Gericht: Kasse muss Lipodystrophie- Behandlung zahlen

Erst auf dem Weg einer Eil-Entscheidung konnte ein 44jähriger HIV-infizierter Mann erreichen, dass die Krankenkasse eine Behandlung massive Fettverteilungsstörungen aufgrund antiretroviraler Therapie (Lipodystrophie) übernimmt. Nun wurde die Kasse auch im Hauptverfahren vom Hessischen Landessozialgericht zur Kostenübernahme verpflichtet.

Nach mehreren Medikamentenresistenzen konnte der 44jährige Mann bereits vor einigen Jahren eine Kombitherapie beginnen, die seinen Zustand deutlich verbesserte. Er erlitt jedoch massive Fettverteilungsstörungen (Lipodystrophie) verbunden mit einer Gewichtszunahme von 13kg. Erhebliche organische Gesundheitsstörungen (starke Rückenschmerzen, Kurzatmigkeit, Einschränkung der Bewegungsfähigkeit) waren die Folge.

Die Fettverteilungsstörungen sollten mit dem Medikament Serostim® behandelt werden. Serostim® ist seit 1996 in den USA zugelassen zur Behandlung von Aids-Wasting, während die Europäische Medikamentenbehörde EMEA im April 2003 die Zulassung von Serostim® ablehnte.

Wasting ist ein starker Gewichtsverlust, üblicherweise u.a. im Rahmen von Aids. Studien mit Serostim® haben in den vergangenen Jahren jedoch auch Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Substanz dazu geeignet sein könnte, übermäßige Fettansammlungen im Bauchbereich (Lipodystrophie) zu behandeln.

Die Krankenkasse des 44jährigen Mannes (AOK Hessen) lehnte die Behandlung mit dem Medikament jedoch ab. Die Beweislage für eine Wirksamkeit sei nicht ausreichend, zudem sie das Medikament in Deutschland und Europa nicht zugelassen.

Der Patient klagte jedoch und gewann im März 2003 vor dem Sozialgericht Kassel. Im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutz-Verfahrens wurde die Kasse zur Kostenübernahme verurteilt.  Der Mann wurde 2003 bis 2005 behandelt – erfolgreich, die Fettansammlungen bildeten sich fast völlig wieder zurück.

Das Hauptsache-Verfahren allerdings lief weiter. Am 15. Januar 2009 verurteilte das Hessische Landessozialgericht (AZ L 1 KR 51/05) die Kasse zur Kostenübernahme. Das Urteil wurde am 12. März 2009 veröffentlicht.

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Das Hessische Landessozialgericht dazu:

„Leidet ein gesetzlich Krankenversicherter an einer lebensbedrohlichen Erkrankung, für die eine anerkannte medizinische Behandlung nicht zur Verfügung steht, kann er die Versorgung mit einem nicht zugelassenen Medikament beanspruchen. Voraussetzung ist allerdings, dass sich der Versicherte in einer notstandsähnlichen Situation befindet und dass eine Abwägung von Nutzen und Risiken für die Versorgung spricht.“

Das Landessozialgericht führte weiter aus:

„Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verstoße die Verweigerung einer neuen medizinischen Behandlungsmethode gegen das Grundgesetz, wenn eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliege, für welche eine anerkannte Behandlung nicht zur Verfügung stehe. Bei einer notstandsähnlichen Situation sei dies auf Arzneimittel übertragbar.“

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, Revision wurde zugelassen.

weitere Informationen:
Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 15.01.2009
Hessisches Landessozialgericht 12.03.2009: Anspruch eines HIV-Erkrankten auf Versorgung mit Serostim
FAZ.net 12.03.2009: Kasse muss im Notfall nicht zugelassene Arznei bezahlen
HIV-i-base Oktober 2003: US approves and Europe rejects Serostim (recombinant growth hormone) for treatment of HIV-related wasting

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Merck schluckt Schering-Plough

Der Pharmakonzern Merck will den Konkurrenten Schering-Plough schlucken. Dies wird auch zu einer weiteren Konzentration auf dem Markt der Aids- und Hepatitis-Medikamente führen.

Der US-Pharmakonzern Merck plant, den Wettbewerber Schering-Plough für etwa 41 Milliarden US-$ zu übernehmen. Die Fusion, die bereits Ende 2009 abgeschlossen sein soll, soll zu jährlichen Kosteneinsparungen von 3,5 Milliarden US-$ führen.

Der Pharmakonzern Merck (in Deutschland als MSD Merck, Sharp & Dohme; nicht zu verwechseln mit dem deutschen Chemie- und Pharmaunternehmen Merck) ist u.a. auch auf dem Markt der Aids-Medikamente vertreten. Merck ist Hersteller u.a. von Crixivan® (Indinavir) und Stocrin® (Efavirenz) sowie Isentress® (Raltegravir). Auf dem Bereich Hepatitis C hat Merck die Substanz MK-7009 in klinischer Entwicklung. Aus der Erforschung von HIV-Impfstoffen hingegen war Merck im Oktober 2007 nach dem Fehlschlagen einer großen Studie mit einem experimentellen Impfstoff ausgestiegen.

Schering-Plough (in Deutschland als Essex Pharma; nicht zu verwechseln mit dem Unternehmen Schering des Bayer-Konzerns) ist u.a. Hersteller des Krebs-Medikaments Caelyx® (pegylisertes Doxorubicin, u.a. auch eingesetzt beim bei Aids auftretenden Kaposi-Sarkom). Auf dem Bereich Hepatitis ist Schering-Plough insbesondere mit PegIntron® (Interferon α2b) und Rebetol® (Ribavirin) vertreten. Auf dem Bereich HIV hat Schering-Plough den CCR5-Hemmer Vicriviroc in klinischen Studien, gegen Hepatitis C Boceprevir sowie den experimentellen HCV-Proteasehemmer SCH-900518..

Merck und Schering-Plough arbeiten bereits seit längerem bei der Vermarktung von Cholesterin-Senkern zusammen. Das fusionierte Unternehmen wolle sich auch zukünftig mit Infektionskrankheiten (Umsatzanteil 2008: 9%) wie HIV und Hepatitis beschäftigen, betonte Peter Kim, Forschungs-Chef bei Merck, während einer Analysten-Telefonkonferenz.

‚The companies’ combined pipeline will help Merck expand further in infectious disease including in Hepatitis C.“

Der Deal Merck – Schering-Plough wäre bereits die zweite Groß-Fusion auf dem Pharmamarkt im Jahr 2009 – der Pharmariese Pfizer kündigte Ende Januar 2009 an, das Biotechnologie-Unternehmen Wyeth zu übernehmen.

Weitere Informationen:
Schering-Plough 09.03.2009: Merck and Schering-Plough to Merge
Wall Street Journal: Live Blogging Merck and Schering-Plough’s Analyst Call
Merck 09.03.2009: Merck and Schering-Plough Merger Investor Presentation (pdf)
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USA: Zulassung für hitzestabiles Norvir beantragt

Der Pharmakonzern Abbott hat in den USA die Zulassung für eine neue Form des Aids-Medikaments Norvir beantragt, die hitzestabil ist und keine Kühlung mehr erfordert.

Das Aids-Medikament Norvir® ist schon seit August 1996 zugelassen. Seit vielen Jahren wird es vornehmlich nicht mehr direkt als Medikament gegen HIV eingesetzt, sondern als sog. Booster. Hier wird die Eigenschaft der Wirksubstanz Ritonavir genutzt, bestimmte Abbau-Prozesse in der Leber zu beeinflussen, um den Wirkstoff-Spiegel anderer Substanzen zu erhöhen.

Norvir-Kapseln
Norvir-Kapseln

Doch Norvir® hat u.a. in seiner derzeitigen Formulierung einen wesentlichen Nachteil – es muss gekühlt werden, da die Kapsel nicht hitzestabil ist.

