Kurz notiert … Juli 2011

26. Juli 2011: Alexander McQueen, am 11. Februar 2011 verstorbener britischer Modedesigner, hat aus seinem 16 Millionen Pfund umfassenden Nachlass 100.000 Pfund der britischen Aids-Organisation Terrence Higgins Trust vermacht.

25. Juli 2011: Dem Kondom-Hersteller Durex werden die Kondome knapp, aufgrund einer bereits seit Mai 2011 andauernden Auseinandersetzung mit einem indischen Lieferanten.

20. Juli 2011: Die europäische Arzneimittelbehörde EMA hat dem Hepatitis-C- Proteasehemmer Boceprevir (Handelsname Victrelis®) die Zulassung erteilt.

18. Juli 2011: Der Pharmakonzern Abbott kündigt an, eine Kombi-Pille aus Kaletra® und 3TC zu entwickeln.

14. Juli 2011: Die Regionen in den USA mit den höchsten HIV-Infektionsraten zählen zugleich zu den ärmsten Regionen der USA, berichten US-Medien. In den am meisten von HIV betroffenen Regionen im Süden der USA lebe einer von fünf HIV-Positiven unterhalb der Armutsgrenze.

13. Juli 2011: Zwei große Studien zur Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) haben gezeigt, dass Tenofovir bzw. Tenofovir plus Emtricitabine das Risiko einer sexuellen HIV-Übertragung bei heterosexuellen Paaren um 62 bzw. 73% reduzieren können.

12. Juli 2011: Liza Minelli wurde zum ‚Offizier‘ der französischen Ehrenlegion ernannt, u.a. wegen ihrer Verdienste um die Aids-Bekämpfung. Die Ehrenlegion ist die höchste Auszeichnung Frankreichs.

11. Juli 2011: Australien: HIV-positiver Mann zu 3 Jahren Haft verurteilt wegen Gefährdung von 3 Frauen durch ungeschützten Sex. Keine der Frauen wurde mit HIV infiziert.

Wissenschaftler haben in Japan einen Gonorrhoe- (auch: Tripper) Stamm entdeckt, der gegen die eingesetzten Antibiotika resistent ist.

Jerry Herman, offen HIV-positiver Hollywood-Erfolgs-Komponist u.a. der Musicals „Hello Dolly“ oder „La Cage Aux Folles“ (Ein Käfig voller Narren) wurde am 10. Juli 80 Jahre alt.

08. Juli 2011: Schweiz: eine 32jährige Frau aus Ostafrika wurde wegen schwerer Körperverletzung zu einer „teilbedingten Freiheitsstrafe“ von drei Jahren verurteilt. Falls das Urteil rechtskräftig wird, droht der Frau die Abschiebung aus der Schweiz.

05. Juli 2011: Millionen HIV-Positive, die auf günstige Aids-Medikamente angewiesen sind, werden sterben, falls Indien aufgrund des Handelsabkommens mit der EU aufhören muss, generische Aids-Medikamente herzustellen. Dies betont UNAIDS-Direktor Michel Sidibé.

04. Juli 2011: Eine Gruppe von 55 US-Ärzten fordert die US-Arzneimittelbehörde FDA auf, Truvada® nicht als ‚Präventions-Pille‚ zuzulassen.

03. Juli 2011: „Will Karel De Gucht be responsible for millions deaths ?“ EU-Handelskommissar Karel de Gucht wurde am frühen Sonntag Morgen von Aktivisten von ACT UP Paris geweckt (Video), die gegen die (von de Gucht vertretene) Position der EU in Handelsabkommen protestierten. Die Haltung der EU gefährde die Versorgung von Millionen HIV-Positiven mit preiswerten Generika.

02. Juli 2011: „Die gestoppten Gelder für den Globalen Fonds schnellstens freigeben“, fordert (nicht nur) die Deutsche Aids-Hilfe von Bundesentwicklungsminister Niebel.

01. Juli 2011: Der Schmuck der am 23. März 2011 verstorbenen Filmschauspielerin Elizabeth Taylor soll im Dezember 2011 versteigert werden. Der Erlös soll der Elizabeth Taylor Aids Foundation zugute kommen.

Einige Aids-Medikamente der Klasse der NRTIs können bei HIV-Positiven zu vorzeitiger Alterung beitragen. Die durch sie verursachten Veränderungen an den Mitochondrien könnten irreversibel sein, so Wissenschaftler.

PrEP: Studie in Afrika mangels Wirkung vorzeitig abgebrochen (akt.4)

Eine Studie zur Prä-Expositions-Prophylaxe bei Frauen in Afrika ist vorzeitig abgebrochen worden. Es sei höchst unwahrscheinlich, dass die verwendete Medikamenten-Kombination bei der Prävention von HIV-Übertragungen effektiv sei, so die Begründung für den vorzeitigen Abbruch.

Nach einer planmäßigen Zwischen-Auswertung von Daten der ‚FEM-PrEP-Studie‘ stellte das Independent Data Monitoring Committee (IDMC) fest, die in der Studie verwendete Medikamenten-Kombination Emtricitabin (FTC) plus Tenofovir (Handelsname Truvada®) sei mit großer Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage, in der Studien-Population eine Wirksamkeit zur Verhinderung von HIV-Infektionen zu zeigen, selbst wenn die Studie bis zum ursprünglich geplanten Endpunkt und mit der ursprünglich geplanten Teilnehmerinnen-Zahl fortgesetzt werde.

Family Health International (FHI) als Träger der Studie hat sich darauf hin dazu entschlossen, die Studie geordnet zu beenden. Endgültige Auswertungen der Studienergebnisse lägen noch nicht vor, heißt es. Es sei derzeit nicht möglich zu sagen, ob Truvada geeignet sei zur Verhinderung von HIV-Infektionen bei Frauen.

„FHI subsequently concurred and has therefore decided to initiate an orderly closure of the study over the next few months. The final analyses have not yet been conducted. At this time, it cannot be determined whether or not Truvada works to prevent HIV infection in women.“

Im Rahmen der radomisierten, plazebokontrollierten Phase-III-Studie ‚FEM-PrEP‘, die FHI gemeinsam mit Forschungspartnern in Afrika durchführte, sollte untersucht werden, ob die Kombination von Emtricitabin und Tenofovir (Truvada®) geeignet ist, als Prä-Expositions-Prophylaxe bei HIV-negativen Frauen mit einem hohen HIV-Infektions-Risiko eine HIV-Infektion zu verhindern.

FHI bezeichnete die derzeitigen Daten und den Abbruch der Studie als enttäuschend. Es gebe eine Reihe von möglichen Gründen für dieses Ergebnis, darunter niedrige Therapietreue (Adhärenz), ein echtes Fehlen eines Effekts (im Gegensatz zu Männern), oder andere noch zu ermittelnde Gründe.

Die Studie hatte bisher 3.752 Frauen zwischen 18 und 35 Jahren in Kenia, Südafrika und Tansania untersucht und 1.951 bereits in die Studie aufgenommen. Ursprünglich war die Teilnahme von insgesamt 3.900 Frauen vorgesehen. Bis 18. Februar2011  gab es unter den Studien-Teilnehmerinnen (die bis dahin durchschnittlich 12 Monate an der Studie teilgenommen hatten) eine Rate neuer HIV-Infektionen von 5%. 56 neue HIV-Infektionen wurden bei den Teilnehmerinnen diagnostiziert. Die Zahl der HIV-Neu-Diagnosen war in der Gruppe der Frauen, die Truvada® erhielten, gleich groß wie in der Gruppe der Frauen, die Plazebo (eine Pille ohne Wirkung) erhielten:

„As of February 18, the approximate rate of new HIV infections among trial participants was 5 percent per year. A total of 56 new HIV infections had occurred, with an equal number of infections in those participants assigned to Truvada and those assigned to a placebo pill.“

Besonders überraschendes Ergebnis der Studie: Frauen in der Truvada®-Gruppe wurden mit größerer Wahrscheinlichkeit schwanger als die in der Plazebo-Gruppe, obwohl alle hormonelle Kontrazeptiva nahmen. Bisher sind keine Wechselwirkungen zwischen Truvada® und hormonellen Kontrazeptiva bekannt.

