UNO Generalversammlung zu HIV/Aids

Am 10. und 11. Juni 2008 findet in New York eine Sondersitzung der Generalversammlung der Vereinten Nationen zum Thema HIV/Aids statt.

Die ‚United Nations General Assembly Special Session on HIV/ AIDS‘ wird auf der Website der UN teilweise live übertragen. Einige der Sitzungen, die bereits stattgefunden haben, sind zudem auf den Seiten der UN archiviert (http://www.un.org/webcast/2008.html), unter anderem die Eröffnungssitzung sowie die Pressekonferenz (u.a. mit Dr. Anthony Fauci).

Auf der UN-Sondersitzung forderte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon Reisefreiheit für HIV-Infizierte. In über 70 Staaten der Welt bestehen immer noch Beschränkungen oder Einreiseverbote für HIV-Positive.

Ethik-Konferenz – Anmeldeschluß naht

Vom 19. bis 21. Juni 2008 findet in Frankfurt die Konferenz „HIV / Aids Ethische Pespektiven“ statt.

Für die Konferenz steht ein begrenztes Kontingent an Community-Karten (Übernachtung im DZ) zur Verfügung – Anmeldeschluss hierfür ist der 20. Mai!

Weitere Informationen auf www.ethikkonferenz.de (dort auch online-Anmeldung auch für Community-Karten möglich).

diese Zeiten sind für immer vorbei?

In den (nein, in wenigen, leider) Kinos läuft derzeit ein bemerkenswerter Film. „Johan„, ein schon im Sommer 1975 entstandener quasidokumentarischer Spielfilm, 1996 im französischen Filmarchiv wiederentdeckt, und erst 2008 in deutschen Kinos.

Regisseur Philippe Valois erzählt die Geschichte von Johan, der Hauptfigur des Films. Nur, Johan sitzt im Knast – und bleibt den gesamten Film lang unsichtbar. Stattdessen sucht der Regisseur Ersatz, an allen Orten die das schwule Leben im Paris Mitte der siebziger Jahre zu bieten hatte, in Saunen und Bars, bei Freunden und Feinden von Johan.

Entstanden ungefähr zeitgleich mit ‚La cage aux folles‘ (‚Ein Käfig voller Narren‘), ist dieser Film doch das ganze Gegenteil – ein Paradebeispiel eines schwulen Lebensstils noch vor der Industrialisierung des Sex, vor geklonten Pseudo-Freiheiten.
Und er zeigt dabei ein Leben weit in Zeiten vor Aids, ein Leben, das sich so mancher meiner Freunde und Bekannten, die ihr Coming Out erst später, erst in den Jahren schon mit HIV hatten, kaum vorstellen kann.

Ein Film voll, so die Besprechung im Berliner schwulen Stadtmagazin ‚Siegessäule‘ (Ausgabe März 2008), voll „offen und schuldlos gelebter Sexualität“.
Der Rezensent schließt an, dieser Film sei ein Dokument, wohl wahr.
Ein Dokument, so der gleiche Rezensent weiter, „aus einer Welt, die keine zehn Jahre später durch Aids unwiederbringlich verloren war, für immer.“

Ich stutzte, irgend etwas rebelliert spontan in mir. Noch einmal lesen. Genau.

Ja, diese Welt war nur wenige Jahre später verloren, diese Welt einer unschuldigen, naiven und hemmungslosen Sexualität. In diesem Punkt empfinde ich ähnlich wie der Rezensent.

Aber – warum dieses apodiktische „für immer“?

Warum diese Schere im Kopf? Warum diese freiwillige Kastrierung eigener Hoffnungen?

Ist es nicht vorstellbar, dass es auch wieder eine Zeit ohne HIV, ohne Aids gibt? Oder eine Zeit, in der HIV ’nur‘ irgendeine weitere dieser lästigen, aber letztlich behandelbaren sexuell übertragbaren Infektionen ist? Und nicht mehr die potenziell tödliche Bedrohung?

Warum keine Visionen? Und wenn sie derzeit vielleicht auch als Utopien erscheinen mögen?

Ich will diese Hoffnung nicht aufgeben …
… diese Hoffnung auf eine Heilung
… diese Hoffnung auf eine neue Zeit ohne HIV und Aids

„Wer keinen Mit zu träumen hat, hat keine Kraft zu kämpfen“

ein schweizer Meilenstein

Der „erste Salon Wilhelmstrasse“ stand unter dem Titel “Positiv und negativ : Wie leben HIV-diskordante Paare heute?”. Ein thematisch breit besetztes Podium diskutierte unter Moderation von Holger Wicht über Chancen und Risiken des Statements der Eidgenössischen Aids-Kommission “keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“. Ein Bericht.

Roger Staub, BAG SchweizRoger Staub, Leiter der Sektion Aids im Schweizer Bundesamt für Gesundheit und Mitgründer der Aidshilfe Schweiz, skizzierte nochmals die wesentlichen Punkte des (im übrigen in der Kommission einstimmig zustande gekommenen) EKAF-Statements und betonte dabei, unter den dort genannten Bedingungen sei die Wahrscheinlichkeit einer HIV-Übertragung „viel kleiner als 1 : 100.000“.
Staub betonte, der Fortschritt des Statements der EKAF liege vor allem auch darin, dieses Konzept jetzt auch zitier- und öffentlich verwendbar gemacht zu haben. Eine Zitierbarkeit, die wie später nochmals deutlich wurde, weit über den medizinischen Bereich hinaus ragt – gerade Gerichte und Verteidiger von HIV-Positiven benötigen zitierfähige Belege dafür, dass die Beurteilung der Infektiosität sich unter bestimmten Umständen verändert hat.
Der oft geäußerten Kritik, ob man das denn überhaupt und jetzt sagen dürfe, ob das Statement notwendig gewesen sei, entgegnete Staub „wenn es heute zu früh ist, wann ist es denn dann an der Zeit?“ Das Wissen um die Situation sei seit langer Zeit bekannt, werde von Ärzten verwendet, nun müsse man ehrlich an die Öffentlichkeit gehen. Es habe genügend Gelegenheit gegeben, dem Statement entgegen stehende Fälle zu publizieren.