Was für HIV-Positive in Industriestaaten zunächst nur wie ein ‚Komfort-Faktor‘ erscheinen mag, stellt für viele HIV-Infizierte in weniger entwickelten Staaten ein großes Problem dar. Die Notwendigkeit, Norvir® zu kühlen, stellt z.B. in vielen Staaten des südlichen Afrikas ein großes praktisches Problem dar – und hat (da die Substanz bisher der einzige verfügbare Booster ist) so alle geboosteten Therapien gegen HIV stark erschwert und Therapiechancen massiv reduziert.

Die neue Formulierung als Tablette, für die nun Ende Januar 2009 die Zulassung bei der US-Medikamentenbehörde FDA (Food and Drug Administration) sowie der Europäischen Medikamentenbehörde EMEA beantragt wurde, ist hitzestabil und erfordert keine Kühlung mehr.

Über den zukünftigen Preis des hitzestabilen Norvir® hat sich der Pharmakonzern Abbott noch nicht geäußert.  In den USA hatte die Erhöhung des Norvir®-Preises auf das Fünffache vor einigen Jahren zu starken Protesten geführt.

Allerdings befinden sich andere Booster-Substanzen in der Entwicklung, so dass die Wettbewerbs-Situation für Norvir® sich ändert und ein Ende des Norvir®-Monopols‘ naht.

weitere Informationen:
Natap: New Norvir Tablett Application Submitted to FDA by Abbott (Abbott-Pressemitteilung)
ondamaris: Ritonavir – naht das Ende des Monopols?
ondamaris: Norvir-Preis vor Gericht
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HIV in den Selbstmord treiben – scheitert neues Medikament an fehlenden Mitteln?

HIV in den Selbstmord treiben – das könnte ein sinnvoller Ansatz für neue Medikamente gegen HIV sein. Im Labor funktioniert er – in der Realität mangelt es Prof. Karin Mölling an Geld für die Weiterentwicklung.

Prof. Dr. Karin Mölling, Fellow am Wissenschaftskolleg Berlin, hat einen neuen Therapieansatz gegen HIV entwickelt. Die 65jährige Virologin leitet bis vor kurzem das Institut für Medizinische Virologie an der Universität Zürich.

Prof. Dr. Karin Mölling (Foto: Wissenschaftskolleg Berlin)
Prof. Dr. Karin Mölling (Foto: Wissenschaftskolleg Berlin)

Möllings neu entwickeltes Wirkprinzip: HIV wird vereinfacht gesagt dazu gebracht, ‚Sebstmord zu begehen‘, bevor es in der Lage ist, die Zelle eindringen zu können (vorzeitige Aktivierung des Enzyms RNase H). Ein Weg, dessen Wirksamkeit Mölling im Labor bereits nachgewiesen hat. Ihr Ansatz kann jedoch derzeit auch aufgrund fehlender Mittel nicht zu einem Medikament weiter entwickelt werden.
Mölling zu den Gründen:

„Es gibt ja bereits 15 gut funktionierende Medikamente. Da investieren weder Pharmafirmen noch gemeinnützige Unternehmen gerne in Unbekanntes.“

Karin Mölling im lesenswerten Interview der ‚Welt‘ (16.12.2008) ‚Wie man Aids-Viren in den Selbstmord treibt‘.

Ebenso wie die ‚molekulare Schere‘ geht die ‚virale Schere‚ seit einiger Zeit als neuzer Therapie-Ansatz gegen HIV durch die Presse.

Zum Thema findet am 17.12.2008 ein „Abendkolloqium“ am Wissenschaftskolleg zu Berlin statt (persönliche Einladung).

Wechselwirkungen bei HIV-Medikamenten – neue Daten

Wechselwirkungen von HIV-Medikamenten, untereinander oder mit anderen Substanzen – was heute zum ärztlichen (und Patienten-) Alltag gehört und entsprechend berücksichtigt wird, war noch vor wenigen Jahren ein Exoten-Thema.

Spätestens mit dem Aufkommen der Proteasehemmer (einer damals neuen Klasse von anti-HIV-Wirkstoffen) wurde die HIV-Therapie Mitte der 1990er Jahre erfolgreicher, aber auch komplizierter. Neue, bisher kaum bekannte Komplikationen traten auf, aufgrund der erfolgreichen Medikamente. Deren Verstoffwechselung über bestimmte Enzymsysteme der Leber (z.B. CYP3A) führte dazu, dass die Wirkstoffspiegel (und damit oftmals auch die Wirkung) zahlreicher anderer Substanzen verändert wurde, sei es intensiviert oder abgeschwächt – und in den meisten Fällen  nicht erwünscht.
Was zunächst harmlos klingt, kann gravierende Folgen haben – ein Narkosemittel z.B., das zu lange wirkt oder zu intensiv dosiert wird, kann schnell zu gravierenden, wenn nicht lebensbedrohlichen Folgen führen.

In früheren Jahren gab die Deutsche Aids-Hilfe aus purer Notwendigkeit (nämlich dem Fehlen anderer Publikationen zu diesem Themenbereich) in mehreren Ausgaben eine Publikation zu Wechselwirkungen bei HIV-Medikamenten heraus:

Wechselwirkungen bei HIV-Medikamenten (DAH 1998)
Wechselwirkungen bei HIV-Medikamenten (DAH, hier: 2. Auflage 1998)

Inzwischen ist das Thema Wechselwirkungen zunehmend komplexer geworden, viele Interaktionen lassen sich nicht mehr zweidimensional auf Papier abbilden – zeitgemäßer mag da das Internet erscheinen: auf www.hiv-wechselwirkungen.de finden interessierte vielfältige Informationen, Erläuterungen und Detailangaben zu Wechselwirkungen bei HIV-Medikamenten. International ist u.a. HIV Drug Interactions von Interesse.

Und auf vielen Kongressen und Fachtagungen wird das Thema Wechselwikungen mehr oder weniger intensiv mit behandelt.
Zahlreiche aktuelle Abgaben zu neuen Wechselwirkungen, aber auch zur Häufigkeit von deren Auftreten finden sich in einer Präsentation, die jüngst auf dem ‚9th International Congress on Drug Therapy in HIV Infection‘ gehalten wurde: Dr. SH Khoo / Drug Interactions that really matter.

Die Geschichte des Umgangs mit HIV-Wechselwirkungen ist eines der vielen Beispiele, wie sehr Aidshilfe Pionier im Medizinsystem und Gesundheitsbetrieb war und weiter sein kann:
Kaum jemand beschäftigte sich zunächst mit dem Problem, dass plötzlich bei bestimmten Medikamenten-Kombinationen unerklärlich viele Nebenwirkungen auftraten. Geschweige denn, dass es für Ärzte zugängliche aggregierte Informationen gab, oder gar für Patienten verständliche Handreichungen.

Wechselwirkungen bei HIV-Medikamenten war eines der (nicht wenigen) Handlungsfelder, bei denen Positive und Aidshilfe zu den ersten gehörten, die erkannten – und reagierten:
Die Bedeutung der Frage der Wechselwirkungen wurde zuerst auch durch HIV-Positive und ihre Organisationen erkannt und problematisiert. Und mangels verfügbarer anderer Publikationen, die die wenigen verfügbaren Informationen nutzbar zusammenfassten, reagierte Aidshilfe als erste (und lange Zeit einzige) Organisation – im Sinne des Nutzens von HIV-Positiven, und auch zum Nutzen von Ärzten und Medizinsystem. Inzwischen ist das Thema längst im medizinischen Alltag angekommen, und auch auf Kongressen, in Fachinformationen und Datenbanken – auf ihre Pionier-Rolle kann Aidshilfe auch bei diesem ‚Exoten-Thema‘ stolz sein.

Ritonavir – naht das Ende des Monopols? (akt.2)

Viele Aids-Medikamente benötigen zum Erreichen einer optimalen Wirkung einen Verstärker. Auf diesen hat der Pharmakonzern Abbott derzeit de facto ein Monopol. Doch das Ende dieses Monopols naht scheinbar.

