vorwärts nimmer, rückwärts immer? (akt.)

Die Schweizer Aids-Kommission EKAF hat mit ihrer Stellungnahme in Sachen Infektiosität bei wirksamer anti-HIV-Therapie breite Diskussionen ausgelöst. Inzwischen liegt auch eine Stellungnahme deutscher Organisationen vor.

Am 26. Februar trafen sich in Berlin in den Räumen der Deutschen Aidshilfe Vertreter unter anderem der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, des Robert-Koch-Instituts und der Deutschen Aidshilfe. Am Tag des Treffens wurde eine vorher vorbereitete Stellungnahme verabschiedet und veröffentlicht.
Eine weitere Stellungnahme, die sich detaillierter mit dem Statement der EKAF auseinandersetzt, soll als Ergebnis ihres Treffens in den nächsten Tagen folgen.

Schon der Titel der gemeinsamen Presseerklärung soll ganz offensichtlich zeigen, wo es langgehen soll: . „Die bewährten Präventionsbotschaften zum Schutz vor HIV/Aids gelten nach wie vor“, so lautet der Titel.

„Safer Sex, also Kondomnutzung“ sei weiterhin „die zentrale Botschaft“. Alles andere sei „kontrovers diskutiert“, „nur unter vom Arzt kontrollierten Bedingungen“. Für Männer die Sex mit Männern haben, gebe es „keine vergleichbaren Daten“. Man befürchte ein Verstehen „fälschlich als Entwarnung“.

Erste Positivenvertreter drücken bereits kurz nach Erscheinen der Pressemitteilung ihr Entsetzen aus und fordern zu Protestbriefen auf.

Die Pressemitteilung setzt safer Sex und Kondombenutzung gleich. Fast provokativ, als deutlichen Ausdruck eines beherzten „so aber nicht“ könnte man das nach den Veröffentlichungen aus der Schweiz verstehen.
Eine Gleichstellung (safer Sex = Kondombenutzung), als habe es die Studien, die Stellungnahme der EKAF nicht gegeben. Kaum ein Wort davon, dass zusätzlich zur Benutzung von Kondomen unter bestimmten Umständen auch andere Möglichkeiten des safer sex bestehen könnten. Nicht der geringste Anschein davon, mit der Situation (die ja längst ‚draußen‘, bei den Menschen vor Ort ist) kreativ präventiv umzugehen. Kein Wort von Information, informierter Entscheidung, Risikomanagement.

Noch einen Tag zuvor (am 25.2.) hatte eine BZgA-Vertreterin erklärt „Die durch die EKAF-Veröffentlichung angeregte Diskussion ist tatsächlich für einen Teil der Betroffenen relevant und dies sollte auf gar keinen Fall in den aktuellen Diskussionen vernachlässigt werden“ (in einem Blog-Kommentar auf welt-aids-tag.de hier). Abgesehen davon, dass EKAF für alle Positiven relevant ist (mit wohl unterschiedlichen Konsequenzen), ist von diesem „auf keinen Fall vernachlässigen“ schon einen Tag später offensichtlich keine Rede mehr.

Im Gegenteil, munter wird an einem Rollback gestrickt. „Die allgemeine Gefährdungslage ist grundsätzlich unverändert …“ heißt es in der Pressemitteilung pikanterweise bei dem Versuch, die Situation von HIV in Deutschland zu beschreiben – fast als hätte Bundesinnenministerium eine Terrorwarnung herausgegeben.

Eine Pressemitteilung, bei der zudem die Frage auf die Zunge kommt, ob es die selbe Deutsche Aidshilfe ist, die diese Rede (‚Betroffene zu Beteiligten machen‚) gehalten hat und die nun diese Pressemitteilung mit unterzeichnet.

Viele Menschen mit HIV werden angesichts dieser Pressemitteilung vermutlich fassungslos reagieren. Nicht nur, dass sie, ihre Situation in der Pressemitteilung mit keinem Wort erwähnt werden. Nein, nur wenig verhohlen scheint wieder durch der Gedanke „ach, hätten die doch weiter geschwiegen“, denn dann wäre die Präventionswelt ja noch heil.

Nun wissen wir also, wo die Damen und Herren RKI, BzGA und wohl auch DAH weiter langgehen wollen: auf breit ausgetretenen Wegen, ja nichts Neues wagen. Hoffentlich wachen sie nicht irgendwann überrascht, schockiert vor kondomisierten Gemüsen auf, die sich dennoch mit HIV infiziert haben …

Wie die Deutsche Aidshilfe nun noch auf den Gedanken kommen kann, sie sei eine Interessenvertretung der Menschen mit HIV und Aids, erscheint grotesk. Ihr Verhalten wird die DAH wohl manchem Positiven erklären müssen, soll Czajkas Rede nicht als vereinzeltes Irrlicht erscheinen, das schnellstens wieder gelöscht wurde.
Und Positive sollten sich Gedanken machen, wer denn ihre Interessen vertritt .
..

„Die bewährten Präventionsbotschaften zum Schutz vor HIV/Aids gelten nach wie vor“
gemeinsame Pressemitteilung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, des Robert-Koch-Instituts und der Deutschen Aids-Hilfe vom 26. Februar 2008 (als pdf hier)

Nachtrag 03.03.2008: am 14.3. wird es zu einem weiteren Treffen kommen, bei dem laut DAH um „einen Entwurf einer ‚deutschen‘ Erweiterung der Präventionsbotschaften“ gehen soll.

unsichere 20 Prozent

Einer von fünf Positiven, sprich 20% verwende nie Kondome, heißt es aufmerksamkeitsheischend in einem Bericht. Allein, die Schlagzeile bewegt sich auf dünnem Eis …

Wie mit Studien, der Interpretation ihrer Ergebnisse und der Berichterstattung darüber Manipulation betrieben werden kann, hat gerade TheGayDissenter aufgezeigt in seinen Artikeln über multiresistenten Staphylococcus aureus (MRSA), der bei Schwulen angeblich 13mal häufiger auftrete.

20% der Positiven immer unsafe? – auch die meist um Seriosität bemühte Site NAM titelte „einer von 5 HIV-positiven Patienten in New York gibt an, nie ein Kondom zu verwenden“ (Artikel in englischer Sprache).

20% aller Positiven verwendet nie ein Kondom – tut sich da ein neuer Skandal auf? Ein Fünftel? Aller New Yorker Positiven? Nie mit Gummi?

Wie kommen solche Zahlen zustande?
Blickt man ein wenig tiefer in die Veröffentlichung, relativiert sich das Bild schnell: interviewt wurden 198 (!) Patienten zweier (!) Kliniken im Rahmen einer Studie im Jahr 2004. Drei Viertel (!) der Teilnehmer waren Latinos; 36% (!) waren Männer, die Sex mit Männern haben (MSM).

