PrEP: Studie in Afrika mangels Wirkung vorzeitig abgebrochen (akt.4)

Eine Studie zur Prä-Expositions-Prophylaxe bei Frauen in Afrika ist vorzeitig abgebrochen worden. Es sei höchst unwahrscheinlich, dass die verwendete Medikamenten-Kombination bei der Prävention von HIV-Übertragungen effektiv sei, so die Begründung für den vorzeitigen Abbruch.

Nach einer planmäßigen Zwischen-Auswertung von Daten der ‚FEM-PrEP-Studie‘ stellte das Independent Data Monitoring Committee (IDMC) fest, die in der Studie verwendete Medikamenten-Kombination Emtricitabin (FTC) plus Tenofovir (Handelsname Truvada®) sei mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage, in der Studien-Population eine Wirksamkeit zur Verhinderung von HIV-Infektionen zu zeigen, selbst wenn die Studie bis zum ursprünglich geplanten Endpunkt und mit der ursprünglich geplanten Teilnehmerinnen-Zahl fortgesetzt werde.

Family Health International (FHI) als Träger der Studie hat sich darauf hin dazu entschlossen, die Studie geordnet zu beenden. Endgültige Auswertungen der Studienergebnisse lägen noch nicht vor, heißt es. Es sei derzeit nicht möglich zu sagen, ob Truvada geeignet sei zur Verhinderung von HIV-Infektionen bei Frauen.

„FHI subsequently concurred and has therefore decided to initiate an orderly closure of the study over the next few months. The final analyses have not yet been conducted. At this time, it cannot be determined whether or not Truvada works to prevent HIV infection in women.“

Im Rahmen der radomisierten, plazebokontrollierten Phase-III-Studie ‚FEM-PrEP‘, die FHI gemeinsam mit Forschungspartnern in Afrika durchführte, sollte untersucht werden, ob die Kombination von Emtricitabin und Tenofovir (Truvada®) geeignet ist, als Prä-Expositions-Prophylaxe bei HIV-negativen Frauen mit einem hohen HIV-Infektions-Risiko eine HIV-Infektion zu verhindern.

FHI bezeichnete die derzeitigen Daten und den Abbruch der Studie als enttäuschend. Es gebe eine Reihe von möglichen Gründen für dieses Ergebnis, darunter niedrige Therapietreue (Adhärenz), ein echtes Fehlen eines Effekts (im Gegensatz zu Männern), oder andere noch zu ermittelnde Gründe.

Die Studie hatte bisher 3.752 Frauen zwischen 18 und 35 Jahren in Kenia, Südafrika und Tansania untersucht und 1.951 bereits in die Studie aufgenommen. Ursprünglich war die Teilnahme von insgesamt 3.900 Frauen vorgesehen. Bis 18. Februar2011  gab es unter den Studien-Teilnehmerinnen (die bis dahin durchschnittlich 12 Monate an der Studie teilgenommen hatten) eine Rate neuer HIV-Infektionen von 5%. 56 neue HIV-Infektionen wurden bei den Teilnehmerinnen diagnostiziert. Die Zahl der HIV-Neu-Diagnosen war in der Gruppe der Frauen, die Truvada® erhielten, gleich groß wie in der Gruppe der Frauen, die Plazebo (eine Pille ohne Wirkung) erhielten:

„As of February 18, the approximate rate of new HIV infections among trial participants was 5 percent per year. A total of 56 new HIV infections had occurred, with an equal number of infections in those participants assigned to Truvada and those assigned to a placebo pill.“

Besonders überraschendes Ergebnis der Studie: Frauen in der Truvada®-Gruppe wurden mit größerer Wahrscheinlichkeit schwanger als die in der Plazebo-Gruppe, obwohl alle hormonelle Kontrazeptiva nahmen. Bisher sind keine Wechselwirkungen zwischen Truvada® und hormonellen Kontrazeptiva bekannt.

Das britische HIV-Informations-Portal aidsmap bezeichnete es angesichts der von iPrEx überraschend deutlich abweichenden Ergebnisse von FEM-PrEP als eine Möglichkeit, dass antiretrovirale Medikamente in unterschiedlichen Populationen ein unterschiedliches Maß an Wirksamkeit zeigen. Damit könne der Präventions-Effekt deutlich vom Kontext abhängig sein:

„One possibility raised by the early closure of the FEM-PrEP study is that antiretroviral drugs may show different levels of effectiveness in preventing new infections according to the populations and locations in which they are studied. In other words, the prevention impact of antiretrovirals may be highly dependent on the context rather than on biological differences between the populations studied.“

Die US-Arzneimittelbehörde CDC reagierte auf die Studienergebnisse mit dem Hinweis, derzeit bestehe für die Anwendung von PrEP bei Frauen keine Grundlage:

„Given today’s results, CDC cautions against women using PrEP for HIV prevention at this time.“

Die Studie FEM-PrEP war finanziert worden von der U.S. Agency for International Development sowie der Bill & Melinda Gates Foundation. Die Medikamente stellte Hersteller Gilead zur Verfügung.

In zwei weiteren Studie wird derzeit das Konzept einer Prä-Expositions-Prophylaxe mit Truvada® bei Frauen untersucht:
– die ‚Partners‘-Studie untersucht 4.700 serodifferente Paare (Frau/Mann; serodifferent = ein HIV-Partner infiziert, der andere nicht) in Kenia und Uganda, Ergebnisse werden 2013 erwartet.
– Die ‚Vice‘-Studie vergleicht orales Tenofovir (Viread®), orales Truvada® und ein vaginales Gel mit Tenofovir bei 5.000 heterosexuellen Frauen in Südafrika, Uganda und Simbabwe; Ergebnisse werden ebenfalls 2013 erwartet.

