Die Geister die ich rief … Pharmaindustrie darf VerbraucherInnen künftig eu-weit über Arzneimittel ‚informieren‘ (akt.)

Günter Verheugen, der für Unternehmens- und Industriepolitik zuständige Vizepräsident der EU-Kommission, hat seinen industriefreundlichen Gesetzesvorschlag zur europäischen Arzneimittelrichtlinie durchgesetzt.

Via Internet und mit gedrucktem Material soll sich die Pharmaindustrie künftig mit Informationen zu Gesundheit, Krankheit und rezeptpflichtigen Arzneimitteln direkt an Verbraucherinnen und Verbraucher richten dürfen. Der Industriekommissar öffnet damit die Schleusen für eine Flut zweifelhafter und von kommerziellen Interessen gesteuerter „Informationen“. Wird Verheugens Gesetzesvorschlag vom EU-Parlament angenommen, geht der VerbraucherInnenschutz endgültig unter.

Was als eine Harmonisierung und Vereinfachung der EU-Regeln zur Bereitstellung von PatientInneninformation gedacht war, entpuppt sich nun als ein Regelwerk mit gravierenden Folgen. Es ist ein Freibrief für verkaufsfördernde Veröffentlichungen der Arzneimittelhersteller zu ihren eigenen teuren Produkten. Das geht auf Kosten gut wirksamer preiswerter Generika. Darüber hinaus bedeutet eine vernünftige Therapie oft mehr, als einfach nur Medikamente zu geben. Zwar sind im Gesetzentwurf auf Druck der Kommissarin für Gesundheit und Verbraucherschutz einige Schutzklauseln eingefügt worden. Diese werden jedoch durch vage formulierte Ausnahmeregeln wieder durchlöchert. So kann z.B. die Vorabkontrolle der Information durch die Behörden auch durch eine freiwillige Selbstkontrolle der Industrie ersetzt werden.(1)

Bis heute ist es nicht gelungen, sachgerechte Aussagen systematisch von Werbung zu trennen. Daher gibt es im Sinne des VerbraucherInnenschutzes nur eine angemessene Reaktion: Verständliche und vergleichende Informationen für Patientinnen und Patienten zu rezeptpflichtigen Arzneimitteln dürfen nur von neutralen und unabhängigen Institutionen bereitgestellt werden.

Hierfür machen sich die UnterzeichnerInnen der gemeinsamen Stellungnahme: „PatientInnen nicht im Regen stehen lassen – für eine industrieunabhängige Patienteninformation“ stark.(2)

Europa genießt in Bezug auf VerbraucherInnenschutz weltweit ein hohes Ansehen. Die Europa-ParlamentarierInnen sind aufgerufen, sich dieser Vorbildfunktion bewusst zu werden und dem Schutz der PatientInnen Priorität vor Wirtschaftsinteressen einzuräumen. Es heißt jetzt zu handeln: Denn wer die Geister ruft, wird sie häufig – wie der vielzitierte Zauberlehrling von Goethe – nicht wieder los.

Sollte das Werbeverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel in der Europäischen Union fallen, hätte das nicht nur negative Folgen für die VerbraucherInnen hierzulande. Wir befürchten für die Dritte Welt noch weit gravierendere Auswirkungen, da entsprechende Verbote auch in diesen Ländern dann nicht mehr zu halten wären. Wo bereits jetzt viele Menschen keinen Zugang zu unentbehrlichen Arzneimitteln haben, würde Werbung für neue teure Präparate eine sinnvolle Versorgung stark behindern.

gemeinsame Presseerklärung von BUKO Pharma-Kampagne • BundesArbeitsGemeinschaft der PatientInnenstellen und -Initiativen • Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e.V. • Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention • IPPNW – Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges, Internationale Ärzte in sozialer Verantwortung • verein demokratischer ärztinnen und ärzte • Verein demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten

(1) http://ec.europa.eu/enterprise/pharmaceuticals/pharmacos/pharmpack_en.htm
(2) http://www.bukopharma.de/index.php?page=stellungnahmen
weiterführende Informationen:
Die EU-Kommission informiert über ihr ‚pharmaceutical package‘
Mitteilung der Kommission diesbezüglich an das Europa-Parlament (pdf, deutsch)
die Details: Vorschlag der Kommission hinsichtlich ‚Verbraucherinformation‘ (directive pdf, regulation pdf, beide englisch)

Nachtrag:
28.01.2009: Verheugens Vorhaben scheint anachronistisch, wenn zutrifft, was die FAZ meldet: „Der [US-] Kongress plant, die direkt an Verbraucher gerichtete Werbung von Pharmakonzernen einzuschränken.“ (FAZ 28.01.2009, S. 21 „Wall Street erwartet weitere Pharma-Zusammenschlüsse“)
06.03.2009 Ärztezeitung: Bundesrat gegen Arzneimittelwerbung
14.03.2009 aerzteblatt.de: Richtlinienvorschlag zur Patienteninformation droht das Aus
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Bulgarien führt Lebenspartnerschaft ein – für Heteros

Bulgarien führt eine zivile Partnerschaft ein. Doch – die Regelung soll nur für Heteros gelten, nicht für homosexuelle Lebenspartnerschaften. Mitglieder des EU-Parlaments protestieren.

Das bulgarische Parlament berät derzeit über die Einführung einer zivilen Partnerschaft. Allerdings, Bulgarien plant, diese Regelung nur für Paare von Mann und Frau zuzulassen. Homosexuelle Lebenspartnerschaften sollen von der Regelung ausgenommen sein.