Von diesen 198 Teilnehmern berichteten 65%, sie seien in den vier Wochen vor der Befragung sexuell aktiv gewesen. Von diesen (mit sexueller Aktivität in den vergangenen 4 Wochen) gaben insgesamt 19% an, sie würden niemals ein Kondom benutzen.
19%, tatsächlich beinahe ein Fünftel. Doch – was heißt das? 65% von 198 ergibt 129 Personen. Von diesen wiederum 19% = 24,5.

Die Zahlen bedeuten also: von 198 Studienteilnehmern gaben absolut 25 Männer und Frauen an, niemals beim Sex ein Kondom zu verwenden.

Schätzungen der CDC gehen für Ende 2005 von über 100.000 Menschen aus, die in New York mit HIV oder Aids leben.
Ob 198 bzw. 129 Personen für alle New Yorker HIV-Positiven repräsentativ sein können, ob diese zwei Kliniken (an denen die Befragung ja nur stattfand) tatsächlich ein Abbild der Situation in ganz New York sind, ob Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen, Altersverteilung, Geschlecht oder sexuelle Orientierung repräsentativ sind, all diese Fragen werden nicht einmal angesprochen.
Geschweige denn, dass hinterfragt wird, ob ein Interview mithilfe eines Computers denn tragbare Ergebnisse liefert, zumal wenn den Teilnehmern gesagt wird, die Ergebnisse würden ihrem Arzt mitgeteilt …

Aus diesen 25 Personen wird dann auf über Hunderttausend Positive geschlossen und die Schlagzeile gemacht, einer von fünf Positiven New Yorks verwende nie Komdome … wahrlich eine Schlagzeile auf dünnem Eis … die sicher nicht für weitere Argumentationen taugt. Und dennoch die Gefahr heraufbeschwört, genau hierfür benutzt zu werden.

Gerade in Zeiten in denen über neue Wege in der Prävention nachgedacht wird, sollte sorgsam mit Zahlen umgegangen werden. Und immer einmal wieder gerade bei sensationsheischenden Schlagzeilen geprüft werden, wie mit welchen Zahlen umgegangen wird.
Irgendwie erinnert mich das an den alten Satz, der mir schon in Statistik-Vorlesungen ständig um die Ohren flog. Sie wissen schon, „traue niemals einer Statistik, die du nicht selbst …“

Sind Kondome wirklich sicher?

In der Rubrik „Satire am Sonntag“ heute ein Gastbeitrag zum Thema Sicherheit (der Verfasser ist der Redaktion bekannt):

—NUR FÜR FACHPUBLIKUM — NICHT FÜR LAIEN — NUR FÜR FACHPUBLIKUM — NICHT FÜR LAIEN –

RESTRISIKO KATALOGISIERUNGS INSTITUT

(„Gelebte Statistik – garantierte Sicherheit“)

UND

Besorgnis-Zentrale für gesellschaftliche Absicherung

(„SICHER IST NIE SICHER GENUG!“)

Die aktuelle Debatte zu neuen Präventions-Empfehlungen aus der Schweiz macht eine Konzentration auf Kernfragen der HIV-Prävention notwendig: Sind die Präventionsbotschaften sicher? Können wir Experten wirklich den einfachen Menschen vertrauen, dass sie die komplexen Safer-Sex-Regeln 100%ig verstehen und anwenden, so wie wir das wollen? Unsere neue Reihe widmet sich diesen und anderen Fragen. Demnächst erscheinen:Viren im Zwölffingerdarm: die XXL-Gefahr“

´Küssen: geil und safe`? – Placebo-kontrollierte Studien beweisen: Küssen ist nicht geil“

Neues aus der Pipeline: „Phobo-Vir“ und „Moralin S“ erfolgreich als Präventionsantagonisten“

Sind Mückenstiche wirklich „safe“? Der letzte Beweis fehlt!“
Hier ein paar Leseproben aus dem ersten Bulletin:

Sind Kondome wirklich sicher?

von Privat-Dozentin Memelchen v. Hindenburg, PPPD (hc mult.), Bad Müller-Thurgau

Der seit Jahren verbreitete und scheinbar bewährte Slogan „Kondome schützen vor HIV und Aids“ gehört auf den Prüfstand! (…)

Den ahnungslosen Endverbrauchern in denZielgruppen wird mit dieser unzulässig vereinfachten Botschaft suggeriert, sie wären in der Lage, sich durch die Verwendung dieses technischen Hilfsmittels „selbständig“ und „eigenverantwortlich“ vor einer HIV-Infektion schützen zu können – und zwar einfach so, ohne offizielle Schulung und ohne Überprüfung ihrer bio-psycho-sozialen Eignung. Das ist unverantwortlich! (…) Die Schutzwirkung eines Kondoms hängt vom äußerst komplexen Interagieren vieler Faktoren ab.(…) Alltägliche Fehlerquellen wie die richtige Aufbewahrung eines Kondoms: geschützt vor Hitze, Kälte, Sonneneinstrahlung, mechanischer Beanspruchung (drücken, reiben, knicken, usw.) sind eine Herausforderung. Können Menschen, die auf der zügellosen Suche nach „Sex“ sind, diese Vorschriften überhaupt erfüllen? (…)

Haltbarkeitsdatum und Bedienungsanleitung sind im setting-typischen Halbdunkel kaum zu entziffern. Und überhaupt: wie sollen illiterate, sozial deprivierte, sehbehinderte oder gar migrantische Menschen das lesen können? (Und was heißt eigentlich „Reservoir“?!?) (…)

Und die Risiken in der Anwendung: zu kleiner Penis, zu großer Penis, gar kein Penis – lauter Fehlerquellen!!! (…) Kondome können bersten, reißen, platzen, abrutschen, sie können löchrig, zerknittert oder porös, zu dünn, zu dick, zu alt sein. Und erst die Gleitmittel! (…)

Auch die Fingernägel: spitz, scharf, brüchig, rissig, schlecht lackiert – Risiko, Risiko, Risiko! (…)

Und wird während des „Aktes“ tatsächlich oft genug der korrekte Sitz des Kondoms überprüft?

(…) Die technische Sicherheit sollte zwar durch das Norm-Gütesiegel garantiert sein. Aber: wer kontrolliert die Kontrolleure? (…) Und seien Sie mal ehrlich: wissen Sie, welches Gütesiegel das richtige ist: „DIN 061.19-96“, oder „ISO 44187-safe“, oder „EN 600:1996“? (und: haben Sie jemals ein Kondom vor der Verwendung daraufhin begutachtet?) (…)

Fazit:

Fachlich gesehen ist es zwar richtig, dass Kondome schützen können, aber die Bedingungen für eine hinreichend sichere Anwendung sind so komplex, dass die Informationen darüber auf dem Weg zum Endverbraucher verloren gehen würden. (…)

Darum gilt: Kondome gehören in Expertenhand!