Dr. Gute, FrankfurtDr. Gute ist ein HIV-Behandler aus Frankfurt. Er behandelt u.a. den Positiven, der gerade dabei ist als ‚Frankfurt patient‘ in die HIV-Diskussion einzugehen. Dieser lebt seit Jahren in einer sexuell monogamen Beziehung mit seinem HIV-infizierten und erfolgreich therapierten Partner. Dennoch hat eine HIV-Übertragung stattgefunden, wie mit phylogenetischen Untersuchungen gezeigt wurde zwischen den beiden Beteiligten (nicht mit einem etwaigen Dritten). Der Fall soll in den nächsten Wochen in einer virologischen Fachzeitschrift publiziert werden.
Dr. Gute betonte, auch er schätze das Risiko einer HIV-Übertragung durch einen erfolgreich therapierten HIV-Positiven (bei Abwesenheit von STDs) als „sehr sehr niedrig“ ein, aber es sei eben nicht ’null‘, wie gerade dieser Fall zeige.
Staub betonte in einer Replik, der Frankfurter Fall zeige nichts. Das EKAF-Statement gehe ja davon aus, dass genau solche Fälle nicht ausgeschlossen seien (wohl aber ihr Risiko drastisch reduziert sei). An der Gültigkeit des Statements der EKAF ändere dieser Fall nichts.

Prof. Martin DanneckerWarum sind die Reaktionen auf das Statement der EKAF und die potenziellen Folgen für die Situation der Positiven so heftig? Endlich sei in Fachkreisen schon länger bekanntes ‚Herrschaftswissen‘ veröffentlicht worden, betonte Prof. Martin Dannecker. Er wies darauf hin, dass die Menschen bisher gewohnt seien, HIV-Positive als Opfer wahrzunehmen. Und „aus dieser Rolle entlässt man eben niemanden gerne“.
In den vergangenen Jahren sei zudem nie thematisiert worden sei, dass es eben um „safer“ Sex (mit dem „r“) gehe – die auch bei Kondomen bestehende Unsicherheit sei ein tabuisiertes Thema, das nun jedoch wieder ans Tageslicht komme.

Für wen und in welchen Situationen könnte das EKAF-Statement anwendbar sein? Diese Frage beschäftigt derzeit viele. Dannecker kritisierte hierzu die „Engführung der Diskussion auf Paare“. Die Folgen des EKAF-Statements seien verhandelbar zwischen halbwegs vernunftbegabten Menschen – und nicht nur in sexuell monogamen Partnerschaften.
Dannecker monierte eine aus dem Statement der EKAF sprechende Einmischung der Medizin. Dass ein Kondomverzicht erst nach intensiver Beratung Beider durch den Arzt erwogen werden könne, bringe ein Mißtrauen des Arztes dem Patienten gegenüber zum Ausdruck, zudem sei dies ein unzulässiger Eingriff in das Binnenverhältnis des Paares.
Zukünftig, so Dannecker, könne es zu einem „paradoxen Sexualisieren“ kommen – im Vergleich zu einem vermeintlich HIV-Negativen mit all den Risiken negativen Serosortings könnte der HIV-Positive, der erfolgreich therapiert ist, zu einem attraktiven Sex-Partner werden.

Die Deutsche Aids-Hilfe hat bisher in den Diskussionen um das Statement der EKAF noch nicht Position bezogen, bemüht sich um eine noch in Erarbeitung befindliche gemeinsame Stellungnahme mit Robert-Koch-Institut (RKI) und Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA).
Bernd Aretz Er sei erstaunt und erzürnt über den Umgang der Aidshilfe mit der aktuellen Situation, stieg Bernd Aretz in die Beleuchtung der Reaktion der Aidshilfen ein. Es scheine „verloren gegangen [zu sein], dass wir nicht die Regierung sind“. Die Aidshilfe sei ein politischer Verband, doch wo vertrete er derzeit die Interessen der HIV-Positiven?
Auch Martin Dannecker kritisierte, dass die Deutsche Aids-Hilfe immer noch nicht Position bezogen habe. Stehe dahinter die Angst um die staatlichen Mittel, an deren Tropf man zu hängen glaube?

Die Podiumsdiskussion sowie die anschließenden Fragen und Beiträge aus dem Publikum machte deutlich, das das EKAF-Statement sich als ein Meilenstein in der Geschichte von Aids erweisen könnte – ein Meilenstein, der Hoffnungen, aber auch Ängste auslöst.

Die Diskussion zeigte die Bruchlinien, um die herum sich die Diskussionen derzeit bewegen. Bruchlinien, die auch in Symposien und Veranstaltungen der folgenden Tage diskutiert wurden und die Diskussionen der kommenden Wochen bestimmen werden. Bruchlinien, die Etiketten tragen wie ‚Null Risiko oder Risiko-Minimierung?‘, ‚Frankfurt patient‘ oder ’neue Wege in der Prävention‘.

Im Verlauf der Diskussionen konnte man den Eindruck gewinnen, die DAH sei ein wenig gefangen – und verliere hierüber vielleicht ihre Fähigkeit, eine eigenständige Position zu finden und auch nach außen zu vertreten. Gefangen nicht nur in ihrem Gefühl, es ihren Auftrag- und Geldgebern ‚recht machen‘ zu wollen, sondern auch in ihrem Bemühen, mit allen Beteiligten (RKI, BZgA) zu einem Konsens-Paper zu kommen. Vielleicht hätte man mehr Mut zu eigener Position gefunden, wäre bereits bekannt gewesen, dass die BZgA diesen Konsens zu dem Zeitpunkt schon aufgekündigt, eine eigene BZgA-Presseerklärung vorbereitet hatte, die am nächsten Tag herausgegeben wurde.

vorwärts nimmer, rückwärts immer? (akt.)

Die Schweizer Aids-Kommission EKAF hat mit ihrer Stellungnahme in Sachen Infektiosität bei wirksamer anti-HIV-Therapie breite Diskussionen ausgelöst. Inzwischen liegt auch eine Stellungnahme deutscher Organisationen vor.

Am 26. Februar trafen sich in Berlin in den Räumen der Deutschen Aidshilfe Vertreter unter anderem der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, des Robert-Koch-Instituts und der Deutschen Aidshilfe. Am Tag des Treffens wurde eine vorher vorbereitete Stellungnahme verabschiedet und veröffentlicht.
Eine weitere Stellungnahme, die sich detaillierter mit dem Statement der EKAF auseinandersetzt, soll als Ergebnis ihres Treffens in den nächsten Tagen folgen.

Schon der Titel der gemeinsamen Presseerklärung soll ganz offensichtlich zeigen, wo es langgehen soll: . „Die bewährten Präventionsbotschaften zum Schutz vor HIV/Aids gelten nach wie vor“, so lautet der Titel.

