Mutationen auf dem Pharma-Markt

Experten rechnen damit, dass der Markt für Aids-Medikamente in den kommenden Jahren deutlich wachsen wird. Allerdings stehen gravierende Änderungen bevor.

Die Pillen-Geschäfte lohnen sich … für die Pharmaindustrie.
„HIV-Patienten leben wesentlich länger. Sie haben die Krankheit lebenslang, und deswegen wird der Markt wachsen“, kommentiert ein Analyst trocken.
Und doch wird sich der Markt in den nächsten Jahren wesentlich verändern, meinen Wirtschafts-Analysten. Einem Bericht auf CNNmoney zufolge beläuft sich der Markt für Aids-Medikamente derzeit auf ca. 8 Milliarden US-$. Bis zum Jahr 2016 rechnen Experten mit einem Anwachsen um 50%.

Bisher ist der Pharmakonzern GlaxoSmithKline (GSK) der wohl bedeutendste Player im Konzert der Aids-Medikamenten-Hersteller. Doch GSK, wie auch einige andere Pharmakonzerne, werde sich mit einigen Änderungen abfinden müssen. So werden in den nächsten Jahren zahlreiche Patente (bis zu zwei Drittel) auf bisher geschützte Wirkstoffe auslaufen, so dass generische (und i.d.R. preisgünstigere) Versionen verfügbar werden.

Während GSK mit dem Verlust von Marktanteilen rechnen müsse, seien Bristol-Myers Squibb (BMS) sowie Gilead in einer starken Position, so der Bericht.

In den ersten neun Monaten des Jahres 2007 habe GSK mit Aids-Medikamenten einen Umsatz von 2,2 Mrd. $ erzielt, Gilead bereits von 2,3 Mrd. $. Analysten schätzen den Gilead-Umsatz im Aids-Bereich für 2007 auf 3,1 Mrd. $ und im Jahr 2012 auf ca. 6,4 Mrd. $.
Allein Atripla, ein Kombinationsprodukt aus Gileads Präparaten Emtriva und Viread sowie von Sustiva des Herstellers BMS in einer Pille habe in den ersten 9 Monaten 2007 einen Umsatz von 650 Mio. $ erreicht. Bis 2010 erwarten Experten einen Atripla-Umsatz von 2,7 Mrd. $.

Der Markt für solche Kombinations-Pillen aus Substanzen verschiedener Hersteller werde wachsen, prophezeien Experten. Noch dementieren die Pharmakonzerne Pfizer und Johnson & Johnson (Tochter Tibotec) eine Zusammenarbeit bei einer Kombi-Pille aus ihren neuen Medikamenten Prezista und Isentress.
Die Herstellung von Medikamenten zur Behandlung der HIV-Infektion scheint immer noch ein äußerst lohnendes Geschäft zu sein, trotz aller Klagen von Pharmakonzernen.

Ganz anders in der Forschung an HIV-Impfstoffen: der Rückzug des Pharmakonzerns Merck aus der HIV-Impfstoff-Forschung schickte erst jüngst Schockwellen durch die Aids-Landschaft.

An Impfstoffen zu forschen lohnt sich scheinbar nicht, wohl aber an Medikamenten …

Dieser Text ist Teil 2 einer kleinen Serie über Facetten des Marktes für Aids-Medikamente.
Teil 1: Pillen-Geschäfte – über die weltweiten Umsätze mit Aids-Medikamenten

G-BA verweigert Herausgabe von Qualitätsberichten

Der Gemeinsame Bundesausschuss hat die Herausgabe von Qualitätsberichten der Krankenhäuser verweigert. Eine patientenorientierte Aufbereitung der Daten ist damit in Frage gestellt.

Seit 2004 arbeiten Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) mit. Der G-BA ist eines der wichtigsten Gremien im deutschen Gesundheitswesen.

Einige Patientenorganisationen hatten die Bertelsmann-Stiftung dafür gewonnen, die Qualitätsberichte der Krankenhäuser, die dem G-BA vorliegen, patientenorientiert aufzubereiten. Geplant war, ein für jedermann/frau zugängliches Internetportal aufzubauen, das ermöglichen sollte, Krankenhäuser anhand ihrer offiziellen Qualitätsberichte auszuwählen.

Wie die BAG Selbsthilfe (die die Arbeit der Patientenvertreter im G-BA koordiniert) meldet, hat der G-BA die Herausgabe der Krankenhaus-Qualitätsberichte jedoch verweigert. Eine neutrale und patientenfreundliche Nutzung werde damit vereitelt, so die BAG.

Deals mit Pillen

Ein Apotheker und sechs HIV-positive Patienten sollen in Wetzlar Krankenkassen zwischen 2005 und 2007 durch abgerechnete, aber nicht ausgegebene Aids-Medikamente um mehreren hunderttausend Euro betrogen haben.

Lange hat man nichts mehr gehört von Apothekern und PatientInnen, die ihren privaten Deal mit Aids-Medikamenten machen. Doch ausgestorben scheint die Masche noch nicht zu sein, wie ein aktueller Fall zeigt.

Vor einigen Jahren war es in einigen Städten noch recht häufig anzutreffen, das Phänomen, dass es einigen Patienten (und erst recht Apothekern) plötzlich finanziell deutlich besser ging, seit sie Medikamente nahmen.
Die Wege waren kreativ und mannigfach, das Ergebnis meist, dass Apotheker und Patient finanziell besser gestellt, die Krankenkasse die (finanziell) Geschädigte war.