Der gewöhnliche Homosexuelle kann uns nicht garantieren, die notwendige Sorgfalt beim Umgang mit dieser komplexen Präventionstechnik aufzubringen. (…)

Die Summe der Restrisiken ist daher zu hoch, als dass wir jedem erlauben dürften, damit selbständig und unkontrolliert umzugehen. (…)

Schließlich geht es um Sicherheit und Gesundheit unserer Menschen!“

Kurznachrichten 14.02.2008

Karin Wolff, bisher hessische Kultusministerin, tritt ab. Noch im Juli 2007 hatte sie mit Kreationisten-Förderung für Furore gesorgt – oder mit ihrem Going Public als Lesbe, je nach Sichtweise …

Big Brother selbst auf der Berlinale. Die setzt nämlich Nachtsichtgeräte ein, um ihre Besucher im Kino zu überwachen, berichtet oberschichtenfernsehen. Scheinbar ohne Information der Überwachten …

Freiheit – Sicherheit – Risiko. Das Thema, mit dem sich das Forum Sozialethik 2008 beschäftigt, ist auch im Aids-Kontext interessant (man denke nur an die Diskussionen zur Frage ‚keine infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne STDs‚). Als wäre ihnen die aktuelle Debatte bekannt, fragen auch die Veranstalter in ihrem Call for Papers „wie kann das Verhältnis von Freiheit, Risiko und Sicherheit im Zusammenhang mit ethischen Fragestellungen etwa bezüglich … der Bekämpfung einer Pandemie wie HIV/Aids ausbuchstabiert werden?“

Die Zürcher Posse geht weiter. Sex in gastgewerblichen Räumen sei grundsätzlich gesetzeswidrig, meint das Bezirksgericht Zürich (Bericht NZZ). Dunkle Räume sind manchen Schweizern wohl schon länger suspekt. Werden nun in der Schweiz Darkrooms zu Grabe getragen?

Kurznachrichten 08.02.2008

In den Niederlanden würden 78% der Wähler einen schwulen Ministerpräsidenten akzeptieren, meldet pinknews. Ob sich Herr W. aus B. jetzt Hoffnungen für seine eigene Karriereplanung macht?

Keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“ – diese Meldung hat auch die deutschen Institutionen aufgeschreckt. Prof. Kurth, Leider des Robert-Koch-Instituts (RKI) kommentiert dazu gestern in der Ärztezeitung (zitiert aus der SZ), „eine staatliche Empfehlung zum Verzicht auf Kondome können wir nicht geben“. Erstaunliche Antwort, denn um eine derartige „Empfehlung“ ging es bisher auch nie. Sondern um die Aussage, dass Positive in bestimmten Konstellationen nicht (mehr) infektiös sein könnten.

Die Rückkehr-Möglichkeiten in die gesetzliche und private Krankenversicherung, die die Bundesregierung geschaffen hat, scheinen noch nicht auszureichen – oder nicht genügend bekannt zu sein. Die SZ weist darauf hin, dass in Deutschland 200.000 Menschen ohne Krankenversicherung sind.

Aufgrund der Brandkatastrophe in Ludwigshafen verschiebt die ARD den ‚Tatort‘ „Schatten der Angst“. Stattdessen wird Sonntag in Wiederholung der Tatort „Roter Tod“ mit Ulrike Folkerts als ‚Lena Odenthal‘ ausgestrahlt, der das Thema Blutkonserven und HIV behandelt.

Last not least: in wenigen Tagen beginnt in den USA die National Condom Week. Dieses Jahr mit großem Jubiläum – 1978 (lange vor Aids) wurde sie von Studenten der University of California- Berkeley ‚erfunden‘. Ihr britischer ‚Ableger‘ (der zu einem anderen, wechselnden Termin stattfindet) wird inzwischen von einem Kondomhersteller gesponsort. Na dann, “ don’t be silly, protect your willy“ …

Kurznachrichten 07.02.2008

„HIV-Arztpraxen fürchten das aus“, titelte der Berliner ‚Tagesspiegel‘ gestern. Berliner Ärzte befürchten eine deutliche Verschlechterung der Behandlungsqualität für HIV-Positive, da ihre Sondervergütungen gekürzt worden seien (bisher nur von der Berliner AOK) und diese zudem nur noch für Berliner Patienten gezahlt würden. Wieder einmal alles eine Frage des Geldes … ob die K3A-Studie im Kontext ärztlicher Honorarvereinbarungen steht?
Die dahinter stehenden strukturellen Probleme sind hinlänglich bekannt, z.B. aus der Ansiedlung von Wirtschaftsbetrieben im Umland von Großstädten. Strukturelle Probleme, die sicher auch einer Lösung bedürfen – Probleme jedoch, deren Leidtragende nicht Patienten, hier HIV-Positive sein können.

Das gerade auch in Deutschland ja sehr beliebte Reiseland Ägypten tut sich derzeit besonders in Sachen Diskriminierung HIV-Positiver hervor, berichtet pinknews über eine Serie von Verhaftungen von ägyptischen Bürgern, bei denen zudem teils unfreiwillig HIV-Tests gemacht wurden. Human Rights Watch protestiert.

Homophobie hat freies Fahrwasser„, weist ‚der Standard‘ auf den Plakatwettbewerb gegen Homophobie im Fußball hin, der anlässlich der EM 2008 in Wien veranstaltet wird. „2008: Endlich schwuler kicken …
In Köln finden 2010 die VIII. Gay Games statt. Schwulissimo berichtet über einen gewonnenen Großsponsor.

Last not least, „Fiskus scannt 100.000 Webseiten am Tag“, informiert die FAZ. Natürlich um ‚unternehmerische Tätigkeiten‘ zu finden, bei denen sich Steuern kassieren ließen. Wie gut, dass ich im Gegensatz zu einigen anderen Mit-Bloggern der Blog-Parade ruhigen Herzens beim Bloggen sagen kann: keine finanziellen Interessen…

Links 04.02.2008

Aids-Aktivisten scheinen wirklich gefährlich zu sein. So gefährlich, dass China jetzt den im Dezember verschleppten bekanntesten Aids-Aktivisten des Landes, Hu Jia, wegen ‚Anstiftung zum Staatsumsturz‘ anklagen will.

