue feds over sharing of his health records, justices rule
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NRW: Justizminister Kutschaty kündigt Aus für „Zwangsouting“ an – Persönlichkeitsrechte Inhaftierter mit HIV müssen gewahrt werden

NRW-Justizminister Thomas Kutschaty kündigte an, dass die Einwilligungserklärung bei gemeinschaftlicher Unterbringung oder Umschluss von Gefangenen und damit das sogenannte „Zwangsouting“ Inhaftierter mit HIV in nordrhein-westfälischen Justizvollzugsanstalten zukünftig entfällt. „Aus meiner Sicht erscheint durch die Neufassung des sogenannten AIDS-Erlasses von 1988 zukünftig ein unter vollzuglichen Verhältnissen optimaler Umgang mit HIV- und auch Hepatitis-Infizierten gewährleistet“, sagte Kutschaty vor der Aids-Fachöffentlichkeit, die zum Jahresempfang der AIDS-Hilfe NRW nach Düsseldorf gekommen war. „Die Gefangenen erhalten eine adäquate Information hinsichtlich der Vermeidung von Infektionskrankheiten, die Persönlichkeitsreche werden gewahrt und dem Schutz der Bediensteten wird Rechnung getragen.“

Dies wäre aus Sicht der AIDS-Hilfe NRW nach langwierigen Diskussionen mit dem Justizministerium und allen Fraktionen des Landtags sowie einer Anhörung im Rechtsausschuss ein Durchbruch für die Selbstbestimmungsrechte der Menschen mit HIV. Klaus-Peter Schäfer, Landesvorsitzender der AIDS-Hilfe NRW, gab der Hoffnung Ausdruck, dass „die Aufhebung der bisherigen Praxis beim Umschluss mit anderen Gefangenen“ in allen Justizvollzugsanstalten des Landes ohne Zeitverzögerung umgesetzt wird“.

Der Minister äußerte sich auch zu der Frage der Kriminalisierung von HIV-Übertragungen. „Das Wissen HIV-Positiver um die Infektion und die damit verbundenen vielfältigen Belastungen sollten nicht noch durch die Befürchtung einer ungerechtfertigten oder pauschalen Kriminalisierung verstärkt werden“, erklärte Kutschaty. Der Minister äußerte sich überzeugt davon, dass Strafverfolgungsbehörden und Gerichte für die Problematik sensibilisiert seien und mit dem Thema behutsam umgingen.

Kutschaty sprach sich für eine weiterhin vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Justiz und Aidshilfe aus. Insbesondere bei der „Sicherung der im Vollzug eingeleiteten Maßnahmen nach Entlassung“ Inhaftierter, vor allem Drogen konsumierender Gefangener, komme den Aidshilfen eine wichtige Rolle zu.

(Pressemitteilung Aids-Hilfe NRW)

USA: Richtlinie empfiehlt antiretrovirale Therapie für alle HIV-Positiven

Die Leitlinien zur Behandlung der HIV-Infektion wurden in den USA aktualisiert. Empfohlen wird nun eine antiretrovirale Behandlung aller HIV-Positiven.

Mit der Aktualisierung werde u.a. den Feststellungen Rechnung getragen, dass fortdauernde HIV-Vermehrung schädliche Folgen habe; zudem solle dem positiven Effekt der antiretroviralen Therapie auf eine Verhinderung der HIV-Übertragung entsprochen werden.

Zentraler Satz: antiretrovirale Therapie werde allen HIV-Positiven empfohlen – „ART is recommended for all HIV-infected individuals.“ Die Stärke dieser Empfehlung variiere abhängig von der CD4-Zellzahl.

Die neue Richtlinie führt aus:

„Initiating Antiretroviral Therapy in Treatment-Naive Patients
The Panel updated its recommendations on initiation of ART in treatment-naive patients. The changes are primarily based on increasing evidence showing the harmful impact of ongoing HIV replication on AIDS and non-AIDS disease progression. In addition, the updated recommendations reflect emerging data showing the benefit of effective ART in preventing secondary transmission of HIV. The updated section includes more in-depth discussion on the rationale for these recommendations and on the risks and benefits of long-term ART.
The Panel’s recommendations are listed below.

  • ART is recommended for all HIV-infected individuals. The strength of this recommendationa varies on the basis of pretreatment CD4 cell count:
    – CD4 count < 350 cells /mm³ (AI)
    – CD4 count 350 to 500 cells / mm³ (AII)
    – CD4 count >500 cells/mm³ (BIII)
  • Regardless of CD4 count, initiation of ART is strongly recommended for individuals with the following conditions:
    – Pregnancy (AI) (see perinatal guidelines for more detailed discussion)
    – History of an AIDS-defining illness (AI)
    – HIV-associated nephropathy (HIVAN) (AII)
    – HIV/hepatitis B virus (HBV) coinfection (AII)
  • Effective ART also has been shown to prevent transmission of HIV from an infected individual to a sexual partner. Therefore, ART should be offered to patients who are at risk of transmitting HIV to sexual partners (AI [heterosexuals] or AIII [other transmission risk groups]).
  • Patients starting ART should be willing and able to commit to treatment and should understand the benefits and risks of therapy and the importance of adherence (AIII). Patients may choose to postpone therapy, and providers, on a case-by-case basis, may elect to defer therapy on the basis of clinical and/or psychosocial factors.“

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siehe auch:
ondamaris / Michèle Meyer 02.02.2012: Lasst uns aus der kollektiven Schockstarre des Verseuchtseins erwachen! Freut euch!
ondamaris / Ulrich Würdemann 22.07.2011: “treatment as prevention” – ein Konzept mit latent freiheitseinschränkenden Tendenzen?

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weitere Informationen:
U.S. Department of Health and Human Services 27.03.2012: Guidelines for the Use of Antiretroviral Agents in HIV-1-Infected Adults and Adolescents (pdf)
AidsInfo 26.03.2012: Guidelines for the Use of Antiretroviral Agents in HIV-1-Infected Adults and Adolescents – What’s New in the Guidelines?
POZ 28.03.2012: Revised U.S. Guidelines: HIV Treatment is Recommended for All People Living With HIV
aidsmap 29.03.2012: New US treatment guidelines recommend antiretroviral treatment for all people with HIV
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