Das Konzept einer Prä-Expositions-Prophylaxe (kontinuierlich oder zeitweise Aids-Medikamente nehmen vor einem möglichen Infektions-Risiko, um eine Infektion mit HIV zu verhindern) ist derzeit experimentell und auch unter Fachleuten umstritten.
Truvada® (Hersteller: Gilead) kostet in Deutschland derzeit 833,82 € (Monats-Packung mit 30 Tabletten). Für wenig entwickelte Staaten sind jedoch generische Versionen von Tenofovir und Emtricitabine (die Wirkstoffe von Tuvada®) erhältlich, die minimal nur 100€ pro Jahr kosten.

Erst im November 2011 hatte die ‚iPrEx-Studie für Aufmerksamkeit und Begeisterung gesorgt. Sie hatte bei HIV-negativen Männern eine 44%ige Schutzwirkung einer bestimmten Medikamenten-Kombination als PrEP gezeigt – aber auch viel Kritik und Fragen aufgeworfen.

Dennoch hatten die USA bereits kurz darauf vorläufige Richtlinien für PrEP vorgestellt. Das US-Magazin Time erklärte PrEP euphorisch zum ‚bedeutendsten medizinischen Durchbruch 2010‚. Auch die Europäer stellten ein Konzept-Papier zu PrEP zur Diskussion.

.

Aktualisierung
18.04.2011, 21:00: Der Kurs der Aktie von Gilead, Hersteller von Truvada®, fiel nach Veröffentlichung des Studien-Abbruchs um 3,1%. (Bloomberg)
18.04.2011, 22:30: Der US-amerikanische Healthcare Provider Aids Healthcare Foundation forderte unterdessen, Gilead müsse seine  Zulassungsantrag von Truvada als PrEP stoppen.
19.04.2011, 09:30: Das US – National Institute of Allergies and Infectious Diseases (NIAID) betont, der Bedarf an weiterer Forschung auf diesem Gebiet sei offensichtlich. Man werde alle Teilnehmer der Vice-Studie (s.o.) über die Ergebnisse von FEM-PrEP informieren: „NIAID will continue with the VOICE study while informing all current participants about the FHI findings as soon as possible.“
Die International Aids Vaccine Initiative IAVI bezeichnete die Ergebnisse von FEM-PrEP als „enttäuschend“. Man habe in den vergangenen Monaten bedeutende Fortschritte auf diesem Gebiet gesehen. Trotz dieses Rückschlags trage FEM-PrEP auch zu einem besseren Verständnis von Prävention bei.

.

weitere Informationen:
fhi 18.04.2011: FHI to Initiate Orderly Closure of FEM-PrEP
Fact Sheet zur FEM-PrEP-Studie (pdf, englisch)
FEM-PrEP Key Findings (pdf, englisch)
towleroad 18.04.2011: African Study of ‚Aids Prevention‘ Drug Truvada halted
aidsmap 18.04.2011: Study of HIV drug for prevention in women closes, judged unlikely to show effect
CBCnews 18.04.2011: AIDS prevention pill study halted
CDC 18.04.2011: Results of FEM-PrEP Clinical Trial Examining Pre-Exposure Prophylaxis (PrEP) for HIV Prevention Among Heterosexual Women
New York Times 18.04.2011: AIDS Prevention Pill Study Halted; No Benefit Seen
The Body 18.04.2011: PrEP Ineffective for Women? Study on Truvada for HIV Prevention Is Unexpectedly Cut Short
IAVI Blog 18.04.2011: Oral PrEP Trial in Women Stopped Early
NIAID 18.04.2011: The FEM-PrEP HIV Prevention Study and Its Implications for NIAID Research
Caprisa 18.04.2011: CAPRISA thanks FHI for important interim FEM-PrEP trial results
IAVI 18.04.2011: IAVI Responds to the News of Planned FEM-PrEP Trial Closure
DAH 19.04.2011: Präventionsstudie mit HIV-Medikamenten abgebrochen
Ärzteblatt 19.04.2011: Medizin Truvada: HIV-Präventions­studie gestoppt
.

Kurz notiert … April 2011

28. April 2011: Ein Richter hat die vom New Yorker Bürgermeister vorgenommenen starken Kürzungen im Aids-Budget der Stadt zurück genommen.

Bereits am 13. April 2011 unterzeichnete Israel erstmals eine Kooperations-Vereinbarung mit UNAIDS.

20. April 2011: Der Pharmakonzern Abbott einigte sich in einem ‚class action lawsuit‘ mit Groß-Einkäufern von zweien seiner Aids-Medikamente auf eine Zahlung von 52 Millionen US-$.

18. April 2011: In Köln stirbt die Schauspielerin Stefanie Mühle an den Folgen von Krebs. In der Rolle der „Chris Barnsteg“ (1987 – 1991) hatte sie in der ARD-„Lindenstrasse“ den CSU- Politiker Peter Gauweiler wegen seiner Aids-Politik als „Faschisten“ bezeichnet.

17. April 2011: Zum Eurovision Song Contest ESC (früher Grand Prix) will die Düsseldorfer Aids-Hilfe mit einer besonderen Aktion präsent sein: „safer sex 12 points“.

16. April 2011: In Großbritannien bekommen erstmals serodifferente Paare Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP), um auf natürliche Weise ihren Kinderwunsch realisieren zu können.

14. April 2011: Atazanavir kann das Risiko für Nierensteine vierfach erhöhen, berichten britische Forscher.

13. April 2011: Die britischen Pfadpfinder habe ein neues Programm zur Sexualaufklärung bei 14- bis 18-Jährigen gestartet unter dem Titel „My Body, My Choice“.