Die Stadtverwaltung New York strebt an, die (schwulen) Saunen und Sexclubs der Stadt zu schließen. Noch fehle der Anlass, aber das Ziel sei klar, man habe vier Optionen diskutiert. Es sei eine Art Hexenjagd, so der Direktor der städtischen HIV-Präventions-Programme (und selbst Angestellter in der Stadtverwaltung) in den GayCityNews.

Jonathan Littells Roman „Les Bienveillants“ erscheint demnächst auf deutsch. Seit Samstag erscheint der Anfang (die ersten 120 Seiten) als Vorabdruck im Feuilleton der FAZ. Verbunden mit den spannenden Experiment eines „reading rooms“ im Internet – der jeweils aktuelle Teil ist auch im Internet zu lesen sowie als MP3 zu hören und als Videostream zu sehen (gelesen von Christian Berkel), verbunden mit einem Diskussionsforum sowie einem Expertenforum, in dem Historiker und Literaturwissenschaftler zu wechselnden zum Buch in Bezug stehenden Themen Stellung nehmen.
Auf deutsch erscheint „Die Wohlgesinnten“ Ende Februar im Berlin Verlag. Vielleicht der ein oder andere Anlass, sich einmal wieder die Frage zu stellen, „was wäre aus mir geworden, wenn …„.

Nachtrag: Hu Jia ist in China zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt worden.

sexuelle Gesundheit in Berlin 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln (akt.)

Berlin ist die gemessen an der Einwohnerzahl größte Stadt Deutschlands. Zudem hat Berlin schon immer besonders auch eine hohe Anziehungskraft für Bevölkerungsgruppen gehabt, die u.a. auch einer hohen Gefahr ausgesetzt sind, sich mit HIV zu infizieren (wie z.B. drogengebrauchende Menschen oder Schwule).

Vergleich HIV-Fälle MSM Berlin Hamburg KölnSchon aus diesen beiden Gründen ist es wenig überraschend, dass Berlin die Stadt mit der höchsten Zahl an HIV-positiven Einwohnern im Bundesvergleich ist.

Allein in Berlin leben etwa 10.400 der insgesamt ca. 59.000 deutschen HIV-Positiven – was heißt, dass ca. 18 % der Positiven Deutschlands in Berlin leben. Der Bevölkerungsanteil Berlins ( 3,4 Mio. Einwohner) an der gesamten BRD (82,3 Mio.) beträgt 4,1 %. Selbst wenn man einen ‚Großstadt-Faktor‘ in Ansatz bringt, ist der Anteil der Positiven, die in der Hauptstadt leben, als sehr hoch (wesentlich höher als nach Bevölkerungsanteil zu erwarten) zu bezeichnen. Dass Berlin Lebensqualität und Attraktivität gerade auch für Menschen mit HIV hat, findet sicherlich auch in diesen Zahlen Ausdruck.

Diese Zahlen zeigen zugleich, dass die absoluten Zahlen und ihre Entwicklung in den letzten Jahren nur bedingt aussagefähig für einen Städtevergleich sind. Aussagefähiger für Entwicklungen sind relative Zahlen, die z.B. Anhaltspunkte dafür geben, welche Bevölkerungsanteile sich jeweils mit HIV infiziert haben.

Genau dies leistet die Inzidenz. Die Inzidenz gibt an, bei wie vielen Menschen pro 100.000 Einwohner innerhalb eines Jahres in einer Stadt neu HIV (bzw. eine andere Infektionskrankheit) diagnostiziert wurde.
Vergleich HIV Inzidenz Berlin Hamburg KölnVergleicht man die gemeldeten HIV-Fälle bei MSM in der Form der Inzidenzen, sieht das Bild ganz anders aus: die Grafik (nebenstehend) verdeutlicht, dass die HIV-Inzidenz unter MSM in Berlin im Jahr 2005 einen Scheitelpunkt erreicht hat und seitdem dort verharrt bzw. leicht sinkt, 2007 jedoch wieder ansteigt. Die Inzidenz in Hamburg steigt in den vergangenen Jahren kontinuierlich an und hat 2006 beinahe Berliner Niveau erreicht. Die Inzidenz in Köln hingegen ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich über dem Berliner Niveau und zudem von 2004 bis 2006 deutlich angestiegen.

Vergleich Hepatitis C Inzidenz Berlin Hamburg KölnBei den gemeldeten Hepatitis-C-Fällen bei Männern zeigt sich ein anderes Bild. Die Hepatitis-C-Inzidenz bei Männern ist in Hamburg auf sehr niedrigem Niveau annähernd konstant. Die Inzidenz für Berlin scheint 2004 einen Scheitelpunkt erreicht zu haben, sinkt seitdem leicht. Die Inzidenz für Köln hingegen pendelt stark und ist im vergangenen Jahr deutlich angestiegen (wegen des sehr hohen Wertes für Köln im Jahr 2001 Darstellung erst ab 2002). Daten ausschließlich für MSM sind leider nicht abrufbar.

Vergleich Syphilis MSM Berlin Hamburg KölnEin wiederum leicht anderes Bild bietet die Zahl der gemeldeten Syphilis-Fälle bei MSM. In Hamburg hat die Syphilis-Inzidenz bei MSM 2003 einen Scheitelpunkt erreicht und sinkt seitdem bis 2006 leicht, um 2007 erneut anzusteigen. Berlin verharrt seit 2003 auf annähernd gleich hohem Niveau mit deutlich sinkenden Werten für 2007. Die Syphilis-Inzidenz für MSM in Köln hingegen hat den Berliner Wert seit dem Jahr 2003 übertroffen und verharrt auf hohem Niveau, mit für 2007 ebenfalls sinkenden Werten.

Insgesamt zeichnen die Zahlen zu den Inzidenzen von HIV-Neudiagnosen bei MSM, gemeldeten Hepatitis-C-Fällen bei Männern und Syphilis-Fällen bei MSM ein vielfältiges Bild.
Eine Aussage lässt sich jedoch sicher treffen: wäre Berlin der ‚Sündenpfuhl‘, als der es gerne von interessierter Seite deklariert wird, wäre zu vermuten dass diese Zahlen anders aussehen. Um die sexuelle Gesundheit von MSM scheint es in Berlin zumindest im Vergleich mit Hamburg und Köln nicht so schlecht bestellt zu sein. Sicher ist vieles verbesserungsfähig – ‚Bad Bareback‘ jedoch muss offensichtlich woanders liegen …

Quelle aller Daten: Robert Koch-Institut: Datenabfrage SurvStat, http://www3.rki.de/SurvStat, Datenstand: 04.02.2008

Update 04.02.2008: Aktualisierung auf Stand der Datenabfrage 04.02.2008

Dieser Artikel ist Teil der Serie „Sexuelle Gesundheit in Berlin“:
Intro
Teil 1: HIV / Aids in Berlin
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

sexuelle Gesundheit Berlin 2 – HIV-Neuinfektionen in Berlin

In Berlin fanden im Jahr 2007 ca. 460 HIV-Neuinfektionen statt (ca. 400 bei Männern, ca. 60 bei Frauen). Zu 88% fanden die HIV-Neuinfektionen bei Männern statt, die Sex mit Männern haben, zu 11% durch heterosexuelle Kontakte und zu 1% durch iv-Drogengebrauch. ((Quelle: „HIV/AIDS in Berlin – Eckdaten“, Epidemiologische Kurzinformation des Robert-Koch-Instituts, Stand Ende 2007, als pdf online hier))

Was führt zu dieser Zahl an Neu-Infektionen, besonders in der Gruppe der Männer die Sex mit Männern haben?