Nachdem einige besonders krasse Fälle (u.a. in Berlin) publik wurden, teilweise auch vor Gericht landeten, die Kassen in zahlreichen Fällen ihren Ermittlungsdienst aktivierten, war lange Zeit Ruhe. Zudem sorgten die Gesundheitsreform und verstärkte Kontrollen von Kassen dafür, dass einige Wege einer zusätzlichen ‚Einnahmequelle‘ verstopft wurden.

Doch immer noch scheinen Tricksereien möglich zu sein. So wird jetzt aus Wetzlar über einen schwunghaften Handel mit Rezepten für Aids-Medikamenten berichtet.
Die Wetzlarer Staatsanwaltschaft ermittelt gegen einen ortsansässigen Apotheker, der verdächtigt wird, die Krankenkassen um mindestens 250.000 Euro betrogen zu haben, wie die ‚Wetzlarer Neue Zeitung‘ am 27.11.2007 berichtet.

Der Apotheker soll dazu zwischen Frühjahr 2005 und Frühjahr 2007 mit sechs HIV-infizierten Patienten gemeinsame Sache gemacht haben. Die Positiven aus dem Frankfurter Raum ließen sich zusätzlich zu ihrer Kombinationstherapie auch magenschützende Präparate verschreiben. Diese Rezepte sollen bei dem Wetzlarer Apotheker eingelöst und den Kassen in Rechnung gestellt worden sein. Medikamenten seien jedoch nicht ausgegeben worden, den Betrag (gesprochen wird von einem Wert von bis zu 3.000€ je Rezept) hätten sich vielmehr Positive und Apotheker geteilt – bei einer Rate von zwei Drittel für den Apotheker, ein Drittel für den Patienten.
Neben der AOK Hessen sollen auch weitere Krankenkassen zu den Geschädigten gehören.

Aufgedeckt wurde dieser ‚Betrug durch Kooperation zwischen Apotheker und Patienten‘ vermutlich durch einen Hinweis aus dem Kreis der teilnehmenden Patienten selbst. Ein AOK-Sprecher betonte, hätten alle Beteiligten ‚dicht gehalten‘, wäre dieser Art Betrug wohl nur schwer beizukommen.


Viele Menschen mit HIV leben unter prekären finanziellen Umständen. Möglichkeiten, die eigene finanzielle Situation aufzubessern, sind vielfach willkommen, ihre Nutzung oftmals verständlich. Kriminelle Wege, wie diese Art von Kassen-Betrug, können jedoch kein legitimes Mittel der Aufbesserung der eigenen Kasse sein.
Zudem dürften die eigentlichen Geschädigten vermutlich wohl auch die Positiven selbst sein , die durch Nichteinnahme der verordneten Medikamente vermutlich ihre Gesundheit massiv gefährdeten.

Pikant erscheint vor allem auch das Verhalten des Apothekers. Nicht nur das gezielte Erkennen und Ausnutzen einer Systemlücke, sondern auch die Aufteilung (zwei Drittel / ein Drittel) ist bemerkenswert. Sollte sich bewahrheiten, dass die betroffenen Positiven DrogengebraucherInnen sind, könnte sich zudem die (wohl eher moralische als justitiable) Frage nach dem Ausbeuten einer Notsituation eh schon sozial benachteiligter Patienten stellen.

Dieser Betrug der Krankenkassen durch Zusammenarbeit von Positiven und Apothekern dürfte wohl kein einmaliger, wohl aber ein seltener Fall sein. Es bleibt zu fragen, ob diese Art von Betrug nicht erst möglich wird durch das gezielte Ausnutzen von Systemlücken, und was die Beteiligten zu deren Behebung unternehmen.

Ein Stück, nebenbei, das geradezu zu einer Inszenierung verlockt, mit brecht’schen Charakteren (ein beschauliches Städtchen, verarmte Patienten aus der Großstadt, denen Geld wichtiger als Gesundheit zu sein scheint, der zwei-Drittel-Apotheker, der ein gutes Geschäft wittert …).

Pillen-Geschäfte

Besonders mit Aids-Medikamenten lassen sich – allen Klagen der Pharmakonzerne über restriktive Gesundheitspolitik in westlichen Industriestaaten sowie Patent- und Preis-Problemen in ‚Entwicklungsländern‘ zum Trotz – gute Geschäfte machen.
Patente sind immer noch gut für Profite

Die Aktivisten von TAG haben jüngst zusammen gestellt, welche Umsätze Pharmakonzerne weltweit mit ihren Aids-Medikamenten machen. Eine aufschlussreiche Liste:

Umsatz AIDS-Medikamente weltweit 2006

[ Quelle: TAGline September 2007 (pdf)]

Von guten Geschäften mit Aids-Medikamenten zeugen auch ergänzende Meldungen:
– Mit dem jüngst nach Produktionsproblemen zurück gerufenen Nelfinavir (Viracept) erzielte Pharmamulti Roche noch 2006 einen Umsatz von 164 Mio. sFr.
– Und Trimeris, der Entwickler des HIV-Fusionshemmers Enfuvirtide (Handelsname Fuzeon, vermarktet vom Pharmakonzern Roche) gab jüngst bekannt, der Netto-Umsatz mit dem Medikament sei insgesamt im ersten Halbjahr 2007 um 12,1% auf 126,3 Mio. US-$ gestiegen. Außerhalb der USA und Kanadas steig der Umsatz dabei mit 18,2% (auf 64,1 Mio. US-$) besonders deutlich.

