Einige Positive in Deutschland erhielten in den vergangenen Woche eine (teils von Dritten weitergeleitete) Email mit einem Angebot. 500 Euro für ein wenig Zeit und einige Fotos – für eine Aids-Anzeigen-Kampagne eines Pharmakonzerns.
Ein Beispiel, das einer der Empfänger der Mail zur Verfügung stellte :
„hallo potentielle modelle,
der xxxxxxxx ist so nett und leitet meine mail weiter.
ich bin eine freie fotografin aus xxx und habe freitag ein shooting für xxxxx xxxxx xxxx [Pharmakonzern, d.Verf.]. dafür suche ich modelle. ich würde gerne mit positiven modellen arbeiten und nicht irgendwelche modelle casten. das shooting beinhaltet ein schwarz-weiß portrait und ein bild aus eurer vergangeheit, um klarzumachen, dass das hiv medikament von xxx xxxx hilft, mit hiv und aids zu leben. das shooting findet … … … statt und wird ca. 2-3 stunden eurer zeit in anspruch nehmen. das modell sollte 25-40 jahre alt sein. die anzeige erscheint in den zielgruppenaffinen magazinen wie hinnerk, siegessäule, männer aktuell etc. als din a 4 anzeige. unter umständen werden anfang 2009 noch weitere geshootet werden. … … …. die gage wird 500 euro betragen. ich freue mich auf eure berwerbungen mit bild an post@xxxxxxxx ein bildbeispiel wie es dann aussehen soll seht ihr im anhang. liebe grüsse, die maren“
Beigefügte hatte ‚die Maren‘ der Mail noch ein Beispiel, ein Bild einer Publikums-Anzeige der Image-Kampagne des genannten Pharmakonzerns, ein hübscher, selbstverständlich gut und gesund aussehender junger Mann, vor zehn Jahren und heute. Ob es zeigt, wie es heute ist „mit HIV und Aids zu leben“, wie sie schreibt?
Das Anliegen, statt mit Modellen mit realen Patienten zu arbeiten, mag zunächst löblich erscheinen. Eine größere Authentizität, die vielleicht eher der Realität entspricht – und sicherlich dem Foto, vermutlich auch dem beworbenen Pharmakonzern zugute kommen könnte.
Doch – geht es darum wirklich?
Geht es wirklich darum, die Realität von Menschen mit HIV und Aids heute abzubilden?
Es wäre spannend zu erfahren, wie der Auftraggeber reagieren würde auf Motiv-Vorschläge für seine Anzeigen, die z.B.
– einen einst jungen gut aussehenden Mann zeigen, der nun an Lipodystrophie leidet, mit tief liegenden Augen, Falten im Gesicht, hängenden Lidern,
– oder mit einem Oberkörper voll Hautausschlägen auf dem vielleicht dennoch wohlgetrimmten Sixpack,
– oder, alternativ, mit einer massiven Fettansammlung im Bauch.
– Vielleicht auch ein Foto im Krankenhaus, nach dem Herzinfarkt, daneben seine Blutfett-Werte?
„Leben mit HIV und Aids“ – darum geht es doch?
Die Email erlaubt einen kleinen Blick hinter das Zustandekommen einer solchen Kampagne. Und sie wirft Fragen auf.
Ob die ausgelobten 500 Euro ein fairer Preis für so viel Öffentlichkeit sind, mag jeder Empfänger der Mail für sich entscheiden. Die Ankündigung des Erscheinens „in zielgruppenaffinen Magazinen“ könnte sich nachher als Drohung erweisen …
Viel wichtiger scheint die Frage nach dem „Leben mit HIV und Aids“, zu dem Pharmakonzerne verhelfen, und der Frage, wie dieses dargestellt wird. Geht es der Photographin, geht es dem werbenden Pharmakonzern wirklich um die Realität des Lebens mit HIV? Oder nicht doch um die Form von ‚Wahrheit‘, wie sie die werbende Industrie gerne in ihren Anzeigen dargestellt hätte?
Die Lebenswirklichkeit von Menschen mit HIV und Aids interessiert hier vermutlich herzlich wenig – Ziel ist wahrscheinlich eher die manipulierte Wirklichkeit einer Werbe-‚Realität‘.
Geht es nicht auch hier eher darum, gerade ein schönes, ein beschönigendes Bild des Lebens mit HIV zu zeichnen, das unterschwellig auch signalisiert, ‚Jungs, so schlimm ist das alles gar nicht‘? ‚Da gibt’s doch was von …‘ ?
Die Email macht letztlich ein Angebot, das bei näherem Hinsehen (auf das Endprodukt) den Eindruck erwecken könnte, es gehe eher um ein (möglichst harmloses) Lifestyle-Medikament als um ein Medikament gegen Aids. Ein Beispiel mehr dafür, dass Medikamenten-Werbung (wenn auch als Image-Werbung verbrämt) Gefahr läuft zu einer Verharmlosung von HIV beizutragen. Und die Gefahr läuft, jegliche Präventions-Bemühungen durch Verharmlosung zu konterkarieren, zu gefährden.
Wie gut, dass das EU-Vorhaben der teilweisen Freigabe der Pharma-Werbung derzeit in der Warteschleife ist – möge es dort bleiben …
Nebenbei (und unabhängig vom konkreten Beispiel), derartige „Anzeigen“ sollen gelegentlich, so ist immer wieder zu hören, auch dazu genutzt werden, Pressemitteilungen oder vorgefertigte Artikel aus dem Haus des jeweiligen beworbenen Pharmakonzerns als (als redaktionell getarnten) Artikel im Heft unterzubringen. Frei nach dem Motto, wir schalten gerne bei Ihnen eine Anzeige zu dem und dem Preis – wenn Sie dann vielleicht folgenden Artikel bringen könnten? Hübsche Werbemotive sind da sicherlich hilfreich, als Dekoration für ‚Informationen‘ direkt aus der Marketing-Abteilung …
Pikant dabei, dass Auftraggeber ein Unternehmen ist, das durch eines seiner Medikamente an so manchem zerfurchten Gesicht eines Positiven nicht ganz unschuldig sein könnte. Aber das wäre ja schon zu viel Realität …
Nachtrag 29.10.2008: über Zerrbilder des Lebens mit HIV (diesmal in den Medien) berichtet koww „HIV/AIDS Betroffene müssen in das Schema der Allgemeinheit passen!?“