„Der Hauptgrund für steigende Infektionszahlen bei Schwulen liegt nach Einschät­zung Michael Bochows … darin, dass ein Zehntel der Schwulen häufig Risiken eingeht und zu­gleich immer mehr Schwule mit HIV leben.“ ((„Die neue Bochow-Studie: safer Sex besser als gedacht“ in: Siegessäule extra Welt-Aids-Tag 2007, S.5))

Wie groß ist diese Gruppe, die ‚häufig Risiken eingeht‘?
„Insbesondere der Anteil der für die Dynamik von sexuell übertragenen Infek­tionen beson­ders relevanten Teilnehmer mit sehr hohen Partnerzahlen ist in den letzten 9 Jahren rückläufig und lag zuletzt bei 7% (bezogen auf MSM ab 25 Jahren in Großstädten; bei Jüngeren … ist dieser Anteil noch deutlich niedri­ger“. ((Bochow et al.: Wie leben schwule Männer heute (2007), S.10))
Dies gilt scheinbar auch für Berlin: „7% der Befragten aus Berlin … geben an, im Jahr vor der Befragung mit mehr als 50 un­terschiedlichen Partnern Sex gehabt zu haben. Die durchschnittlich höchsten Partnerzahlen haben MSM zwischen 30 und 44 Jahren“. ((Bochow et al.: Wie leben schwule Männer heute (2007), S.5))

Neben dem Merkmal ‚hohe Partnerzahl‘ bemerkt Bochow noch ein weiteres:
„Ungeschützter Analverkehr ist – insbesondere bei HIV-positiven MSM – in ho­hem Maße mit diesem Konsummuster [häufiger oder regelmäßiger Konsum von Party­drogen] verbun­den.“ ((Bochow et al.: Wie leben schwule Männer heute (2007), S.10)) Diesen hohen Anteil kann eine RKI-Studie (s.u.) allerdings nicht bestätigen.

Doch es scheint auch Informations-Defizite zu geben: Die Chancen z.B., die eine erfolgreiche Therapie auch zur Reduzierung des Infekti­onsrisikos bietet, sind bisher nur wenig bekannt: „95% aller Befragten – und auch 95% aller HIV-positiven Teilnehmer – [geben an, der Aus­sage; d.Verf.] … dass das Virus unter antiretroviraler Therapie nicht mehr übertragen wer­den kann, nicht zuzustim­men.“ ((Bochow et al.: Wie leben schwule Männer heute (2007), S.7))

Interessante Ergebnisse, wie und warum sich Menschen in Berlin heute mit HIV infizieren, hat eine Pilotstudie des Robert-Koch-Instituts (RKI) geliefert.
Im Rahmen einer vom Bundesgesundheitsministerium finanzierten Pilotstudie hat das RKI Daten zu Wissen, Einstellungen und Verhalten von Menschen untersucht, bei denen eine frische HIV-Infektion festgestellt wurde. Die Pilotstudie wurde in Berlin durchgeführt (und wird aufgrund der Ergebnisse der Pilotstudie jetzt als reguläre Studie über drei Jahre (ab November 2007) bundesweit fortgesetzt).

Untersucht werden konnten 123 Personen und ihre Daten (= 26% der HIV-Neu-Diagnosen im Untersuchungszeitraum in Berlin). 90% von ihnen waren Männer die Sex mit Männern haben (MSM). 67% der MSM in der Studie gehörten zur Gruppe der 21- bis 29Jährigen. Über 50% hatten sich vor dem jetzigen positiven Testergebnis bereits früher auf HIV testen lassen.
Das Wissen zum aktuellen Stand der HIV-Epidemie sowie zu HAART (hochwirksame antiretrovirale Therapie) war bei den in der Studie untersuchten MSM gut.

Als vermutetes Infektionsereignis wurde von den MSM in der Studie zu 46% anonyme sexuelle Kontakte angegeben, 17% sexueller Kontakt mit dem festen Partner oder Bekannten (15%) sowie 7% bei einer neuen Beziehung.

Über 90% der teilnehmenden MSM gaben an, in den letzten 9 Monaten vor dem Test ungeschützten Sex gehabt zu haben (80% oral, 60% anal). 19% gaben dabei an, ungeschützten Sex mit einem Partner gehabt zu haben, von dem sie wussten, dass er HIV-positiv ist.

Der häufigste Grund, im konkreten Fall kein Kondom zu verwenden (von dem 90% angaben, es immer dabei zu haben), lag in der subjektiven Risiko-Einschätzung. Die am häufigsten genannten Gründe dabei: „ich glaubte, dass für mich kein Ansteckungsrisiko bestand“, „ich hoffte, es würde schon nichts passieren“, „ich ging davon aus, dass mein Partner nicht HIV-infiziert sein kann“ sowie „ich dachte nicht, dass bei dem, was wir machten, ein Übertragungsrisiko bestand“. Hingegen gaben nur 6% Alkohol und/oder Drogen als beteiligt an, 17% Probleme bei der Kondombenutzung (Erektionsprobleme) sowie ebenfalls 17%, die Entscheidung ob ein Kondom verwendet wird an den Partner delegiert zu haben.

Die untersuchten MSM hatten ein recht gutes Wissen über mögliche Infektionsrisiken. Allerdings wurden auch einige Fehl-Wahrnehmungen von Risiken deutlich: lediglich 60% meinten z.B. , eindringender Analverkehr (‚aktive‘ Rolle) ohne Kondom sei ein Risiko, und nur 55% meinten dies bei aufnehmendem Analverkehr (‚passive‘ Rolle) ohne Ejakulation.

Ein zusammenfassender Bericht über die Ergebnisse der Pilotstudie findet sich im Epidemiologischen Bulletin des RKI (Ausgabe 01/2008).

.