Auch zum Welt-Aids-Tag sollte nicht vergessen werden, Aids-Medikamente sind für die Hersteller zuerst auch – ein gutes Geschäft.

Aber auch die ersten Generika-Hersteller geraten in die Kritik: dem indischen Pharma-Konzern Cipla wird vorgeworfen, generische Versionen von Aids-Medikamenten in Indien zu einem überhöhten Preis zu verkaufen.

Norvir-Preis vor Gericht

Der Pharmakonzern Abbott sieht sich vor Gericht gezerrt. In den USA wird gegen den Konzern geklagt, der 2003 den Preis für Norvir in den USA verfünffacht hatte.

Im Jahr 2003 erhöhte der Pharmakonzern Abbott den Preis für sein Aids-Medikament Norvir. Doch es folgte nicht eine ’normale‘ Preiserhöhung – der Pharmakonzern verfünffachte den Preis direkt (siehe Bericht „Gewinne Gewinne Gewinne„).

Nun ist Norvir nicht ‚irgendein‘ Proteasehemmer. Das Medikament wird vielmehr auch benötigt, um den Wirkstoffspiegel anderer Medikamente anzuheben, so dass diese dadurch erst ihre optimale Wirksamkeit erreichen (sog. Boosten).
Die Preiserhöhung, die Abbott damals in den USA durchsetzte, traf somit direkt auch zahlreiche Wettbewerber des Konzerns, die Norvir als Bosster für ihre Produkte benötigten. Kleine Petitesse dabei: Abbott hat selbst auch einen weiteren Proteasehemmer auf dem Markt, der ebenfalls mit Norvir geboostet wird (Lopinavir, Handelsname Kaletra). Dieser war natürlich von der wundersamen Verfünffachung nicht betroffen …

Gegen diese Preiserhöhung des Konzerns wenden sich nun in den USA vier große Apotheken-Ketten sowie ein Medikamenten-Großhändler. Sie haben gegen Abbott Klage erhoben (siehe Wall-Street-Journal vom 30.10.2007). Der Großhandelspreis von Norvir sei in den USA durch die Erhöhung von 51,30$ auf 257,10$ für 30 Kapseln à 100mg gestiegen. Damit missbrauche Abbott seine Monopolstellung.

Vorher hatten bereits zwei Patienten gegen Abbott Klage erhoben. Nun hat sich Anfang November auch der Pharmakonzern Glaxo dieser Klage angeschlossen (siehe Bericht Wall-Street-Journal vom 9.11.2007). Die Norvir-Preiserhöhung untergrabe die Marktposition des Glaxo-Proteasehemmers Fosamprenavir (Handelsnamen Lexiva, Telzir).

Abbott kommentierte die Klagen mit „this frivolous lawsuite is completely without merrit“.

Der ‚Informationsbedarf‘ der Pharmaindustrie

Die Pharma-Industrie scheint einen neuen Anlauf zu unternehmen, um doch noch das Werbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel zu kippen. ‚Ran an die PatientInnen‘, scheint die Devise zu lauten.

Derzeit ist direkt an Patientinnen und Patienten gerichtete Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente in der EU untersagt (EU-Richtlinie 2001/81/EG, bes. Artikel 87 und 88).

Auf einer Tagung bestätigte laut ‚BuKo Pharmakampagne‚ der Sprecher des europäischen Pharmaindustrie-Verbandes EFPIA, seine Organisation strebe eine Änderung der betreffenden EU-Richtlinie an. Hintergrund der erneuten Bemühungen der Pharmaindustrie scheinen aktuelle Diskussionen über Patienteninformation zu sein.

Bereits im Jahr 2002 hatte die Pharmaindustrie mit beträchtlichem Aufwand versucht, das europäische Direktwerbe-Verbot zu kippen. Was damals erfolglos war, soll nun scheinbar erneut versucht werden.

Die BuKo Pharmakampagne beschreibt, warum dies nicht im Interesse von Patientinnen und Patienten ist: „PatientInnen brauchen zuverlässige, vergleichende und unabhängige Gesundheitsinformationen, die alle Behandlungsoptionen – auch die der Nicht-Behandlung – einschließen. Die Pharmaindustrie kann jedoch aufgrund ihrer kommerziellen Interessen keine unabhängigen Informationen liefern.“

Der Stern-Reporter Grill, Autor des Buches „Kranke Geschäfte – wie die Pharmaindustrie und manipuliert“ kommentiert: „Es gibt keine Branche, die seit Jahren so hohe Gewinne einfährt wie die Pharma-Branche – und es gibt keine Branche, die den Menschen so viel Sand über ihr wahres Geschäftsgebaren in die Augen streut.“ ((zitiert in Pharmabrief Nr. 6 September 2007))

Unabhängige, möglichst interessenneutrale Gesundheitsinformation ist möglich – sei es durch Patienten-Organisationen und Verbände, sei es mittels unabhängiger Instutute. Für beides gibt es zahlreiche in der Praxis bereits funktionierende Beispiele (wie z.B. Gesundheitsinformationen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA oder des Verbraucherzentralen Bundesverbands, Gesundheitsinformationen einzelner Organisationen wie z.B. der Deutschen Aids-Hilfe, oder unabhängige Informationen wie Gesundheitsinformation.de des IQWiG). Diese positiven Ansätze könnten ausgebaut und weiter entwickelt werden.
Worin der Vorteil von Marketing oder ‚Information‘ liegen soll, mit der sich die Pharmaindustrie direkt an PatientInnen wenden will, bleibt unklar.