Bei zahlreichen Medikamenten wird angestrebt, den Wirkstoff-Spiegel im Blut zu erhöhen – sei es um eine bessere Wirksamkeit zu erreichen, oder z.B. um eine einmal tägliche Dosierung zu ermöglichen. So werden (außer dem wenig verwendeten Nelfinavir) derzeit alle zugelassenen Proteasehemmer (eine Wirkstoffklasse von Aids-Medikamenten) in Kombination mit einer kleinen Dosis Ritonavir eingesetzt.

Wer derzeit den Spiegel eines (Aids-) Medikaments erhöhen möchte (‚boosten‘) ist bisher auf den einzig verfügbaren Wirkstoff, der dieses leistet, angewiesen – den Proteasehemmer Ritonavir, vom Pharmakonzern Abbott vermarktet unter dem Handelsname ‚Norvir‘ ®.

Norvir-Kapseln - bald nicht mehr der einzige Booster?
Norvir-Kapseln - bald nicht mehr der einzige Booster?

Abbott setzt diese Markt-Position auch strategisch ein: der hauseigene Proteasehemmer Lopinavir wird (unter dem Handelsnamen Kaletra®) zusammen mit Ritonavir direkt koformuliert in einer Pille vermarktet. Ein großer Marktvorteil – alle anderen Proteasehemmer (anderer Hersteller) können nicht mit Ritonavir in einer Pille koformuliert werden, erfordern vielmehr die zusätzliche Einnahme einer Kapsel Ritonavir. Zudem muss diese Kapsel gekühlt aufbewahrt werden, da eine hitzestabile Version von Ritonavir bisher weiter auf sich warten lässt.

Andere Pharmaunternehmen kritisieren zudem den hohen Preis von Ritonavir – Abbott hatte den Preis im Dezember 2003 in den USA verfünffacht (nachdem zuvor andere Norvir-Planspiele wie das völlige vom Markt nehmen verworfen wurden). Seit einiger Zeit läuft die Auseinandersetzung um den Norvir-Preis vor Gericht.

Zudem ist Ritonavir kein sehr beliebtes Medikament. Es kann zu einer Erhöhung der Blutfettwerte beitragen (die teils auch wiederum selbst behandlungsbedürftig wird). Zudem scheint Ritonavir oftmals mit eine der Ursachen für zahlreiche Verdauungsprobleme zu sein, an denen viele Positive leiden.

Doch nun könnte ein Ende des Ritonavir-Monopols nahen. Im Juli 2008 kündigte der Pharmahersteller Gilead (auch Hersteller zahlreicher Aids-Medikamente) an, das Unternehmen habe eine Substanz in Entwicklung, die ebenfalls als Booster (Wirkstoff zur Erhöhung des Plasmaspiegels anderer Substanzen) geeignet sei. Klinische Studien (Testen der Substanz am Menschen) der Phase I hätten bereits begonnen.

GS 9350 (so der Forschungsname der Substanz; Substanzname inzwischen: Cobicistat) ist eine einmal täglich einzunehmende Substanz, die zudem hitzestabil ist (und also keine Kühlung erfordert). GS 9350 wirkt nicht gegen HIV, sondern dient allein der Wirkungs-Verstärkung anderer Substanzen. Deswegen besteht die Hoffnung, dass sie auch nicht metabolische Nebenwirkungen hat. Sie soll leicht mit anderen Substanzen zusammen kombinierbar (Ko-Formulierung) sein.

Gilead dürfte mit der Entwicklung der Substanz auch eine Stärkung eigener Medikamente im Blick haben. So entwickelt Gilead derzeit einen Integrasehemmer (Elvitegravir), der -um eine einmal tägliche Dosierung zu ermöglichen- bisher mit Ritonavir kombiniert werden müsste. Ritonavir müsste das Unternehmen zukaufen, wenn es mit der eigenen Substanz in eine Pille zusammengefügt werden soll (oder der Patient in der Apotheke, und dann sogar eine höhere Pillenzahl haben). Beide Probleme würde ein eigener Booster lösen – und dazu noch zusätzliche Umsatz- und Einnahmequelle generieren.

An Koformulierungen des neuen Boosters sowohl mit Gileads neuem Integrasehemmer als auch den anderen Aids-Medikamenten von Gilead, den stark verkauften Substanzen Tenofovir und Emtricitabine sowie den Kombi-Pillen Truvada® und Atripla®, wird bereits gearbeitet, erste Studien verliefen erfolgreich.

Spekulationen der Fachpresse zufolge könnten zudem bald Abkommen mit anderen Pharmaunternehmen getroffen werden, um auch diesen eine Ko-Formulierung mit dem neuen Booster zu ermöglichen. Studien zur Kombination mit Atazanavir (einem Proteasehemmer von BMS) laufen einem Investoren-Briefing zufolge bereits.

Nachtrag 21.09.2009: die Studien mit Atazanavir haben gezeigt, dass der Wirkstoffspiegel dieser Substanz durch GS-9350 ebenso gut wie durch Ritonavir erhöht wird. Eine weitere Phase-II-Studie befindet sich in Durchführung.

Eine begrüßenswerte Entwicklung – leiden doch bisher zahlreiche Produkte anderer Unternehmen darunter, dass sie für eine bessere Wirksamkeit auf Abbots Norvir® angewiesen sind – und (im Gegensatz zum hauseigenen ‚Kaletra’®, in dem Ritonavir bereits ‚eingebaut‘ ist) auf zusätzlichen Pillen.

Wichtig wäre, dass Gilead neben der Koformulierung mit eigenen Substanzen den neuen booster auch anderen Herstellern zugänglich macht. Dies wäre ein entscheidender Schritt, der der neuen Substanz -eine vernünftige Preispolitik vorausgesetzt- das Potential eröffnen würde, eine vollwertige und attraktive Alternative zu Norvir® zu sein.

Nachtrag

14.11.2008: Neben Gilead arbeiten auch die Pharmahersteller Pfizer und Sequoia an Booster-Substanzen, die potenziell Ritonavir ersetzen könnten.
10.02.2009: poz.com: GS 9350 and SPI-452: Emerging Alternatives to Norvir Boosting
10.02.2009: aidsmap: Two novel ‘enhancer’ drugs boost protease inhibitors as much as ritonavir
natap.org Conference Report 16. CROI
projectinform 12.02.2009: Two newcomers may challenge ritonavir’s position as the only booster for HIV therapy

aidsmap 21.09.2009: GS-9350 boosts atazanavir just as well as ritonavir

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Aids-Werbung und die Realität des Lebens mit HIV

Einige Positive in Deutschland erhielten in den vergangenen Woche eine (teils von Dritten weitergeleitete) Email mit einem Angebot. 500 Euro für ein wenig Zeit und einige Fotos – für eine Aids-Anzeigen-Kampagne eines Pharmakonzerns.

Ein Beispiel, das einer der Empfänger der Mail zur Verfügung stellte :

„hallo potentielle modelle,
der xxxxxxxx ist so nett und leitet meine mail weiter.
ich bin eine freie fotografin aus xxx und habe freitag ein shooting für xxxxx xxxxx xxxx [Pharmakonzern, d.Verf.]. dafür suche ich modelle. ich würde gerne mit positiven modellen arbeiten und nicht irgendwelche modelle casten. das shooting beinhaltet ein schwarz-weiß portrait und ein bild aus eurer vergangeheit, um klarzumachen, dass das hiv medikament von xxx xxxx hilft, mit hiv und aids zu leben. das shooting findet … … … statt und wird ca. 2-3 stunden eurer zeit in anspruch nehmen. das modell sollte 25-40 jahre alt sein. die anzeige erscheint in den zielgruppenaffinen magazinen wie hinnerk, siegessäule, männer aktuell etc. als din a 4 anzeige. unter umständen werden anfang 2009 noch weitere geshootet werden. … … …. die gage wird 500 euro betragen. ich freue mich auf eure berwerbungen mit bild an post@xxxxxxxx ein bildbeispiel wie es dann aussehen soll seht ihr im anhang. liebe grüsse, die maren“

Beigefügte hatte ‚die Maren‘ der Mail noch ein Beispiel, ein Bild einer Publikums-Anzeige der Image-Kampagne des genannten Pharmakonzerns, ein hübscher, selbstverständlich gut und gesund aussehender junger Mann, vor zehn Jahren und heute. Ob es zeigt, wie es heute ist „mit HIV und Aids zu leben“, wie sie schreibt?