EU-Parlamentarier forderten nun das bulgarische Parlament auf, die Gültigkeit der Regelung auch auf homosexuelle Paare auszuweiten. „Es stellt eine unmittelbare Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung dar, wenn gemischte Paare eine Partnerschaft rechtlich registrieren lassen können, gleichgeschlechtliche Paare aber nicht. Diskriminierung aufgrund der sexuellen Ausrichtung ist in verschiedenen rechtlichen Dokumenten der Europäischen Union als verboten erklärt“, zitiert blu.fm aus dem Schreiben.

Erst jüngst hatten Äußerungen des Bürgermeisters von Sofia und Parteivorsitzenden der GERB (eine der großen Parteien Bulgariens) für Unruhe und Proteste gesorgt. Er werde alles in seiner Macht stehende tun, um Homosexuelle aus der Politik des Landes heraus zu halten, hatte Boyko Borisow bemerkt. Dies würde nur die Psyche der Menschen beeinträchtigen und wichtige Entscheidungen beeinflussen.
Beobachter vermuten, die Bemerkungen zielten auf den (unverheirateten) Premierminister Sergej Stanischew.

Bulgarien ist seit 2007 Mitglied der EU. Homosexualität wird in Bulgarien nicht strafrechtlich verfolgt, die Altersgrenze ist für einvernehmlichen Sex bei Heteros und Homos gleich. Seit 2003 existiert ein Antidiskriminierungsgesetz.

Bulgarien folgt mit deisem bizarren Vorhaben dem griechischen ‚Beispiel‘ …

EU-Vorhaben mit Nebenwirkungen in der Warteschleife

Die gesundheitspolitische Erfolgsmeldung von heute besteht für Patienten in einer Abwesenheit, einem Fehlen – einem (zeitweisen) Rückzug.

Eigentlich hatte der Günther Verheugen (SPD), EU-Kommissar für Unternehmen und Industrie und Vizepräsident der EU-Kommission, heute in Brüssel einen Gesetzentwurf vorlegen wollen. Einen Gesetzentwurf für mehr Patientensicherheit in Europa.

Günther Verheugen, EU-Industriekommissar (Foto: EU-Kommission)
Günther Verheugen, EU-Industriekommissar (Foto: EU-Kommission)

Mehr Patientensicherheit in Europa – das klingt vernünftig, hört sich nach einem begrüßens- und unterstützenswerten Projekt an.

Doch Verheugens Projekt war nicht gerade „frei von Nebenwirkungen“.
Ganz im Gegenteil. In seinem Gesetzesentwurf verbarg sich unter anderem auch das Vorhaben, Pharmaunternehmen in begrenztem Maß direkt an Patienten gerichtete Werbung für Medikamente zu erlauben. Wobei, Verheugen nennt dies -ähnlich wie die Pharmaindustrie- ‚Information‘.

Geht es um Information oder Werbung? Geht es um Information oder Desinformation?
Viele Experten, auch Vertreter von Patientengruppen sowie Ärzteorganisationen erwarten von ‚Informationen‘ der Pharmaindustrie nicht gerade ein interessen-neutrales Unterfangen, erst recht nicht wenn es direkt an Patienten gerichtet ist.

In Deutschland gilt bisher, dass Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente bei Patienten / Verbrauchern verboten ist. Ein Direktwerbeverbot, das Pharmahersteller jedoch immer wieder bereits heute trickreich zu unterlaufen versuchen.
Ein Werbeverbot, dass jedoch alles andere als grundlos ist. Medikamente sind nicht ein x-beliebiges zu bewerbendes und konsumierendes Wirtschaftsgut – sie sind Heilmittel für Menschen, die erkrankt sind, und sie sind bekanntermaßen oftmals nicht frei  von Risiken und Nebenwirkungen.

Gefragt ist satt die Risiken verschweigender, verharmlosender, schönfärbender Medikamenten-Werbung vielmehr unabhängige Arzneimittel-Information, sind korrekte, interessenneutrale Arzneimittel-Informationen im Internet und über andere Medien und Kanäle.Dass die Pharmaindustrie diese interessenneutralen Inforamtionen bereit stellt, darf mit Fug und Recht bezweifelt werden.

Schon ein Blick auf die Arzneimittel-‚Information‘ in den USA (wo Medikamenten-Werbung breit erlaubt ist) zeigt, welche Auswüchse uns drohen, würde sich Verheugens Vorschlag durchsetzen. Dort klettern gelegentlich strunzige junge Männer munter auf höchste Gipfel, selbstverständlich gut gebaut, muskulös und sonnengebräunt – und dass alles ‚völlig positiv‘, dank xxx, diesem tollen Aids-Medikament.
Die Folgen? Gerade auch im Aids-Bereich klagen Patienten- wie auch Präventionsorgansiationen seit langem über Aids-Medikamenten-Werbung, die HIV und Aids verharmlose. Patienten suggeriere, es sei doch eigentlich gar nicht so schlimm, sich mit HIV zu infizieren, ein, zwei Pillen am Tag, und schon gehe es wieder aufwärts …

Dennoch, Günther Verheugen beharrtt trotz aller bereits im Vorfeld geäußerten Proteste auf seinem Vorhaben, Werbung zuzulassen. Warum? Wessen Interessen vertritt Verheugen?
Verheugen ist EU-Kommissar für Unternehmen und Industrie.
Nicht etwas EU-Kommissar für Patienten und Verbraucher.
Womit die Interessenlage bezeichnet sein dürfte.