Zu welchen Auswüchsen es kommen kann, wenn die Pharmaindustrie direkt bei PatientInnen für Medikamente werben darf, lässt sich anschaulich seit vielen Jahren in den USA beobachten. Am Beispiel HIV/Aids: da erklommen z.B. kraftstrotzende junge Männer munter hohe Berge und verkünden dabei stolz, dies alles könnten sie nur dank ‚xyzivir‘ [siehe ein Beispiel hier].

Die Verordnung lebenswichtiger Medikamente, die auch mit Risiken und potenziellen Nebenwirkungen behaftet sind, ist m.E. kein Bereich, der einfach den Kräften des Marktes, vor allem auch von Marketing und Werbeversprechen überlassen werden darf.

Und wenn die Pharmaindustrie nun versuchen sollte, dies über das Hintertürchen der ‚Patienten-Information‘ doch noch zu erreichen – hieße das nicht tatsächlich, frage ich mich, den Bock zum Gärtner zu machen? Wer an den beworbenen Pillen munter (und satt) verdient, wie will der Patienten gleichzeitig neutral und sachgerecht informieren?
Wäre es stattdessen nicht sinnvoller, interessenneutrale und fachlich fundierte Informationen im Interesse von Patientinnen und Patienten zu fördern?

weitere Informationen:
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung BZgA
gesundheitsinformation.de – unabhängige und geprüfte Informationen zu Gesundheitsinformationen, erstellt vom Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
BuKo Pharmakampagne: Gegen den Einfluss der Pillenlobby
Pharmabrief / Pharmawerbung in Patientenköpfe (pdf)
Pharmabrief / Den Bock zum Gärtner machen? (pdf)
hiv-wechselwirkungen.de – Gesundheitsinformationen der Deutschen Aids-Hilfe

Privatisierung der Arzneimittel-Zulassung vorerst gescheitert

Nach Plänen der Bundesregierung müsste sich längst die Medikamentenzulassung in Privatisierung befinden. Doch die Pläne sind gescheitert – vorerst.

Für die Zulassung von Medikamenten in Deutschland sowie deren Nutzen- und Risiken-Bewertung ist bisher ein Bundesinstitut zuständig, das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte). Bei zentralisierten europäischen Zulassungsverfahren, die über die europäische Arzneimittelagentur EMA abgewickelt werden, vertritt das BfArM dort die Interessen der Bundesrepublik.

Doch die Bundesregierung plante auf Vorschlag von Bundesgesundheitsminsterin Schmidt (SPD), das BfArM zu privatisieren. Aus dem BfArM sollte die DAMA werden – die Deutsche Arzneimittel- und Medizinprodukte-Agentur. Diese Privatisierung sollte vor allem auch aus finanziellen Gründen erfolgen. Die DAMA sollte sich überwiegend aus Gebühren finanzieren – Gebühren für die Zulassung von Medikamenten und Medizinprodukten. Gebühren, die die Hersteller der Arzneimittel und Medizinprodukte entrichten sollten. Damit wäre die Agentur genau von denjenigen finanziert worden, deren Produkte sie kontrollieren und überwachen soll.

Diese Pläne stießen schon bald auf massive Proteste.

Nun hat die Bundesregierung beschlossen, die Pläne nicht weiter zu verfolgen. Die Politiker der Koalitions-Fraktionen konnten sich nicht auf einen gemeinsamen Weg verständigen.
Zulassung und Überwachung von Arzneimittel sollen damit in Deutschland derzeit unverändert bleiben.

Infos:
Pressemitteilung ‚BAG Selbsthilfe fürchtet um Sicherheit der Patienten‘

Pillen-Preise

Der Preis neu zugelassener Medikamente, in den USA inzwischen ein auch bei Patienten diskutierter Faktor, ist in Europa bisher kaum Thema. Ein Zustand, der sich in Zukunft auch in Europa ändern dürfte, schon angesichts zunehmend steigender Medikamenten-Kosten auch in der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland. Ein Beispiel aus den USA.

Die Preise für Medikamente interessieren hierzulande bisher kaum einen Patienten oder Aktivisten. Sicher, die in den am wenigsten wirtschaftlich entwickelten und meist von Aids am stärksten betroffenen Staaten der Welt verlangten Preise sind inzwischen ein viel diskutiertes Politikum. Aber was die Medikamente in Europa kosten? Kaum ein Diskussionsthema bisher, auch nicht in den betroffenen Communities, bei Patienten oder Aktivisten.

Dies ist anders in den USA, wie das Beispiel eines jüngst zugelassenen Medikaments zeigt. Bereits vor der Zulassung führten Community-Organisationen umfangreiche Gespräche mit dem Hersteller über den zu erwartenden Preis für das Medikament – in den USA.