Das Anliegen, statt mit Modellen mit realen Patienten zu arbeiten, mag zunächst löblich erscheinen. Eine größere Authentizität, die vielleicht eher der Realität entspricht – und sicherlich dem Foto, vermutlich auch dem beworbenen Pharmakonzern zugute kommen könnte.
Doch – geht es darum wirklich?
Geht es wirklich darum, die Realität von Menschen mit HIV und Aids heute abzubilden?

Es wäre spannend zu erfahren, wie der Auftraggeber reagieren würde auf Motiv-Vorschläge für seine Anzeigen, die z.B.
– einen einst jungen gut aussehenden Mann zeigen, der nun an Lipodystrophie leidet, mit tief liegenden Augen, Falten im Gesicht, hängenden Lidern,
– oder mit einem Oberkörper voll Hautausschlägen auf dem vielleicht dennoch wohlgetrimmten Sixpack,
– oder, alternativ, mit einer massiven Fettansammlung im Bauch.
– Vielleicht auch ein Foto im Krankenhaus, nach dem Herzinfarkt, daneben seine Blutfett-Werte?

„Leben  mit HIV und Aids“ – darum geht es doch?

Die Email erlaubt einen kleinen Blick hinter das Zustandekommen einer solchen Kampagne. Und sie wirft Fragen auf.

Ob die ausgelobten 500 Euro ein fairer Preis für so viel Öffentlichkeit sind, mag jeder Empfänger der Mail für sich entscheiden. Die Ankündigung des Erscheinens „in zielgruppenaffinen Magazinen“ könnte sich nachher als Drohung erweisen …

Viel wichtiger scheint die Frage nach dem „Leben mit HIV und Aids“, zu dem Pharmakonzerne verhelfen, und der Frage, wie dieses dargestellt wird. Geht es der Photographin, geht es dem werbenden Pharmakonzern wirklich um die Realität des Lebens mit HIV? Oder nicht doch um die Form von ‚Wahrheit‘, wie sie die werbende Industrie gerne in ihren Anzeigen dargestellt hätte?
Die Lebenswirklichkeit von Menschen mit HIV und Aids interessiert hier vermutlich herzlich wenig – Ziel ist wahrscheinlich eher die manipulierte Wirklichkeit einer Werbe-‚Realität‘.

Geht es nicht auch hier eher darum, gerade ein schönes, ein beschönigendes Bild des Lebens mit HIV zu zeichnen, das unterschwellig auch signalisiert, ‚Jungs, so schlimm ist das alles gar nicht‘? ‚Da gibt’s doch was von …‘ ?
Die Email macht letztlich ein Angebot, das bei näherem Hinsehen (auf das Endprodukt) den Eindruck erwecken könnte, es gehe eher um ein (möglichst harmloses) Lifestyle-Medikament als um ein Medikament gegen Aids. Ein Beispiel mehr dafür, dass Medikamenten-Werbung (wenn auch als Image-Werbung verbrämt) Gefahr läuft zu einer Verharmlosung von HIV beizutragen. Und die Gefahr läuft, jegliche Präventions-Bemühungen durch Verharmlosung zu konterkarieren, zu gefährden.
Wie gut, dass das EU-Vorhaben der teilweisen Freigabe der Pharma-Werbung derzeit in der Warteschleife ist – möge es dort bleiben …

Nebenbei (und unabhängig vom konkreten Beispiel), derartige „Anzeigen“ sollen gelegentlich, so ist immer wieder zu hören, auch dazu genutzt werden, Pressemitteilungen oder vorgefertigte Artikel aus dem Haus des jeweiligen beworbenen Pharmakonzerns als (als redaktionell getarnten) Artikel im Heft unterzubringen. Frei nach dem Motto, wir schalten gerne bei Ihnen eine Anzeige zu dem und dem Preis – wenn Sie dann vielleicht folgenden Artikel bringen könnten? Hübsche Werbemotive sind da sicherlich hilfreich, als Dekoration für ‚Informationen‘ direkt aus der Marketing-Abteilung …

Pikant dabei, dass Auftraggeber ein Unternehmen ist, das durch eines seiner Medikamente an so manchem zerfurchten Gesicht eines Positiven nicht ganz unschuldig sein könnte. Aber das wäre ja schon zu viel Realität …

Nachtrag 29.10.2008: über Zerrbilder des Lebens mit HIV (diesmal in den Medien) berichtet koww „HIV/AIDS Betroffene müssen in das Schema der Allgemeinheit passen!?“

Roche stellt Aids-Forschung ein

Der Pharmakonzern Hoffmann-La Roche stellt die Aids-Forschung ein. Dies teilte das Unternehmen mit.

Roche sieht bei keinem seiner derzeit in Erforschung befindlichen Aids-Medikamente einen vielversprechenden Ansatz, signifikante Verbesserungen gegenüber vorhandenen Aids-Medikamenten zu erreichen. Dies gab eine Unternehmenssprecherin gestern (Freitag, 11.7.2008) bekannt. Bereits am Mittwoch hatte Roche Aids-Aktivisten in den USA über den bevorstehenden Schritt informiert.

Bisher noch verkündet der Pharmamulti auf seiner deutschsprachigen Website „Roche investiert auch weiterhin beträchtliche in die Aids-Forschung. Verfolgt werden verschiedene Projekte im Bereich der Proteasehemmer, der nichtnukleosidalen reversen Transkriptasehemmer sowie der Chemokinrezeptorenhemmer (Substanzen, die spezifische Stellen auf den CD4-Zellen blockieren und damit eine Bindung des Virus an die Zelle verhindern).“ (http://www.roche.com/DE/home/diseases/dis_hiv.htm, Stand 12.7.2008, 12:32). Doch das scheint nun veraltet zu sein.

Die derzeit in der Aids-Forschung bei Roche eingesetzten Forscher sollen anderen Aufgabenbereichen im Konzern zugeteilt werden. Roche wolle den Fokus seiner Anstrengungen auf dem Gebiet der Virologie auf Bereiche setzen, in denen nennenswerte Fortschritte erreicht werden können.

Sollte es allerdings einen wissenschaftlichen Durchbruch auf dem Gebiet der Aids-Therapien geben, würde Roche seinen derzeitigen Rückzug überdenken.

[via sf, serach.ch, aegis, ft.com]

Dass einer der weltweit größten Pharmakonzerne seine Aids-Forschung einstellt, ist eine erschreckende Nachricht. Zwar ist Roche nie mit Medikamenten auf den Markt gekommen, die einen wirklichen Durchbruch in der HIV-Therapie brachten. Und auch kaum mit Medikamenten, die im eigenen Haus entwickelt wurden (sondern meist zugekaufte Entwicklungen).
Dennoch – ein Markt, auf dem nur wenige Player engagiert sind (insbes. jetzt noch die Pharmakonzerne Bristol-Myers Squibb, Gilead und GlaxoSmithKline), wird um einen Mitspieler ärmer. Auf dem Feld der Aids-Medikamente wird es zukünftig noch weniger Wettbewerb geben als derzeit schon.

Gravierender scheint jedoch das Signal zu sein, das der Rückzug von Roche setzen könnte.
Schon auf dem Gebiet der Impfstoff-Forschung liegt die Stimmung derzeit irgendwo zwischen Resignation und Depression. Und auf dem Gebiet der Aids-Medikamente  befindet sich -nach der Zulassung einiger vielversprechender neuer Substanzen in jüngster Zeit- kein absehbarer großer Fortschritt in der Entwicklungs-Pipeline. Wenn sich nun Pharmakonzerne beginnen sollten ganz aus der Entwicklung neuer Aids-Medikamenten zurückzuziehen, könnte dies ein Signal für eine fatale Entwicklung sein.