Das britische HIV-Informations-Portal aidsmap bezeichnete es angesichts der von iPrEx überraschend deutlich abweichenden Ergebnisse von FEM-PrEP als eine Möglichkeit, dass antiretrovirale Medikamente in unterschiedlichen Populationen ein unterschiedliches Maß an Wirksamkeit zeigen. Damit könne der Präventions-Effekt deutlich vom Kontext abhängig sein:

„One possibility raised by the early closure of the FEM-PrEP study is that antiretroviral drugs may show different levels of effectiveness in preventing new infections according to the populations and locations in which they are studied. In other words, the prevention impact of antiretrovirals may be highly dependent on the context rather than on biological differences between the populations studied.“

Die US-Arzneimittelbehörde CDC reagierte auf die Studienergebnisse mit dem Hinweis, derzeit bestehe für die Anwendung von PrEP bei Frauen keine Grundlage:

„Given today’s results, CDC cautions against women using PrEP for HIV prevention at this time.“

Die Studie FEM-PrEP war finanziert worden von der U.S. Agency for International Development sowie der Bill & Melinda Gates Foundation. Die Medikamente stellte Hersteller Gilead zur Verfügung.

In zwei weiteren Studie wird derzeit das Konzept einer Prä-Expositions-Prophylaxe mit Truvada® bei Frauen untersucht:
– die ‚Partners‘-Studie untersucht 4.700 serodifferente Paare (Frau/Mann; serodifferent = ein HIV-Partner infiziert, der andere nicht) in Kenia und Uganda, Ergebnisse werden 2013 erwartet.
– Die ‚Vice‘-Studie vergleicht orales Tenofovir (Viread®), orales Truvada® und ein vaginales Gel mit Tenofovir bei 5.000 heterosexuellen Frauen in Südafrika, Uganda und Simbabwe; Ergebnisse werden ebenfalls 2013 erwartet.

Das Konzept einer Prä-Expositions-Prophylaxe (kontinuierlich oder zeitweise Aids-Medikamente nehmen vor einem möglichen Infektions-Risiko, um eine Infektion mit HIV zu verhindern) ist derzeit experimentell und auch unter Fachleuten umstritten.
Truvada® (Hersteller: Gilead) kostet in Deutschland derzeit 833,82 € (Monats-Packung mit 30 Tabletten). Für wenig entwickelte Staaten sind jedoch generische Versionen von Tenofovir und Emtricitabine (die Wirkstoffe von Tuvada®) erhältlich, die minimal nur 100€ pro Jahr kosten.

Erst im November 2011 hatte die ‚iPrEx-Studie für Aufmerksamkeit und Begeisterung gesorgt. Sie hatte bei HIV-negativen Männern eine 44%ige Schutzwirkung einer bestimmten Medikamenten-Kombination als PrEP gezeigt – aber auch viel Kritik und Fragen aufgeworfen.

Dennoch hatten die USA bereits kurz darauf vorläufige Richtlinien für PrEP vorgestellt. Das US-Magazin Time erklärte PrEP euphorisch zum ‚bedeutendsten medizinischen Durchbruch 2010‚. Auch die Europäer stellten ein Konzept-Papier zu PrEP zur Diskussion.

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Aktualisierung
18.04.2011, 21:00: Der Kurs der Aktie von Gilead, Hersteller von Truvada®, fiel nach Veröffentlichung des Studien-Abbruchs um 3,1%. (Bloomberg)
18.04.2011, 22:30: Der US-amerikanische Healthcare Provider Aids Healthcare Foundation forderte unterdessen, Gilead müsse seine  Zulassungsantrag von Truvada als PrEP stoppen.
19.04.2011, 09:30: Das US – National Institute of Allergies and Infectious Diseases (NIAID) betont, der Bedarf an weiterer Forschung auf diesem Gebiet sei offensichtlich. Man werde alle Teilnehmer der Vice-Studie (s.o.) über die Ergebnisse von FEM-PrEP informieren: „NIAID will continue with the VOICE study while informing all current participants about the FHI findings as soon as possible.“
Die International Aids Vaccine Initiative IAVI bezeichnete die Ergebnisse von FEM-PrEP als „enttäuschend“. Man habe in den vergangenen Monaten bedeutende Fortschritte auf diesem Gebiet gesehen. Trotz dieses Rückschlags trage FEM-PrEP auch zu einem besseren Verständnis von Prävention bei.

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weitere Informationen:
fhi 18.04.2011: FHI to Initiate Orderly Closure of FEM-PrEP
Fact Sheet zur FEM-PrEP-Studie (pdf, englisch)
FEM-PrEP Key Findings (pdf, englisch)
towleroad 18.04.2011: African Study of ‚Aids Prevention‘ Drug Truvada halted
aidsmap 18.04.2011: Study of HIV drug for prevention in women closes, judged unlikely to show effect
CBCnews 18.04.2011: AIDS prevention pill study halted
CDC 18.04.2011: Results of FEM-PrEP Clinical Trial Examining Pre-Exposure Prophylaxis (PrEP) for HIV Prevention Among Heterosexual Women
New York Times 18.04.2011: AIDS Prevention Pill Study Halted; No Benefit Seen
The Body 18.04.2011: PrEP Ineffective for Women? Study on Truvada for HIV Prevention Is Unexpectedly Cut Short
IAVI Blog 18.04.2011: Oral PrEP Trial in Women Stopped Early
NIAID 18.04.2011: The FEM-PrEP HIV Prevention Study and Its Implications for NIAID Research
Caprisa 18.04.2011: CAPRISA thanks FHI for important interim FEM-PrEP trial results
IAVI 18.04.2011: IAVI Responds to the News of Planned FEM-PrEP Trial Closure
DAH 19.04.2011: Präventionsstudie mit HIV-Medikamenten abgebrochen
Ärzteblatt 19.04.2011: Medizin Truvada: HIV-Präventions­studie gestoppt
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Kurz notiert … April 2011

28. April 2011: Ein Richter hat die vom New Yorker Bürgermeister vorgenommenen starken Kürzungen im Aids-Budget der Stadt zurück genommen.

Bereits am 13. April 2011 unterzeichnete Israel erstmals eine Kooperations-Vereinbarung mit UNAIDS.

20. April 2011: Der Pharmakonzern Abbott einigte sich in einem ‚class action lawsuit‘ mit Groß-Einkäufern von zweien seiner Aids-Medikamente auf eine Zahlung von 52 Millionen US-$.

18. April 2011: In Köln stirbt die Schauspielerin Stefanie Mühle an den Folgen von Krebs. In der Rolle der „Chris Barnsteg“ (1987 – 1991) hatte sie in der ARD-„Lindenstrasse“ den CSU- Politiker Peter Gauweiler wegen seiner Aids-Politik als „Faschisten“ bezeichnet.

17. April 2011: Zum Eurovision Song Contest ESC (früher Grand Prix) will die Düsseldorfer Aids-Hilfe mit einer besonderen Aktion präsent sein: „safer sex 12 points“.

16. April 2011: In Großbritannien bekommen erstmals serodifferente Paare Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP), um auf natürliche Weise ihren Kinderwunsch realisieren zu können.

14. April 2011: Atazanavir kann das Risiko für Nierensteine vierfach erhöhen, berichten britische Forscher.

13. April 2011: Die britischen Pfadpfinder habe ein neues Programm zur Sexualaufklärung bei 14- bis 18-Jährigen gestartet unter dem Titel „My Body, My Choice“.

12. April 2011: Die Zahl nicht Aids definierender Krebserkrankungen bei HIV-Positiven ist am Steigen, betont das National Cancer Institute der USA.

Trotz einer Finanzkrise des Medikamenten-Programms ADAP hat der Pharmakonzern Gilead in den USA die Preise für seine Aids-Medikamente zum Teil deutlich erhöht.

05. April 2011: Der kalifornische Porno-Produzent „Hustler Video“ wurde zu über 14.000 US-$ Geldstrafe verurteilt, weil bei Porno-Dreharbeiten keine Kondome verwendet wurden.

02. April 2011: „Du hattest ungeschützten Sex? Verhindere eine HIV-Infektion!“, wirbt eine Kampagne der New York School of Medicine für Post-Expositions-Prophylaxe (PEP).

Zwei Drittel aller Kinder, die nach Geburt gestillt wurden und mit HIV infiziert wurden, und deren Mütter antiretrovirale Therapie erhielten, hatten HIV mit Resistenzen gegen ein oder mehrere Medikamente, berichten Forscher.

01. April 2011: HIV-Positive sind bisher von Organspenden ausgeschlossen. Ist dies noch zeitgemäß?, fragt eine Studie – vor dem Hintergrund langer Wartelisten bei HIV-positiven potentiellen Organempfängern.

Eine sinkende Rate an neuen HIV-Infektionen, über sechs Millionen HIV-Positive weltweit erhalten antiretrovirale Therapien – die umfangreichen Investitionen in die globale Aids-Bekämpfung beginnen Früchte zu tragen, betont UN-Generalsekretär Ban ki-Moon.