„Safer Sex, also Kondomnutzung“ sei weiterhin „die zentrale Botschaft“. Alles andere sei „kontrovers diskutiert“, „nur unter vom Arzt kontrollierten Bedingungen“. Für Männer die Sex mit Männern haben, gebe es „keine vergleichbaren Daten“. Man befürchte ein Verstehen „fälschlich als Entwarnung“.

Erste Positivenvertreter drücken bereits kurz nach Erscheinen der Pressemitteilung ihr Entsetzen aus und fordern zu Protestbriefen auf.

Die Pressemitteilung setzt safer Sex und Kondombenutzung gleich. Fast provokativ, als deutlichen Ausdruck eines beherzten „so aber nicht“ könnte man das nach den Veröffentlichungen aus der Schweiz verstehen.
Eine Gleichstellung (safer Sex = Kondombenutzung), als habe es die Studien, die Stellungnahme der EKAF nicht gegeben. Kaum ein Wort davon, dass zusätzlich zur Benutzung von Kondomen unter bestimmten Umständen auch andere Möglichkeiten des safer sex bestehen könnten. Nicht der geringste Anschein davon, mit der Situation (die ja längst ‚draußen‘, bei den Menschen vor Ort ist) kreativ präventiv umzugehen. Kein Wort von Information, informierter Entscheidung, Risikomanagement.

Noch einen Tag zuvor (am 25.2.) hatte eine BZgA-Vertreterin erklärt „Die durch die EKAF-Veröffentlichung angeregte Diskussion ist tatsächlich für einen Teil der Betroffenen relevant und dies sollte auf gar keinen Fall in den aktuellen Diskussionen vernachlässigt werden“ (in einem Blog-Kommentar auf welt-aids-tag.de hier). Abgesehen davon, dass EKAF für alle Positiven relevant ist (mit wohl unterschiedlichen Konsequenzen), ist von diesem „auf keinen Fall vernachlässigen“ schon einen Tag später offensichtlich keine Rede mehr.

Im Gegenteil, munter wird an einem Rollback gestrickt. „Die allgemeine Gefährdungslage ist grundsätzlich unverändert …“ heißt es in der Pressemitteilung pikanterweise bei dem Versuch, die Situation von HIV in Deutschland zu beschreiben – fast als hätte Bundesinnenministerium eine Terrorwarnung herausgegeben.

Eine Pressemitteilung, bei der zudem die Frage auf die Zunge kommt, ob es die selbe Deutsche Aidshilfe ist, die diese Rede (‚Betroffene zu Beteiligten machen‚) gehalten hat und die nun diese Pressemitteilung mit unterzeichnet.

Viele Menschen mit HIV werden angesichts dieser Pressemitteilung vermutlich fassungslos reagieren. Nicht nur, dass sie, ihre Situation in der Pressemitteilung mit keinem Wort erwähnt werden. Nein, nur wenig verhohlen scheint wieder durch der Gedanke „ach, hätten die doch weiter geschwiegen“, denn dann wäre die Präventionswelt ja noch heil.

Nun wissen wir also, wo die Damen und Herren RKI, BzGA und wohl auch DAH weiter langgehen wollen: auf breit ausgetretenen Wegen, ja nichts Neues wagen. Hoffentlich wachen sie nicht irgendwann überrascht, schockiert vor kondomisierten Gemüsen auf, die sich dennoch mit HIV infiziert haben …

Wie die Deutsche Aidshilfe nun noch auf den Gedanken kommen kann, sie sei eine Interessenvertretung der Menschen mit HIV und Aids, erscheint grotesk. Ihr Verhalten wird die DAH wohl manchem Positiven erklären müssen, soll Czajkas Rede nicht als vereinzeltes Irrlicht erscheinen, das schnellstens wieder gelöscht wurde.
Und Positive sollten sich Gedanken machen, wer denn ihre Interessen vertritt .
..

„Die bewährten Präventionsbotschaften zum Schutz vor HIV/Aids gelten nach wie vor“
gemeinsame Pressemitteilung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, des Robert-Koch-Instituts und der Deutschen Aids-Hilfe vom 26. Februar 2008 (als pdf hier)

Nachtrag 03.03.2008: am 14.3. wird es zu einem weiteren Treffen kommen, bei dem laut DAH um „einen Entwurf einer ‚deutschen‘ Erweiterung der Präventionsbotschaften“ gehen soll.

Kurznachrichten 08.02.2008

In den Niederlanden würden 78% der Wähler einen schwulen Ministerpräsidenten akzeptieren, meldet pinknews. Ob sich Herr W. aus B. jetzt Hoffnungen für seine eigene Karriereplanung macht?

Keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs“ – diese Meldung hat auch die deutschen Institutionen aufgeschreckt. Prof. Kurth, Leider des Robert-Koch-Instituts (RKI) kommentiert dazu gestern in der Ärztezeitung (zitiert aus der SZ), „eine staatliche Empfehlung zum Verzicht auf Kondome können wir nicht geben“. Erstaunliche Antwort, denn um eine derartige „Empfehlung“ ging es bisher auch nie. Sondern um die Aussage, dass Positive in bestimmten Konstellationen nicht (mehr) infektiös sein könnten.

Die Rückkehr-Möglichkeiten in die gesetzliche und private Krankenversicherung, die die Bundesregierung geschaffen hat, scheinen noch nicht auszureichen – oder nicht genügend bekannt zu sein. Die SZ weist darauf hin, dass in Deutschland 200.000 Menschen ohne Krankenversicherung sind.

Aufgrund der Brandkatastrophe in Ludwigshafen verschiebt die ARD den ‚Tatort‘ „Schatten der Angst“. Stattdessen wird Sonntag in Wiederholung der Tatort „Roter Tod“ mit Ulrike Folkerts als ‚Lena Odenthal‘ ausgestrahlt, der das Thema Blutkonserven und HIV behandelt.

Last not least: in wenigen Tagen beginnt in den USA die National Condom Week. Dieses Jahr mit großem Jubiläum – 1978 (lange vor Aids) wurde sie von Studenten der University of California- Berkeley ‚erfunden‘. Ihr britischer ‚Ableger‘ (der zu einem anderen, wechselnden Termin stattfindet) wird inzwischen von einem Kondomhersteller gesponsort. Na dann, “ don’t be silly, protect your willy“ …

Kurznachrichten 07.02.2008

„HIV-Arztpraxen fürchten das aus“, titelte der Berliner ‚Tagesspiegel‘ gestern. Berliner Ärzte befürchten eine deutliche Verschlechterung der Behandlungsqualität für HIV-Positive, da ihre Sondervergütungen gekürzt worden seien (bisher nur von der Berliner AOK) und diese zudem nur noch für Berliner Patienten gezahlt würden. Wieder einmal alles eine Frage des Geldes … ob die K3A-Studie im Kontext ärztlicher Honorarvereinbarungen steht?
Die dahinter stehenden strukturellen Probleme sind hinlänglich bekannt, z.B. aus der Ansiedlung von Wirtschaftsbetrieben im Umland von Großstädten. Strukturelle Probleme, die sicher auch einer Lösung bedürfen – Probleme jedoch, deren Leidtragende nicht Patienten, hier HIV-Positive sein können.