Ob der Rückzug von Roche jetzt tatsächlich aus wissenschaftlichen oder nicht doch aus kommerziellen Erwägungen erfolgte, spielt dabei letztlich keine Rolle. Insbesondere nicht für HIV-Infizierte weltweit, die weiterhin dringend nicht nur auf bezahlbare, sondern auch innovative wirksame HIV-Medikamente angewiesen sind.

‚wie fremdes Erbrochenes‘ – Abbotts Norvir-Planspiele (akt.)

Der Pharmakonzern Abbott erwog -wie jetzt öffentlich gewordene Dokumente zeigen- 2003/2004 ernsthaft, ein wichtiges Aids-Medikament vom Markt zu nehmen – Wettbewerber hätten Marktanteile verloren, Patienten hätten in diesem Fall ein anderes Abbott-Produkt nehmen oder die ekelhaft schmeckende Saft-Alternative einnehmen müssen. Abbott hätte profitiert ….

Der Pharmakonzern Abbott hat am 4. Dezember 2003 die Erhöhung des Preis für sein Aids-Medikament ‚Norvir’® (einen Proteasehemmer) in den USA um 400% (!) angekündigt. Gegen diese Erhöhung wehrt sich u.a. eine Mitgliedsorganisation der Gruppe ‚Prescription Access Litigation‘ (PAL) mit einer Klage (siehe ‚Norvir-Preis vor Gericht‚).

Im Rahmen des Prozesses (‚Antitrust Litigation‘) sind nun auch Dokumente öffentlich geworden, die einen schon lange formulierten Vorwurf zu belegen scheinen. Abbott habe, so der Verdacht, damals als eine der Alternativen auch überlegt, Ritonavir (der Wirkstoff, der unter dem Handelsnamen ‚Norvir’® vermarktet wird) als Kapsel einfach komplett vom Markt zu nehmen (siehe ‚Gewinne Gewinne Gewinne‚) – um so Ärzte und Patienten mehr oder weniger zu zwingen, ein weiteres Produkt des Konzerns zu nehmen (statt Konkurrenz-Produkte anderer Hersteller):

Laut Prozess-Unterlagen (‚exhibit #14‘) wurde als eine Alternative die Einstellung der Norvir®-Produktion überlegt. Es wurde diskutiert „den verbleibenden Vorrat nach Afrika zu geben und die Ritonavir-Produktionsanlage zu schließen“.

Eine weitere in den damaligen Diskussionen erwogene Variante war, Norvir®-Kapseln komplett vom Markt zu nehmen („Withdrawal of Norvir Capsules“, exhibit #18), und nur noch den Saft verfügbar zu halten. Dieser Saft zeichnet sich (neben seinem Wirkstoff) durch eine Eigenschaft aus – einen Geschmack, der fast nur als ekelhaft-faulig zu bezeichnen ist (oder mit den Worten eines Abbott-Mitarbeiters als ‚wie fremdes Erbrochenes‘ schlucken zu müssen, siehe ‚exhibit #5), und der fast nicht zu übertünchen ist. Eine Eigenschaft, die den Saft letztlich keine einnehmbare Alternative zu den Kapseln sein lässt. Selbst Firmenvertretern wurde es bei Geschmackstests übel …

Und dennoch wurde als einzige Schwachstelle bei diesem Plan gesehen, dass einem „von anderen Pharmaunternehmen befeuerten Aufschrei“ durch Hinweisen auf deren Motivation begegnet werden müsse (exhibit #18). Vorteile hingegen seien, so exhibt #18, u.a. dass das Risiko von Untersuchungen seitens der Regierung anlässlich einer Preiserhöhung reduziert werden könne, zudem „it will significantly level the competitive playing field regarding convenience“ – Wettbewerber werden geschwächt.
Zielrichtung war insbesondere der Proteasehemmer Atazanavir, Handelsname ‚Reyataz’® des Wettbewerbers BMS („Reyataz würde ohne Norvir®-Boosten kaum zusätzlichen Nutzen in der Behandlung von HIV-Patienten bringen“, exhibit #39).

Die über die Abbott-Planspiele Aufschluss gebenden und nun im Prozess behandelten Unterlagen und Diskussionen sind jetzt öffentlich geworden. PAL hat einige besonders ‚interessante‘ Dokumente auf einer Internetseite frei zugänglich gemacht. Der interessierte Leser findet hier spannende und aufschlussreiche Einblicke in die Denkweise eines Pharmakonzerns, wie weit hier Patienteninteressen eine Rolle spielen, und welche Bedeutung Marktanteile und Profite haben.

Vergangenen Monat ordnete das Gericht an, einige der im Prozess gegen Abbott verwendeten Dokumente öffentlich zu machen. Abbott hatte zuvor das zu verhindern versucht mit dem Hinweis, hier ginge es um „Geschäftsstrategien“.
Der Prozess selbst wird im August 2008 fortgesetzt.

Nachtrag 05.09.2008: wie PAL berichtet, haben sich die Prozessbeteiligten in einem weiteren Schritt auf einen Einigungsvorschlag verständigt, der u.a. Zahlungen von Abbott in Höhe von 10 bis 27,5 Mio. US-$ vorsieht. Die konkrete Höhe wird u.a. vom Urteilsspruch abhängen.

Warum mag Abbott diese ‚Denkmodelle‘ erwogen haben?
Norvir® ist nicht ‘irgendein’ Proteasehemmer. Das Medikament wird vielmehr auch benötigt, um den Wirkstoffspiegel anderer Medikamente anzuheben, so dass diese dadurch erst ihre optimale Wirksamkeit erreichen (sog. Boosten). Diese Medikamente werden jedoch von anderen Unternehmen hergestellt. Wäre Norvir® komplett oder auch nur als Kapsel vom Markt genommen worden, hätte dies drastische Auswirkungen darauf gehabt, ob und in welchen seltenen Fällen die anderen Medikamente überhaupt noch hätten angewendet werden können. Stattdessen hätten Ärzte und Patienten beinahe zwangsläufig auf ein anderes Produkt des Pharmakonzerns Abbott (in dem der Wirkstoff von Norvir® mit eingebaut ist) ausweichen müssen.

Norvir® Kapseln vom Markt nehmen – das würde im Ergebnis bedeuten ’sollen die Patienten doch ekelhaftest schmeckenden Saft trinken müssen, Hauptsache wir können unsere Wettbewerbsposition verbessern‘.
Beweggrund war dabei der Marktanteil, und „anxious investor calls“ (exhibit #29)- es ging um den Profit. Auch bei der schließlich in den USA realisierten Preiserhöhung auf das Fünffache- teureres Norvir® mache es für Wettbewerber unattraktiver, neu konkurrierende Medikamente auf den Markt zu bringen, so die Hoffnung (exhibit #49).

Der Pharmakonzern Abbott scheint eh nicht zimperlich im Durchsetzen eigener kommerzieller Interessen. So hatte Abbott angedroht, Thailand nicht mehr mit neuen Medikamenten zu beliefern, nachdem das Land (in dem eine hohe Zahl HIV-Positiver lebt), entsprechend geltenden Regelungen angekündigt hatte, eine günstigere generische Version eines Abbott-Aids-Medikaments herzustellen oder zu importieren. Abbott klagte gegen ACT UP, nachdem die Aids-Aktionsgruppe in diesem Zusammenhang zu einem Internet-Protest aufgerufen hatte.

Die neuen Dokumente aus dem Prozess gegen Abbott machen nun einmal mehr nachvollziehbar, warum einige sich die Frage stellen, ob es überhaupt noch vertretbar ist, mit dem ein oder anderen Unternehmen Kontakt zu pflegen, gar Geld anzunehmen.
„Auch mal deutlich nein sagen …“, dass dies eine Alternative sein kann, zeigte jüngst die Münchner Aids-Hilfe.

Hinweis: Norvir® ist eine eigetragene Marke von Abbott, Reyataz® eine eingetragene Marke von BMS

Brasilien: … faca com camisinha

„Mach was du willst, aber mach es mit Kondom“ – so lautet das Motto einer neuen Aids-Präventionskampagne in Brasilien.