Erst jüngst wurde in den USA der Integrasehemmer Raltegravir (Handelsname USA: Isentress; Zulassung in der EU wird erwartet) zugelassen. Der Preis der Tagesdosis: 27 US-$.

US-Aktivisten zeigten sich nach der Zulassung enttäuscht angesichts des Preises. Raltegravir habe bisher in Studien selbst höchste Erwartungen erfüllt und sei das vielleicht am stärksten wirksame der bisher zugelassenen Aids-Medikamente, so Martin Delaney, Gründer von Project Inform.
Doch er habe nach den Preis-Gesprächen, die Community-Vertreter der Fair-Price-Coalition (nach zahlreichen Community-internen Gesprächen) mit Hersteller Merck geführt hatten, einen niedrigeren Preis erwartet. Er habe gehofft, Merck würde dem Crixivan-Beispiel folgen – der Konzern hatte den Preis dieses PIs damals deutlich niedriger festgesetzt als Wettbewerbsprodukte, während Raltegravir nun an der oberen Preisgrenze vergleichbarer Medikamente liege.

Immerhin sei Merck, so Delaney, nicht der Versuchung erlegen, noch höhere Preise zu verlangen. Wettbewerber Pfizer habe den Preis des ebenfalls jüngst zugelassenen Selzentry noch 2$ pro Tag höher angesetzt.
Project Inform forderte Merck auf, nun zumindest den Preis (in den USA) für drei Jahre einzufrieren. Ebenfalls solle der Konzern zusagen den Preis zu senken, sobald die Zulassung auch auf bisher unbehandelte Positive ausgeweitet werde. Project Inform wolle in Gesprächen mit Merck versuchen zu erreichen, dass das neue Medikament allen Positiven verfügbar werde, die es benötigen.

Krankheit und das Schuldprinzip

Ich bin schuld … dass ich krank bin…“, unter diesem leider langsam wahr werdenden Titel weist Kalle auf eine geplante Reform des Sozialgesetzbuchs hin.

Sozial-was???

In den Sozialgesetzbüchern ist das gesamte Sozialsystem der Bundesrepublik rechtlich geregelt, und das genannte Sozialgesetzbuch 5 (SGB V) regelt die gesetzliche Krankenversicherung (GKV).

Und mit einer klitzekleinen Änderung führt der Gesetzgeber wieder ein Stückchen Schuldprinzip in die GKV ein. Und durchlöchert nebenbei die ärztliche Schweigepflicht.
Was mit Tätowierungen anfängt, muss bei HIV noch lange nicht aufhören …

Überrascht?

Bei Kalle gibt’s mehr dazu zu lesen …

Nachtrag 17.10.: guter Artikel der ‚Zeit‘ dazu: Vom Sozialstaat zum Kontrollsystem (und danke Blogoff für den Hinweis)
Nachtrag 29.10.07: Pressemitteilung der BAG Selbsthilfe „Ärztliche Meldepflicht bei ’selbstverschuldeten Krankheiten‘ verstößt gegen Datenschutz“

Ist Aids ein schlechtes Geschäft?

Eine Reihe schlechter Nachrichten treffen in den letzten Wochen den Aids-Bereich – weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit, auch der schwulen, der positiven.

Da wird nicht nur die Entwicklung eines nebenwirkungsärmeren Injektionsgeräts für Fuzeon eingestellt.
Vielmehr erwies sich ein hoffnungsvolles Mikrobizid als wirkungslos in einer Phase III Studie, und machte damit erneut Hoffnungen auf eine leicht anwendbare Präventionsmöglichkeit für Frauen zunichte.
Und heute melden die Medien, dass der Pharmakonzern Merck die Aids-Impfstoff-Forschung eingestellt hat. Ausgerechnet der weltweit mit den meisten Hoffnungen verbundene experimentelle HIV-Impfstoff zeigte keinerlei Wirkung (im Gegenteil, die Infektionsrate war höher als bei Plazebo). Forscher sprechen vom bisher schwersten Rückschlag für die Forschung an einem dringend benötigten Impfstoff gegen HIV.

Neben wissenschaftlichen Gründen dürften, so wird spekuliert, wohl auch kommerzielle Erwägungen eine Rolle gespielt haben. Impfstoff-Forschung bei Aids sei, so SpON „ohne Aussicht auf Profit“.

Besonders eindringlich zeigen diese jüngsten Beispiele noch einmal, wie problematisch es ist, dass wir uns bei der Forschung im Gesundheitsbereich (und insbesondere auch bei Aids) weitestgehend auf die Pharma-Industrie verlassen.
Die hat nun einmal -zunächst legitimerweise- kommerzielle Interessen, will Geld verdienen, eine angemessene (manchmal auch: überzogene) Rendite des eingesetzten Kapitals erwirtschaften.

Das Resultat ist dann allerdings potenziell auch, dass nur in Forschung für Medikamente und Therapien investiert wird, bei denen sich auch entsprechend viel Geld verdienen lässt. Verspricht eine Krankheit, eine Region, eine Menschengruppe ein ’schlechtes Geschäft‘, wird eben nicht geforscht, gibt es eben keine neuen Therapien.