Das gerade auch in Deutschland ja sehr beliebte Reiseland Ägypten tut sich derzeit besonders in Sachen Diskriminierung HIV-Positiver hervor, berichtet pinknews über eine Serie von Verhaftungen von ägyptischen Bürgern, bei denen zudem teils unfreiwillig HIV-Tests gemacht wurden. Human Rights Watch protestiert.

Homophobie hat freies Fahrwasser„, weist ‚der Standard‘ auf den Plakatwettbewerb gegen Homophobie im Fußball hin, der anlässlich der EM 2008 in Wien veranstaltet wird. „2008: Endlich schwuler kicken …
In Köln finden 2010 die VIII. Gay Games statt. Schwulissimo berichtet über einen gewonnenen Großsponsor.

Last not least, „Fiskus scannt 100.000 Webseiten am Tag“, informiert die FAZ. Natürlich um ‚unternehmerische Tätigkeiten‘ zu finden, bei denen sich Steuern kassieren ließen. Wie gut, dass ich im Gegensatz zu einigen anderen Mit-Bloggern der Blog-Parade ruhigen Herzens beim Bloggen sagen kann: keine finanziellen Interessen…

Kurznachrichten 06.02.2008

Das Arbeitsgericht Hamburg urteilt „AGG muss richtlinienkonform ausgelegt werden“ – auch kirchliche Arbeitgeber können nicht unter Verweis auf ihr kirchliches Selbstbestimmungsrecht grenzenlos gegen das AGG (früher Anti-Diskriminirungs-Gesetz) verstoßen.

„Polizei jagt fiesen Aids-Mann“ – so titelte ein Kölner ‚Boulevard-Blatt‘ noch gestern, heute ist die Schlagzeile immerhin in „Er infizierte seine Chat-Liebe mit Aids“ geändert … reicht eine Schlagzeile der ersten Art schon für den Presserat? Man kann auch sachlicher informieren …

Um Informationen bemüht sich auch ein kanadisches Präventions-Projekt, um Informationen über sexuell übertragbare Krankheiten wie Chlamydien, Lymphgranulom (LGV), Shigellose und Syphilis. Unter anderem mit einem sehenswerten Clip – ‚Syphilis – Der Film‘ sozusagen … (durchklicken grand public -> Syphilis -> Vidéo, Film mit englischem und französischem Ton).

Der US-Pharmakonzern Gilead könnte in den USA bedeutende Patente auf seine Substanz Tenofovir verlieren. Das ‚Patent Office‘ der USA hat Gilead vier bedeutende Patente auf die Substanz aberkannt. Tenofovir wird von Gilead unter dem Handelsnamen Viread vermarktet, die Substanz ist auch in den Kombi-Pillen Truvada und Atripla enthalten. Sollte die Berufung von Gilead gegen die Entscheidung scheitern und der Konzern diese Patente verlieren, könnten evtl. weitere Unternehmen die Substanz herstellen. Zudem, so betonte Ärzte ohne Grenzen, könnte die Entscheidung Einfluss auf die Patentierbarkeit der Substanz in Staaten wie Indien und Brasilien haben, in denen dringend weitere bezahlbare Aids-Medikamente benötigt werden.

sexuelle Gesundheit Berlin 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

Welche Entwicklungen zeichnen sich zum Thema sexuelle Gesundheit in Berlin ab? Welche Konsequenzen könnten erforderlich werden? Einige Ideen:

Die Zahl der Menschen, die insgesamt in Berlin mit HIV leben, wird auch in den kommenden Jahren weiter steigen.
Neben der Zahl an HIV-Neuinfektionen wird der Zuwachs sich schon daraus ergeben, dass Menschen mit HIV aufgrund verbesserter Therapien durchschnittlich länger leben. Zudem verlegen HIV-Infizierte aus anderen Regionen Deutschlands ihren Wohnsitz nach Berlin, da hier die Lebens- und oft auch Versorgungssituation für HIV-Infizierte als besser empfunden wird.

Zudem wird das durchschnittliche Alter der HIV-Positiven, die in Berlin leben, weiter ansteigen – schon aufgrund der durch bessere medikamentöse Therapie gesteigerten Lebenserwartung. Zudem infizieren sich zunehmend auch Menschen in höherem Lebensalter mit HIV.

Neben HIV treten für die Frage sexueller Gesundheit bei Männern, die Sex mit Männern haben, auch weitere sexuell übertragbare Infektionen wieder mehr in den Vordergrund – sowohl für HIV-positive als auch HIV-negative Männer. Gerade auch angesichts jüngster Stellungnahmen, die betonen es liege ‚keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs‚ vor, kommt Information und Testangeboten zu sexuell übertragbaren Erkrankungen eine starke Bedeutung zu.

Diese und weitere Veränderungen werden Auswirkungen auf das System der öffentlichen Gesundheit in Berlin haben, aber auch auf die jeweiligen Szenen (die z.B. auf eine zunehmende Zahl älterer Menschen teils kaum vorbereitet scheinen).

Eine rein auf HIV/Aids-Prävention ausgerichtete Präventions- und allg. Gesundheitspolitik in Berlin könnte den sich verändernden Rahmenbedingungen schon bald nicht mehr gerecht werden. Die Prävention sexuell übertragbarer Infektionen und generell das Thema reproduktive Gesundheit könnte größere Aufmerksamkeit erfordern. Zudem wird angesichts des höheren Lebensalters bei Menschen mit HIV auch die Frage anderer Erkrankungen (wie Krebs) zunehmend Bedeutung gewinnen.