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(c) Foto: Ministério da Saúde, Brasilien

„Mach was du willst, aber mach es mit Kondom“ – mit dieser Kampagne wendet sich das brasilianische Gesundheitsministerium an Männer die Sex mit Männern haben (MSM) sowie an Transvestiten. Insbesondere junge Männer zwischen 13 und 19 Jahren sollen erreicht werden – hier liegen die HIV-Infektionsraten besonders hoch.

Klaus Hart berichtet in seinem Blog ‚Brasilientexte‘ über die neue Präventionskampagne und insbesondere auch über die Situation zwischen boomender Homo-Szene und gleichzeitig grassierender Homophobie.

“Bei Morden an Schwulen liegt Brasilien weiterhin an der Spitze“, zitiert Hart einen brasilianischen Schwulenaktivisten, „durchschnittlich jeden zweiten Tag wird einer umgebracht, keine andere Minderheit wird so abgewertet, so diskriminiert. Wir leben noch in einer heterosexistischen Gesellschaft, Änderungen sind nur auf sehr lange Frist vorstellbar.“
Jede Veränderung der Situation, jede Aids-Prävention müsse auch eine Bekämpfung der Homosexuellenfeindlichkeit in Brasilien beinhalten, so Toni Reis, Präsident der Brasilianischen Assoziation der Gays, Lesben, Bisexuellen, Transvestiten und Transsexuellen(ABGLT).

Die Aids-Politik Brasiliens gilt international als beispielhaft.
Brasilien geht u.a. seit vielen Jahren auch spannende Wege in der Versorgung der HIV-Infizierten des Landes mit Medikamenten (siehe „Patienten, Patente und Profite„). Eine eigene Generika-Produktion wurde aufgebaut. Generische Versionen wichtiger Aids-Medikamente werden im Land hergestellt. Mit der realen Möglichkeit der Produktion von Generika wurden Pharmakonzerne zu Preis-Zugeständnissen gebracht. Inzwischen konnte ein sehr hoher Versorgungs- und Behandlungsstandard erreicht werden. Mehrere hunderttausend brasilianische HIV-Positive werden erfolgreich antiretroviral behandelt.

ein schweizer Meilenstein

Der „erste Salon Wilhelmstrasse“ stand unter dem Titel “Positiv und negativ : Wie leben HIV-diskordante Paare heute?”. Ein thematisch breit besetztes Podium diskutierte unter Moderation von Holger Wicht über Chancen und Risiken des Statements der Eidgenössischen Aids-Kommission “keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“. Ein Bericht.

Roger Staub, BAG SchweizRoger Staub, Leiter der Sektion Aids im Schweizer Bundesamt für Gesundheit und Mitgründer der Aidshilfe Schweiz, skizzierte nochmals die wesentlichen Punkte des (im übrigen in der Kommission einstimmig zustande gekommenen) EKAF-Statements und betonte dabei, unter den dort genannten Bedingungen sei die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung „viel kleiner als 1 : 100.000“.
Staub betonte, der Fortschritt des Statements der EKAF liege vor allem auch darin, dieses Konzept jetzt auch zitier- und öffentlich verwendbar gemacht zu haben. Eine Zitierbarkeit, die wie später nochmals deutlich wurde, weit über den medizinischen Bereich hinaus ragt – gerade Gerichte und Verteidiger von HIV-Positiven benötigen zitierfähige Belege dafür, dass die Beurteilung der Infektiosität sich unter bestimmten Umständen verändert hat.
Der oft geäußerten Kritik, ob man das denn überhaupt und jetzt sagen dürfe, ob das Statement notwendig gewesen sei, entgegnete Staub „wenn es heute zu früh ist, wann ist es denn dann an der Zeit?“ Das Wissen um die Situation sei seit langer Zeit bekannt, werde von Ärzten verwendet, nun müsse man ehrlich an die Öffentlichkeit gehen. Es habe genügend Gelegenheit gegeben, dem Statement entgegen stehende Fälle zu publizieren.

Dr. Gute, FrankfurtDr. Gute ist ein HIV-Behandler aus Frankfurt. Er behandelt u.a. den Positiven, der gerade dabei ist als ‚Frankfurt patient‘ in die HIV-Diskussion einzugehen. Dieser lebt seit Jahren in einer sexuell monogamen Beziehung mit seinem HIV-infizierten und erfolgreich therapierten Partner. Dennoch hat eine HIV-Übertragung stattgefunden, wie mit phylogenetischen Untersuchungen gezeigt wurde zwischen den beiden Beteiligten (nicht mit einem etwaigen Dritten). Der Fall soll in den nächsten Wochen in einer virologischen Fachzeitschrift publiziert werden.
Dr. Gute betonte, auch er schätze das Risiko einer HIV-Übertragung durch einen erfolgreich therapierten HIV-Positiven (bei Abwesenheit von STDs) als „sehr sehr niedrig“ ein, aber es sei eben nicht ’null‘, wie gerade dieser Fall zeige.
Staub betonte in einer Replik, der Frankfurter Fall zeige nichts. Das EKAF-Statement gehe ja davon aus, dass genau solche Fälle nicht ausgeschlossen seien (wohl aber ihr Risiko drastisch reduziert sei). An der Gültigkeit des Statements der EKAF ändere dieser Fall nichts.

Prof. Martin DanneckerWarum sind die Reaktionen auf das Statement der EKAF und die potenziellen Folgen für die Situation der Positiven so heftig? Endlich sei in Fachkreisen schon länger bekanntes ‚Herrschaftswissen‘ veröffentlicht worden, betonte Prof. Martin Dannecker. Er wies darauf hin, dass die Menschen bisher gewohnt seien, HIV-Positive als Opfer wahrzunehmen. Und „aus dieser Rolle entlässt man eben niemanden gerne“.
In den vergangenen Jahren sei zudem nie thematisiert worden sei, dass es eben um „safer“ Sex (mit dem „r“) gehe – die auch bei Kondomen bestehende Unsicherheit sei ein tabuisiertes Thema, das nun jedoch wieder ans Tageslicht komme.

Für wen und in welchen Situationen könnte das EKAF-Statement anwendbar sein? Diese Frage beschäftigt derzeit viele. Dannecker kritisierte hierzu die „Engführung der Diskussion auf Paare“. Die Folgen des EKAF-Statements seien verhandelbar zwischen halbwegs vernunftbegabten Menschen – und nicht nur in sexuell monogamen Partnerschaften.
Dannecker monierte eine aus dem Statement der EKAF sprechende Einmischung der Medizin. Dass ein Kondomverzicht erst nach intensiver Beratung Beider durch den Arzt erwogen werden könne, bringe ein Mißtrauen des Arztes dem Patienten gegenüber zum Ausdruck, zudem sei dies ein unzulässiger Eingriff in das Binnenverhältnis des Paares.
Zukünftig, so Dannecker, könne es zu einem „paradoxen Sexualisieren“ kommen – im Vergleich zu einem vermeintlich HIV-Negativen mit all den Risiken negativen Serosortings könnte der HIV-Positive, der erfolgreich therapiert ist, zu einem attraktiven Sex-Partner werden.

Die Deutsche Aids-Hilfe hat bisher in den Diskussionen um das Statement der EKAF noch nicht Position bezogen, bemüht sich um eine noch in Erarbeitung befindliche gemeinsame Stellungnahme mit Robert-Koch-Institut (RKI) und Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).
Bernd Aretz Er sei erstaunt und erzürnt über den Umgang der Aidshilfe mit der aktuellen Situation, stieg Bernd Aretz in die Beleuchtung der Reaktion der Aidshilfen ein. Es scheine „verloren gegangen [zu sein], dass wir nicht die Regierung sind“. Die Aidshilfe sei ein politischer Verband, doch wo vertrete er derzeit die Interessen der HIV-Positiven?
Auch Martin Dannecker kritisierte, dass die Deutsche Aids-Hilfe immer noch nicht Position bezogen habe. Stehe dahinter die Angst um die staatlichen Mittel, an deren Tropf man zu hängen glaube?