Günther Verheugen war bereits 2006 als ‚Preisträger‘ für den „Worst EU Lobby Award“ nominiert – für „die Einrichtung von unausgewogenen Expertengruppen, die vor allem den Interessen großer Unternehmen dienen“ (pdf).

Verheugens Projekt ist heute nicht auf der Tagesordnung der EU-Kommission. Es wurde kurzfristig zurückgezogen, nachdem schon ein Mitte vergangener Woche vorgelegter Richtlinien-Entwurf zu massiven Protesten von verschiedensten Seiten kam.

Der zeitweise Rückzug Verheugens ist zu begrüßen. Wichtig bleibt, dass der Protest gegen Arzneimittel-Werbung für Patienten aufrecht erhalten bleibt – und dass auch die Bundesregierung ihre ablehnende Haltung beibehält und weiterhin in Brüssel deutlich macht.

Nachtrag 15.11.2008: „Günter Verheugen bleibt bei seinen Plänen zur Aufhebung des Werbeverbots“, berichtet das Deutsche Ärzteblatt.
Nachtrag 25.11.2008: Verheugens Haltung ist auch in der EU-Kommission in der Kritik. Die EU-Gesundheitskommissarin Androulla Vassiliou soll zukünftig für den Pharmabereich zuständig sein, wird gefordert (berichtet Stationäre Aufnahme)

EU-Bericht zu Homophobie und Diskriminierung

Der Einsatz der EU gegen Homophobie geht weiter. Die Grundrechte-Agentur FRA legte einen bericht über Homophobie und  Diskriminierung vor.

Die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte hat einen Bericht vorgelegt, der „die Ungleichbehandlung gleichgeschlechtlicher Paare in den EU-Mitgliedsstaaten in Bezug auf Rechte und Vorteile von Ehepartnern, insbesondere im Rahmen der EU-Richtlinien für Freizügigkeit, Familienzusammenführung und Anerkennung“ verdeutlicht.

Der erste Teil des Berichts mit dem Untertitel „Legal Analysis“ untersucht die rechtliche Situation in den Mitgliedsstaaten. Der zweite Teil wird sich mit soziologischen Aspekten beschäftigen.

Grundlage ist die EU-Grundrechte-Charta, die in Artikel 21(1) auch eine Diskriminierung aufgrund u.a. der sexuellen Orientierung untersagt.

Der Bericht „Homophobia and Discrimination on Grounds of Sexual Orientation in the EU Member States Part I – Legal Analysis (June 2008)“ als pdf hier, Zusammenfassung in deutsch hier.

EU gegen Homophobie

Die EU macht sich stark im Kampf gegen Homophobie in Europa – eine große Umfrage soll Aufschluss geben.

Die EU hat eine bisher weitgehend unbemerkt arbeitende „Agentur der Europäischen Union für Grundrechte‘ FRA. Diese am 15.2.2007 gegründete Agentur mit Sitz in Wien hat seit dem 1. Juni 2008 einen Direktor – der sich ambitioniert zeigt, vor allem auch im Kampf gegen Homophobie. Morten Kjaerum, zuvor Direktor des Dänischen Instituts für Menschenrechte, kündigte an, eine große Umfrage bisher ungekannter Dimension zur Homophobie in Europa durchführen zu lassen.

Schon Kjaerums geschäftsführender Vorgänger Manolopoulos hatte zum Internationalen Tag gegen Homophobie erklärt, der Kampf gegen Diskriminierung auf Basis der sexuellen Orientierung sei ein wichtiges Thema, um gleiche Rechte für alle Menschen in der EU sicherzustellen.

Weitere Informationen zur ‚Agentur der Europäischen Union für Grundrechte‘ als pdf hier.

Türkei: Schwulengruppe Lambda muss sich auflösen (akt.)

Ein Gericht in Istanbul hat heute auf Antrag des Istanbuler Gouverneursamtes die Schwulen- und Lesbengruppe Lambda zur Selbst-Auflösung verurteilt. Die Gruppe verletze türkische Gesetze zur Moral.

Lambda (voller Name ‚Lambda Istanbul Lesben-, Schwulen-, Bisexuellen- und Transsexuellen Solidaritäts-Gruppe‘) verletze sowohl türkisches Strafrecht als auch die türkische Verfassung (Artikel 41). Ein Vertreter der Gruppe erläuterte laut Foxnews, schon der Name der Gruppe habe Anstoß erregt. Die Begriffe schwul, lesbisch etc im Namen seien nach Ansicht des Gerichts eine Verletzung der öffentlichen Moral. Da die Gruppe eine Umbenennung verweigert habe, habe das Gericht das Verbot ausgesprochen.

Bei der heutigen Verhandlung war ein Vertreter der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch HRW anwesend. Lambda kündigte an, das heutige Urteil innerhalb einer Woche vor dem Appellationsgericht anzufechten. Falls auch dieser Schritt erfolglos sei, werde man vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ziehen, so ein Vertreter von Lambda.

Lambda (Istanbul) ist neben Kaos-GL (Ankara) die bedeutendste Schwulen-, Lesben- und Transgender-Organisation in der Türkei. Ein Versuch staatlicher Stellen, die Schwulen- und Lesbengruppe Kaos-GL zu verbieten, scheiterte 2005.