Es müssen ausreichend niedrigschwellige, anonyme und kostenlose Untersuchungsmöglichkeiten (neben HIV gerade auch auf Syphilis) zur Verfügung stehen.
Auch das RKI kommt in der Auswertung der KABaSTI-Studie ((Quelle: Ergebnisse der KABaSTI-Studie, in Epidemiologisches Bulletin Nr. 23/2007)) zu dem Schluss, der öffentliche Gesundheitsdienst solle „vor allem in Großstädten seine Beratungs- und Testangebote für HIV und STI stärker auf besonders vulnerable Bevölkerungsgruppen fokussieren und nach Möglichkeit versuchen, durch seine Angebote Zugangsbarrieren zu reduzieren – in Zusammenarbeit mit Selbsthilfegruppen besonders betroffener Bevölkerungsgruppen … Ein solches Angebot sollte möglichst kostenlos, anonym und mehrsprachig sein“. Derzeitige Einschränkungen im Öffentlichen Gesundheitsdienst und den Aids- und STI-Beratungsangeboten dürften hier eher kontraproduktiv wirken.

Konsequenzen kann aber auch jeder schwul lebende Mann, jeder Mann der Sex mit Männern hat, ziehen: ‚man‘ sollte überlegen, sich auf die wichtigsten sexuell übertragbaren Infektionen (besonders auch Syphilis) sowie auf Hepatitis C regelmäßig untersuchen zu lassen – sie sollten möglichst zur Routine-Untersuchung (’schwuler Gesundheits-Check‘) gehören. Wo möglich (Hepatitis B!) sollte eine Impfung erwogen werden.

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Dieser Artikel ist Teil der Serie „Sexuelle Gesundheit in Berlin“:
Intro
Teil 1: HIV / Aids in Berlin
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

sexuelle Gesundheit in Berlin 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln (akt.)

Berlin ist die gemessen an der Einwohnerzahl größte Stadt Deutschlands. Zudem hat Berlin schon immer besonders auch eine hohe Anziehungskraft für Bevölkerungsgruppen gehabt, die u.a. auch einer hohen Gefahr ausgesetzt sind, sich mit HIV zu infizieren (wie z.B. drogengebrauchende Menschen oder Schwule).

Vergleich HIV-Fälle MSM Berlin Hamburg KölnSchon aus diesen beiden Gründen ist es wenig überraschend, dass Berlin die Stadt mit der höchsten Zahl an HIV-positiven Einwohnern im Bundesvergleich ist.

Allein in Berlin leben etwa 10.400 der insgesamt ca. 59.000 deutschen HIV-Positiven – was heißt, dass ca. 18 % der Positiven Deutschlands in Berlin leben. Der Bevölkerungsanteil Berlins ( 3,4 Mio. Einwohner) an der gesamten BRD (82,3 Mio.) beträgt 4,1 %. Selbst wenn man einen ‚Großstadt-Faktor‘ in Ansatz bringt, ist der Anteil der Positiven, die in der Hauptstadt leben, als sehr hoch (wesentlich höher als nach Bevölkerungsanteil zu erwarten) zu bezeichnen. Dass Berlin Lebensqualität und Attraktivität gerade auch für Menschen mit HIV hat, findet sicherlich auch in diesen Zahlen Ausdruck.

Diese Zahlen zeigen zugleich, dass die absoluten Zahlen und ihre Entwicklung in den letzten Jahren nur bedingt aussagefähig für einen Städtevergleich sind. Aussagefähiger für Entwicklungen sind relative Zahlen, die z.B. Anhaltspunkte dafür geben, welche Bevölkerungsanteile sich jeweils mit HIV infiziert haben.

Genau dies leistet die Inzidenz. Die Inzidenz gibt an, bei wie vielen Menschen pro 100.000 Einwohner innerhalb eines Jahres in einer Stadt neu HIV (bzw. eine andere Infektionskrankheit) diagnostiziert wurde.
Vergleich HIV Inzidenz Berlin Hamburg KölnVergleicht man die gemeldeten HIV-Fälle bei MSM in der Form der Inzidenzen, sieht das Bild ganz anders aus: die Grafik (nebenstehend) verdeutlicht, dass die HIV-Inzidenz unter MSM in Berlin im Jahr 2005 einen Scheitelpunkt erreicht hat und seitdem dort verharrt bzw. leicht sinkt, 2007 jedoch wieder ansteigt. Die Inzidenz in Hamburg steigt in den vergangenen Jahren kontinuierlich an und hat 2006 beinahe Berliner Niveau erreicht. Die Inzidenz in Köln hingegen ist in den vergangenen Jahren kontinuierlich über dem Berliner Niveau und zudem von 2004 bis 2006 deutlich angestiegen.

Vergleich Hepatitis C Inzidenz Berlin Hamburg KölnBei den gemeldeten Hepatitis-C-Fällen bei Männern zeigt sich ein anderes Bild. Die Hepatitis-C-Inzidenz bei Männern ist in Hamburg auf sehr niedrigem Niveau annähernd konstant. Die Inzidenz für Berlin scheint 2004 einen Scheitelpunkt erreicht zu haben, sinkt seitdem leicht. Die Inzidenz für Köln hingegen pendelt stark und ist im vergangenen Jahr deutlich angestiegen (wegen des sehr hohen Wertes für Köln im Jahr 2001 Darstellung erst ab 2002). Daten ausschließlich für MSM sind leider nicht abrufbar.

Vergleich Syphilis MSM Berlin Hamburg KölnEin wiederum leicht anderes Bild bietet die Zahl der gemeldeten Syphilis-Fälle bei MSM. In Hamburg hat die Syphilis-Inzidenz bei MSM 2003 einen Scheitelpunkt erreicht und sinkt seitdem bis 2006 leicht, um 2007 erneut anzusteigen. Berlin verharrt seit 2003 auf annähernd gleich hohem Niveau mit deutlich sinkenden Werten für 2007. Die Syphilis-Inzidenz für MSM in Köln hingegen hat den Berliner Wert seit dem Jahr 2003 übertroffen und verharrt auf hohem Niveau, mit für 2007 ebenfalls sinkenden Werten.

