Ärzte auch in der Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen mehr einzusetzen – dieses Konzept wird nicht nur im Aidsbereich diskutiert. Es ist auch Thema einer Veranstaltung in der Deutschen Aids-Hilfe am Mittwoch, 7. Oktober 2009. Ein Kommentar.
Immer noch wird eine HIV-Infektion bei vielen Menschen sehr spät festgestellt (late diagnosis) – mit vielen möglichen oder sehr realen potentiellen negativen Folgen auch für den oder die Betroffene/n. Gerade hier Ärzte zu sensibilisieren, scheint eine gute Idee. Die schnell weiterführt zum Gedanken, Ärzte doch generell in der Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen einzusetzen.
Untersuchungen laufen, auch zur Frage, wie weit Patienten eigentlich mit ihren Ärzten über sexuelle Fragen sprechen, sprechen wollen, sprechen können.
Und die Aids-Hilfe NRW arbeitet an einem Gesprächsleitfaden, der Ärzten helfen soll, mit ihren Patient/innen auch über Fragen des Sexualverhaltens und sexuell übertragbarer Erkrankungen ins Gespräch zu kommen.
Doch Vorsicht – was schnell plausibel scheint, muss nicht unbedingt im Interesse der Patienten sein.
Einige Gedanken …
Die Ausforschung des Sex
Das harmlos scheinende Gespräch über Fragen des Sexualverhaltens hat potentiell so seine Tücken. Möchte ich als Patient eigentlich, dass mein Arzt auch möglichst alle (Un)Tiefen und Details meines Sexlebens kennt? Wie freiwillig ist dieses Gespräch, wenn ich anschließend auch „ganz normal“ behandelt werden möchte? Was davon wird dokumentiert? Und wer erfährt davon? Oder wie ausgeforscht fühle ich mich, werde ich?
Diese potentielle Ausforschung hat Konsequenzen. Wir verhält sich der Mediziner, die Medizinerin, die erfährt, dass ihr Patient sich unter Präventions-Gesichtspunkten „kontraproduktiv“ verhält? Wie wirkt sich dieses Wissen aus, wenn der gleiche Arzt, die gleiche Ärztin dann später genau diesen Patienten behandeln muss, z.B. aufgrund einer sexuell erworbenen Erkrankung? Wir leben Ärztinnen und Ärzte mit diesem Spagat? Und wie erst Patientinnen und Patienten? Wohl wissend, ja, der Arzt hat ja gesagt dass … und trotzdem hab ich …
Was macht dieser Spagat, was machen die potentiell daraus resultierenden Konfliktlinien mit dem Arzt-Patient-Verhältnis?
Und weiter noch – ärztliche Leistungen wollen dokumentiert sein (nicht nur, aber auch aus Gründen der Abrechnung). Wie steht es um den Datenschutz? Gerade bei derart sensiblen Daten wie zu Sexualverhalten? Natürlich entgegnen Ärzte und Verbände uns, es gebe das Arztgeheimnis, den Datenschutz, die Vertraulichkeit des Arzt-Patient-Verhältnisses. Aber – wie steht es darum in der Praxis? In Zeiten von Internet, elektronischer Gesundheitskarte oder Beschlagnahme von Patientenakten durch Staatsanwaltschaften (wie jüngst im Fall Nadja Benaissa)?
Die Reglementierung des Sex
Sexualität, Sexualverhalten ist ein Bereich, der persönlichsten, privatesten Angelegenheiten des Menschen zuzurechnen ist. Oft genug hat der Staat (aus vielfältigsten Interessen) versucht, gerade den Sex zu regulieren – über Normen, Kontrolle, Paragraphen. Gerade in den letzten Jahrzehnten ist es diversen Emanzipationsbewegungen gelungen, den Einfluss des Staates zurück zu drängen, vielfältige Ausdrucksformen menschlicher Sexualität als Bereich rein persönlicher Freiheit zu gewinnen.
In Zeiten von Aids gab es immer wieder aufscheinenden Bemühungen, Sexualität zu medikalisieren, erneut zu reglementieren. Sie konnten weitgehend abgewehrt werden. Kommen sie nun wieder, im mühsam neue verkleideten Gewand der ‚ärztlichen Prävention‘? Dies Konzept könnten sich nur zu schnell als Weg zurück, als Weg zu mehr staatlicher Reglementierung und Kontrolle des Sex erweisen.
Die Pathologisierung des Sex
Wie weit wird (dem französischen Philosophen Michèl Foucault folgend) eine stärkere Einbindung von Ärzten in die Prävention zu einer weiteren bzw. erneuten Pathologisierung von Sexualität führen?