Noch gestern hatten Vertreter von Schwulengruppen aus der Türkei sowie Menschenrechts-Aktivisten eindrücklich darauf hingewiesen, dass die Türkei endlich von ihren Gummi-Paragraphen à la „öffentliche Moral“ Abstand nehmen müssen …

Die Türkei muss vor einem EU-Beitritt die Rechte von Homosexuellen garantieren“ forderte Human Rights Watch gestern auf einer Veranstaltung in Berlin – selten hat eine Forderung so schnell eindrücklich ihre Berechtigung erwiesen …

Nachtrag 31.5.2008: Der Europarat zeigt sich „sehr besorgt“. „Die Argumente des Staatsanwalts, die zur Schließung der Organisation Lambda Istanbul geführt haben und beinhalteten, dass die Aktivitäten der Organisation gegen die Gesetze der öffentlichen Moral verstoßen, machen mich sprachlos“, so M. de Puig, Präsident der Parlamentarischen Versammlung des Europarats.

Nachtrag 4.6.2008: der LSVD ruft zur Unterstützung für Lambda auf. Protestbrief an den Botschafter der Türkei auf den Internetseiten der Hirschfeld-Eddy-Stiftung.

Nachtrag 6.6.2008: sehr lesenswert: Doug Irleand Turkeys latest anti-gay surge
Nachtrag 9.2.2008: Photos vom Berliner Protest gegen die Schließung von Lambda am 7. Juni
Nachtrag 29.11.2008: Verbot von Lambda Istambul aufgehoben

[via pinknews]
weitere Informationen (Stand noch vor dem heutigen Urteil):
SZ: Eine Frage der Moral (17.4.2008)
taz: der lange Weg zur Toleranz (28.5.2008)
SpON/Unispiegel: Homosexuelle führen ein Doppelleben (29.10.2007)
gaywest: Quo vadis, Türkei (2.2.2008)

Information oder Werbung? (Akt.)

Wieder einmal unternimmt die EU -weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit- einen neuen Anlauf in Sachen Patienteninformation zu verschreibungspflichtigen Arzneimitteln. Geht es um Information? Oder wieder nur um eine Lockerung eines begründeten Werbeverbots?

Es gehe ihr um „information to patients to ensure good-quality, objective, reliable and non promotional information on prescription-only medicinal products“, erklärt die E-Kommission in ihrem nun zur Diskussion gestellten ‚legal proposal‘.

Die neuen Bemühungen werden u.a. mit dem vermeintlichen Bedarf begründet, unterschiedliche Möglichkeiten und -regeln zu Medikamenten-Information in den Mitgliedsstaaten der EU zu harmonisieren. Ziel sei es, EU-weite Regeln (einen ‚legalen Rahmen‘) aufzustellen für an Patienten gerichtete Informationen durch diejenigen Unternehmen, die die Medikamente vermarkten. Dabei sollten die Interessen der Patienten an erster Stelle stehen, betont das Paper.

Um dies zu erreichen, werden in dem Paper einige ‚Schlüssel-Ideen‘ vorgestellt. So soll zwar das Direktwerbeverbot bestehen bleiben, gleichzeitig soll jedoch ein Rahmen definiert werden, innerhalb dessen die Industrie ‚informieren‘ darf.
Dabei definiert das Paper, alles was nicht Werbung sei, gelte als Information. Hierzu gehören, so das Paper, z.B. die Beipackzettel (Gebrauchsinformationen) und Fachinformationen, aber auch z.B. Informationen über Studien. Vergleiche, z.B. zwischen verschiedenen Medikamenten, sollen hingegen untersagt bleiben.

Solche Art ‚Informationen‘ solle die Pharmaindustrie z.B. durch TV- und Radiobeiträge verbreiten dürfen, aber auch durch Druckerzeugnisse oder Internetangebote. Zudem solle die Pharmaindustrie ‚individuelle Anfragen von Patienten‘ beantworten dürfen.

Begleitet werden solle diese Art ‚Information‘ durch Kontrollgremien auf EU- sowie nationaler Ebene. Diese sollten besetzt werden mit Vertretern u.a. der Ärzteschaft und von Patientenorganisationen sowie der Pharmaindustrie. Die EMEA (die u.a. für die Zulassung von Medikamenten zuständige Einrichtung der EU) soll hingegen über eine Zuarbeit an ein Beratungsgremium hinaus nicht beteiligt werden, da ‚eine wissenschaftliche Bewertung dieser Informationen nicht erforderlich‘ sei.

In Deutschland gilt bisher, dass Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente bei Patienten / Verbrauchern verboten ist. Ein Direktwerbeverbot, das Pharmahersteller jedoch immer wieder bereits heute trickreich zu unterlaufen versuchen.

Das ‚consultation paper‘ der EU ist online zu finden auf den Internetseiten der EU-Kommission Generaldirektion ‚Unternehmen und Industrie‘, Untergruppe ‚Pharmceuticals‘. Auf dieser Internetseite sollen später auch die eingegangenen Stellungnahmen veröffentlicht werden.
Zahlreiche Hintergrund-Informationen liefert der Artikel „Pharmawerbung in Patientenlöpfe‘ der BUKO Pharmakampagne (Rundbrief 05/2007, als pdf hier).

Bis zum 7. April 2008 können an der Thematik Interessierte ihre Anmerkungen und Kommentare zum Vorschlag der EU per Email richten an ulla.narhi@ec.europa.eu

Was bezweckt dieser erneute Vorstoß der EU-Kommission?
Bezeichnenderweise ist der Vorgang (wieder einmal) angesiedelt in der Generaldirektion ‚Unternehmen und Industrie‘, und zwar in der Untergruppe ‚Pharmazeutika‘ – nicht etwa in der Direktion ‚Gesundheit‘. Die pharmazeutische Industrie versucht ja immer wieder (wie z.B. 2002 in Deutschland, dokumentiert bei BuKopharma), das Direktwerbeverbot für Medikamente auszuhebeln oder mit ihm äußerst kreativ umzugehen.