EMA: Konzept-Papier zu PrEP zur Diskussion gestellt

Können und sollen Aids-Medikamente auch für eine Prävention von HIV-Infektionen eingesetzt werden, und falls ja – wie? Die Europäische Arzneimittelbehörde EMA European Medicines Agency hat zu dieser Frage ein Konzept-Papier entwickelt. Der Entwurf ist bis Ende April 2011 öffentlich zur Diskussion gestellt:

„Concept paper on the guidance on the non-clinical and clinical development of medicinal products for HIV prevention including oral and topical PrEP“

Das sechsseitige Konzept-Papier stellt die EMA im Entwurf zur Diskussion (Paper auf den Internetseiten der EMA als pdf, siehe Link unten), die Diskussion ist befristet bis 30.04.2011). Anmerkungen können gerichtet werden an idwpsecretariat@ema.europa.eu

Ende November hatte bereits die ‘iPrEx’-Studie für Aufmerksamkeit gesorgt. Die iPrEx-Studie hatte eine 44%ige Schutzwirkung von kontinuierlicher Prä-Expositions-Prophylaxe konstatiert – war aber auch auf viele Fragen und Kritik gestoßen. Das Konzept einer fallweisen Prä-Expositions-Prophylaxe soll in Frankreich in einer Studie untersucht werden.

Das US-Magazin ‘Time’ hatte die iPrEx-Studie zum ‘bedeutendsten medizinischen Durchbruch 2010′ erklärt. Die US-amerikanischen CDC Centers for Disease Control haben Ende Januar 2011 vorläufige Empfehlungen an Ärzte herausgegeben zu Prä-Expositions-Prophylaxe bei Männern mit hohem HIV-Infektionsrisiko, die Sex mit Männern haben.

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weitere Informationen:
EMA: Concept paper on the guidance on the non-clinical and clinical development of medicinal products for HIV prevention including oral and topical PrEP (pdf)
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USA: vorläufiger Ratgeber zu PrEP bei Männern, die Sex mit Männern haben

Die US-amerikanischen CDC Centers for Disease Control haben vorläufige Empfehlungen an Ärzte herausgegeben zu Prä-Expositions-Prophylaxe bei Männern mit hohem HIV-Infektionsrisiko, die Sex mit Männern haben.

Ende 2010 sorgte die so genannte IPrEx-Studie für Aufsehen: die tägliche Einnahme eines Kombi-Medikaments solle, so die Studienergebnisse, in der Lage sein, das HIV-Infektionsrisiko bei Männern, die Sex mit Männern haben, um 44% zu senken. Auch wenn die iPrEx-Studie viele Fragen auslöste – die US-amerikanischen Centers for Disease Control reagieren nun und haben am 28. Januar 2011 erste vorläufige Empfehlungen zu Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) herausgegeben zu PrEP bei Männern mit hohem HIV-Infektionsrisiko, die Sex mit Männern haben.

Die vorläufigen Empfehlungen warnen deutlich, es gebe bedeutende Vorbehalte gegenüber der Studie. Eine detailliertere Fassung der Richtlinien ist in Vorbereitung und im Laufe des Jahres erwartet. Mit der vorläufigen Fassung reagieren die CDC auf Befürchtungen, dass Ärzte aufgrund der iPrEx-Studie bereits jetzt PrEP in der Praxis einsetzen könnten.

PrEP könne wenn überhaupt derzeit (bis die Sicherheit und Wirksamkeit von PrEP nachgewiesen sei) angesichts der begrenzten verfügbaren Daten nur erwogen werden für Männer, die Sex mit Männern haben, und die ein hohes Infektionsrisiko haben. Die CDC empfehlen Ärzten derzeit, das Risiko-Verhalten des Patienten genau zu analysieren und zu dokumentieren. Tests auf HIV sowie sexuell übertragbare Erkrankungen sollten durchgeführt werden. Zudem werden Untersuchungen auf Hepatitis B sowie Nieren-Funktionsstörungen empfohlen (da das derzeit für PrEP eingesetzte Medikament die Nierenfunktion beeinträchtigen kann). Ärzte sollten maximal einen 90-Tage – Medikamentenvorrat verschreiben und umfangreicher Risiko-Reduzierungs-Beratung, Kondome sowie Beratung zu Therapietreue anbieten, empfehlen die CDC zudem.

Das Konzept einer Prä-Expositions-Prophylaxe ist derzeit experimentell und auch unter Fachleuten umstritten. Auch eine französische Studie wird demnächst die Machbarkeit von Prä-Expositions-Prophylaxe untersuchen – durch Einnahme nicht kontinuierlich (wie bei iPrEx), sondern PrEP im Bedarfsfall.

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weitere Informationen:
CDC 28.01.2011: Interim Guidance: Preexposure Prophylaxis for the Prevention of HIV Infection in Men Who Have Sex with Men

DAH 14.02.2011: US-Behörde empfiehlt PrEP nur für MSM mit hohem HIV-Risiko
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Frankreich: Prä-Expositions-Prophylaxe „im Bedarfsfall“ wird in Studie getestet

Aids-Medikamente fallweise nehmen vor dem Sex, um eine eventuelle HIV-Infektion zu verhindern – dieses experimentelle Konzept will eine französische Studie ab Herbst 2011 untersuchen.

Frankreich startet seine eigene Studie zur Prä-Expositions-Prophylaxe. Die Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) ist ein experimentelles Konzept. Es sieht vor, dass mit HIV nicht infizierte Personen Aids-Medikamente nehmen, um sich vor einer potentiellen Infektion zu schützen.

Unter Federführung der halbstaatlichen ANRS (Agence nationale de recherches sur le sida et les hépatites virales) soll das Konzept einer PrEP in einer Studie in Frankreich und Kanada untersucht werden. Leiter der Studie ist Prof. Jean-Michel Molina (Paris, hôpital Saint-Louis).

Die Studie wendet sich an ’nicht HIV-infizierte Homosexuelle, die Analverkehr haben, in den vergangenen 6 Monaten mindestens zwei verschiedene Sex-Partner hatten und nicht systematisch Kondome benutzen‘.

Im Gegensatz zu anderen PrEP-Studien, die eine kontinuierliche Einnahme von Aids-Medikamenten vorsehen, verfolgt die ANRS-Studie das Konzept ‚fallweiser‘ Einnahme im Bedarfsfall („à la demande“). Die Teilnehmer sollen die bereit gestellten Aids-Medikamente nur in den Phasen nehmen, in denen sie sexuelle Begegnungen planen: zwei Tabletten vor der ersten sexuellen Begegnung, anschließend währen der ‚Phase sexueller Aktivität‘ alle 24 Stunden eine Tablette, und eine Tablette nach der letzten sexuellen Aktivität.

Die Studie wird in zwei Gruppen strukturiert: die Teilnehmer einer Gruppe erhalten Plazebo (wirkungsloses Schein-Medikament), die der anderen Gruppe eine Pille mit den beiden Wirkstoffen Tenofovir und Emtricitabine (als Kombi-Pille vermarktet unter dem Handelsnamen Truvada®). Diese Kombination war auch in der ‚iPrEx‘-Studie eingesetzt worden. Alle Studien-Teilnehmer erhalten während der Studie individuelle Begleitung und Beratung, Impfungen gegen Hepatitis, Kondome sowie Test-Angebote auf HIV und sexuell übertragbare Krankheiten.

Die Studie soll im September 2011 in Frankreich und Kanada (Québec) beginnen. In einer ersten Pilotphase der Studie sollen 500 Teilnehmer rekrutiert werden. Sollte die Rekrutierung der ersten Teilnehmer erfolgreich verlaufen, sollen insgesamt bis zu 1.900 Personen an der Studie teilnehmen. Primäres Auswerte-Kriterium der Studie ist eine HIV-Infektion (Serokonversion).

Im Jahr 2010 hatte die Gruppe TRT-5 (die an der seit Frühjahr 2009 laufenden Planung der Studie beteiligt war)  in einer von ihr koordinierten ‚community consultation‘ (z.B. über Schwulengruppen, Artikel in der Schwulen-Presse, lokale Ansprechpartner) Mitgliedern der Zielgruppen die Möglichkeit zu Fragen, Stellungnahmen und Kritik am Entwurf des Studienplans gegeben. Hieraus wurde ein Bericht erstellt (Consultation communautaire essai PrEP ANRS – Rapport du TRT-5), der inzwischen veröffentlicht wurde. Zudem erstellte TRT-5 ein Positionspapier (Essai de PrEP de l’ANRS : position de TRT-5 et points de vigilance), in dem die Position der Gruppe dargelegt und wesentliche Fragestellungen formuliert wurden.

Die Gruppe Gruppe TRT-5 (‚Groupe inter-associatif „traitements et recherche thérapeutique“‚) ist ein Zusammenschluss der wichtigsten Organisationen in Frankreich, die sich gegen Aids einsetzen. Mitglieder sind Actif Santé, Actions Traitements, Act Up-Paris, Act Up-Sud Ouest, Aides, Arcat, Dessine Moi Un Mouton, Nova Dona, Sida info Service und Sol En Si.