In der RKI-Studie waren zu einem besonders hohen Anteil junge MSM der Altersgruppe von 21 bis 29 Jahren betroffen (wesentlich höher als in den gesamten Falldaten, siehe HIV/Aids in Berlin).
Zur Frage, ob Drogenkonsum bei ungeschütztem Analverkehr eine wesentliche Rolle spielt, liegen scheinbar widersprüchliche Einschätzungen vor.
Offensichtlich scheint allerdings zu sein, dass Informations-Defizite vorliegen und subjektive Risiko-Einschätzungen z.T. unzutreffend getroffen werden. Selbst bei allgemein gut informierten MSM gibt es Fehl-Einschätzungen von Risiken in konkreten Situationen (Analverkehr aufnehmend / eindringend). Zudem ist die Bedeutung einer wirksamen Therapie für die Infektiosität scheinbar nur unzureichend bekannt.
.

Dieser Artikel ist Teil der Serie „Sexuelle Gesundheit in Berlin“:
Intro
Teil 1: HIV / Aids in Berlin
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

Links 31.1.2008

Die Grünen haben eine kleine Anfrage im Bundestag gestellt zu antihomosexuellen Seminaren – wir erinnern uns, ‚beschirmt Bundesfamilien-Ministerin Homo-Heiler?‚, diese Frage ist immer noch nicht so ganz beantwortet, oder hat Frau von der Leyen inzwischen ein klares Wort dazu gesagt? Selbst Tetu in Frankreich macht sich Sorgen angesichts dieser ‚Therapien‘ …

Mit Hunderten von Veranstaltungen wird in Großbritannien der LGBT history month begangen. Ach, hätten wir nur hierzulande so viel schwul-lebisch-transgenderes Geschichtsbewusstsein …

Bertrand Delanoë, schwuler Bürgermeister von Paris, kann sich Hoffnungen auf eine Wiederwahl machen. Bei der ersten Runde der Wahlen am 9. März könnte der Kandidat der ‚Sozialistischen Partei‘ auf 44% kommen, so Umfragen.

Unterdessen bemüht sich die Modewelt. 750.000 Euro für die französische Gruppe sidaction wolle man zusammen bringen beim ‚diner de la mode contre le sida‘, erklärten die Veranstalter. Präsident von sidaction ist der offen schwule Modeunternehmer Pierre Bergé (langjähriger Lebenspartner von Yves Saint-Laurent), der sich seit den 1980ern in der Aids-Bekämpfung engagiert und u.a. auch ACT UP Paris unterstützt. Und die Mode-Prominenz strömte zum Benefiz …

Während es hierzulande eine Selbstverständlichkeit ist, bei Bedarf antiretrovirale Therapien gegen HIV zu bekommen, ist die Lage nur gut 1.000 km entfernt schon ganz anders. ‚Aids-Behandlung schwer zu bekommen hinter Gittern‘, titelt die Moscow Times (Artikel in englischer Sprache). Schon in St. Petersburg bekämen z.B. nur etwa 100 der ca. 3.500 in Frage kommenden Insassen die erforderlichen Therapien.

sexuelle Gesundheit in Berlin 1: HIV / Aids in Berlin (akt.)

Ende des Jahres 2007 lebten ca. 10.400 Menschen mit HIV in Berlin, davon 9.500 Männer, 900 Frauen und 30 Kinder. Etwa 8.000 der 10.400 Berliner HIV-Positiven gehören zur Gruppe der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), ca. 1.200 sind DrogengebraucherInnen, etwa 450 stammen aus sog. Hochprävalenz-Regionen und ca. 700 haben sich über heterosexuelle Kontakte infiziert. ((Quelle: „HIV/AIDS in Berlin – Eckdaten“, Epidemiologische Kurzinformation des Robert-Koch-Instituts, Stand Ende 2007))

Etwa 250 in Berlin lebende Menschen erkrankten 2007 neu an Aids, 210 davon Männer. Etwa 100 HIV-Infizierte verstarben 2007 in Berlin. ((Quelle: „HIV/AIDS in Berlin – Eckdaten“, Epidemiologische Kurzinformation des Robert-Koch-Instituts, Stand Ende 2007))

Die Gesamtzahl der HIV-Infizierten in Berlin seit Beginn der HIV-Epidemie beträgt ca. 14.700. Etwa 6.300 von ihnen sind seit Beginn der Epidemie an Aids erkrankt; etwa 4.300 an den Folgen von Aids verstorben. ((Quelle: „HIV/AIDS in Berlin – Eckdaten“, Epidemiologische Kurzinformation des Robert-Koch-Instituts, Stand Ende 2007))

gemeldete HIV-Fälle Berlin 2001 - 2007Die Gesamtzahl der gemeldeten HIV-Fälle in Berlin liegt nach einem Anstieg von 2001 bis 2004 seit einigen Jahren auf nahezu gleichbleibendem Niveau. Bei den Zahlen für 2007 (derzeitiger Datenstand 4.2.2008) ist zu berücksichtigen, dass noch Nachmeldungen erfolgen werden, die endgültigen Zahlen also etwas höher als hier dargestellt liegen könnten.

Wichtig bei allen Zahlen: dargestellt wird für den Diagnose-Zeitraum, nicht den Infektions-, Erkrankungs- oder Melde-Zeitraum.

Wie verteilen sich diese Gesamtzahlen der HIV-Infektionen in Berlin auf die einzelnen ‚Risikogruppen‘?

Risikogruppe 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
unbek. 38 35 59 46 39 46 40
Blut 0 0 0 0 0 0 0
hetero 14 25 21 33 35 42 28
iv Drogen 11 10 5 5 4 4 5
MSM 124 136 203 264 282 272 301
MTCT 1 2 0 3 3 0 0
Hochpräv. 12 17 22 18 26 26 15
gesamt 200 225 310 369 389 390 389

Tab.1 gemeldete HIV-Fälle Berlin nach Risikogruppen ((Quelle (auch für alle im weiteren verwendeten Zahlen): Robert Koch-Institut: SurvStat, http://www3.rki.de/SurvStat, Datenstand: 04.02.2008))

gemeldete HIV-Fälle Berlin 2001 - 2007 nach Risikogruppen relativ Bei der Analyse der Anteile, die die einzelnen Infektionswege an der Gesamtzahl der für Berlin gemeldeten Fälle haben (siehe nebenstehende Grafik), fällt auf, dass der Anteil des Infektionsweg „Männer die Sex mit Männern haben“ (MSM; in der Grafik brauner Bereich der Säulen) im letzten Jahr anstieg. 2007 betrug der Anteil der MSM an den gesamten gemeldeten HIV-Fällen in Berlin 77% (2006: 70%; 2005: 72,5%, 2004: 71,5%).
Der Anteil der durch iv-Drogengebrauch übertragenen HIV-Infektionen hingegen ist seit Jahren auf einem niedrigen Niveau.