Doch auch andere Gruppen scheinen Interesse an mehr ‚Information‘ (oder: Werbung?) für Medikamente zu haben. So fällt beim Lesen des Entwurfs auf, dass fast durchgängig eher die Sprache des Marketings, der Welt der Werber verwendet wird.

Geht es den Initiatoren des Papers um Information, um Patienten-Information? Oder geht es doch schlicht (aber versteckt) nur wieder um Werbung? Was steckt hinter dem immer wiederkehrenden ‚Informationsbedarf‘ der Pharmaindustrie?
Warum wird gerade die europäische Medikamentenbehörde EMEA aus dem Prozeß weitgehend ausgeschlossen, mit dem Hinweis, eine wissenschaftliche Bewertung der ‚Informationen‘ sei ja nicht mehr erforderlich? Während gleichzeitig mit geradezu kabarettistischem Talent betont wird, alles was nicht Werbung sei sei Information?

Kann die Pharmaindustrie selbst, mit ihren originären Vermarktungsinteressen, überhaupt Quelle seriöser, an den Interessen von Patienten orientierter Information sein? Oder führt diese Art der ‚Information‘ nur zu immer neuen ‚Pillen-Absurditäten‚? Wird gar ‚der Bock zum Gärtner gemacht‘?
Braucht es überhaupt neue Regelungen, um patientenorientierte neutrale Informationen bereitzustellen? Oder reichen nicht die bestehenden Möglichkeiten?

Kann Werbung für Arzneimittel sinnvoll sein?
Bisher gab es gute Gründe, das Direktwerbeverbot weiter beizubehalten. Diese gelten auch weiterhin. Was nicht gebraucht wird, ist Werbung für Medikamente.
Was hingegen zu fordern und unterstützen ist, sind unabhängige, verständliche, vertrauenswürdige und leicht zugängige Patienteninformationen – aber bitte aus neutraler Quelle.

Nachtrag 11.03.2008: VerbraucherInnenschutz bleibt auf der Strecke – Pressemitteilung der BUKO Pharmakampagne (als pdf hier)


Sex-Schnüffler bei der EU?

Sie haben Sex?
Sie leben in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung?

Schon zwei Gründe, sich für die geplante EU-Volksbefragung zu interessieren …

Sie haben wegen Ihrer HIV-Infektion (oder auch aus anderen Gründen) einen Schwerbehinderten-Ausweis?
Sie engagieren sich freiwillig / ehrenamtlich in einer Schwulengruppe, einer Aids-Hilfe?

Schon wieder zwei Gründe, warum die EU-Volksbefragung die interessieren könnte!

Denn genau auch nach diesen Punkten möchte die EU gerne ihre Bürger befragen. Sie plant für 2011 eine EU-Volkszählung, den Zensus 2011. Und ist gerade im Begriff, dazu ein ‚EU- Volkszählungs-Gesetz‘ zu verabschieden. Darin formuliert sie umfangreiche Informations- Interessen – bis hinein in tiefste Privatsphären der Bürgerin und des Bürgers …

Zu den Punkten, die bei der Volkszählung u.a. abgefragt werden sollen, gehören laut Gesetzestext (bzw. dem hier besonders wichtigen Anhang) zum Beispiel:
– Familienstand
– Datum des Beginns der nichtehelichen Lebensgemeinschaft
– ehrenamtliche Tätigkeit
– Behinderung
– Typ einer Patchwork-Familie

Derzeit wird im EU-Parlament nach zum Teil deutlicher Kritik aus mehreren Fraktionen diskutiert, ob die Plenar-Abstimmung über das EU-Volkszählungs-Gesetz wegen unklarer Fragen auf 2008 verschoben werden soll.

Früher stießen Volkszählungen auch in Lesben- und Schwulenkreisen auf massive Kritik. In Zeiten freiwilliger Selbst-Auskunfts-Wut im Internet (siehe blaue Seiten) scheinbar nicht, Probleme mit Datenschutz sind kaum noch Thema. Zumindest ist Kritik an der geplanten EU-Volkszählung aus Schwulen-, Lesben- und Aids-Kreisen bisher nur wenig zu vernehmen …

weitere Informationen:
Daniela Schröder: Gegen den gläsernen Europäer. In: Das Parlament 49/2007
derzeitiger Beratungsstand des EU-Volkszählungsgesetzes im EU-Parlament
Procedure File des EU-Parlaments zur EU-Volkszählung
Vorschlag der EU-Kommission für die EU-Volkszählung (pdf)

Europäischer Tag gegen die Todesstrafe

Heute ist „Europäischer Tag gegen die Todesstrafe“.

Erst jüngst hat der Europarat den 10. Oktober zu diesem Tag ausgerufen. Die EU überlegt eine Deklaration zur weltweiten Abschaffung der Todesstrafe zu verabschieden.
Einzig ein EU-Mitgliedsstaat hat sich gegen den
„Europäischen Tag gegen die Todesstrafe“ ausgesprochen – Polen.

In Polen fordern manche Politiker (auch aus Regierungsparteien) immer noch die Wiedereinführung der Todesstrafe und stellen sich damit eindeutig gegen europäische Werte.