Die ANRS (Agence nationale de recherches sur le sida et les hépatites virales) ist eine 1992 gegründete Einrichtung, in der staatliche und Forschungs-Einrichtungen ihre Bemühungen der Aids- und Hepatitis-Forschung koordinieren und evaluieren. Gründungs-Mitglieder der ANRS sind das französische Forschungsministerium (ministère de la Recherche), das Centre national de la recherche scientifique (CNRS), das ‚Institut national de la santé et de la recherche médicale (INSERM) und l’Institut Pasteur; ab 1995 ist auch das Gesundheitsministerium (le ministère de la Santé) Mitglied.

Ende November hatte bereits die ‚iPrEx‘-Studie für Aufmerksamkeit gesorgt. Die iPrEx-Studie hatte eine 44%ige Schutzwirkung von Prä-Expositions-Prophylaxe konstatiert – war aber auch auf viele Fragen und Kritik gestoßen. Das US-Magazin ‚Time‘ hatte die iPrEx-Studie zum ‚bedeutendsten medizinischen Durchbruch 2010‘ erklärt.

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weitere Informationen:
ANRS
ANRS 23.11.2010: Nouvelles stratégies pour le dépistage et la prévention du VIH – Le programme de l’ANRS (pdf)
TRT5 18.01.2011: Consultation communautaire essai PrEP ANRS – Rapport du TRT-5 (pdf)
TRT-5 18.01.2011: Essai de PrEP de l’ANRS : position de TRT-5 et points de vigilance
Yagg 18.01.2011: Traitement pré-exposition: l’essai de l’ANRS prend forme
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Time erklärt PrEP zum bedeutendsten medizinischen Durchbruch 2010

HIV-Medikamente können das Risiko einer HIV-Infektion deutlich senken – dieses Ergebnis einer vor kurzem publizierten Studie erklärt das US-Magazin Time zum „bedeutendsten medizinischen Durchbruch 2010“.

Bei HIV-negativen Männern, die vorbeugend einmal täglich eine Kombinationspille zweier Aids-Medikamente einnehmen, kann die Rate neuer HIV-Infektionen um 44 Prozent reduziert werden. Dies fand eine internationale Studie heraus. Bei höherer Einnahme-Treue sei eine weit höhere Wirksamkeit möglich, so die Forscher.

Diese Ergebnisse der ‚iPrEx‘ genannten Studie waren Ende November 2010 vorgestellt worden (siehe „44% Schutz vor HIV-Infektion – Aids-Medikamente reduzieren in Studie HIV-Infektionsrisiko bei HIV-Negativen„) – und nun erklärt das US-Magazin ‚Time‘ sie am 16.12.2010 zum bedeutendsten medizinischen Durchbruch 2010.

Viele Fragen zu PrEP und iPrEx sind noch offen, bevor PrEP als praxistaugliches Konzept bezeichnet werden kann – dies betont auch Time in dem ‚Durchbruch‘-Artikel, in dem Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) in der Kategorie „10 bedeutendste medizinische Durchbrüche 2010“ den Spitzenplatz zugesprochen bekam.

weitere Informationen:
Time 09.12.2010: Top 10 Medical Breakthroughs: 1. AIDS Drugs Lower the Risk of HIV Infection
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iPrEx: 44% wirksame PrEP – erfreulich, aber viele Fragen sind offen

Die heute vorgestellten Ergebnisse der iPrEx-Studie schlagen international bereits Wellen. In Deutschland ist das Echo bisher niedrig – noch. Die iPrEx-Studie ist die erste kontrollierte Studie, die zeigt, dass das Konzept einer Prä-Expositions-Prophylaxe machbar und wirksam sein kann. Weitere Studien zu PrEP sind derzeit in Planung, mache in Durchführung, besonders in den USA sowie in Afrika und Asien.

Zunächst: wirksame Prä-Expositions-Prophylaxe, das wäre eine sehr gute Nachricht. Das Portfolio der Präventions-Methoden wäre um eine weitere Möglichkeit reicher.

Gut wäre die Nachricht insbesondere, wenn weitere Studien zeigen, dass die Wirksamkeit bei einer höheren Adhärenz (Einhalten der Einnahme-Vorschriften) noch deutlich höher als jetzt erreicht liegen könnte.

Und – dass gerade bei Menschen mit rezeptiven („aufnehmenden“) Sex-Praktiken scheinbar die Wirksamkeit besonders hoch zu sein scheint, könnte sich als besonders gute Nachricht erweisen – haben doch z.B. Schwule mit rezeptivem Analverkehr („sich ficken lassen“) ein  besonders hohes Infektionsrisiko. So könnte PrEP schnell besonders auch zur beliebten Methode der „Dosen- oder Bottom-Prävention“ werden …

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Doch – bei aller Freude über ein sich als möglicherweise machbar erweisendes Konzept, der Jubel sollte begrenzt bleiben. Noch ist PrEP und die vorbeugende Einnahme von Aids-Medikamenten nichts für die Praxis, für das reale Leben. Für einen Jubel über Chancen zur bio-medizinischen Prävention ist es weit zu früh. Zu viele Fragen sind noch offen, so manche noch nicht einmal gestellt.

44 Prozent Wirksamkeit – was gut klingt, heißt anders ausgedrückt: von 100 unter sonst gleichen Umständen erfolgenden HIV-Infektionen könnten durch PrEP 44 verhindert werden – 66 56 jedoch nicht. 56 66 Menschen würden sich dennoch, trotz Einnahme von PrEP-Medikamenten, mit HIV infizieren.

Die Wirksamkeit von 44% wurde zudem unter Studien-Bedingungen erzielt – nicht im realen Leben. Auch wenn die Forscher errechnen (!), eine Wirksamkeit von bis 95% sei möglich – zahlreiche (auch Präventions-) Studien zeigen immer wieder, dass die tatsächliche ‚Therapietreue‘ weit niedriger ist als die an Forscher berichtete. Bei PrEP handelt sich zudem nicht um eine Therapie einer vorhandenen Störung – sondern „nur“ um Vorbeugung. Ob derart hohe Schutz-Raten, wie sie die Forscher kalkulieren -und die lebenslange korrekte Medikamenten-Einnahme bei nicht Infizierten erfordern- im realen Leben tatsächlich machbar sind, sollte zunächst in weiteren Studien gezeigt werden.

Wie werden sich Menschen fühlen, die zwar eine derartige Vorbeugung machen, aber sich dennoch infizieren? Und zwar mit einem Risiko, das zumindest nach bisherigen Studiendaten deutlich über dem von Kondomen oder Viruslast-Methode liegt? Wie werden Menschen umgehen mit solch unterschiedlich wirksamen Schutz-Möglichkeiten?

Bei versagenden Kondomen könnte theoretisch eine Produkthaftung greifen – wie sähe es , ebenfalls theoretisch, mit der Haftung eines Pharmakonzerns für eine versagende oder nur teilweise wirksame PrEP aus?

Viele Fragen auch der Anwendung von Aids-Medikamenten bei nicht erkrankten Personen bleiben bisher noch offen.

Dass sich die Pharma-Industrie über jede medikamentöse Prävention freut, ist zu vermuten. Aber wie sieht es mit Nebenwirkungen der verwendeten Substanzen aus? Die jetzige Studie hatten einen Beobachtungszeitraum von zwei Jahren. Von zahlreichen (nicht nur Aids-) Medikamenten ist bekannt, dass Nebenwirkungen erst nach längerer Zeit auftraten – oder erst sichtbar wurden, als die Zahl der Menschen, die sie einnahmen, beträchtlich höher wurde.

Oder die Frage nach Langzeit-Wirkungen. Ein Mensch von heute 15 Jahren dürfte ein vielleicht bis 65 oder 70 währendes Sexleben haben. Sofern er lebenslang sein HIV-Infektionsrisiko minimieren möchte, würde er nach diesem Konzept 50, 55, vielleicht 60 oder mehr Jahre lang Medikamente zur Vorbeugung einnehmen – welche Wirkungen, Nebenwirkungen und Folgen hat dies? Erst recht über einen dermaßen langen Zeitraum?

Wenn Substanzen, die auch als Medikamente zur Behandlung eingesetzt werden, bei der Prävention in großem Umfang mit schlechterer Adhärenz eingenommen werden – wie sieht es dann mit der Entwicklung von Resistenzen aus? Wird möglicherweise gar durch unbedachte Verwendung von Aids-Medikamenten in der Prävention deren Einsatz zur Therapie gefährdet – eben aufgrund gehäuft auftretender Resistenzen?