12. April 2011: Die Zahl nicht Aids definierender Krebserkrankungen bei HIV-Positiven ist am Steigen, betont das National Cancer Institute der USA.

Trotz einer Finanzkrise des Medikamenten-Programms ADAP hat der Pharmakonzern Gilead in den USA die Preise für seine Aids-Medikamente zum Teil deutlich erhöht.

05. April 2011: Der kalifornische Porno-Produzent „Hustler Video“ wurde zu über 14.000 US-$ Geldstrafe verurteilt, weil bei Porno-Dreharbeiten keine Kondome verwendet wurden.

02. April 2011: „Du hattest ungeschützten Sex? Verhindere eine HIV-Infektion!“, wirbt eine Kampagne der New York School of Medicine für Post-Expositions-Prophylaxe (PEP).

Zwei Drittel aller Kinder, die nach Geburt gestillt wurden und mit HIV infiziert wurden, und deren Mütter antiretrovirale Therapie erhielten, hatten HIV mit Resistenzen gegen ein oder mehrere Medikamente, berichten Forscher.

01. April 2011: HIV-Positive sind bisher von Organspenden ausgeschlossen. Ist dies noch zeitgemäß?, fragt eine Studie – vor dem Hintergrund langer Wartelisten bei HIV-positiven potentiellen Organempfängern.

Eine sinkende Rate an neuen HIV-Infektionen, über sechs Millionen HIV-Positive weltweit erhalten antiretrovirale Therapien – die umfangreichen Investitionen in die globale Aids-Bekämpfung beginnen Früchte zu tragen, betont UN-Generalsekretär Ban ki-Moon.

Kurz notiert … Februar 2011

27. Februar 2011: Der deutsche Zahlungsstopp bedroht nach internen Berechnungen des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria mindestens 43.000 Leben.

25. Februar 2011: Die US-Medikamentenbehörde FDA hat die Packungsbeilage von Kaletra® hinsichtlich Frühgeborener überarbeitet. Die Packungsbeilage für Viracept® (Nelfinavir) wurde um Wechselwirkungs-Angaben für Warfarin ergänzt.

23. Februar 2011: Pharmaunternehmen entschädigen Bluter mit Hepatitis C.

21. Februar 2011: Nur gut ein Fünftel der HIV-Positiven in der Ukraine erhält antiretrovirale Therapie – und selbst sie sehen sich jetzt massiven Versorgungsproblemen ausgesetzt.

19. Februar 2011: Die bisher detaillierteste dreidimensionale Darstellung von HIV durch ein Team des russischen Unternehmens Visual Science gewann in der Kategorie ‚Illustration‘ den Preis der ‚International Science and Engineering Visualization Challenge 2010‘.

18. Februar 2011: Die Bestimmung von CD4-Zellzahlen ist elementar, u.a. für Therapieentscheidungen. Für Positive in nicht oder weniger industrialisierten Staaten sind kostengünstige Tests besonders wichtig. Doch ein Medizintechnik-Konzern macht Probleme.

16. Februar 2011: Der Impfstoff Silgard/Gardasil kann bei jungen Männern das Entstehen von Feigwarzen deutlich vermindern.

15. Februar 2011: ACT UP Paris demonstriert vor dem französischen Pharma-Verband LEEM dafür, dass zwei neue Substanzen gegen Hepatitis C auch an Menschen getestet werden, die mit HIV und Hepatitis C koinfiziert sind.

In Südafrika beginnt eine Phase-IIb-Studie mit Sutherlandia frutescens (Ballonerbse). Sutherlandia wird in Südafrika als traditionelle Medizin eingesetzt (und ist auch einigen Positiven hierzulande seit langem bekannt). Die Studie des ‚South African Herbal Science and Medicine Institute‘ (SAHSMI) soll die Pflanze auf ihr Potential zur Behandlung von Begleiteffekten der HIV-Infektion untersuchen.

14. Februar 2011: Auf der Berlinale, die vom 10. bis 20. Februar 2011 in Berlin stattfindet, laufen auch Filme zu HIV / Aids: u.a. „We were here“ sowie der erste chinesische Dokumentarfilm zu HIV „Be together“.

11. Februar 2011: ‚Würden die (US-amerikanischen Medikamentenbehörden) FDA ein Verhütungsmittel zulassen, dass zu 44% wirkt?‘, weist Aids Healthcare Foundation auf viele Fragen zur derzeitigen Situation bei PrEP hin.

10. Februar 2011: Cornelia Yzer, bisher Cheffin des Verbands forschender Pharmaunternehmen (VfA), beendet ihre Tätigkeit Ende Juni 2011 – nach Medienberichten ’nicht ganz freiwillig‘.

HIV kann die Immunabwehr von Neugeborenen auch schwächen, ohne dass diese mit HIV infiziert werden, stellt eine US-Studie fest.

In Los Angeles sollen mit einer städtischen Vorschrift Porno-Produzenten zur Kondom-Verwendung bei Porno-Dreharbeiten gezwungen werden.

08. Februar 2011: Jugendliche in der Schweiz schützen sich besser vor einer HIV-Infektion. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit.

Eine kleine Studie in den USA untersucht, ob Disulfiram (Handelsname Antabuse®) geeignet ist HIV aus viralen Reservoirs auszuwaschen.

07. Februar 2010: Die US-Arzneimittelbehörde FDA hat Lopinavir / Ritonavir (Handelsname Kaletra®) in eine ‚watch list‘ wegen möglicher Sicherheitsprobleme bei Neugeborenen aufgenommen.