Bei der Nominierung des 10.10. als „Europäischem Tag gegen die Todesstrafe“ legte die polnische Regierung als einzige ein Veto ein. Statt dessen, so Regierungsvertreter Polens, solle ein „Tag zum Schutz des Lebens“ ausgerufen werden. Damit wollte die polnische Regierung die Möglichkeit erhalten, auch gegen Abtreibungen zu demonstrieren.

Da der Europarat mit Mehrheit entscheidet, konnte das Veto der polnischen Regierung überstimmt werden. Einen entsprechenden Beschluss der EU konnte die polnische Regierung hingegen bisher mit ihrem Veto verhindern.

EuGH: ein Schritt vorwärts für Lebenspartnerschaften (akt.2)

Der Generalbundesanwalt des EuGH behandelt in einem Schlussplädoyer zustimmend versorgungsrechtliche Ansprüche von Lebenspartnern.

Dürfen Versorgungswerke eingetragene Lebenspartner diskriminieren und ihnen eine Hinterbliebenen-Rente verweigern? Das sei diskriminierend, meint der Generalanwalt des EuGH. Lebenspartner können auf eine Verbesserung ihrer Situation hoffen.

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat sich ein einem derzeit laufenden Verfahren mit der Frage zu befassen, ob eingetragene Lebenspartnerschaften versorgungsrechtlich mit der Ehe gleichzustellen sind, bzw. ob dem deutlich entgegen stehende Regelungen diskriminierend sind.

Der EuGH wird zwar erst in nächster Zeit sein Urteil sprechen. Allerdings folgt der EuGH in seinen Urteilen gewöhnlich sehr häufig dem Antrag des Generalanwalts. Und der hat entscheidende Sätze in seinem Schlussantrag vom 6. September formuliert.

Der Generalanwalt geht in seinem Schlussplädoyer davon aus, dass ein Urteil zugunsten des Klägers fallen sollte.
Herr M. klagt gegen ein Versorgungswerk, das ihm eine Hinterbliebenen-Rente seines verstorbenen Lebenspartners verweigert (Details hier). Der Generalanwalt stellt hierzu nun in seinem Plädoyer eindeutig fest

„Die Versagung einer solchen Versorgung mangels einer Eheschließung, die Personen verschiedenen Geschlechts vorbehalten ist, stellt, wenn eine Verbindung mit im Wesentlichen identischen Auswirkungen zwischen Personen gleichen Geschlechts offiziell zustande gekommen ist, eine mittelbare Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung dar, die gegen die erwähnte Richtlinie 2000/78 verstößt.“

Im Klartext: das Verhalten des betroffenen Versorgungswerks verstoße gegen die Antidiskriminierungs-Richtlinie der Europäischen Union. In der Folge, so das Plädoyer, sollten nationale Gerichte prüfen,

„ob die Rechtsstellung von Ehegatten derjenigen von Partnern einer eingetragenen Lebenspartnerschaft gleichartig ist.“

Bleibt zu hoffen, dass der EuGH dem Plädoyer seines Generalanwalts folgt.

Nachtrag 4.10.: Auch ein Arzt aus Frankfurt kämpft um seine Hinterbliebenen-Rente als Lebenspartner und hofft auf den EuGH …
Nachtrag 28.03.2008: der EuGH wird das Urteil am 01.04.2008 verkünden. Der Schlussantrag des Generalanwalts ist hier online abrufbar.

Nachtrag 02.04.2008:  Herr M. hat vor dem EuGH einen Sieg errungen – es darf „keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung geben“, verkündete das Gericht am 01.04.200. Weiteres bei TheGayDissenter: ‚Mehr als nur Theaterdonner …‘

unsicheres Blut

In Dänemark haben sich zwei Menschen durch Bluttransfusionen mit HIV infiziert. Reichen die Sicherheitsvorkehrungen dort?

Dinge geschehen, die nicht mehr geschehen sollten. Warum infizieren sich immer noch Menschen durch Blut- Transfusionen mit HIV, obwohl dies durch entsprechende Untersuchungen weitestgehend verhindert werden könnte?

Wie Sabine berichtet, habe sich Anfang des Jahres zwei Menschen in Dänemark mit HIV infiziert, als sie Blut- Transfusionen erhielten.

Nun ist ein Infektionsrisiko letztlich nie völlig auszuschließen. Für HIV durch Spenderblut wird es auf 1:1.000.000 geschätzt.
Blutspenden und ihre Handhabung sind in Deutschland im Transfusionsgesetz geregelt, auch mit dem Ziel, Infektionsrisiken soweit möglich zu reduzieren.

Eine Untersuchung auf HIV, Hepatitis B und Hepatitis C ist nach §5 (3) vorgeschrieben. Entsprechend dem Votum des AK Blut des RKI wird jede Blutspende sowohl mittels Antikörper als auch (seit 1999) mittels NAT (Nukleinsäure-Verstärkung, am bekanntesten: PCR) untersucht (Ablauf-Schema RKI als pdf hier).

Trotz umfangreicher Untersuchungen kommt es auch in Deutschland gelegentlich zu HIV-Infektionen über Transfusionen, allerdings in den letzten Jahren äußerst selten.
Das Robert-Koch-Institut meldet insgesamt seit dem 1.Januar 1993 bis 31.12.2006 insgesamt 97 Infektionen durch Bluttransfusionen. Die Zahl der tansfusions- bedingten Neu-Infektionen konnte durch Sicherungsmaßnahmen (u.a. NAT) in den vergangenen Jahren jedoch deutlich gesenkt werden (Neu-Infektionen HIV durch Transfusion 2000: 3, 2001: 2, 2002: 1, 2003 – 2005: 0, 2006: 1; Quelle: Sonderausgabe des Epidemiologischen Bulletins, als pdf hier)

NAT-Untersuchungen sind also ein wirksames Mittel, um HIV- (und ggf. andere) Infektionen durch Transfusionen weitestgehend zu vermeiden.