Insgesamt zeichnen die Zahlen zu den Inzidenzen von HIV-Neudiagnosen bei MSM, gemeldeten Hepatitis-C-Fällen bei Männern und Syphilis-Fällen bei MSM ein vielfältiges Bild.
Eine Aussage lässt sich jedoch sicher treffen: wäre Berlin der ‚Sündenpfuhl‘, als der es gerne von interessierter Seite deklariert wird, wäre zu vermuten dass diese Zahlen anders aussehen. Um die sexuelle Gesundheit von MSM scheint es in Berlin zumindest im Vergleich mit Hamburg und Köln nicht so schlecht bestellt zu sein. Sicher ist vieles verbesserungsfähig – ‚Bad Bareback‘ jedoch muss offensichtlich woanders liegen …

Quelle aller Daten: Robert Koch-Institut: Datenabfrage SurvStat, http://www3.rki.de/SurvStat, Datenstand: 04.02.2008

Update 04.02.2008: Aktualisierung auf Stand der Datenabfrage 04.02.2008

Dieser Artikel ist Teil der Serie „Sexuelle Gesundheit in Berlin“:
Intro
Teil 1: HIV / Aids in Berlin
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

Endlich spricht jemand das aus …

Zur Stellungnahme der Schweizer “Eidgenössische Kommission für Aidsfragen” (EKAF) zur Frage der Infektiosität bei wirksamer antiretroviraler Therapie (siehe gestriger Beitrag „keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie„) im Folgenden als Dokumentation ein Kommentar von Bernd Aretz, Aids-Hilfe Offenbach:

Endlich spricht hier jemand das aus, was seit Jahren hinter den geschlossenen Türen der Ordinationsräume in vielen Praxen kommuniziert wird. Als ein Mann, der als Betroffener seit 1984 in Aids-Hilfe auf allen Ebenen engagiert ist, weiß ich das nicht nur aus meiner eigenen Erfahrung sondern aus dem Alltag unserer Beratungsstelle sowie Gesprächen mit kaum zu zählenden HIV-infizierten Frauen und Männern. Das bisherige öffentliche Schweigen hat die Prävention erschwert. Da gefühlsmäßig die Gefahr bei den wissenden Positiven verortet wird, hat sich im schwulen Leben die Unsitte des negativen Serosortings breitgemacht. Da suchen Männer für flüchtige Begegnungen Männer, die angeben, negativ zu sein und begeben sich damit genau in die Bereiche, in der es aufgrund der hohen Infektiosität während der Primoinfektion besonders gefährlich ist. Der offene Umgang mit der Infektion wurde erschwert, weil Positive, wenn sie ihren Status offen kommunizieren, in einem erheblichen Masse mit Ablehnung als potentielle Sexualpartner rechnen müssen. Verlogenheiten, Depressionen, übermäßiger Konsum von Alkohol sind eine häufige Folge. Die Chance, die Compliance zu erhöhen wird leichtfertig verspielt. Die Verheißung, mit Partnern in der Lebensbeziehung angstfrei verkehren zu können, kann die Motivation zum Test und zur Behandlung erhöhen.

Durch das Auseinanderfallen von Beratung im Arztzimmer, den persönlichen Erfahrungen Betroffener und dem öffentlichen Diskurs verliert die Prävention insgesamt an Glaubwürdigkeit, auch soweit es um andere STDs geht. Das bisherige Schweigen ist nicht unschuldig, weil es der ungerechtfertigten Strafverfolgung wirksam Behandelter Vorschub geleistet hat.

Was das Gefühl, als gefährlich wahrgenommen zu werden und im Interesse einer breiten Prävention als Angstgegner funktionalisiert zu werden, mit den Seelen machen kann und wie es in diskordante Partnerschaften einwirken kann, liegt auf der Hand.

Selbst wenn auch unter guter Therapie ein theoretisches Restrisiko verbleiben sollte, so steht doch fest, das dies statistisch irrelevant ist, gemessen an den Schäden, die das Verschweigen verursacht.

Danke und Respekt also an die EKAF und Herrn Prof. Vernazza für ihre offenen Stellungnahmen.

Bernd Aretz

Aids-Hilfe Offenbach

© Bernd Aretz

sexuelle Gesundheit in Berlin 1: HIV / Aids in Berlin (akt.)

Ende des Jahres 2007 lebten ca. 10.400 Menschen mit HIV in Berlin, davon 9.500 Männer, 900 Frauen und 30 Kinder. Etwa 8.000 der 10.400 Berliner HIV-Positiven gehören zur Gruppe der Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), ca. 1.200 sind DrogengebraucherInnen, etwa 450 stammen aus sog. Hochprävalenz-Regionen und ca. 700 haben sich über heterosexuelle Kontakte infiziert. ((Quelle: „HIV/AIDS in Berlin – Eckdaten“, Epidemiologische Kurzinformation des Robert-Koch-Instituts, Stand Ende 2007))

Etwa 250 in Berlin lebende Menschen erkrankten 2007 neu an Aids, 210 davon Männer. Etwa 100 HIV-Infizierte verstarben 2007 in Berlin. ((Quelle: „HIV/AIDS in Berlin – Eckdaten“, Epidemiologische Kurzinformation des Robert-Koch-Instituts, Stand Ende 2007))

Die Gesamtzahl der HIV-Infizierten in Berlin seit Beginn der HIV-Epidemie beträgt ca. 14.700. Etwa 6.300 von ihnen sind seit Beginn der Epidemie an Aids erkrankt; etwa 4.300 an den Folgen von Aids verstorben. ((Quelle: „HIV/AIDS in Berlin – Eckdaten“, Epidemiologische Kurzinformation des Robert-Koch-Instituts, Stand Ende 2007))

gemeldete HIV-Fälle Berlin 2001 - 2007Die Gesamtzahl der gemeldeten HIV-Fälle in Berlin liegt nach einem Anstieg von 2001 bis 2004 seit einigen Jahren auf nahezu gleichbleibendem Niveau. Bei den Zahlen für 2007 (derzeitiger Datenstand 4.2.2008) ist zu berücksichtigen, dass noch Nachmeldungen erfolgen werden, die endgültigen Zahlen also etwas höher als hier dargestellt liegen könnten.

Wichtig bei allen Zahlen: dargestellt wird für den Diagnose-Zeitraum, nicht den Infektions-, Erkrankungs- oder Melde-Zeitraum.

Wie verteilen sich diese Gesamtzahlen der HIV-Infektionen in Berlin auf die einzelnen ‚Risikogruppen‘?