Tesamorelin (Handelsname Egrifta®) soll zukünftig in Europa nach Unterzeichnung eines entsprechenden Lizenzabkommens vom spanischen Unternehmen Ferrer International vermarktet werden.

Mord wegen HIV? Brachte ein 55 Jahre alter Frührentner zwei Cruiser um, weil er nach einer HIV-Infektion Schwule hasste?

06. Februar 2011: Kürzungen bei Krankenversicherungs-Programmen in den USA – laufen immer mehr US-Amerikaner mit geringem Einkommen Gefahr, keine wirksame HIV-Therapie mehr zu bekommen? Regan Hofmann sorgt sich in der Huffington Post über „The Alarming State of AIDS in America„.

Ein HIV-positiver Ugander befürchtet, aus Großbritannien nach Uganda abgeschoben zu werden – und dort um sein Leben fürchten zu müssen.

04. Februar 2011: Nach Vorwürfen der Zweckentfremdung von Mittel kündigt der Präsident des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose Michel Kazatchkine, an, die Zahl seiner Mitarbeiter, die für die Abwicklung der Hilfszahlungen zuständig sind, zu erhöhen

03. Februar2011: Erstmals seit Beginn der Aids-Krise ist in San Francisco die Mehrzahl der Menschen, die mit einer Aids-Diagnose leben, über 50 Jahre alt. 53% aller Menschen, bei denen im Jahr 2010 Aids diagnostiziert wurde, seien 50 Jahre oder älter gewesen, berichtet der Bay Area Reporter.

01. Februar 2011: Der Pharmakonzern Gilead hat die Laufzeit einer Phase-III-Studie seines experimentellen Integrasehemmers Elvitegravir auf Empfehlung der US-Medikamentenbehörde FDA von 48 auf 96 Wochen verlängert.

Kurz notiert … Januar 2011

29. Januar 2011: ‚Ärzte ohne Grenzen‚ kritisiert die Vereinbarung zwischen der Johnson & Johnson-Tochter Tibotec und drei Generika-Herstellern über ein neues HIV-Medikament des Konzerns (Rilpivirine)  für unzureichend. Viele HIV-Positive blieben von der Regelung ausgeschlossen.

28. Januar 2011: In den USA ist Tesamorelin (Handelsname Egrifta®) nach der US-Zulassung inzwischen verfügbar – die Jahres-Kosten (wholesale acquisition cost, etwa Großhandelseinkaufspreis) sollen bei 23.900 US-$ liegen.

27. Januar 2011: Die US-Medikamentenbehörde FDA hat eine Zulassungsantrag des Pharmaunternehmens Gilead für eine Dreier-Kombipille aus Tenofovir und Emtricitabin (bisher schon vermarktet unter dem Hhandelsnamen Truvada®) sowie dem experimentelle NNRTI Rilpivirin vorläufig nicht angenommen. Das Unternehmen kündigte an, kurzfristig weitere Daten zur Verfügung zu stellen.

24. Januar 2011: Die Medikamenten-.Behörde der EU hat Darunavir (Handelsname Prezista®) für die einmal tägliche Anwendung (mit Ritonavir als Booster) bei Therapie-erfahrenen Erwachsenen ohne Hinweise auf potentielle Resistenzen gegen die Substanz zugelassen.

23. Januar 2011: Die US-Regierung ist beunruhigt, dass die Pharma-Industrie zu langsam und zu wenige neue Substanzen entwickelt – und reagiert, indem sie ein eigenes Bundes-Forschungszentrum ins Leben ruft.

22. Januar 2011: US-Forscher haben erstmals die Struktur der Protein-Hülle von HIV entschlüsselt. Sie hoffen, dass sich daraus neue Ansätze für Medikamente gegen HIV entwickeln lassen.

In Tschetschenien müssen zukünftige Eheleute seit Mitte Januar 2011 einen HIV-Test machen, nur HIV-Negative werden vermählt. Dies erklärte der Großmufti des islamischen Landes. Zwar ist Heirat auch in Tschetschenien gesetzlich geregelt, Anordnungen des Muftis werden aber von vielen Bürgern befolgt.

20. Januar 2011: Bei HIV-Positiven ist möglicherweise das Risiko für Schlaganfälle erhöht, berichten US-Forscher.

Nutzen-Bewertung von Arzneimitteln: Der Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) hat sich eine neue Verfahrensordnung gegeben.

19. Januar 2011: Arbeitsagenturen und Jobcenter müssen Hartz-IV-Empfängern die Beiträge zur privaten Krankenversicherung voll bezahlen, berichtet die DAH über ein Urteil des Bundesozialgerichts.

Ein 41jähriger heterosexueller Mann wurde im US-Bundesstaat Virginia zu 50 Jahren Haft verurteilt. Der HIV-positive Mann hatte Sex mit einem 14-jährigen Mädchen, ohne sie über seine HIV-Infektion zu informieren. Das Mädchen ist HIV-infiziert.

Einem HIV-positiven Sergeant der US-Air-Force drohen bis zu 53 Jahre Haft. Er soll mehrfach Sex ohne Verwendung von Kondomen Sex gehabt haben, ohne seinen HIV-Status offen zu legen – entgegen einer schriftlichen Anordnung seines Kommandeurs, Sexpartnerinnen über seinen HIV-Status zu informieren.
Aktualisierung 22.01.2011: Der Sergeant wurde inzwischen zu acht Jahren Haft verurteilt.

14. Januar 2011:Im Verfahren gegen einen 65-jährigen HIV-positiven Mann aus Celle, dem Missbrauch in 403 Fällen in Thailand vorgeworfen wird, fordert die Staatsanwaltschaft Lüneburg 9 Jahre Haft. Das Urteil soll am 21. Februar 2011 verkündet werden.