Und – wer trägt die Kosten für eine etwaige medikamentöse HIV-Prophylaxe? Die Krankenkassen – die meist erst im Fall einer Erkrankung Kosten übernehmen (auch wenn es mit der ‚Pille‘ Ausnahmen gibt)? Oder wird diese Art der Prophylaxe zu einem weiteren Fall von ‚Lifestyle-Medikament‘, dessen Kosten der Patient bitte selbst zu tragen hat (wie jetzt schon bei Mitteln gegen Erektionsprobleme)?
Und – es geht ja um eine sexuell übertragbare Erkrankung – droht dann eine Reglementierung, wie viel PrEP, und damit auch wie viel Sex „in der Kostenerstattung“ ist?

Folgen aber wird die Studie auch für die Zukunft der Prävention haben. Kurzfristig ist mit PrEP vielleicht irgendwann  „ein neuer Pfeil im Köcher“, steht der HIV-Prävention vielleicht ein weiterer Weg zur Verfügung, um die Rate an HIV-Neuinfektionen zu senken.

Langfristig könnten die Folgen weitreichender sein. So weist Prof. Rolf Rosenbrock (im Interview im DAH-Jahrbuch 2009/2010) bereits heute darauf hin, die weitere Entwicklung der Prävention hänge davon ab, „wie weit Politik und Gesellschaft überhaupt noch nichtmedizinische Primärprävention wollen“. Droht langfristig in Zeiten von PrEP die Gefahr einer rein bio-medizinische HIV-Prävention? Mit einem Rückfall in eine HIV-Bekämpfung nach den Regeln der „old public health“?

Die iPrEx-Studie zeigt erfreuliche Ergebnisse. Von der Anwendung in der Praxis ist die Prä-Expositions-Prophylaxe jedoch noch weit entfernt. Zahlreiche Fragen harren noch der Beantwortung – bei weiten nicht nur medizinische.

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Nachtrag:
23.11., 21:45: Einige Fragen, die die iPrEx-Studie aufwirft, diskutieren die beiden Direktoren der Studie; siehe aidsmap 23.11.2010: PrEP, the big issues: IPrEx study directors discuss unanswered questions.
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44% Schutz vor HIV-Infektion – Aids-Medikamente reduzieren in Studie HIV-Infektionsrisiko bei HIV-Negativen

Bei HIV-negativen Männern, die vorbeugend einmal täglich eine Kombinationspille zweier Aids-Medikamente einnehmen, kann die Rate neuer HIV-Infektionen um 44 Prozent reduziert werden. Dies fand eine internationale Studie heraus. Bei höherer Einnahme-Treue sei eine weit höhere Wirksamkeit möglich, so die Forscher.

Die Studie iPrEx (Pre-exposure Prophylaxis Initiative) ist die erste klinische Studie weltweit, die Daten zur Frage der Wirksamkeit von PrEP liefert. Als Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) wird bezeichnet die Einnahme von gegen HIV wirksamen Medikamenten durch HIV-Negative, bevor es zu einem möglichen Kontakt mit HIV kommen kann.

Bei iPrEx wurden 2.499 HIV-negative Männer, die Sex mit Männern haben, in einer kontrollierten und randomisierten Studie untersucht. Die Studie fand in neun Städten auf vier Kontinenten statt. Die Männer wurden nach dem Zufallsprinzip (‚randomisiert‘) in zwei Gruppen eingeteilt. Die Männer beider Gruppen erhielten gleich aussehende Pillen – eine Gruppe ein wirkungsloses Plazebo, die andere eine Kombinationspille aus den beiden Aids-Medikamenten FTC und Tenofovir.

Allen Männern wurde zu den Pillen gesagt wurde, sie sollten täglich eine einnehmen, und es gebe ein 50%iges Risiko, dass sie nur ein wirkungsloses Plazebo erhielten. Alle wurden angewiesen, sich an die Regeln des „safer Sex“ zu halten. Während der zweijährigen Studiendauer (bis Dezember 2009) wurden sie alle vier Wochen untersucht.

Das Durchschnittsalter der Teilnehmer lag bei 27 Jahren. 68 Prozent stammten aus Peru oder Ecuador (dort startete die Studie zuerst). 54% der Teilnehmer gaben an, mehr als 5 alkoholische Getränke täglich zu sich zu nehmen.

100 Männer infizierten sich während der Beobachtungszeit mit HIV – 64 aus der Plazebo-Gruppe und 36 in der PrEP-Gruppe. Bei keiner der Personen, die sich mit HIV infizierten, wurden HIV-Medikamenten-Resistenzen festgestellt.

Bei Studienteilnehmer, die eine Adhärenz (sich an die Vorschriften der Medikamenteneinnahme halten) von über 50% berichteten, lag die Wirksamkeit der PrEP bei 50%. Bei über 90% Adhärenz stieg die Wirksamkeit auf 73%. Bei Teilnehmern, die bei Studienbeginn ungeschützten passiven Analverkehr berichteten, lag die Wirksamkeit bei 58%. Bei Studienteilnehmern, die keinerlei rezeptive („aufnehmende“) Sex-Praktiken angaben, war die Wirksamkeit negativ.

Bei den sich im Verlauf der Studie mit HIV infizierenden Teilnehmern sowie einigen weiteren Teilnehmern untersuchten die Forscher die Wirkstoffspiegel im Blut – und stellten eine Überraschung fest: nur bei 9% der Infizierten stellten sie Wirkstoff im Blut fest – und auch nur bei 51% der HIV-Negativen. Werte, die mit der (von den Teilnehmern selbst berichteten) Adhärenz nicht überein stimmten.

Auf dieser Basis errechneten (!) die Forscher, dass die Wirksamkeit dieser PrEP bei 92 bis 95 Prozent liegen würde, wenn sich alle Teilnehmer genau an die Vorschriften zur Einnahme der Medikamente gehalten hätten.

Während der Studie wurden nur wenige auf die Studiensubstanzen zurück zu führende Nebenwirkungen berichtet (Übelkeit; erhöhte Kreatinin-Werte)

FTC (Emtricitabine) wird unter dem Handelsnamen Emtriva® vermarktet, TDF (Tenofovir) unter dem Handelsnamen Viread®. Beide Substanzen kombiniert in einer Pille werden unter dem Handelsnamen Truvada® vermarktet. Hersteller aller drei Produkte ist der Pharmakonzern Gilead.

Die in der Studie verwendeten Medikamente wurden vom Hersteller Gilead unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Die Studie wurde finanziert von der ‚Division of Acquired Immunodeficiency Syndrome‘ (DAIDS) der National Institute of Allergy and Infectious Diseases, dem National Institutes of Health sowie der Bill and Melinda Gates Foundation.

Nachtrag
23.11., 17:20: Eine Studie mit unterschiedlichem Design ist in Frankreich in Vorbereitung. In der französisch-quebecischen Studie unter Leitung von Prof. Jean-Michel Molina sollen die Teilnehmer statt einer kontinuierlichen Medikamenten-Einnahme nur zwei Stunden nach Sex mit potentiellem Infektionsrisiko sowie nochmals 24 Stunden später einnehmen (also eine Form von PEP, nicht PrEP). Ob das Studiendesign angesichts der iPrEx-Ergebnisse nun modifiziert wird, ist bisher unklar.

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siehe auch Kommentar „iPrEx: 44% wirksame PrEP – erfreulich, aber viele Fragen sind offen

weitere Informationen:
New England Journal of Medicine online 23.11.2010: Preexposure Chemoprophylaxis for HIV Prevention in Men Who Have Sex with Men
Internetseite der Studie iPrEx www.globaliprex.net
aidsmap 23.11.2010: Anti-HIV drugs prevent HIV infection, trial shows – if you take them
Yagg 23.11.2010: VIH: Résultats mitigés pour le premier essai de traitement pré-exposition chez les gays
LifeLube 23.11.2010: Trial Shows AIDS Pill Can Prevent HIV Among Gay Men
Minorités 23.11.2010: Essai clinique IPrEx : quand l’espoir capote
New York Times 23.11.2010: Daily Pill Greatly Lowers AIDS Risk, Study Finds
DAH 09.11.2010: Schafberger schreibt: PREP-PREP-Hurra?
Advocate 23.11.2010: White House Talks HIV Prevention
queer.de 24.11.2010: Medikament senkt Risiko einer HIV-Ansteckung
SpON 24.11.2010: Aids-Medikament soll Ansteckungsrisiko senken
SZ 24.11.2010: Eine Pille gegen HIV
Tetu 24.11.2010: Un médicament pour se protéger du VIH? Prudence!
DAH 25.11.2010: HIV-Medikamente für Nicht-Infizierte?
Eric Sawyer 29.11.2010: What’s All the Noise About PrEP For?
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PrEP / iPrEx: Können Pillen vor’m Sex HIV-Infektion verhindern?