Patienten, Patente und Profite werden immer mehr zu einem problematischen ‚Dreigestirn‘. Gesundheit statt Gold – Gesundheitsforschung sollte wieder mehr als ein öffentliches Gut betrachtet werden, fordern zahlreiche Experten inzwischen.

Die Frage, ob wir wieder mehr Forschung unabhängig von kommerziellen Interessen brauchen, drängt sich geradezu auf …

Über Geldquellen und Sensibilität

In der Politik wird über den Einfluss der Lobbyisten diskutiert. Aber wie sieht es im Aids-Bereich aus? Wie aktiv sind Interessengruppen – und besteht Sensibilität für potenzielle Einflussnahmen und ihre Folgen?

Über Lobbyisten in Ministerien, über den Einfluss der Industrie und ihrer Verbände auf Politik, Bildung und andere Bereiche wird ja in der Politik breit diskutiert. PR, Sponsoring, Lobby-Arbeit – die Wege der Einflussnahme sind vielfach.
So vielfach und immer wieder kreativ, so folgenreich, dass schon ein ‚
Worst EU Lobbying Award‚ ausgelobt wird für die Meister der Verdrehung

Dass diese Wege der Einflussnahme auch im Aids- Bereich weit verbreitet sind, wird oftmals kaum wahrgenommen. Auch im Aids-Bereich versuchen sich Interessengruppen, insbesondere die Pharmaindustrie zu ‚engagieren‘.
Allerdings, während in der Politik über Risiken und Gefahren dieses Sponsorings, dieser speziellen Form von Lobbyismus und Einflussnahmen diskutiert wird, ist ein kritisches Hinterfragen der Folgen des Sponsorings im Aids-Bereich bisher weitgehend tabu.

Neben dem Engagement direkt bei Ärzten suchen Pharmakonzerne auch weitere Wege, Einfluss auf den Markt Gesundheit zu nehmen.
Besonders im Fokus des Sponsorings einiger Pharma- Konzerne sind dabei Themenfelder wie Kultur. So sponsert ein Pharmakonzern einen Medienpreis, ein anderer einen Preis für Kunstwerke von HIV-Positiven und ein Dritter einen Foto-Wettbewerb.

Aber es geht auch direkter. ‚Ran an die Patienten‘ ist oft das Ziel. Aber wie, wenn Direktwerbung für Endverbraucher nicht zulässig ist?

Ein guter Weg sind da für die Pharmakonzerne im Aids-Bereich die Aids-Hilfen. Munter werden Veranstaltungen gesponsert, möglichst zu medizinischen Themen – und wenn der zuständige Mitarbeiter nicht aufpasst, bringt der nette Pharma-Mensch auch gleich den ‚passende‘ Referenten mit.
Oder es werden gleich ganze Veranstaltungsreihen gesponsert.
Oder Publikationen. Vielleicht ebenfalls, indem man den ‚passenden‘ Autor gleich mitbringt.

Oder ein Projekt? Vielleicht eins, das ein wenig Glanz abwirft?
Bei einige Aids-Hilfen machen sogenannte „Drittmittel“ inzwischen einen bedeutenden Anteil ihrer Finanzierungsquellen aus – und Gelder aus der Pharmaindustrie stehen dabei ganz in der ersten Reihe.

Wohlgemerkt, es geht nicht um Mäzenatentum. Die Pharmakonzerne geben ihr Geld nicht allein aus Edelmut. Vielmehr geht es um Sponsoring – und das beinhaltet immer auch eine Gegenleistung, einen Nutz-Effekt, den der Geldgeber sich verspricht.

Und genau darin liegt auch eines der Probleme. Angesichts knapper werdender öffentlicher Mittel sind viele Stellen geradezu darauf angewiesen, sich neue Finanzierungsquellen zu erschließen. Einige Projekte wären ohne Pharma-Gelder oder andere Drittmittel sicherlich überhaupt nicht denkbar.

Doch – wird ausreichend berücksichtigt, dass dies immer ein Geschäft mir Gegenleistung ist?
Besteht genügend Sensibilität gegenüber den subtilen Mechanismen, über die Industrie und Lobbyisten Meinung und Haltung beeinflussen können?

Gelingt es, dennoch eine neutrale Haltung zu bewahren, oder gar eine im Interesse der eigenen Zielgruppen?

Und – werden diese Finanzierungen, diese potenziellen Einflussnahmen offen dargelegt? Wie sieht es mit der Transparenz aus?

Die Realität sieht im Aids-Bereich vermutlich oftmals fragwürdig aus …

Gute Therapie – auch eine Frage der Kosten?

Auch in das deutscher Gesundheitswesen zieht mehr und mehr der Gedanke der Wirtschaftlichkeit ein. Mag auch die Mehrzahl der Patienten noch denken, sie bekäme das an Therapien und Medikamenten, was medizinisch erforderlich und sinnvoll ist – die Kosten der Maßnahmen spielen längst eine bedeutende Rolle.

Am leichtesten wird dies für jeden Patienten sichtbar in der Apotheke. Sofern mehrerer Hersteller ein Präparat anbieten, sind Arzt und Apotheker gehalten, eine kostengünstige Version zu verordnen bzw. abzugeben. Meist geht es hier jedoch um kleinere Beträge – die Kosten der Medikamente, die bereits als Generika vorliegen, sind oftmals wesentlich niedriger als die neuer Präparate.