Die Podiumsdiskussion sowie die anschließenden Fragen und Beiträge aus dem Publikum machte deutlich, das das EKAF-Statement sich als ein Meilenstein in der Geschichte von Aids erweisen könnte – ein Meilenstein, der Hoffnungen, aber auch Ängste auslöst.

Die Diskussion zeigte die Bruchlinien, um die herum sich die Diskussionen derzeit bewegen. Bruchlinien, die auch in Symposien und Veranstaltungen der folgenden Tage diskutiert wurden und die Diskussionen der kommenden Wochen bestimmen werden. Bruchlinien, die Etiketten tragen wie ‚Null Risiko oder Risiko-Minimierung?‘, ‚Frankfurt patient‘ oder ’neue Wege in der Prävention‘.

Im Verlauf der Diskussionen konnte man den Eindruck gewinnen, die DAH sei ein wenig gefangen – und verliere hierüber vielleicht ihre Fähigkeit, eine eigenständige Position zu finden und auch nach außen zu vertreten. Gefangen nicht nur in ihrem Gefühl, es ihren Auftrag- und Geldgebern ‚recht machen‘ zu wollen, sondern auch in ihrem Bemühen, mit allen Beteiligten (RKI, BZgA) zu einem Konsens-Paper zu kommen. Vielleicht hätte man mehr Mut zu eigener Position gefunden, wäre bereits bekannt gewesen, dass die BZgA diesen Konsens zu dem Zeitpunkt schon aufgekündigt, eine eigene BZgA-Presseerklärung vorbereitet hatte, die am nächsten Tag herausgegeben wurde.

hochpreisige Pillen (akt.)

Nur wenige HIV-Patienten kennen die Preise der Medikamente, die sie u.U. einnehmen. Politikum Medikamenten-Preise – im Gegensatz zu anderen Staaten meist nicht hierzulande.
Als Versicherter der Gesetzlichen Krankenversicherung erfährt ein Patient kaum einmal den Preis der Pillen – Apotheken rechnen die Rezepte direkt mit der Kasse ab.

Zur Information hier einige beispielhafte Preise von Aids-Medikamenten (Stand 01/2008):

Handelsname Dosis Tbl/ Preis AVK Preis/ Tages- Preis Preis
Pckg. Einheit dosis Tag Jahresdosis
Pis
Aptivus 250mg/Kps 120 970,43 € 8,09 € 4 32,35 € 11.806,90 €
Crixivan 400mg/Kps 180 372,54 € 2,07 € 4 8,28 € 3.021,71 €
Invirase 500mg/Kps 120 576,53 € 4,80 € 4 19,22 € 7.014,45 €
Norvir 100mg/Kps 336 619,54 € 1,84 € 1 1,84 € 673,01 €
Prezista 300mg/Tbl 120 867,14 € 7,23 € 4 28,90 € 10.550,20 €
Reyataz 150mg/Kps 60 711,50 € 11,86 € 2 23,72 € 8.656,58 €
Telzir 700mg/Tbl 60 578,39 € 9,64 € 2 19,28 € 7.037,08 €
NRTIs
Emtriva 200mg/Kps 30 300,42 € 10,01 € 1 10,01 € 3.655,11 €
Epivir 300mg/Tbl 30 300,42 € 10,01 € 1 10,01 € 3.655,11 €
Retrovir 250mg/Kps 40 226,18 € 5,65 € 2 11,31 € 4.127,79 €
Videx 400mg/Kps 60 673,52 € 11,23 € 1 11,23 € 4.097,25 €
Viread 245mg/Tbl 30 478,30 € 15,94 € 1 15,94 € 5.819,32 €
Zerit 245mg/Kps 56 281,60 € 5,03 € 2 10,06 € 3.670,86 €
Ziagen 300mg/Tbl 60 452,97 € 7,55 € 2 15,10 € 5.511,14 €
NNRTIs
Sustiva 600mg/Tbl 30 420,26 € 14,01 € 1 14,01 € 5.113,16 €
Viramune 200mg/Tbl 60 437,04 € 7,28 € 2 14,57 € 5.317,32 €
Viramune 200mg/Tbl 120 855,46 € 7,13 € 2 14,26 € 5.204,05 €
Sonstige
Celsentri 150mg/Tbl. 60 1.101,00 € 18,35 € 2 36,70 € 13.395,50 €
Isentress 400mg/Tbl 60 1.062,03 € 17,70 2 35,40 € 12.921,37 €
Fuzeon 100mg/Amp 60 2.032,04 € 33,87 € 2 67,73 € 24.723,15 €
Kombi-Med.
Atripla 300/200/600mg/Tbl 1
Combivir 150/300mg/Tbl 60 634,91 10,58 € 2 21,16 € 7.724,74 €
Kivexa 300/600mg/Tbl 30 722,93 24,10 € 1 24,10 € 8.795,65 €
Trizivir 150/300/300mg/Tbl 60 1141,65 19,03 € 2 38,06 € 13.890,08 €
Truvada 300/200mg/Tbl 30 769,07 25,64 € 1 25,64 € 9.357,02 €
Kaletra 200/50mg/Tbl 120 773,27 6,44 € 4 25,78 € 9.408,12 €

Anmerkungen:
alle Handelsnamen eingetragene Warenzeichen
Tagesdosis: angegeben nur häufig verwendete Dosierungen, ggf. erforderliche RTV-Boosterung, hier nicht genannt. KEINE Dosisempfehlungen!
Ritonavir: angegebener Preis Jahresdosis bei Verwendung als Booster 1x 100mg (nicht als eigenständiger PI)

Die oben genannten Packungs-Preise (Preis AVK; AVK = Apotheken-Verkaufspreis) gelten für jeweils ein Medikament. Wichtiger als die Packungspreise sind für Preisvergleiche die Preise pro üblicher Tagesdosis sowie die Jahres-Therapiekosten:

Ein HIV-Positiver nimmt üblicherweise eine Kombination aus drei oder mehr Wirkstoffen (die manchmal in einer Pille kombiniert sein können).

Dabei können sich jährliche Therapiekosten in ganz anderen Dimensionen ergeben – 15.000 Euro ca.-Jahres-Therapiekosten sind schnell erreicht:

Aids-Medikamente Beispiele ca-Jahres-Therapiekosten
In diesem Beispiel möglicher jährlicher Therapiekosten sind die Kosten für Begleit-Medikationen noch nicht berücksichtigt.

Und werden besonders hochpreisige Medikamente eingesetzt (wie z.B. bei vielen vorhandenen Resistenzen und Fuzeon-Therapie), können die Kosten weitaus höher werden …

Pillen-Geschäfte

Besonders mit Aids-Medikamenten lassen sich – allen Klagen der Pharmakonzerne über restriktive Gesundheitspolitik in westlichen Industriestaaten sowie Patent- und Preis-Problemen in ‚Entwicklungsländern‘ zum Trotz – gute Geschäfte machen.
Patente sind immer noch gut für Profite

Die Aktivisten von TAG haben jüngst zusammen gestellt, welche Umsätze Pharmakonzerne weltweit mit ihren Aids-Medikamenten machen. Eine aufschlussreiche Liste:

Umsatz AIDS-Medikamente weltweit 2006

[ Quelle: TAGline September 2007 (pdf)]

Von guten Geschäften mit Aids-Medikamenten zeugen auch ergänzende Meldungen:
– Mit dem jüngst nach Produktionsproblemen zurück gerufenen Nelfinavir (Viracept) erzielte Pharmamulti Roche noch 2006 einen Umsatz von 164 Mio. sFr.
– Und Trimeris, der Entwickler des HIV-Fusionshemmers Enfuvirtide (Handelsname Fuzeon, vermarktet vom Pharmakonzern Roche) gab jüngst bekannt, der Netto-Umsatz mit dem Medikament sei insgesamt im ersten Halbjahr 2007 um 12,1% auf 126,3 Mio. US-$ gestiegen. Außerhalb der USA und Kanadas steig der Umsatz dabei mit 18,2% (auf 64,1 Mio. US-$) besonders deutlich.