Bei Farbigen, Hispanics und amerikanischen Indianern sind unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung die HIV-Neuinfektionsraten höher als bei Weissen; bei Farbigen und Hispanics verschlechtert die Situation sich weiter. Dies betont der erste Bericht zu ethnischen Unterschieden der Gesundheitssituation in den USA, den die CDC jemals erstellt haben.

13. Januar 2011: Das Pharmaunternehmen Gilead warnt in einem ‚Rote Hand Brief‘ (pdf), dass die nicht sachgemäße Anwendung von Cidofovir (Handelsname Vistide®) außerhalb der Zulassung zu schweren Nebenwirkungen führen kann. Die Substanz ist nur zugelassen zur Behandlung der CMV-Retinitis bei Erwachsenen mit Aids.

12. Januar 2011: State Representative Larry Brown, Republikaner und Mitglied der General Assembly des US-Bundesstaats North Carolina, redet Klartext: Erwachsene mit HIV sollten ihre Therapien nicht vom Staat bezahlt bekommen, wenn sie „es durch ihren Lebensstil verursacht haben“ sowie für Menschen, die „in perversen Lebensstilen leben“. Er meine damit u.a. Erwachsene, die sich durch Sex oder Drogen mit HIV infizieren.

11. Januar 2011: Zwei Proteasehemmer gegen das Hepatitis C Virus befinden sich in beschleunigten Zulassungsverfahren: Boceprevir in den USA und Telaprevir in Europa.

In den USA wurden die Richtlinien für HIV-Therapie aktualisiert. U.a. sind Kontrollen der CD4-Werte in vielen Fällen seltener als bisher erforderlich, zudem wurde virologisches Versagen der Therapie neu definiert.

07. Januar 2010: Die Empfehlung, dass HIV-Positive eine Grippeschutz-Impfung machen sollten, ist gerechtfertigt, folgert ein US-Forscher aufgrund aktueller Daten dreier Studien.

„Immun gegen AIDS?“ – Werbung für Gentest führt in die Irre“, warnt die DAH.

Atorvastatin und Rosuvastatin sind besser geeignet als Pravastatin, um bei HIV-Positiven erhöhte Blutfettwerte zu senken, stellen US-Forscher in einer Studie an 700 HIV-Positiven fest. Alle drei Substanzen der Gruppe der Statine hatten in der Studie vergleichbare Raten an Nebenwirkungen.

05. Januar 2011: Das Patentamt im indischen Mumbai hat einen Patentantrag des Pharmakonzerns Abbott auf die Kombination von Ritonavir und Lopinavir (vermarktet unter dem Handelsnamen Kaletra®) für Indien abgelehnt. Damit ist die Herstellung generischer Versionen in Indien möglich.

Der Baseballspieler Roberto Alomar wird in die „Hall of Fame“ des US-Baseball aufgenommen. Alomar sieht sich mit einer Anzeige seiner Ehefrau konfrontiert, er habe mit ihr ungeschützten Sex gehabt, obwohl er von seinem positiven HIV-Status wisse.

Plastiktüten seien kein brauchbarer Ersatz für Kondome, warnt das Gesundheitsministerium in Thailand die Teenager des Landes.

04. Januar 2011: Erstmals seit den 1980er Jahren ist die Zahl der Todesfälle mit Bezug zu HIV und Aids pro Jahr in New York im Jahr 2010 unter 1.000 gefallen (auf 933).

Mangel an Vitamin D kann für HIV-Positive das Risiko erhöhen, an Diabetes Typ 2 zu erkranken, berichten Forscher.

01. Januar 2011: Annie Lennox wird für ihren Einsatz gegen Armut und Aids in Afrika von der britischen Queen als ‚Offizierin‘ in den Orden des britischen Empire aufgenommen.

USA: beschleunigtes Zulassungsverfahren für Mikrobizid-Gel (akt.)

Die US-Medikamenten-Behörde FDA wird einen Antrag auf Zulassung von Tenofovir-Gel als Mikrobizid im schnellsten Zulassungsverfahren behandeln.

Die US Food and Drug Administration (FDA), die in den USA für die Zulassung neuer Medikamente zuständig ist, hat am Montag 25. Oktober 2010 bestätigt, dass sie den Antrag auf Zulassung von Tenofovir-Gel  im ‚fast track‘ behandeln wird. Die ist die schnellste Möglichkeit, ein Arzneimittel zuzulassen. Die Prozedur soll beginnen, sobald alle Daten der Studie vorliegen.

Für eine Zulassung sind die Daten von mindestens zwei Studien erforderlich. Für Tenofovor Gel soll als weiteres die VOICE-Studie heran gezogen werden, die das Gel an 5.000 Frauen in Simbabwe, Uganda, Malawi und Südafrika untersucht. Ergebnisse dieser Studie sollen am Jahresanfang 2013 vorliegen.

Der so genannte ‚fast track‘ ist ein Verfahren der beschleunigten Zulassung. Die Prozedur kann angewendet werden bei ernsthaften Erkrankungen sowie bisher nicht gedecktem medizinischem Bedarf in Therapie oder Prävention.
Weitere beschleunigte Zulassungsverfahren sind ‚accelerated approval‘ sowie ‚priority review‘. Der ‚fast track‘ ist die schnellste dieser beschleunigten Prozeduren. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit in beschleunigten Verfahren betrug nach Angaben der FDA 6,7 Monate im Jahr 2003.

Auf der Welt-Aids-Konferenz Wien waren Daten vorgestellt worden, die darauf hindeuten, dass Tenofovir als Gel wirksam sein könnte. Tenofovir als Gel zeigte in der Plazebo-kontrollierten CAPRISA004-Studie über einen Zeitraum von zweieinhalb Jahren eine 39%ige Wirksamkeit in der Senkung des Risikos einer HIV-Infektion und eine 51%ige Wirksamkeit bei Herpes.