Risikogruppe 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007
unbek. 38 35 59 46 39 46 40
Blut 0 0 0 0 0 0 0
hetero 14 25 21 33 35 42 28
iv Drogen 11 10 5 5 4 4 5
MSM 124 136 203 264 282 272 301
MTCT 1 2 0 3 3 0 0
Hochpräv. 12 17 22 18 26 26 15
gesamt 200 225 310 369 389 390 389

Tab.1 gemeldete HIV-Fälle Berlin nach Risikogruppen ((Quelle (auch für alle im weiteren verwendeten Zahlen): Robert Koch-Institut: SurvStat, http://www3.rki.de/SurvStat, Datenstand: 04.02.2008))

gemeldete HIV-Fälle Berlin 2001 - 2007 nach Risikogruppen relativ Bei der Analyse der Anteile, die die einzelnen Infektionswege an der Gesamtzahl der für Berlin gemeldeten Fälle haben (siehe nebenstehende Grafik), fällt auf, dass der Anteil des Infektionsweg „Männer die Sex mit Männern haben“ (MSM; in der Grafik brauner Bereich der Säulen) im letzten Jahr anstieg. 2007 betrug der Anteil der MSM an den gesamten gemeldeten HIV-Fällen in Berlin 77% (2006: 70%; 2005: 72,5%, 2004: 71,5%).
Der Anteil der durch iv-Drogengebrauch übertragenen HIV-Infektionen hingegen ist seit Jahren auf einem niedrigen Niveau.

In welchem Alter infizieren sich Menschen mit HIV? Die RKI-Daten beantworten diese Frage nicht (sie bilden nicht Infektionen, sondern Meldungen von Diagnosen ab) – sie geben aber Aufschluss darüber, in welchem Lebensalter Menschen sind, deren HIV-Infektionen gemeldet werden.

gemeldete HIV-Fälle Berlin 2001-2007 nach Altersgruppen relativgemeldete HIV-Fälle MSM Berlin 2001-2007 nach Altersgruppen relativNoch 2001 stellte die Gruppe der 30-39jährigen (in beiden Grafiken Säulenbereich hellblau) den mit Abstand größten Anteil der gemeldeten HIV-Fälle (Grafik links: 53,5% bei allen Fällen ; Grafik rechts: 56,5% bei MSM).
Seitdem hat der Anteil der Altersgruppe 40 bis 49 Jahre deutlich zugelegt (2001: 15,5% alle, MSM 14,5%, 2007: 26,5% alle, MSM 24,6%), gesunken ist der Anteil der Altersgruppe 30-39 (2001: 53,5% alle, MSM 56,5%, 2007: 32,1% alle, MSM 34,9%). Die Altersgruppe 21-29 Jahre (in beiden Grafiken gelber und unterer grüner Bereich) stieg von 18,5% (alle) bzw. 20,1% (MSM) im Jahr 2001 auf 26,2% (alle) bzw. 26,6% (MSM) im Jahr 2007.

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Etwa 59.000 Menschen leben Ende 2007 in Deutschland mit HIV. Circa 10.400 von ihnen allein in Berlin – damit hat die Stadt einen Anteil von 17,6%. An der Gesamtbevölkerung der BRD von 2,35 Mio. hat Berlin mit 3,404 Mio. Einwohnern (beides Ende 2006) nur einen Anteil von 4,13%.
Das bedeutet, dass in Berlin über das Vierfache der aufgrund des Bevölkerungsanteils zu erwartenden Zahl an HIV-Positiven lebt.
Den größten Anteil der jährlich gemeldeten neuen HIV-Fälle stellen mit deutlich über 70% Männer die Sex mit Männern haben. Allein 30% der HIV-Fälle bei MSM werden bei Männern in der Altersgruppe der 40- bis 49Jährigen diagnostiziert. Gleichzeitig steigt der Anteil der Diagnosen in der Altersgruppe der 21- bis 29Jährigen.

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Aktualisierung 04.02.2008: Daten aktualisiert auf Abfrage-Stand 04.02.2008

Dieser Artikel ist Teil der Serie „Sexuelle Gesundheit in Berlin“:
Intro
Teil 1: HIV / Aids in Berlin
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

sexuelle Gesundheit in Berlin

Berlin ist die Stadt in Deutschland mit den meisten Menschen mit HIV-Infektion. Auch über Wellen von Syphilis- oder Hepatitis-C-Infektionen in Berlin wird hin und wieder berichtet. Andererseits ist Berlin bekannt für seine auch in sexueller Hinsicht breite und variantenreiche Bandbreite an Möglichkeiten – und auch Zielort diversen Fremdenverkehrs, der auch eben diese sexuellen Freiheizten sucht.

Wie sieht es aus mit der sexuellen Gesundheit in Berlin, insbesondere für Männer, die Sex mit Männern haben?
Ist Berlin wirklich „Bad Bareback“, wie einige schwule Touristen gerne kolportieren? Und wie sieht es mit den (gesundheitlichen) Konsequenzen aus?

Ab morgen unternehme ich in einer kleinen Reihe Versuche einer Annäherung an das Thema sexuelle Gesundheit schwuler Männer in Berlin. Dabei geht es zunächst darum, als Diskussionsgrundlage die Fakten soweit bekannt zusammenzustellen.

Wie viele Menschen haben sich in Berlin mit HIV infiziert? Wie viele sind an Aids erkrankt? Welche Gruppen sind am stärksten vertreten?
Teil 1: HIV / Aids in Berlin

Wie viele Menschen infizieren sich in Berlin jährlich neu mit HIV? Aus welchen Gruppen? Was könnten Gründe für steigende Infektionszahlen in einigen Gruppen sein?
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin

Wie hat sich die Zahl der Syphilis-Infektionen in Berlin in den letzten Jahren entwickelt? Und wie die der Fälle von Hepatitis C?
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin

Ist Berlin wirklich ‚der Sündenpfuhl der Republik? Wie steht Berlin beim Thema sexuelle Gesundheit da im Vergleich zu anderen Metropolen?
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln

Lassen sich aus den Zahlen und Analysen Anhaltspunkte finden, wie sich die zukünftige Situation entwickeln, welche Anforderungen potenziell
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

Dieser Artikel ist Teil der Serie „Sexuelle Gesundheit in Berlin“:
Intro
Teil 1: HIV / Aids in Berlin
Teil 2: HIV-Neuinfektionen in Berlin
Teil 3: Syphilis in Berlin
Teil 4: Hepatitis C in Berlin
Teil 5: Berlin im Vergleich mit Hamburg und Köln
Teil 6: Ausblick und mögliche Konsequenzen

Nebenbei, das Thema ’sexuelle Gesundheit‘ umfasst selbstverständlich mehr als die wenigen hier behandelten Themen (die z.B. ‚F‘ wie Filzläuse, Feigwarzen bis ‚T‘ wie Tripper umfassen). Allerdings ist gerade die ortsspezifische Datenlage hier wesentlich schwieriger, so dass ich mich im ersten Angang auf diese Themen beschränkt habe.


Welt-Aids-Tag: neuer Queen-Song gratis

Zum ersten Mal seit zehn Jahren bringt Queen einen neuen Song heraus, aus Anlass des Welt-Aids-Tags. Und – der neue Song steht auf der Website der Gruppe zum gratis Download unentgeltlich zur Verfügung.