Eigentlich zumindest.
Denn im Gegensatz zu Antikörper-Untersuchungen, die ja auch in Dänemark wohl vorgenommen wurden, scheinen NAT-Untersuchungen nicht in allen EU-Staaten vorgeschrieben zu sein. Die WHO-Richtlinien (pdf hier) sprechen (in Kap. 7.2.3) ebenso wie eine EU-Richtlinie nur von der Notwendigkeit, auf HIV-Antikörper zu testen, nicht jedoch von der Notwendigkeit eines PCR-Tests.

Insofern scheinen die dänischen Behörden also vorschriftsmäßig gehandelt zu haben. Sie haben halt gespart – auf Kosten der Sicherheit. Dieses Sparen führt scheinbar dazu, dass sich Menschen mit HIV infizieren … eine tragische, traurige Spar-Politik.
Und die EU scheint dringend gefordert, hier durch entsprechende Richtlinien eine einheitliche Sicherheit von Blutprodukten in der gesamten EU zu gewährleisten.

Strafrecht gegen unsafen Sex – ein Blick über die Grenzen

Die Bundesregierung lässt untersuchen, wie andere EU-Staaten mit strafrechtlichen Maßnahmen gegen HIV-Übertragung vorgehen. Ein Blick über die Grenzen öffnet erschreckende Perspektiven.

Marion Caspers-Merk (SPD), parlamentarische Staatssekretärin im Bundes- Gesundheitsministerium, bestätigte Presseberichten zufolge gegenüber dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck auf Nachfrage, in einem derzeit laufenden Forschungs- Vorhaben werde untersucht, welche Erfahrungen andere EU-Staaten mit strafrechtlichen Maßnahmen gegen Aids allgemein sowie speziell der Anbahnung von Bareback- Sex im Internet gemacht haben.
„Wenn die Ergebnisse vorliegen, werden wir über weitere Maßnahmen sprechen“, so Caspers-Merk. Alles, was „erwiesenermaßen nutzt, werde umgesetzt“, kündigte sie an.

Caspers-Merks Ankündigung passt gut in den Kontext der jüngsten Bundestagsdebatten zu Aids, insbesondere auch dem ‚Spahn-Antrag‚, der ebenfalls auf strafrechtliche Maßnahmen gegen Bareback zielte und hier insbesondere die Erfahrungen von Österreich (EU- Mitglied) und der Schweiz (nicht EU-Mitglied) ansprach. Im (am 23. März im Bundestag beschlossenen) ‚Spahn-Antrag‚ wurde die Bundesregierung aufgefordert, die Erfahrungen Österreichs und der Schweiz mit Strafrechts- Verschärfungen auf eine Übertragbarkeit auf Deutschland zu untersuchen.

Wie sieht die Situation in diesen beiden Ländern aus?

Österreich:
§ 178 und § 179 StGB behandeln die vorsätzliche bzw. fahrlässige Gefährdung von Menschen durch übertragbare Krankheiten. Für eine Strafbarkeit genügt, dass eine Infektion durch eine Handlung möglich gemacht wird (Infektion nicht erforderlich für Strafbarkeit). Nach österreichischer Rechtsprechung liegt Fahrlässigkeit bereits dann vor, wenn ein Betroffener zwar nichts von seiner Infektion weiß, aus den konkreten Umständen aber Kenntnis davon erlangt haben müsste.
Bisher fanden circa knapp 40 Verfahren statt, ca. 30 Personen wurden verurteilt.
Die Einschätzung, Bareback sei per se etwas ganz Gefährliches, wird auch von den österreichischen Aidshilfen in der Öffentlichkeit geteilt. Die Aidshilfe würde sich bemühen, Bareback-Veranstaltungen zu verhindern, wenn dies nicht erfolgreich sei auch mit rechtlichen Schritten, so ein Vertreter der Aidshilfe Wien.

Schweiz:
Art. 231 StGB (Verbreiten einer gefährlichen menschlichen Krankheit) – Strafbarkeit selbst dann, wenn die (bis dato nicht infizierte) Person zugestimmt hat, allerdings muss Infektion stattgefunden haben (nicht nur Versuch).
Zudem möglich: Körperverletzung oder versuchte Tötung nach Art. 122, 123, 111 & 112 StGB.
Bisher über 30 Ermittlungsverfahren, mehr als 20 Personen verurteilt. Auch die Übertragung von Hepatitis C wird strafrechtlich verfolgt.
Die geltenden Regelungen werden in der Schweiz immer wieder kritisch kommentiert und Abschaffung gefordert (wie 2001 von der Aidshilfe Schweiz), sie sind aber weiterhin in Kraft. Im Gegenteil, Roger Staub vom Bundesamt für Gesundheit (Schweiz) ist stolz darauf durchgesetzt zu haben, dass die Einhaltung der Präventionsvereinbarung in den Betrieben kontrolliert und mit Schließung gedroht wird.

