Frankreichs Innenministerin Michèle Alliot-Marie scheint nach massiven Protesten einen Rückzieher zu machen. In der umstrittenen Datei ‚Edvige‚ wird überarbeitet und sollen zukünftig doch keine personenbezogenen Daten zu Homosexualität gespeichert werden. Ein neues Dekret soll in Kürze vorgelegt werden.
Am Donnerstag, 18. September kündigte Michèle Alliot-Marie, die französische Innenministerin, ein neues Edvige-Dekret an. Personendaten sollen demzufolge nicht mehr in der Datei ‚Edvige‘, sondern vor Ort in den Präfekturen gespeichert werden. Informationen zur Homosexualität sollen nur noch über Organisationen, nicht mehr über Personen gespeichert werden. Über die Speicherung von Daten zu HIV nach dem neuen Dekret wurde bisher nichts bekannt.
Bereits am Dienstag (9.9.) abends hatte sich die Entwicklung angekündigt. Sarkozy hatte angesichts der Proteste und Klagen gegen Edvige zu einem Krisentreffen in den Elysée-Palast gebeten. Zuvor hatten selbst Minister aus Sarkozys Kabinett Zweifel an Edvige geäußert (Verteidigungsminister Hervé Morin und Rama Yade, Staatsministerin im Auswärtigen Amt).
Am Wochenende 13./14.9. tauchten dann erste Spekulationen auf, ein neues Edvige betreffendes Dekret befinde sich bereits in konkreter Vorbereitung und werde kurzfristig vorgelegt. Diese neue Version werde keine Angaben mehr enthalten zu sexueller Orientierung und HIV-Status. Abgeordnete forderten u.a. statt eines Dekrets ein Gesetz für Edvige.
Innenministerin Alliot-Marie hatte ‚Edvige‘ eigentlich ohne große Debatten durchsetzen wollen. Bisher hatte die Regierung nur zugestanden, über Edvige sei unzureichend informiert worden. Inhaltliche Fehler oder Probleme hingegen waren bisher nicht zugestanden worden. Immer wieder rechtfertigte sie ihr Dekret.
Staatspräsident Sakozy hingegen wurde wegen der Proteste zunehmend unruhig und betonte am 11.9., er hoffe auf baldige klarstellende Entscheidungen in den nächsten Tagen. Er kommentierte, alles was (bei Edvige) für die Sicherheit Frankreichs nicht erforderlich sei, könne doch entfallen. Dies galt bereits als Anzeichen anstehender inhaltlicher Modifikationen.
Im Rahmen von Edvige sollten ursprünglich u.a. auch Daten zu sexueller Orientierung sowie Gesundheit (auch HIV-Status) gespeichert werden.
Die Proteste gegen Edvige gingen durch nahezu die gesamte französische Gesellschaft. Schwulen- und Lesbengruppen fürchteten neuer ‚Rosa Listen‘, Aids-Gruppen protestierten gegen die Speicherung von HIV-Daten.
Nach den immer stärker werdenden Protesten erklärte Alliot-Marie ihre Bereitschaft, Aufbewahrungszeiten mancher Daten zu verkürzen.
Für den 16. Oktober ist eine große Protest-Demonstration in Paris geplant.
Die französische Schwulenzeitschrift Tetu enthüllte inzwischen, dass Daten zu Homosexualität längst gespeichert werden …
Nachtrag 20.9.2008: Edvige heißt nicht mehr Edvige … (Le Monde über ex-Edvige, danke an M.!) und gespeichert werden sollen nun ’nur noch‘ die Daten von ‚Personen, die als Bedrohung für die öffentliche Ordnung gelten‘.
Nachtrag 23.9.2008: SOS Rassisme fordert, auch keine Daten zur ethnischen Abstammung zu speichern.
Nachtrag 29.9.2008: Edvige heißt nun EDVIRSP – doch Kritik bleibt
Nachtrag 01.10.2008: die Bewegung „Non à Edvige“ hält ihren Aufruf zur Großdemonstration am 16.10.2008 in Paris aufrecht
Nachtrag 10.10.2008: Mit der Vorlage von Edvirsp wird Edvige zurückgezogen, dies hat das französische Innenministerium klargestellt.
Nachtrag 20.11.2008: ‚Cette fois, ‚Edvige‘ est bien morte‘
Der zumindest halbe Rückzieher, den die französische Regierung nun macht, zeigt einmal mehr, wie sehr sich zivilgesellschaftliches Engagement auszahlen kann. Ausschlaggebend für diesen teilweisen Rückzug waren nicht zuletzt die massiven Proteste eines äußerst breit angelegten Bündnisses von Gewerkschaften über politische Gruppierungen bis zu Schwulen- und Lesbengruppen sowie Aids-Organisationen.
… und, sorry, (fast) alle Links zeigen diesesmal auf französischsprachige Seiten … themenbedingt …