Neue Medikamenten, die noch dem Patentschutz unterliegen, haben oftmals einen deutlich höheren Preis. Und verursachen damit Kosten, die die Budgets der Krankenversicherungen erheblich belasten.>

In der Folge zieht auch hier immer mehr der Gedanke an die Kosten ein: in der gesetzlichen Krankenversicherung besteht ein Wirtschaftlichkeits-Gebot. Ein wesentlicher Hebel, dieses Gebot umzusetzen, wird zukünftig das IQWiG sein.
Dieses Institut soll medizinische Behandlungen und Arzneimittel auf ihre Nutzen beurteilen. Seit Kurzem ist es auch Aufgabe des IQWiG zu prüfen, ob die Preise für ein Arzneimittel in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen.

In der Praxis könnte dies zukünftig dazu führen, dass Patienten (zumindest zu Lasten ihrer Krankenkasse) manche Medikamente nicht mehr verschrieben bekommen können, da deren Preis als unangemessen im Verhältnis zum Nutzen betrachtet wird.

Wohin diese Entwicklungen führen können, zeigt Großbritannien. Dort spielen die Behandlungskosten schon heute eine größere Rolle auch in konkreten Therapie-Entscheidungen.
Bereits 2005 erwähnten die HIV-Behandlungs-Richtlinien der britischen BHIVA die Medikamenten-Kosten als einen Entscheidungsfaktor, den der Arzt zu berücksichtigen habe. Als Entscheidungshilfe enthielt die 2005-Richtlinie zudem erstmals eine Tabelle mit den Kosten der einzelnen Aids-Medikamente. Die 2006er Richtlinie setzt diese Tendenz fort, dort heißt es eindeutig „die Kosten der Therapie sollten [neben Wirksamkeit, Compliance und Verträglichkeit, d.Verf.] ebenfalls berücksichtigt werden“.

In der Realität führt dies, so vermutet aids treatment update 1), dazu, dass manche Präparate HIV-Patienten häufig verordnet werden, obwohl sie höhere oder gravierendere Nebenwirkungen, teils auch limitierte Wirksamkeit haben – weil sie kostengünstiger als Alternativ-Präparate sind.

Wie gesagt, noch ist dies Realität in Großbritannien, nicht in Deutschland. Aber das Beispiel zeigt, wohin der Zug fährt, und welche Entwicklungen auch uns bevor stehen könnten …

1) vgl. „cost matters“ im Artikel „an uncertain future“, als pdf hier

PS: ‚uncertain future‘ – die Gesundheitsreform hat für die Zukunft noch weitere Überraschungen bereit – eines der Stichworte heisst „Therapietreue“ – doch dazu später mehr …

Späte Einsicht, teilweise

Der Pharmamulti Abbott hat sein gerichtliches Vorgehen gegen die Aids-Aktivistengruppe ACT UP Paris eingestellt. Grund dürften insbesondere die äußerst schlechte Resonanz in der Öffentlichkeit sein. Thailändischen HIV-Infizierte klagen, ein wichtiges Medikament werde ihnen jedoch weiterhin vorenthalten.

Am 23. Mai hatte der Pharmamulti Abbott Klage gegen ACT UP Paris eingereicht. Der Konzern warf der Gruppe eine Cyber-Attacke gegen die eigene Website vor. ACT UP Paris hatte wie viele andere Gruppen und Aktivisten weltweit zu Protesten gegen das Vorgehen des Konzerns in Thailand aufgerufen.

Nach Bemühungen der thailändischen Regierung, mit einer rechtlich zulässigen Zwangslizenz die Versorgung der eigenen Bevölkerung mit einem Aids-Medikament des Konzerns sicherzustellen, hatte Abbott angekündigt, zukünftig keine neuen Medikamente mehr in das Land zu liefern. Dies hatte zu einem weltweiten Proteststurm geführt. Abbotts Verhalten hatte schon mehrfach den Eindruck erweckt, Profite stünden in weit höherem Interesse als die Medikamentenversorgung der Bevölkerung.

Ende Juli kündigte eine Abbott-Sprecherin nun an, die Klage gegen ACT UP Paris sei fallen gelassen worden. Man erwarte keine weiteren Cyber-Attacken der Gruppe.
ACT UP Paris dementierte Aussagen des Konzerns heftig, man habe sich mehrfach mit der Gruppe getroffen und suche eine schnelle gemeinsame Lösung. Dies sei skandalöse Desinformation.

Das thailändische Positiven-Netzwerk betont, dass Abbott die Versorgung der thailändischen HIV-Infizierten mit seinem lebensnotwendiges Medikament ‚Aluvia‘ weiterhin blockiere.
Der Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten sie doch wohl wichtiger als der zeitweise Zugang zu einer Internetseite, betonten sowohl ein Sprecher der thailändischen Positivennetzwerks als auch ein Sprecher von ACT UP Paris.

Gesundheit statt Gold

Patente scheinen heute mehr dazu zu dienen, Profite zu sichern, als Patienten zu versorgen. Und doch – es gibt Alternativen zum Patent-System, zeigte das Medico- Symposium am 10. Mai 2007 in Berlin auf.