Die vorbeugende Einnahme bestimmter antiretroviraler Medikamente könnte das Risiko einer HIV-Infektion deutlich reduzieren – darauf scheinen Ergebnisse der ersten „PrEP-Studie“ ‚iPrEx‘ hinzudeuten.

Erstmals kommt eine klinische Studie zu dem Schluss, dass mit vorbeugend eingenommenen Aids-Medikamenten das Risiko einer anschließenden Infektion mit HIV deutlich gesenkt werden kann. In der iPrEx-Studie wurden 2.499 HIV-negative Männer untersucht (randomisiert, plazebokontrolliert). Die Rate neuer HIV-Infektionen wurde (im Vergleich zur Plazebo-Gruppe) um 44 Prozent gesenkt.

Die Forscher kommen in der heute publizierten Veröffentlichung über die Studie zu dem Schluss, die orale Einnahme der beiden Substanzen FTC und Tenofovir schütze vor einer HIV-Infektion, ein nachweisbarer Medikamentenspiegel im Blut korreliere stark mit dem Schutz-Effekt:

„Oral FTC–TDF provided protection against the acquisition of HIV infection among the subjects. Detectable blood levels strongly correlated with the prophylactic effect.“

iPrEx (Pre-exposure Prophylaxis Initiative) ist die erste klinische Studie weltweit, die Daten zur Frage der Wirksamkeit von PrEP liefert.

Als Prä-Expositions-Prophylaxe (PrEP) wird bezeichnet die Einnahme von gegen HIV wirksamen Medikamenten, bevor es zu einem möglichen Kontakt mit HIV kommen kann.

weitere Informationen:
New England Journal of Medicine online 23.11.2010: Preexposure Chemoprophylaxis for HIV Prevention in Men Who Have Sex with Men
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detaillierter Bericht folgt hier: 44% Schutz vor HIV-Infektion – Aids-Medikamente reduzieren in Studie HIV-Infektionsrisiko bei HIV-Negativen

Guter Posi, böser Posi – Folgen der Biomedikalisierung der Prävention

Guter Posi, böser Posi

Folgen der Biomedikalisierung der Prävention

ein Gast-Kommentar von Phil. C. Langer

Es waren mitunter zwei miteinander zusammenhängende Themen, die vor zwei Jahren auf der Welt-AIDS-Konferenz in Mexiko im Mittelpunkt vielfältiger und kontroverser Diskussionen standen. Während unter dem Schlagwort der „Kombinationsprävention“ eine effektive Zusammenführung von Ansätzen thematisiert wurde, die sowohl auf Veränderungen des Verhaltens und der Verhältnisse als auch auf biomedizinische Interventionsinstrumente zielten, wurden letztere anhand der männlichen Beschneidung als Möglichkeit, die Übertragungswahrscheinlichkeit von HIV beim heterosexuellen Geschlechtsverkehr signifikant zu vermindern, unter die Lupe genommen. Wer nun eine Fortsetzung dieser Diskussionen auf der diesjährigen Welt-AIDS-Konferenz in Wien erwartet hatte, wurde enttäuscht. Von Beschneidung war nur mehr am Rande die Rede, wenn es darum ging, die damals geäußerten sozial- und kulturwissenschaftlichen Bedenken bezüglich der Akzeptanz und der Folgen als „bewiesenermaßen“ gegenstandslos ad acta zu legen. Und auch die Frage, wie die unterschiedlichen Präventionsansätze synergetisch zusammenwirken können, schien überholt zu sein. So wurde in mehreren Vorträgen die Bedeutung antiretroviraler Medikament als neue „magic bullet“ der Prävention auf eine einfache Formel gebracht: ART ist Prävention – oder vielmehr: Eine erfolgreiche Prävention ist letztlich nur durch die ART möglich.

Die Fokussierung auf die ART als privilegiertes Instrument zur Bekämpfung der globalen Pandemie bezieht sich natürlich auf die Erkenntnis, dass die HIV-Übertragungswahrscheinlichkeit von der Viruslast abhängt, die auch in der bekannten EKAF-Stellungnahme ausgeführt wird. Davon ausgehende mathematische Modelle legen in diesem Sinn eine umfassende Therapisierung aller Infizierten nahe. Am Beispiel von Südafrika etwa kommen Grulich et al. zum Ergebnis, dass eine universelle jährliche HIV-Testung aller Menschen über 15 Jahre in Verbindung mit einem sofortigen Beginn der ART nach der Diagnose zu einem absehbaren Ende der Epidemie führen würde: „Die Übertragung kann auf ein niedriges Niveau reduziert werden und die Epidemie kann über eine stetige Abnahme hin zur vollständigen Elimination eintreten, wenn diejenigen, die eine ART erhalten älter werden und sterben.“ (1) In Wien wurden diese statistischen Berechnungen fortgeführt. Die unbehandelte Positiven tauchen darin indes nur mehr als ein kollektives „Reservoir“ der Viruslast auf, das es auszurotten gilt. In der abstrahierten Kollektivierung schien dabei das konkrete Subjekt, der einzelne mit HIV und Aids lebende Mensch, zu verschwinden. Damit erhält die emanzipatorische Forderung nach universellem Zugang zur Therapie eine bedenkliche Schlagseite, sofern sie sich auch als nach universelle Behandlungsforderung verstehen lässt.

Die angedeutete Entwicklung wird in den Sozialwissenschaften als Biomedikalisierung bezeichnet (2). Der Begriff beschreibt einen Prozess, in dem nichtmedizinische Probleme als medizinische Probleme definiert und behandelt werden. Die damit einhergehende Ausweitung der medizinischen Deutungs- und Handlungsmacht auf psychosoziale und soziokulturelle Phänomene betrifft weite Lebens- und Erfahrungsbereiche auch jenseits von HIV und Aids: Zu den oft angeführten Beispielen gehören die extensive medikamentöse Behandlung des Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Syndroms (ADHS) bei Kindern, die monokausale Erklärung depressiver Störungen durch ein biochemisches Ungleichgewicht im Hirn, wodurch psychotherapeutische Möglichkeiten zu bloßen Begleitverfahren degradiert werden, und die pharmaindustriellen Möglichkeiten zur Behebung erektiler Dysfunktion, für die Viagra® steht, der die aktuell unter dem Schlagwort „Neuroenhancement“ laufende Diskussion um den Einsatz amphetaminhaltiger Medikamente zur Leistungssteigerung ohne medizinische Indikation.

Seit einigen Jahren wird von unterschiedlicher Seite auf eine umfassende Biomedikalisierung von HIV und Aids hingewiesen, die vielfältige Einflüsse der Biomedizin in Bereichen begründet, die außerhalb der rein medizinischen Behandlung der HIV-Infektion und ihrer physischen Folgen liegen – also zum Beispiel in der Psychologie, der Politik, im Recht oder der Prävention. Die aktuelle präventive Bedeutung der ART, auch im Hinblick auf ihre Nutzung als PEP und PrEP, sowie der Beschneidung, des HIV-Tests, aber auch die Neuverhandlung der Rolle von Ärzten, die über die Behandlung hinaus Deutungshoheit auch in der Prävention erlangen, sind Ausdruck dieser Biomedikalisierung. Unabhängig von den unbestrittenen Perspektiven, die sich durch die ART auch für die Prävention, nicht zuletzt als Beitrag zur Destigmatisierung von Positivsein und zur Integration von Positiven in Arbeit ergeben, gibt es doch auch „Nebenwirkungen“ dieser Biomedikalisierung für HIV-Positive, die thematisiert werden sollten.

Denn folgt man der argumentativen Linie, die unter Berufung auf ein festgesetztes, gesamtgesellschaftliches Allgemeingut von den mathematischen Modellen zur antiretroviralen Elimination der identifizierten „Reservoirs“ von Nichtbehandelten führt, so werden moralische Zuschreibungen erkennbar, die zwischen „guten“ und „bösen“ Positiven unterscheiden. So ist letztlich die umfassende Testung aller möglichen oder wahrscheinlichen Infizierten Voraussetzung ihrer umfassenden Behandlung. Wie aber ist dies mit dem Prinzip der Freiwilligkeit der Testentscheidung zu vereinen? Führt dies nicht zur Einführung des in den USA bereits bestehenden Opt-Out-Modells, demzufolge die HIV-Testung im Kontext ärztlicher Routineuntersuchungen mit gemacht wird, sofern kein expliziter Widerspruch erfolgt? Wie erscheint dabei ein Mensch, der sich trotz erkannter Risikokontakte nicht testen lassen will, obwohl es für Viele psychologisch durchaus wichtig sein kann, sich längere Zeit mehr oder weniger bewusst mit der möglichen Infektion auseinanderzusetzen, bevor sie durch die Diagnose „objektiv“ und „manifest“ wird.