Hierauf begründen sich die Hoffnungen, Tenofovir in einer Formulierung als Gel als Mikrobizid einsetzen zu können. Bisher ist Tenofovir (Hersteller Gilead) unter dem Namen Viread® als Aids-Medikament zur oralen Einnahme zugelassen.

„Die Ergebnisse [der CAPRISA-Studie, d.Verf.] sind ein wichtiger Schritt, aber noch kein Durchbruch“, hatte nach Präsentation der Daten in Wien Armin Schafberger, Medizinreferent der Deutschen AIDS-Hilfe, erklärt. Presseberichte hatten auf der Studie basierende Hoffnungen auf ein Mikrobizid als „verfrüht“ bezeichnet.

weitere Informationen:
aidsmap 27.10.2010: FDA will give fast-track to tenofovir gel approval
DAH 20.07.2010: Durchbruch in der Mikrobizid-Forschung?
Zeit online 20.07.2010: Verfrühte Hoffnungen auf ein Gel gegen Aids
FDA: Fast Track, Accelerated Approval and Priority Review
POZ 28.10.2010: Tenofovir HIV Prevention Gel to Be Fast-Tracked for FDA Approval
.

Kurz notiert … September 2010

29. September 2010: Der Globale Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria lässt seinen neuen Verwaltungssitz in Genf bauen, für 92 Mio. sFr. Die Fertigstellung ist für 2015 geplant.

Langwierige und kostspielige Bürokratie behindert in China eine adäquate medizinische Versorgung und Betreuung HIV-Positiver, so US-Forscher David Ho.

28. September 2010: Mit dem ‚Positive Justice Projectwendet sich erstmals ein landesweites Projekt in den USA gegen HIV-Positive kriminalisierende Gesetze. Das Projekt wurde gegründet vom ‚Center for HIV Law and Policy‚.

Francoise Barré-Sinoussi, Medizin-Nobelpreis-Trägerin und Mit-Entdeckerin des HIV, fordert in ‚Le Monde‘ für Frankreich Druckräume für Drogengebraucher: „Il est urgent d’ouvrir des centres d’injection supervisée de drogues“

27. September 2010: Mit dem Pharmahersteller Gilead hat erstmals ein Medikamenten-Hersteller im Aids-Bereich für noch Patent-geschützte Medikamente (hier: Atripla®, Truvada®) einen Rabattvertrag abgeschlossen, mit der AOK Berlin (gültig seit Juli 2010).

Robert Mugabe, diktatorischer Staatschef von Simbabwe, beabsichtigt die Einführung von HIV-Zwangstests im Land.

26. September 2010: Zukünftig soll der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) die Kostenübernahme für ein neues Medikament nur noch ablehnen können, wenn er dessen Unzweckmäßigkeit beweisen kann. Eine entsprechende als pharmafreundlich betrachtete Änderung plant die Bundesregierung.

20. September 2010: Das Mikrobizid ‚Pro2000‘, ein vaginal anzuwendendes Gel, hat in einer Studie keine Wirkung gezeigt.

18. September 2010: In Russland wurden Aids-Aktivisten verhaftet. Sie hatten gegen Versorgungsprobleme bei Aids-Medikamenten protestiert. Die Versorgungsprobleme haben bereits zu Therapie-Unterbrechungen geführt.

In einem Film über den an den Folgen von Aids verstorbenen Sänger der Gruppe ‚Queen‘  Freddy Mercury soll Sascha Baron Cohen (bekannt u.a. aus ‚Borat‘) die Hauptrolle übernehmen.

16. September 2010: HIV-positive Patienten hatten einen ähnlichen Verlauf wie HIV-Negative bei Infektionen mit H1N1 („Schweinegrippe„), berichten spanische Forscher.

US-Forscher berichten, dass inzwischen über ein Drittel der Fälle von Kaposi Sarkom bei HIV-Positiven mit mehr als 250 CD4-Zellen auftreten.

Die HIV-Prävention bei schwulen Männern in Frankreich benötigt neue Ansätze – die Neu-Diagnosezahlen sind hoch. Wissenschaftler des französischen Public Health Instituts behaupten, die HIV-Infektion sei bei schwulen Männern in Frankreich „außer Kontrolle“.

14. September 2010: Das Durchfallmittel Loperamid ist unter bestimmten Voraussetzungen wieder verordnungsfähig.

10. September 2010: Apotheken dürfen ihren Kunden in geringem Umfang Preisnachlässe auf verschreibungspflichtige Medikamente gewähren, urteilte der Bundesgerichtshof (Az. I ZR 193/07, 72/08 u.a.). Über die Frage, ob die deutscher Preisbindung für verschreibungspflichtige Medikamente auch für im Ausland sitzende Internetapotheken gilt, wird der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe später befinden.

9. September: Die Bundesregierung plant offenbar, sich aus dem Global Fonds zur Bekämpfung von Aids. Tuberkulose und Malaria zurückzuziehen. Zahlreiche Organisationen protestieren.

8. September 2010:  Der US-Pharmakonzern Bristol-Myers Squibb (BMS) erwirbt die Biotech-Firma Zymo Genetics für 885 Mio. US-Dollar. BMS will damit u.a. sein Portfolio an Substanzen gegen Hepatitis C stärken.

7. September: Bei der Entlassung des IQWIG-Chefs Peter Sawicki spielte auch das Bundeskanzleramt eine Rolle, berichtet SpON.