In welchem Alter infizieren sich Menschen mit HIV? Die RKI-Daten beantworten diese Frage nicht (sie bilden nicht Infektionen, sondern Meldungen von Diagnosen ab) – sie geben aber Aufschluss darüber, in welchem Lebensalter Menschen sind, deren HIV-Infektionen gemeldet werden.

gemeldete HIV-Fälle Berlin 2001-2007 nach Altersgruppen relativgemeldete HIV-Fälle MSM Berlin 2001-2007 nach Altersgruppen relativNoch 2001 stellte die Gruppe der 30-39jährigen (in beiden Grafiken Säulenbereich hellblau) den mit Abstand größten Anteil der gemeldeten HIV-Fälle (Grafik links: 53,5% bei allen Fällen ; Grafik rechts: 56,5% bei MSM).
Seitdem hat der Anteil der Altersgruppe 40 bis 49 Jahre deutlich zugelegt (2001: 15,5% alle, MSM 14,5%, 2007: 26,5% alle, MSM 24,6%), gesunken ist der Anteil der Altersgruppe 30-39 (2001: 53,5% alle, MSM 56,5%, 2007: 32,1% alle, MSM 34,9%). Die Altersgruppe 21-29 Jahre (in beiden Grafiken gelber und unterer grüner Bereich) stieg von 18,5% (alle) bzw. 20,1% (MSM) im Jahr 2001 auf 26,2% (alle) bzw. 26,6% (MSM) im Jahr 2007.

.

Etwa 59.000 Menschen leben Ende 2007 in Deutschland mit HIV. Circa 10.400 von ihnen allein in Berlin – damit hat die Stadt einen Anteil von 17,6%. An der Gesamtbevölkerung der BRD von 2,35 Mio. hat Berlin mit 3,404 Mio. Einwohnern (beides Ende 2006) nur einen Anteil von 4,13%.
Das bedeutet, dass in Berlin über das Vierfache der aufgrund des Bevölkerungsanteils zu erwartenden Zahl an HIV-Positiven lebt.
Den größten Anteil der jährlich gemeldeten neuen HIV-Fälle stellen mit deutlich über 70% Männer die Sex mit Männern haben. Allein 30% der HIV-Fälle bei MSM werden bei Männern in der Altersgruppe der 40- bis 49Jährigen diagnostiziert. Gleichzeitig steigt der Anteil der Diagnosen in der Altersgruppe der 21- bis 29Jährigen.

.
Aktualisierung 04.02.2008: Daten aktualisiert auf Abfrage-Stand 04.02.2008

Dieser Artikel ist Teil der Serie „Sexuelle Gesundheit in Berlin“:
Intro
Teil 1: HIV / Aids in Berlin
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

sexuelle Gesundheit in Berlin

Berlin ist die Stadt in Deutschland mit den meisten Menschen mit HIV-Infektion. Auch über Wellen von Syphilis- oder Hepatitis-C-Infektionen in Berlin wird hin und wieder berichtet. Andererseits ist Berlin bekannt für seine auch in sexueller Hinsicht breite und variantenreiche Bandbreite an Möglichkeiten – und auch Zielort diversen Fremdenverkehrs, der auch eben diese sexuellen Freiheizten sucht.

Wie sieht es aus mit der sexuellen Gesundheit in Berlin, insbesondere für Männer, die Sex mit Männern haben?
Ist Berlin wirklich „Bad Bareback“, wie einige schwule Touristen gerne kolportieren? Und wie sieht es mit den (gesundheitlichen) Konsequenzen aus?

Ab morgen unternehme ich in einer kleinen Reihe Versuche einer Annäherung an das Thema sexuelle Gesundheit schwuler Männer in Berlin. Dabei geht es zunächst darum, als Diskussionsgrundlage die Fakten soweit bekannt zusammenzustellen.

Wie viele Menschen haben sich in Berlin mit HIV infiziert? Wie viele sind an Aids erkrankt? Welche Gruppen sind am stärksten vertreten?
Teil 1: HIV / Aids in Berlin

Wie viele Menschen infizieren sich in Berlin jährlich neu mit HIV? Aus welchen Gruppen? Was könnten Gründe für steigende Infektionszahlen in einigen Gruppen sein?
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin

Wie hat sich die Zahl der Syphilis-Infektionen in Berlin in den letzten Jahren entwickelt? Und wie die der Fälle von Hepatitis C?
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin

Ist Berlin wirklich ‚der Sündenpfuhl der Republik? Wie steht Berlin beim Thema sexuelle Gesundheit da im Vergleich zu anderen Metropolen?
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln

Lassen sich aus den Zahlen und Analysen Anhaltspunkte finden, wie sich die zukünftige Situation entwickeln, welche Anforderungen potenziell
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

Dieser Artikel ist Teil der Serie „Sexuelle Gesundheit in Berlin“:
Intro
Teil 1: HIV / Aids in Berlin
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

Nebenbei, das Thema ’sexuelle Gesundheit‘ umfasst selbstverständlich mehr als die wenigen hier behandelten Themen (die z.B. ‚F‘ wie Filzläuse, Feigwarzen bis ‚T‘ wie Tripper umfassen). Allerdings ist gerade die ortsspezifische Datenlage hier wesentlich schwieriger, so dass ich mich im ersten Angang auf diese Themen beschränkt habe.


Links 28.1.2008

Unter dem Titel „Der Dauerstreit um Patente“ hat jetzt auch der Focus hat das Thema „Pillen, Patente und Profite“ entdeckt – „immer wieder kommt es zu Konflikten um Patentrechte“ …

Patentgeschützt sind ja auch zahlreiche Bakterienstämme in proidiotischen probiotischen Joghurts etc. Könnte sein, dass deren Verzehr nicht immer gesundheitsförderlich ist … „Auffallend viele Tote bei Studie mit probiotischen Bakterien“ titelt die Ärztezeitung.

„HIV positive leaders meet in Monaco“, melden UNAIDS und zahlreiche französischsprachige Zeitungen. Vom 24. bis 26. Januar trafen sich „key leaders“ verschiedener Positiven-Netzwerke unter der Schirmherrschaft (immer noch nicht Schirmfrauschaft?) von Prinzessin Stephanie von Monaco. Die Ergebnisse des Treffens sollen in „Living 2008 – the positive leadership summit“ einfließen, das am 31.7. und 1.8.2008 direkt vor der Internationalen Aids-Konferenz in Mexiko stattfinden wird.