Ist das Vorhaben, Ärzte auch in der Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Krankheiten einzusetzen, nicht letztlich ein weiterer (zudem bedeutender) Baustein dazu, dass Sexualität immer mehr betrachtet wird als etwas zu Regulierendes? Als ein Feld von staatlichem Belang? Letztlich Sex als etwas betrachtet wird, das potentiell gefährlich ist, risikobehaftet, aufgrund z.B. sexuell übertragbarer Erkrankungen gesellschaftlich potentiell schädlich? Sex als (präventiv zu steuernder, regulierunsbedürftiger Störfaktor – statt als Lust und Privatsache?
Und nun?
Ärzte, die naturgegeben umfassende Kontakte zu einer großen Anzahl Menschen haben, in die Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen einzubeziehen – dieser Gedanke scheint in seiner Einfachheit und Direktheit naheliegend. Und Ärzte finden ihn geradezu bezaubernd – folgt diesem Gedanken doch direkt die Frage, welche neuen Abrechungs-Ziffer dafür eingeführt werden kann, soll, ja geradezu muss – und wieviel Geld jede ärztliche Präventionsmaßnahme bringt.
Und doch, viele Argumente lassen Fragezeichen aufscheinen, den Gedanken mehr als fragwürdig erscheinen. ‚Ärzte in die Prävention‘ – ein Vorhaben, das sich bald als Weg in die Vergangenheit und nachteilig für Patienten erweisen könnte.
Staat und Medizin haben im Sexualleben jedes einzelnen zunächst nichts zu suchen. Sexualität ist Privatsache, Sphäre der persönlichen Freiheit – und sollte dies auch bleiben. Eingriffe, zumal Eingriffe tendenziell reglementierender Art, sollten möglichst unterbleiben. Und wenn sie erfolgen, müssen sie durch starke Argumente begründet, legitimiert sein.
Im Fall von Aids und der Installierung sich im Nachhinein als sehr erfolgreich erweisender Aids-Prävention war dieser Eingriff durch die (reale oder gefühlte) Bedrohung (der Gesamtbevölkerung oder einzelner gesellschaftlicher Gruppen) zunächst legitimiert. Zudem wurde u.a. mit der beispielhaften Arbeitsteilung zwischen Staat (hier: BzgA) und Aidshilfen ein Weg gefunden, Eingriffe und Reglementierungen (auch durch Normsetzungen) weitestgehend einzugrenzen oder wo vermeintlich unabwendbar zumindest betroffenen- und lebensnah zu gestalten.
Bei den derzeitigen Planspielen, Ärzte in der Prävention sexuell übertragbarer Erkrankungen einzusetzen, wird der Reglementierung und Kontrolle von Sexualität Tür und Tor geöffnet. Besteht ein ausreichender Grund, der diesen Eingriff in persönliche Freiheit rechtfertigen könnte, eine Notlage, eine Gefährdung? Wurden Alternativen angedacht, alle Möglichkeiten ausgeschöpft, bevor Eingriffe des Medizinssystems erfolgen? Wohl nicht.
Das Themas „Ärzte in der Prävention“ wird diskutiert auf einer Veranstaltung der Deutschen Aids-Hilfe am 7. Oktober 2009 im Rahmen der Reihe ‚Salon Wilhelmstraße‘:
„Können Ärzte eine größere Rolle in der Prävention von HIV und anderen sexuell übertragbaren Erkrankungen einnehmen? Wie weit ist HIV- und STD-Prävention in der Arztpraxis überhaupt möglich? Was wünschen sich die Patient(inn)en? Was die Aidshilfen?“
Unter der Moderation von Holger Wicht diskutieren Prof. Dr. Norbert H. Brockmeyer, Ruhr-Universität Bochum; Dr. Christoph Mayr, Vorstand DAGNÄ e.V.; Dirk Meyer, Geschäftsführer LV AIDS-Hilfe NRW e.V.; Helga Neugebauer, Ärztin in der Aidshilfe Hamburg; Stephan Jäkel, Pluspunkt e.V.; Klaus Stehling, Geschäftsführer LV AIDS-Hilfe Hessen e.V. (angefragt); Stefan, Rollenmodell der MSM-Kampagne “IWWIT” und Steffen Taubert, Deutsche AIDS-Hilfe e.V.
weitere Informationen:
DAH-Blog 27.09.2009: 7.10.09: Salon Wilhelmstraße “Ärztliche Prävention”
DAH-Blog 24.10.2009: Prävention beim Arzt?
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