Im Sinne der präventiven Durchmedikalisierung des „Reservoirs“ würde sich auch die Frage eines „richtigen“ Therapiebeginns – und damit der eigenen Entscheidung dazu – erübrigen: Die ART wäre sofort und für alle, unabhängig von dem gesundheitlichen Zustand und der Bereitschaft des Einzelnen durchzusetzen. Was aber wäre zu tun, wenn ein Mensch mit bekannter HIV-Infektion die Therapie nicht beginnen möchte? Wie weit geht man, die Freiheit des Einzelnen angesichts des ökonomisch und kollektivhygienisch definierten Allgemeinwohls einzuschränken? In diesem Sinn führen scheinbar wertfrei vorgebrachte Argumente der biomedizinischen Prävention schnell zu einer vermeintlich „objektiven“ Alternativlosigkeit der Implementierung, die dann indes moralische Bewertungen subjektiven Verhaltens mit sich bringt und sich in juristische Fragen übersetzen lässt.

Im Anschluss an den französischen Philosophen Michel Foucault kann man dies als Ausdruck der modernen Bio-Macht eines neoliberalen Staates verstehen, die einst gesellschaftlich definierte Bereiche wie Gesundheit/Krankheit in den Zuständigkeitsbereich des Individuums verlagert und zu einem Problem der individuellen Selbstsorge und Eigenverantwortlichkeit macht: „Das Spezifikum der neoliberalen Rationalität liegt in der anvisierten Kongruenz zwischen einem verantwortlich-moralischen und einem rational-kalkulierenden Subjekt. Sie zielt auf die Konstruktion verantwortlicher Subjekte, deren moralische Qualität sich darüber bestimmt, dass sie die Kosten und Nutzen eines bestimmten Handelns in Abgrenzung zu möglichen Handlungsalternativen rational kalkulieren. Da die Wahl der Handlungsoptionen als Ausdruck eines freien Willens auf der Basis einer selbstbestimmten Entscheidung erscheint, sind die Folgen des Handelns dem Subjekt allein zuzurechnen und von ihm selbst zu verantworten.“ (3)

Paradoxerweise ermöglicht die Zuweisung individueller Handlungsverantwortung es dem Staat aber nicht nur, sich aus seiner Verantwortung zurückzuziehen, sondern eröffnet ihm auch neue strategische Möglichkeiten der Kontrollausübung, was in der Diskussion um die Anwendung des Strafrechts auf mögliche Infektionssituationen erkennbar wird. Der HIV-Positive erscheint als „Risikofaktor“, den es mithilfe juristischer (oder ökonomischer) Instrumente zu sanktionieren gilt; so hat es etwa rechtskräftige Verurteilungen von HIV-Positiven wegen ungeschützten Geschlechtsverkehrs gegeben – selbst wenn dieser einvernehmlich oder ohne signifikantes Übertragungsrisiko vollzogen worden ist –, und es liegen auch Berichte vor, wonach Krankenkassen versucht haben, (vermeintliche) HIV-Überträger in Regress zu nehmen. Hinzu kommt eine der für die strukturelle Prävention fatalen Folgen einer Schwächung des sense of community durch eben jene Differenzierung zwischen „guten“ und „bösen“ HIV-Positiven: zwischen denjenigen also, die sich „richtig“ – also: rational, moralisch, verantwortlich, präventionsgerecht, safe(r) – verhalten, und denjenigen, die sich „falsch“ – also: den Präventionsnormen widersprechend, unverantwortlich, unmoralisch, „gemeinschaftsschädigend“ – verhalten.

Vielleicht sollten wir – statt dieses Spiel moralischer Zuschreibungen mitzumachen – doch noch einmal an die Diskussion in Mexiko anknüpfen und die Frage stellen, welchen spezifischen Ort biomedizinische Ansätze und Instrumente im Kontext einer umfassenderen „Kombinationsprävention“ haben kann und wo ihre Grenzen liegen. In diesem Sinne ginge es dann nicht zuletzt darum, die Herstellung eines politischen und gesellschaftlichen Rahmens sowie individueller psychosozialer und ökonomischer Ressourcen als unverzichtbare Voraussetzung eines eigenverantworteten, gesundheitsbewussten Verhaltens zu verstehen. Und hier ist sicherlich noch genug zu tun.

Referenzen:
(1) Granich et al. (2008). Universal voluntary HIV testing with immediate antiretroviral therapy as a strategy for elimination of HIV transmission: a mathematical model. Lancet Online vom 26. November 2008.
(2) Kippax, S., & Holt, M. (2009). The State of Social and Political Science Research Related to HIV: A Report for the International AIDS Society.
(3) Lemke, T. (2007). Gouvernementalität und Biopolitik. Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften.

Dieser Artikel erschien zuerst in ‚Projekt Information Juli / August 2010‘
Vielen Dank an Phil C. Langer und Projekt Information für die Genehmigung der Übernahme!

Kurz notiert … Juni 2010

28. Juni 2010: In Kiel wird ein 47jähriger HIV-positiver Mann zu fünf Jahren Haft verurteilt wegen vollendeter sowie gefährlicher Körperverletzung.

25. Juni 2010: Ist einer Heilung von HIV/Aids möglich? Kann HIV komplett wieder aus dem Körper entfernt werden? Das US-amerikanische Magazin Technology Review untersucht diese Frage in einem umfangreichen Artikel „Can AIDS be cured?“

24. Juni 2010: Eine Kommission der Vereinten Nationen soll sich zukünftig einsetzen gegen Gesetze, die HIV-Positive und Aids-Kranke diskriminieren.

22. Juni 2010: Auch Aidshilfen können insolvent werden (auch wenn die Malaise in diesem Fall bereits eine längere Vorgeschichte hat): Aids-Hilfe steht vor dem Aus

19. Juni 2010: Courage beim Berliner CSD. Die Veranstalter wollen Judith Butler, Gender-Theoretikerin aus den USA, mit dem Zivilcourage-Preis ehren – und Butler lehnt auf der Bühne ab, der CSD sei zu kommerziell und richte sich nicht gegen wichtige Problem wie Rassismus oder doppelte Diskriminierung, z.B. von homo- oder transsexuellen Migrant/innen: Judith Butler nimmt Preis nicht an

17. Juni 2010: Kondome bei der Fußball-WM 2010 in Südafrika, oder nicht?: Erst gegen Aufklärung. Jetzt plötzlich dafür, als sei nichts gewesen. – Endlich: Fifa gegen Aids.

15. Juni 2010: Nadja Benaissa hat eine Biografie verfasst. „Alles wird gut“ soll am 9. September erscheinen. Zuvor muss sich die Pop-Sängerin vor Gericht verantworten, am 16. August beginnt ihr Verfahren wegen des Vorwurfs gefährlicher Körperverletzung.
Die Einwohner von St. Petersburg (und der Rest der Welt) staunen über die Penis-Brücke.

12. Juni 2010: schwule Feuerwehrleute willkommen? – „Deutscher Feuerwehrtag Leipzig – Feuerwehr weltoffen und tolerant – Homosexualität als Thema auf der Interschutz“

10. Juni 2010: In Frankreich häufen sich Probleme mit der Medikamenten-Versorgung bei anti-HIV-Therapien. „Antirétroviraux: des ruptures de stocks en France“
Deutschland blockiere immer noch die Anti-Diskriminierungs-Richtlinie der EU, klagen (nicht nur) EU-Vertreter: „Brussels keen for Berlin to unblock EU gay rights law“.

9. Juni 2010: Kleinkrieg in der Aids-Arbeit in Brandenburg? „Kontrovers – Krieg im Präventionsmilieu“, berichtet blu.

8. Juni 2010: Steiermark: Mutter vor Gericht. Sie hatte ihr HIV-positives Kind nicht behandeln lassen wollen, trotz lebensbedrohlicher Lungenentzündung. Heute steht die ‚Anhängerin eines bekannten Wunderheilers‘ in Graz vor Gericht: „Körperverletzung – Mutter von HIV-Baby heute vor Gericht“
Reifungs-Inhibitoren sind eine neue Substanzklasse mit einem völlig neuen Ansatz gegen HIV – dich der einzig verbleibende Hersteller hat nun die Entwicklung vorerst gestoppt. man wolle für die weitere Entwicklung der Substanzklasse einen Partner suchen. „Myriad halts HIV maturation inhibitor drug programme“

7. Juni 2010: Muss Chemotherapie bei HIV-Positiven unter HAART mit Krebs-Erkrankungen anders dosiert werden? „People on HIV Meds Might Need Different Chemo Doses for Cancer“, berichtet POZ vorab über ein Poster auf der Jahreskonferenz der American Society of Clinical Oncology (ASCO).