In den EU-Staaten
ist die Situation hinsichtlich des strafrechtlichen Umgangs mit HIV-Infektionen sehr unterschiedlich. Die Kriminalisierung von Positiven ist EU-weit in unterschiedlichem Umfang ein Problem.
Vor diesem Hintergrund befasst sich mit diesem Thema nicht nur das vom BMG in Auftrag gegebene Gutachten, sondern auch eine Untersuchung von GNP+ und Terrence Higgins Trust, deren erste Ergebnisse im November 2006 in Glasgow vorgestellt wurden.
Diese Analyse betrachtet den Bereich der Staaten, die die Europäische Konvention für Menschenrechte unterzeichnet haben. In mindestens 21 dieser Staaten fanden Verurteilungen wegen HIV-Infektion statt – ‚Spitzenreiter‘ waren Schweden sowie Österreich und die Schweiz.

Eine Tendenz zum zunehmenden Einsatz des Strafrechts stellt auch UNAIDS fest und warnt, dies führe möglicherweise zu einer Rückkehr zur alten (und wenig erfolgreichen) Politik der Schuldzuweisungen, zunehmender Stigmatisierung und abnehmender Eigenverantwortung für den eigenen Schutz. Die Anwendung des Strafrechts bei HIV-Übertragung sei unangemessen und kontraproduktiv, diese Erkenntnis von 2002 gelte auch 2007 unverändert.

Letztlich steht hinter vielen dieser Regelungen wie z.B. in der Schweiz oder Österreich, aber auch einigen Bemühungen deutscher Politiker und Homosexueller die (meines Erachtens irrige) Vorstellung, Epidemien ließen sich mit Repression bekämpfen.

Kann das Strafrecht überhaupt ein Mittel erfolgreicher Prävention sein?
Vielleicht lässt sich dies mit der Gegenfrage beantworten, ob die Strafbarkeit von Einbrüchen bisher einen Einbruch verhindert hat …

Vielleicht sollte den Warnungen und Hinweisen z.B. von UNAIDS mehr Beachtung geschenkt werden.

Das hindert allerdings auch zahlreiche Schwule nicht daran, Strafverschärfungen zu fordern (wie z.B. die LSU). Und besonders bizarr wird es, wenn Aidshilfen sich wie in Österreich an die Seite der Ermittler und Verfolger stellen.

Leider ist zu befürchten, dass die derzeit angestellten transnationalen Vergleiche nicht etwa dazu führen, dass in Richtung der liberaleren Gesetzgebungen reformiert wird. Vielmehr dürften (wie es der Spahn-Antrag ja vormacht) die schärferen Vorschriften als vermeintliche ‚guten Beispiele‘ dienen, auch hierzulande weitere Strafrechts-Verschärfungen vorzuschlagen und letztlich einzuführen (bei der derzeitigen Verbots- Manie…).

Caspers-Merks Ankündigung, alles was sich als nützlich erweise werde auch hierzulande umgesetzt, lässt für die nähere Zukunft wohl nichts Gutes ahnen…

Material:
Österreich: Rechtsgutachten Prof. Hinterhofer „Zur Strafbarkeit von Sexualkontakten HIV-Infizierter Personen nach §§ 178, 179 StGB“ (im Auftrag der österreichischen Aids-Hilfen) als pdf
hier
UNAIDS: Criminal law, public health and HIV transmission (2002, pdf
hier)
UNAIDS: Crminalisation of HIV transmission (2007, pdf
hier)
UNAIDS: handbook for Legislators on HIV/AIDS, Law and Human Rights (1999, pdf
hier)
EATG: Criminalisation of HIV transmission (workshop, 8th International Congress on Drug Therapy in HIV Infection; Programm und Links zu den einzelnen Vorträgen
hier)
die umstrittene Sendung von Report Mainz über Barebacking (28.11.2005) als Video und Mitschrift
hier

Kaczynski in Berlin

Donnerstag, 9. März 2006
Der polnische Staatspräsident Kaczynski ist in der Stadt, hält zum Abschluss seines Staatsbesuchs auf Einladung des Instituts für Europarecht der Humboldt-Universität (HU) eine Rede über das „Solidarische Europa“ im Audimax.

Genau jener Kaczynski, der sich schon als Bürgermeister von Warschau bei Schwulen und Lesben nicht nur in Polen einen zweifelhaften Ruf u.a. dadurch erworben hat, dass er Schwulen- und Lesbendemos verboten hat, oder Homosexualität auf alle mögliche Art und Weise verunglimpfte. Inzwischen hat er es zum Staatspräsidenten gebracht, irritiert selbst konservative deutsche Politiker durch zutiefst europaskeptische, manchmal europafeindliche Äußerungen.
Demo Kaczynski 01

Das Audimax, in dem Kaczynski sprechen soll, ist abgeriegelt, einzig eine Videoübertragung im Kinosaal ist offiziell zugänglich. Nach einer vom LSVD initiierten Demonstration vor dem Haupteingang der HU verschaffen sich einige schwule Aktivisten dennoch Eintritt in das Audimax, protestieren lautstark gegen die Verweigerung von Grundrechten für Schwule und Lesben in Polen. Hindern Kaczynski zunächst erfolgreich am Reden, ein Redakteur der ‚Siegessäule’ wirft ihm auf dem Podium vor, er „verhetze das polnische Volk, er schüre den Katholizismus“ (was auch immer er damit meinte).

Demo Kaczynski 02

Nach seiner Rede, aufgrund einer Frage aus dem Auditorium, kommt Kaczynski nicht umhin, sich doch noch zur Homosexualität zu äußern. Die Förderung der Homosexualität, meint er, führe doch in letzter Konsequenz dazu, dass die Menschheit aussterben müsse.