6. September 2010: Ein Drittel aller HIV-Positiven haben posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS). Darauf weisen britische Forscher hin.
Im Epidemiologischen Bulletin 35/2010 des Robert-Koch-Instituts (RKI) werden Ergebnisse zur Erarbeitung von Standards in der Prävention von sexuell übertragbaren Infektionen (STI) durch die Arbeitsgemeinschaft „Sexuelle Gesundheit“ vorgestellt.

4. September 2010: Dürfen Kliniken HIV-Patienten ambulant behandeln? Nein, sagt das Sozialgericht Hannover – und setzt damit einen Streit fort, der seit langem zwischen niedergelassenen Ärzten und Kliniken entbrannt ist.

2. September 2010: „Wenn einer verantwortlich ist, dann bin ich das.“ Der Staatspräsident Kubas Fidel Castro bedauert die Hetze gegen Schwule in Kuba und übernimmt die Verantwortung. Zu einer etwaigen Entschädigung äußert er sich nicht.

USA: Gilead wegen Werbung für Aids-Medikament verwarnt

Die US-Medikamentenbehörde FDA hat den Pharmahersteller Gilead verwarnt – wegen dessen US-Werbung für das Aids-MedikamentTruvada.

Gilead Pharmaceuticals wurde von der US-Medikamentenbehörde verwarnt aufgrund einer direkt an Patienten gerichteten Werbung für das Aids-Medikament ‚Truvada‘ ®. Die FDA kritisieren diese Werbung als irreführend:

The Print Ad is false or misleading because it represents or suggests that Truvada is better or more effective than has been demonstrated by substantial evidence or substantial clinical experience.

Die kritisierte Anzeige zeige eine Frau,. die das Medikament nehme und, so der Brief

„appears to be happy and in good health“

Die FDA kritisierten auch den Gesamteindruck der Werbung:

„Moreover, the totality of the claims and presentations in the Print Ad misleadingly implies that patients can preserve their “hopes and dreams” and “plan for long-term success” (i.e., preservation of their activities of daily living, academic performance, work productivity, and social and emotional functioning) without interference from HIV infection or from treatment with Truvada. FDA is not aware of substantial evidence or substantial clinical experience to support this implication.“

Die FDA forderten Gilead auf, die kritisierte Werbung sofort einzustellen. Eine Unternehmenssprecherin betonte, man nehme die FDA-Warnung ernst und werde der FDA direkt antworten.

weitere Informationen:
FDA: Brief an Gilead
RHI 07.03.2010: UPDATE 2-U.S. FDA warns Gilead, Biogen over drug promotions
.

Ritonavir – naht das Ende des Monopols? (akt.2)

Viele Aids-Medikamente benötigen zum Erreichen einer optimalen Wirkung einen Verstärker. Auf diesen hat der Pharmakonzern Abbott derzeit de facto ein Monopol. Doch das Ende dieses Monopols naht scheinbar.

Bei zahlreichen Medikamenten wird angestrebt, den Wirkstoff-Spiegel im Blut zu erhöhen – sei es um eine bessere Wirksamkeit zu erreichen, oder z.B. um eine einmal tägliche Dosierung zu ermöglichen. So werden (außer dem wenig verwendeten Nelfinavir) derzeit alle zugelassenen Proteasehemmer (eine Wirkstoffklasse von Aids-Medikamenten) in Kombination mit einer kleinen Dosis Ritonavir eingesetzt.

Wer derzeit den Spiegel eines (Aids-) Medikaments erhöhen möchte (‚boosten‘) ist bisher auf den einzig verfügbaren Wirkstoff, der dieses leistet, angewiesen – den Proteasehemmer Ritonavir, vom Pharmakonzern Abbott vermarktet unter dem Handelsname ‚Norvir‘ ®.

Norvir-Kapseln - bald nicht mehr der einzige Booster?
Norvir-Kapseln - bald nicht mehr der einzige Booster?

Abbott setzt diese Markt-Position auch strategisch ein: der hauseigene Proteasehemmer Lopinavir wird (unter dem Handelsnamen Kaletra®) zusammen mit Ritonavir direkt koformuliert in einer Pille vermarktet. Ein großer Marktvorteil – alle anderen Proteasehemmer (anderer Hersteller) können nicht mit Ritonavir in einer Pille koformuliert werden, erfordern vielmehr die zusätzliche Einnahme einer Kapsel Ritonavir. Zudem muss diese Kapsel gekühlt aufbewahrt werden, da eine hitzestabile Version von Ritonavir bisher weiter auf sich warten lässt.

Andere Pharmaunternehmen kritisieren zudem den hohen Preis von Ritonavir – Abbott hatte den Preis im Dezember 2003 in den USA verfünffacht (nachdem zuvor andere Norvir-Planspiele wie das völlige vom Markt nehmen verworfen wurden). Seit einiger Zeit läuft die Auseinandersetzung um den Norvir-Preis vor Gericht.

Zudem ist Ritonavir kein sehr beliebtes Medikament. Es kann zu einer Erhöhung der Blutfettwerte beitragen (die teils auch wiederum selbst behandlungsbedürftig wird). Zudem scheint Ritonavir oftmals mit eine der Ursachen für zahlreiche Verdauungsprobleme zu sein, an denen viele Positive leiden.

Doch nun könnte ein Ende des Ritonavir-Monopols nahen. Im Juli 2008 kündigte der Pharmahersteller Gilead (auch Hersteller zahlreicher Aids-Medikamente) an, das Unternehmen habe eine Substanz in Entwicklung, die ebenfalls als Booster (Wirkstoff zur Erhöhung des Plasmaspiegels anderer Substanzen) geeignet sei. Klinische Studien (Testen der Substanz am Menschen) der Phase I hätten bereits begonnen.