5. Juni: Infizierte ein Akupunkteur in der Schweiz zahlreiche Menschen mit HIV, womöglich mit Absicht? Was bisher ein Verdacht ist, formuliert die Boulevard-Presse als vermeintliche Tatsache: „Heiler steckte 18 Menschen mit Aids an“.

4. Juni 2010: Anlässlich der Fußball-WM in Südafrika: Philipp Lahm ruft Fans zu Schutz vor HIV/Aids auf

3. Juni 2010: Bio-Terrorismus-Vorwürfe gegen HIV-Positive auch in den USA, nicht nur in Deutschland. Vorwürfe, die gegen einen HIV-Positiven unter Verwendung eines staatlichen Bioterrorismus-Gesetzes erhoben wurden, wurden nun niedergerschlagen. „Activists, advocates applaud dismissal of bio-terrorism charges“, berichtet The Michigan Messenger.

2. Juni 2010: Annie Lennox wird zum International UNAIDS Goodwill Ambassador ernannt.

1. Juni 2010: Outing oder nicht Outing? Mit der „Ethik und Etikette des Outing“ beschäftigt sich aus aktuellem Anlass Timothy Kincaid auf Box Turtle Bulletin: „The ethics and etiquette of outing

Droht eine Rückkehr des Problems der Resistenzen, falls HIV-Medikamente in großem Umfang zur ‚Prä-Expositions-Prophylaxe‘ (PrEP) eingesetzt werden? „Treatment and PrEP could be on a ‘collision course’, warns resistance expert“, berichtet aidsmap.

Sicheres Vergnügen

„Sicheres Vergnügen“ – eine neue Schweizer Broschüre gibt „Sextipps von Mann zu Mann“. Und behandelt dabei auch Möglichkeiten, safer Sex ohne Kondom zu haben.

Die Broschüre „Sicheres Vergnügen – Sex-Tipps von Mann zu Mann“  vermittelt im praktischen Taschenformat (halbe Postkartengröße) eingangs eine wesentliche Botschaft:

„Anonymer Sex und schnelles Vergnügen? Oft braucht es dafür keine Worte. Deshalb wissen beide Partner, wie sie sich schützen, und jeder übernimmt die Verantwortung für sich selbst.“

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Die Broschüre thematisiert pragmatisch verschiedene Situationen des Sex zwischen Männern, von der „großen Liebe“ bis zu „anonymer Sex und schnelles Vergnügen“, oder auch die (gern auch als ‚Schutz‘-Möglichkeit gedachte) Konstellation regelmäßiger Sexpartner (wie Fuckbuddies, geschlossene Sex-Zirkel etc.):

„Wiederholt Sex mit Freunden oder Bekannten, die du schon länger kennst? Vertrautheit verführt zu falschen Schlüssen punkto Sicherheit.
Wer beim letzten Test HIV-negativ war, muss es heute nicht mehr sein. Rede mit deinen Partnern, wie ihr euch schützt.“

Vor allem geht der Text auch auf Möglichkeiten ein, Safer Sex ohne Kondom zu haben:

„Sex ohne Gummi? Sicher möglich!
Bumsen ohne Gummi mit deinem festen Partner kann sicher sein. Das geht so:
1. Gemeinsamer Test und Beratung im Checkpoint oder bei einer Teststelle mit Beratung
2. 3 Monate lang Safer Sex – konsequent mit allen Partnern
3. Gemeinsamer HIV-Test mit Partner
4. Seid ihr beide HIV-negativ, dann sagt einander klar: Entweder seid ihr euch treu oder ihr macht mit anderen Sexpartnern nur Safer Sex.
5. Wer die Vereinbarung nicht einhält, teilt das dem Partner sofort mit. Legt im Voraus fest, wie ihr das machen wollt. Dann gelten wieder die Safer-Sex-Regeln, bis eine Infektion mittels Test ausgeschlossen
werden kann.
Wie sicher ist diese Methode? Sehr sicher, wenn ihr beide die Vereinbarung einhaltet.“

Die Broschüre thematisiert auch ansatzweise, dass viele Männer versuchen, von Aussehen und Körper auf den HIV-Status zu schließen, sich danach ihre Sexpartner auszusuchen. Vom eingefallenen Gesicht bis zum tastenden Griff an den Arsch – individuelle Strategien bzw. Versuche von Risikominderung, die leicht daneben gehen können.

„Auf gesundes Aussehen achten
Eine HIV-Infektion ist nicht sichtbar. Du siehst keinem an, ob er HIV-positiv oder HIV-negativ ist. Jugend, gutes Aussehen oder kräftiger Body sagen nichts über den HIV-Status oder andere sexuell übertragbare Infektionen.“

Die Broschüre behandelt erfreulicherweise auch die Situation, die nach dem EKAF-Statement (‚keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs‚) entstanden ist:

„HIV-positiv und nicht ansteckend?
HIV-positive Menschen mit wirksamer antiretroviraler Therapie übertragen das Virus beim Sex nicht unter drei Bedingungen:
1. Die Viruslast ist seit mindestens sechs Monaten nicht mehr nachweisbar.
2. Die HIV-Therapie wird eingehalten und regelmässig vom Arzt kontrolliert.
3. Es liegen keine anderen sexuell übertragbaren Infektionen vor (z.B. Syphilis).
Und wen betrifft das?
– Menschen in festen Partnerschaften, bei denen ein Partner HIV-positiv und der andere negativ ist.
-Denn nur in einer vertrauensvollen Beziehung kann der HIV-negative Partner sicher sein, dass die drei Bedingungen erfüllt sind.
-Nur so kann ein gemeinsamer Entscheid zusammen mit dem beratenden Arzt für oder gegen Kondome gefällt werden.
Mit Gelegenheitspartnern und in neuen Partnerschaften schützt weiterhin nur Safer Sex.“

Die Broschüre geht auf viele weitere Themen ein, wie Beschneidung und Mikrobizide zur Senkung des Infektionsrisikos, und findet insbesondere zur so genannten PrEP [ein (evtl. vermeintlich) HIV-Negativer nimmt antiretrovirale Medikamente, um sich vor einer HIV-Infektion zu ’schützen‘] deutliche Worte:

„Schlucke auf keinen Fall HIV-Medikamente, wenn du nicht HIV-positiv bist! Sie nützen dir nichts, ihr Schaden kann hingegen gross sein.“

Sicheres Vergnügen – Sextipps von Mann zu Mann
Herausgegeben von der Aids-Hilfe Schweiz © 2008
Mitarbeit: Thomas Bucher, Urs Witwer, Lukas Meyer, Claire Comte, Steven Derendinger, Benedikt Zahno, Roger Markowitsch, Vincent Jobin, Andrea Ostinelli
Gestaltung: schloss-ludwig.ch
Mit Unterstützung des Bundesamtes für Gesundheit
Download als pdf Sicheres Vergnügen (4,17 MB)
Alternativ kann die Broschüre auch über den Online-Shop der Aids-Hilfe Schweiz bestellt werden.

Die Grundhaltung der Broschüre erinnert stark an die Bezeichnung der Präventionskampagne der DAH für MSM „ich weiss was ich tu„.
Viele der Botschaften und die Gestaltung der Broschüre sind ansprechend. Besonders an dem Punkt „Sex ohne Gummi? Sicher möglich!“ ist die Broschüre ein begrüßenswerter Schritt in neue Realitäten. Und der (bundesdeutsche) Leser fragt sich, warum haben wir eine solche Broschüre nicht in Deutschland?
Eine Frage, die sich erst recht stellt, wenn es um die Frage geht, welche Auswirkungen das Statement der EKAF für das eigene Sex-Verhalten hat.
Gerade bei dieser Frage allerdings erweist sich die Broschüre als letztlich zaghaft, beinahe mutlos. Reduziert sie doch das Statement der EKAF allein auf praktische Informationen für eine bestimmte Konstellation: den „festen Partner“. Alles andere („Ohne Gummi mit mehreren Partnern“) wird reduziert auf ein „theoretisch schon, aber …“.
Die Aussagen des EKAF-Statements rein auf feste Partnerschaften zu reduzieren scheint eine verengte Wahrnehmung der Aussagen der Eidgenössichen Aids-Kommission, zudem angesichts der Realitäten vieler schwuler Männer und ihrer Beziehungen zumindest in Teilen realitätsfremd. Hier scheint die Broschüre ein Schritt in die richtige Richtung, wirkt allerdings ein wenig mutlos, mehr an Ausagen auch für andere Lebensrealitäten zu treffen.