Auch zum Welt-Aids-Tag sollte nicht vergessen werden, Aids-Medikamente sind für die Hersteller zuerst auch – ein gutes Geschäft.

Aber auch die ersten Generika-Hersteller geraten in die Kritik: dem indischen Pharma-Konzern Cipla wird vorgeworfen, generische Versionen von Aids-Medikamenten in Indien zu einem überhöhten Preis zu verkaufen.

Norvir-Preis vor Gericht

Der Pharmakonzern Abbott sieht sich vor Gericht gezerrt. In den USA wird gegen den Konzern geklagt, der 2003 den Preis für Norvir in den USA verfünffacht hatte.

Im Jahr 2003 erhöhte der Pharmakonzern Abbott den Preis für sein Aids-Medikament Norvir. Doch es folgte nicht eine ’normale‘ Preiserhöhung – der Pharmakonzern verfünffachte den Preis direkt (siehe Bericht „Gewinne Gewinne Gewinne„).

Nun ist Norvir nicht ‚irgendein‘ Proteasehemmer. Das Medikament wird vielmehr auch benötigt, um den Wirkstoffspiegel anderer Medikamente anzuheben, so dass diese dadurch erst ihre optimale Wirksamkeit erreichen (sog. Boosten).
Die Preiserhöhung, die Abbott damals in den USA durchsetzte, traf somit direkt auch zahlreiche Wettbewerber des Konzerns, die Norvir als Bosster für ihre Produkte benötigten. Kleine Petitesse dabei: Abbott hat selbst auch einen weiteren Proteasehemmer auf dem Markt, der ebenfalls mit Norvir geboostet wird (Lopinavir, Handelsname Kaletra). Dieser war natürlich von der wundersamen Verfünffachung nicht betroffen …

Gegen diese Preiserhöhung des Konzerns wenden sich nun in den USA vier große Apotheken-Ketten sowie ein Medikamenten-Großhändler. Sie haben gegen Abbott Klage erhoben (siehe Wall-Street-Journal vom 30.10.2007). Der Großhandelspreis von Norvir sei in den USA durch die Erhöhung von 51,30$ auf 257,10$ für 30 Kapseln à 100mg gestiegen. Damit missbrauche Abbott seine Monopolstellung.

Vorher hatten bereits zwei Patienten gegen Abbott Klage erhoben. Nun hat sich Anfang November auch der Pharmakonzern Glaxo dieser Klage angeschlossen (siehe Bericht Wall-Street-Journal vom 9.11.2007). Die Norvir-Preiserhöhung untergrabe die Marktposition des Glaxo-Proteasehemmers Fosamprenavir (Handelsnamen Lexiva, Telzir).

Abbott kommentierte die Klagen mit „this frivolous lawsuite is completely without merrit“.

Pillen-Preise

Der Preis neu zugelassener Medikamente, in den USA inzwischen ein auch bei Patienten diskutierter Faktor, ist in Europa bisher kaum Thema. Ein Zustand, der sich in Zukunft auch in Europa ändern dürfte, schon angesichts zunehmend steigender Medikamenten-Kosten auch in der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland. Ein Beispiel aus den USA.

Die Preise für Medikamente interessieren hierzulande bisher kaum einen Patienten oder Aktivisten. Sicher, die in den am wenigsten wirtschaftlich entwickelten und meist von Aids am stärksten betroffenen Staaten der Welt verlangten Preise sind inzwischen ein viel diskutiertes Politikum. Aber was die Medikamente in Europa kosten? Kaum ein Diskussionsthema bisher, auch nicht in den betroffenen Communities, bei Patienten oder Aktivisten.

Dies ist anders in den USA, wie das Beispiel eines jüngst zugelassenen Medikaments zeigt. Bereits vor der Zulassung führten Community-Organisationen umfangreiche Gespräche mit dem Hersteller über den zu erwartenden Preis für das Medikament – in den USA.

Erst jüngst wurde in den USA der Integrasehemmer Raltegravir (Handelsname USA: Isentress; Zulassung in der EU wird erwartet) zugelassen. Der Preis der Tagesdosis: 27 US-$.

US-Aktivisten zeigten sich nach der Zulassung enttäuscht angesichts des Preises. Raltegravir habe bisher in Studien selbst höchste Erwartungen erfüllt und sei das vielleicht am stärksten wirksame der bisher zugelassenen Aids-Medikamente, so Martin Delaney, Gründer von Project Inform.
Doch er habe nach den Preis-Gesprächen, die Community-Vertreter der Fair-Price-Coalition (nach zahlreichen Community-internen Gesprächen) mit Hersteller Merck geführt hatten, einen niedrigeren Preis erwartet. Er habe gehofft, Merck würde dem Crixivan-Beispiel folgen – der Konzern hatte den Preis dieses PIs damals deutlich niedriger festgesetzt als Wettbewerbsprodukte, während Raltegravir nun an der oberen Preisgrenze vergleichbarer Medikamente liege.

Immerhin sei Merck, so Delaney, nicht der Versuchung erlegen, noch höhere Preise zu verlangen. Wettbewerber Pfizer habe den Preis des ebenfalls jüngst zugelassenen Selzentry noch 2$ pro Tag höher angesetzt.
Project Inform forderte Merck auf, nun zumindest den Preis (in den USA) für drei Jahre einzufrieren. Ebenfalls solle der Konzern zusagen den Preis zu senken, sobald die Zulassung auch auf bisher unbehandelte Positive ausgeweitet werde. Project Inform wolle in Gesprächen mit Merck versuchen zu erreichen, dass das neue Medikament allen Positiven verfügbar werde, die es benötigen.

Ist Aids ein schlechtes Geschäft?

Eine Reihe schlechter Nachrichten treffen in den letzten Wochen den Aids-Bereich – weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, auch der schwulen, der positiven.

Da wird nicht nur die Entwicklung eines nebenwirkungsärmeren Injektionsgeräts für Fuzeon eingestellt.
Vielmehr erwies sich ein hoffnungsvolles Mikrobizid als wirkungslos in einer Phase III Studie, und machte damit erneut Hoffnungen auf eine leicht anwendbare Präventionsmöglichkeit für Frauen zunichte.
Und heute melden die Medien, dass der Pharmakonzern Merck die Aids-Impfstoff-Forschung eingestellt hat. Ausgerechnet der weltweit mit den meisten Hoffnungen verbundene experimentelle HIV-Impfstoff zeigte keinerlei Wirkung (im Gegenteil, die Infektionsrate war höher als bei Plazebo). Forscher sprechen vom bisher schwersten Rückschlag für die Forschung an einem dringend benötigten Impfstoff gegen HIV.

Neben wissenschaftlichen Gründen dürften, so wird spekuliert, wohl auch kommerzielle Erwägungen eine Rolle gespielt haben. Impfstoff-Forschung bei Aids sei, so SpON „ohne Aussicht auf Profit“.

Besonders eindringlich zeigen diese jüngsten Beispiele noch einmal, wie problematisch es ist, dass wir uns bei der Forschung im Gesundheitsbereich (und insbesondere auch bei Aids) weitestgehend auf die Pharma-Industrie verlassen.
Die hat nun einmal -zunächst legitimerweise- kommerzielle Interessen, will Geld verdienen, eine angemessene (manchmal auch: überzogene) Rendite des eingesetzten Kapitals erwirtschaften.

Das Resultat ist dann allerdings potenziell auch, dass nur in Forschung für Medikamente und Therapien investiert wird, bei denen sich auch entsprechend viel Geld verdienen lässt. Verspricht eine Krankheit, eine Region, eine Menschengruppe ein ’schlechtes Geschäft‘, wird eben nicht geforscht, gibt es eben keine neuen Therapien.

Patienten, Patente und Profite werden immer mehr zu einem problematischen ‚Dreigestirn‘. Gesundheit statt Gold – Gesundheitsforschung sollte wieder mehr als ein öffentliches Gut betrachtet werden, fordern zahlreiche Experten inzwischen.

Die Frage, ob wir wieder mehr Forschung unabhängig von kommerziellen Interessen brauchen, drängt sich geradezu auf …