GS 9350 (so der Forschungsname der Substanz; Substanzname inzwischen: Cobicistat) ist eine einmal täglich einzunehmende Substanz, die zudem hitzestabil ist (und also keine Kühlung erfordert). GS 9350 wirkt nicht gegen HIV, sondern dient allein der Wirkungs-Verstärkung anderer Substanzen. Deswegen besteht die Hoffnung, dass sie auch nicht metabolische Nebenwirkungen hat. Sie soll leicht mit anderen Substanzen zusammen kombinierbar (Ko-Formulierung) sein.

Gilead dürfte mit der Entwicklung der Substanz auch eine Stärkung eigener Medikamente im Blick haben. So entwickelt Gilead derzeit einen Integrasehemmer (Elvitegravir), der -um eine einmal tägliche Dosierung zu ermöglichen- bisher mit Ritonavir kombiniert werden müsste. Ritonavir müsste das Unternehmen zukaufen, wenn es mit der eigenen Substanz in eine Pille zusammengefügt werden soll (oder der Patient in der Apotheke, und dann sogar eine höhere Pillenzahl haben). Beide Probleme würde ein eigener Booster lösen – und dazu noch zusätzliche Umsatz- und Einnahmequelle generieren.

An Koformulierungen des neuen Boosters sowohl mit Gileads neuem Integrasehemmer als auch den anderen Aids-Medikamenten von Gilead, den stark verkauften Substanzen Tenofovir und Emtricitabine sowie den Kombi-Pillen Truvada® und Atripla®, wird bereits gearbeitet, erste Studien verliefen erfolgreich.

Spekulationen der Fachpresse zufolge könnten zudem bald Abkommen mit anderen Pharmaunternehmen getroffen werden, um auch diesen eine Ko-Formulierung mit dem neuen Booster zu ermöglichen. Studien zur Kombination mit Atazanavir (einem Proteasehemmer von BMS) laufen einem Investoren-Briefing zufolge bereits.

Nachtrag 21.09.2009: die Studien mit Atazanavir haben gezeigt, dass der Wirkstoffspiegel dieser Substanz durch GS-9350 ebenso gut wie durch Ritonavir erhöht wird. Eine weitere Phase-II-Studie befindet sich in Durchführung.

Eine begrüßenswerte Entwicklung – leiden doch bisher zahlreiche Produkte anderer Unternehmen darunter, dass sie für eine bessere Wirksamkeit auf Abbots Norvir® angewiesen sind – und (im Gegensatz zum hauseigenen ‚Kaletra’®, in dem Ritonavir bereits ‚eingebaut‘ ist) auf zusätzlichen Pillen.

Wichtig wäre, dass Gilead neben der Koformulierung mit eigenen Substanzen den neuen booster auch anderen Herstellern zugänglich macht. Dies wäre ein entscheidender Schritt, der der neuen Substanz -eine vernünftige Preispolitik vorausgesetzt- das Potential eröffnen würde, eine vollwertige und attraktive Alternative zu Norvir® zu sein.

Nachtrag

14.11.2008: Neben Gilead arbeiten auch die Pharmahersteller Pfizer und Sequoia an Booster-Substanzen, die potenziell Ritonavir ersetzen könnten.
10.02.2009: poz.com: GS 9350 and SPI-452: Emerging Alternatives to Norvir Boosting
10.02.2009: aidsmap: Two novel ‘enhancer’ drugs boost protease inhibitors as much as ritonavir
natap.org Conference Report 16. CROI
projectinform 12.02.2009: Two newcomers may challenge ritonavir’s position as the only booster for HIV therapy

aidsmap 21.09.2009: GS-9350 boosts atazanavir just as well as ritonavir

.

Kurznachrichten 06.02.2008

Das Arbeitsgericht Hamburg urteilt „AGG muss richtlinienkonform ausgelegt werden“ – auch kirchliche Arbeitgeber können nicht unter Verweis auf ihr kirchliches Selbstbestimmungsrecht grenzenlos gegen das AGG (früher Anti-Diskriminirungs-Gesetz) verstoßen.

„Polizei jagt fiesen Aids-Mann“ – so titelte ein Kölner ‚Boulevard-Blatt‘ noch gestern, heute ist die Schlagzeile immerhin in „Er infizierte seine Chat-Liebe mit Aids“ geändert … reicht eine Schlagzeile der ersten Art schon für den Presserat? Man kann auch sachlicher informieren …

Um Informationen bemüht sich auch ein kanadisches Präventions-Projekt, um Informationen über sexuell übertragbare Krankheiten wie Chlamydien, Lymphgranulom (LGV), Shigellose und Syphilis. Unter anderem mit einem sehenswerten Clip – ‚Syphilis – Der Film‘ sozusagen … (durchklicken grand public -> Syphilis -> Vidéo, Film mit englischem und französischem Ton).

Der US-Pharmakonzern Gilead könnte in den USA bedeutende Patente auf seine Substanz Tenofovir verlieren. Das ‚Patent Office‘ der USA hat Gilead vier bedeutende Patente auf die Substanz aberkannt. Tenofovir wird von Gilead unter dem Handelsnamen Viread vermarktet, die Substanz ist auch in den Kombi-Pillen Truvada und Atripla enthalten. Sollte die Berufung von Gilead gegen die Entscheidung scheitern und der Konzern diese Patente verlieren, könnten evtl. weitere Unternehmen die Substanz herstellen. Zudem, so betonte Ärzte ohne Grenzen, könnte die Entscheidung Einfluss auf die Patentierbarkeit der Substanz in Staaten wie Indien und Brasilien haben, in denen dringend weitere bezahlbare Aids-Medikamente benötigt werden.