Freddy Mercury wäre heute schon 61 – wenn er nicht am 24. November 1991 an den Folgen von Aids verstorben wäre.
Seit 1997 spielen Queen wieder zusammen, 1998 kam ihre bis dato letzte Neu-Einspielung „No-One But You“ auf den Markt.
Die Band hat nun zusammen mit dem neuen Sänger Paul Rodgers „say it’s not true“ eingespielt – die erste öffentlich verfügbare Aufnahme der Gruppe seit zehn Jahren. Das Lied sei dem Welt-Aids-Tag gewidmet, und solle die Kampagne ‚46664‚ von Nelson Mandela unterstützen, so die Band. Sie wolle Mandelas Aufforderung folgen „it’s in our own hands to bring a stop to this“.

Der Song wurde erstmals beim Launch der ‚46664‘-Kampagne im November 2003 in Kapstadt aufgeführt. Während der ‚Queen and Paul Rodgers‘-Tournee 2005 wurde der Song in einer akustischen Version gespielt. Dieses Jahr entschied sich die band, den Song neu einzuspielen und zur Unterstützung der Mandela-Kampagne zu veröffentlichen.
Der Song enthält die Botschaft, dass HIV und Aids jedem begegnen kann.

Queen und Paul Rodgers „say it’s not true“ steht unentgeltlich (gegen Registrierung) auf der Website der Gruppe Queen Online sowie auf der Website der Kampagne 46664 zum Download zur Verfügung.


Dokus zu HIV & Aids

Anlässlich des Welt-Aids-tags sendet der Digital-Kanal ARD Extra einige Dokumentationen und Reportagen rund um HIV und Aids:

Jung. Sorglos. HIV-positiv. (1.12., 13:30 Uhr)
A Right to Live – Medikamente für Millionen (11.12., 14:45 Uhr)
Der Fluch der Ahnen (1.12., 20:15 Uhr)
Früher Frost – ein Fall von Aids (1.12., 22:00 Uhr)
Tanz ums Schilfrohr (4.12., 20:15 Uhr)
Liebes-Safari in Kenia – weiße Frau sucht schwarzen Mann (4.12., 21:15 Uhr)

Weitere Informationen zu den Sendungen sowie Wiederholungs-Termine hier.

Vorratsdatenspeicherung gefährdet auch Aids-Beratung

In der kommenden Woche sollen die Gesetzentwürfe zu Vorratsdatenspeicherung & Co. in Bundestag behandelt werden. Der Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung sowie zahlreiche potenziell betroffene Verbände (unter ihnen auch die Deutsche Aids-Hilfe DAH) riefen die Bundestagsabgeordneten dazu auf, den Gesetzentwürfen nicht zuzustimmen.

Auf einer Pressekonferenz machten die Verbände nochmals ihre Kritik deutlich – die sich neben Problemen für Journalisten (Quellenschutz) im Gesundheitsbereich z.B. auch mit Auswirkungen auf das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient oder dem faktischen Wegfall anonymer Beratungsmöglichkeiten (auch in der Aids-Beratung) befasst.

Worum geht es? „Die Vorratsdatenspeicherung ist ein Begriff aus dem deutschen Datenschutz- und Telekommunikationsrecht. Er bezeichnete ursprünglich die Speicherung von personenbezogenen Daten für eine spätere Verarbeitung, wobei der Verarbeitungszweck zum Zeitpunkt der Speicherung noch nicht klar feststeht.“ (AK Vorratsdatenspeicherung)

Dabei geht es inzwischen um weit mehr als ’nur‘ mein PC gehört mir: so würde z.B. im Aids-Bereich die gerade erst mühsam und mit viel Engagement und Kosten aufgebaute Aids-Beratung im Internet mindestens einen wesentlichen Rückschlag erfahren, wenn sie (aufgrund der Speicherung der Daten) nicht mehr anonym möglich wäre.

„Auch wenn der Inhalt der Gespräche oder der Chats geschützt bleibt, wirkt das Wissen um die Protokollierung abschreckend auf Ratsuchende – gerade dann, wenn es um sehr persönliche Themen wie Sexualität, Gesundheit oder Drogengebrauch geht“, betont die DAH in ihrer Pressemitteilung.
„Für der Aidshilfen bedeutet dies eine konkrete Gefährdung ihrer Arbeit im Online-Bereich. Die individuelle Beratung zu sensiblen Themen ist nur dann effektiv, wenn die Ratsuchenden den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der Online-Beratung vertrauen und sich darauf verlassen können, dass ihre Kontakte zu den Beraterinnen und Beratern anonym bleiben. Dies ist jedoch gefährdet, wenn die Speicherung der Kommunikationsumstände Rückschlüsse auf persönliche Problemlagen der Ratsuchenden zulässt.“.

Die Kritik an den Gesetzentwürfen wird immer lauter. Selbst die Bundesjustizministerin geht inzwischen davon aus, dass letztlich nach Massenklagen das Bundesverfassungsgericht über die Vorratsdatenspeicherung entscheiden wird. In bundesweiten dezentralen Demonstrationen soll am kommenden 6. November erneut auf die Gefahren der Vorratsdatenspeicherung hingewiesen werden.
Und doch stehen die Beratungen im Bundestag unmittelbar bevor – die Abstimmung über die Gesetze wird bereits für den 9. November erwartet.

Nachtrag 5.11.: die Abstimmung im Bundestag scheint verschoben, zunächst soll eine erneute Behandlung im Rechtsausschuss erfolgen

Nachtrag 6.11.: Behandlung in zweiter und dritter Lesung im Bundestag ( = endgültige Entscheidung!) nun doch am Freitag, 9.11.

Nachtrag 9.11.: Berichte: Blog Off! von der Berliner Demonstration Demo statt Angst, simoncolumbus 10.000 demonstrieren
Der Herr Sch. vergreift sich in seinem Vergleich, netzpolitik.org fordert Schäuble, zurücktreten!

weitere Infos:
netzpolitik.org über die Anhörung im Bundestag zur Vorratsdatenspeicherung (21.9.2007)
Wortlaut der Anhörung (als pdf)
Internetseiten des AK Vorratsdatenspeicherung
netzzeitung: Ein Tag im Leben eines gläsernen Bürgers
vzbv: Vorratsdatenspeicherung ist eine Bedrohung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung
Pressemitteilung der Deutschen Aids-Hilfe