Nicht ‚HIV positive leaders‘ sondern Bürgermeister treffen sich in Berlin, nämlich die vier Bürgermeister von Paris, Berlin, London und Moskau (M4-Treffen). In Moskau ist Juri Luschkow Bürgermeister – homophob wie immer, nennt er CSDs gerne „satanische Treffen“ und verbietet Moskauer Gay-Pride – Veranstaltungen. Vielleicht sollten die Kollegen aus Paris, Berlin und London sich Herrn L. mal zur Brust nehmen? Meint nicht nur TheGayDissenter …

Last not least: „Muss Batman sterben?“ fragt SpON. „Batman R.I.P.“ Mich interessiert ja viel mehr, wie’s Robin denn so geht 😉

Benimmregeln und Verwirrung

In Deutschland sowie der Schweiz scheinen sich spannende Weiter-Entwicklungen der HIV-Präventionskampagnen insbesondere für schwule Männer abzuzeichnen. „Prävention neu“ – Verantwortung, differenziertere Information, Situationsbezug und Risikomanagement, Prävention könnte mehr sein als „Kondome Kondome Kondome“ …

Ganz anders hingegen in Österreich. Hier scheinen die Uhren anders zu ticken. Zumindest in Sachen HIV-Prävention bei Männern, die Sex mit Männern haben (MSM).

Denn Vertreter österreichischer Aids-Hilfen kommentieren die Änderungen, die sich in Deutschland abzeichnen, äußerst – nun ja, pointiert wäre wohl eine höfliche Beschreibung dafür:

„Dahinter [hinter dem was sie als ‚Prävention neu‘ bezeichnen; d.Verf.] verbirgt sich eine gefährliche Abkehr von der Kondomempfehlung und die Erfolge der HIV-bezogenen Gesundheitsförderung werden gefährdet.“

A-ha. Zwar will niemand von der Kondom-Empfehlung abkehren, dieser hingegen weitere Empfehlungen an die Seite stellen. Aber nun denn, wir lesen weiter. Worum geht es denn?

„Durch die verbesserten Perspektiven in der Therapie darf es aber keineswegs zu einer Verwässerung der Safer-Sex-Botschaften kommen.“

Denn

„… ein sogenanntes Risikomanagement ohne konsequente Kondomempfehlung für schwule Männer [ist] eine Mogelpackung mit schweren Nebenwirkungen.“

Und, die Schwulen, na die sollen sich mal ja keine Hoffnungen machen …

„Etwaige Erwartungen in der schwulen Szene, dass im Kontext der Therapiemöglichkeiten die ‚Krise vorbei sei‘ und somit wieder eine Sexualität ohne Habitus der ‚Kontrolle‘ (sprich: Kondomanwendung) möglich sein könnte, müssen im Sinne der realistischen Verantwortung enttäuscht werden.“

Nun denn. Und was heißt das?

„Die Diskussion um eine ’neue Prävention‘ in Deutschland ist deshalb so unglaubwürdig, da sie sich nur scheinbar auf die Evidenz aus der Forschung bezieht, und die Schlußfolgerung‘ es muss nicht immer ein Kondom sein‘ plump und letztlich recht ungeniert referiert wird.“

(Alle Zitate bisher: Frank M. Amort: Prävention anders? – Die Erosion der Safer-Sex-Botschaft. in: PlusMinus, Magazin der Österreichischen Aidshilfen, Ausgabe 04/2007)

Nun, Herr Amort hat uns für’s erste einmal zur genüge aufgeklärt.
Aber – nein, das reicht noch nicht. Jetzt kommt noch Frau Fleck. Und die erklärt uns, wo es denn hin gehen soll:

„Dass man Kondome verwenden soll, darüber herrscht weitgehend Konsens. Diejenigen, die glauben, in einer entsprechenden Situation davon keinen Gebrauch machen zu müssen, wissen in diesem Moment wohl auch, dass sie diese Regel verletzen. In der Präventionsarbeit kann es also nur darum gehen, das normative Bewußtsein ‚Verwende Kondome!‘ zu stärken, um den Anteil derer, die in entsprechenden Risikosituationen davon keinen Gebrauch machen, zu reduzieren.“

Und weiter:

„Man sollte nicht übersehen, dass eine allzu liberale Haltung gegenüber risikoreichen Verhaltensweisen Auswirkungen auf die Präventionsarbeit mit allen Gruppen haben kann.“

Und deswegen …

„Benimm-Regeln haben es an sich, dass sie nur dann funktionieren, wenn sie als allgemein gültig betrachtet werden.“ Und „Schwierigkeiten von Einzelpersonen mit diesen Regeln sind Thema für Einzelberatungen. Wenn sie für eine ganze Zielgruppe verallgemeinernd diskutiert werden, stiftet das nur Verwirrung.“

Die Frage, was denn geschehen sollte, wenn diese erfolgreich vereinzelten und isolierten Benimmregelverweigerer uneinsichtig bleiben sollten, beantwortet uns Frau Fleck leider (noch?) nicht …

(Diese letzten Zitate: Lola Fleck: Prävention anders: Normen und Verhaltensweisen. in: PlusMinus, Magazin der Österreichischen Aidshilfen, Ausgabe 04/2007)

Nun sind Herr Amort und Frau Fleck nicht irgendwer, nicht von der katholischen Kirche und nicht von evangelikalen Sekten. Nicht aus der Vergangenheit, sondern schreiben das heute. Für Menschen von heute, für eine heutige Aids-Prävention.

Herr Amort ist Leiter der Präventionsabteilung der Aids Hilfe Wien, und Frau Fleck Leiterin der Steirischen Aids-Hilfe. Ihre Gedanken haben sie im offiziellen ‚Informationsmagazin der AIDS-Hilfen Österreichs‘ (PlusMinus, Ausgabe 04/2007, als pdf hier) zur Kenntnis gebracht.
In Reaktion auf Gedanken, die sich Menschen in Deutschland (wie auch in der Schweiz) über die Weiterentwicklung der Aids-Prävention machen. Gedanken, die sich z.B. mit dem HIV-Infektionsrisiko unter erfolgreicher Therapie beschäftigen oder mit der Abkehr von Patentrezepten, Mythen und Fehleinschätzungen.

Es gibt ganz offensichtlich Uhren, die anders gehen, und Gedanken, die nur Verwirrung stiften. Deswegen sollen sie möglichst auch gar nicht gedacht werden. Auch in der Aids-Arbeit und HIV-Prävention. Zumindest wenn es nach einigen unserer österreichischen Nachbarn geht.
Für mich klingt da erschreckend viel nach new gay right und schwulem Konservatismus.
Wenn man sich die Gedanken aus Österreich einmal etwas länger durch den Kopf gehen lässt, kann man wahlweise erschrecken oder amüsiert den Kopf schütteln. Die Konsequenzen für die Menschen in Österreich (insbesondere MSM) hingegen scheinen mir äußerst fragwürdig …