Nach Golde drängt
am Golde hängt doch alles!
Ach, wir Armen!
(Gretchen im Faust)

Das Goethe-Zitat (mit dem attac- und Weed-Vertreter Wahl sein Statement begann), könnte auch das Motto des gesamten medico-Symposiums sein – vor allem der Nachsatz „ach, wir Armen!“ dürfte manchem Vertreter von sog. ‚Entwicklungsländern‘ leicht über die Lippen kommen, wenn er an die Folgen von Patenten auf Medikamente denkt (wie der erste Teil der Veranstaltung zeigte).
Medico02Patente sind ein vergleichsweise neues Konzept, vor allem die Idee, immaterielle ‚Güter‘ zu patentieren (um sie künstlich zu verknappen). So wurde in Deutschland der Patentschutz auf Wirksubstanzen erst 1968 eingeführt.
Einst wirkten sie als Belohnung für Erfinder und Erfindungsgeist – heute, in Zeiten zunehmender Globalisierung, sind Patente längst zu einem strategischen Instrument zur Sicherung ökonomischer Interessen geworden. Sie dienen ’nicht mehr dem Nutzen der Gesellschaft, sondern dem privaten Profit Weniger‘, wie der attac-Vertreter betonte.

MdB Dr. Wolfgang Wodarg (selbst Mediziner) zeigte die Folgen eindrücklich an einem Beispiel auf. Die Rendite (Ergebnis vor Steuern) vieler Wirtschaftsbereiche bewegt sich im Bereich um 4% (Banken 4,1%, EDV 4,1%, Öl 4,72%). Die Rendite der 37 Unternehmen im VfA (dem Verband forschender Arzneimittel-Hersteller) hingegen belief sich auf 14,62%, und die der 14 größten Pharmahersteller sogar auf 15,66%! (Fortune 14/2003, Global500)
Die Pharmaindustrie, gestützt auf ihren jahrelangen Patentschutz und monopolartige Preise, erzielt übermäßige Renditen, die zudem von den Sozialversicherungen aufgebracht werden müssen, so Wodarg.

Mögen reiche Industriestaaten die hohen Medikamenten- Kosten, die hinter diesen absurden Pharma-Renditen stehen, noch aufbringen können, nicht nur für die ärmsten Staaten der Welt sind sie die reine Katastrophe. Die Folgen, die dies für die Versorgung der Bevölkerung mit Medikamenten hat, lassen sich eindrücklich an Staaten wie Thailand und Brasilien aufzeigen.

Wenn jedoch Patente zunehmend zum Werkzeug privatisierter Renditen geworden sind und einer effizienten Förderung der öffentlichen Gesundheit im Weg stehen, drängt sich umso mehr die Frage nach Alternativen auf.

Zunächst betonte Wodarg die Notwendigkeit einer parlamentarischen Kontrolle des Europäischen Patentamts (die heute nicht gegeben ist). Eine neu einzuführende Patent-Folgenabschätzung, wie sie Thailand schon erfolgreich handhabt, könnte -verbunden mit dem Recht einer etwaigen Rückholbarkeit von Patenten- Auswüchse gerade bei lebensbedrohlichen Erkrankungen vermeiden helfen.

Dennoch bleibt das -auch von Wodarg selbst benannte- grundsätzliche Problem bestehen, das in den Patenten selbst und der aus ihnen resultierenden Einschränkung der Verfügbarkeit von Medikamenten liegt. Zugespitzt: ‚Wie viele Tote nimmt man (z.B. durch verzögerte Medikamenten-Verfügbarkeit) bewusst in Kauf?‘

Die Absurdität dieser Frage macht deutlich, dass die Frage der Medikamenten-Forschung und -Entwicklung nicht länger allein den Kräften des freien Marktes überlassen werden darf. Andere Konzepte zum Umgang mit geistigem Eigentum, Alternativem zum Patent sind erforderlich.

Ein Schritt, der derzeit bereits erprobt wird, sind ‚public private partnerships‘ (PPP) und ‚product development parnerships‘ (PDP). Nicoletta Dentico berichtet von einer Partnerschaft der ‚Drugs for Neglected Diseases Initiative‘ mit einem Pharmakonzern, die kürzlich dazu führte, dass ein neues Malaria-Medikament ohne Patent verfügbar wurde
Allerdings sind solche ‚Partnerships‘ oftmals mit einem Makel konfrontiert. Eine funktionierende Partnerschaft würde zwei gleich starke und gleichberechtigte Partner voraussetzen – eine Konstellation, die mit der Pharmaindustrie wohl oftmals schwierig sein dürfte. Zudem sind die derzeit im Gesundheitsbereich aktiven PPPs (wie z.B. auch die Aids-Impfstoff-Initiative IAVI) alle mit einem weiteren Problem konfrontiert, der Abhängigkeit von wenigen Geldgebern (meist als dominantem Geldgeber sogar nur von der Bill & Melinda Gates Stiftung). PPPs können also nur ein, und ein eher mit Vorsicht zu betrachtender Schritt sein.

Eine weiter reichende, sehr spannende Idee stellte Jerome Reichman vor: Gesundheits- Forschung als öffentliches Gut. Gerade für essentielle Gesundheits- Fragen wie Aids oder Malaria könnte so eine bedarfsgerechte und an den Interessen der Patienten orientierte Gesundheits- Forschung erreicht werden. Dies würde auch eine grundlegende Neuausrichtung der Arzneimittelforschung ermöglichen, die eine echte Balance findet zwischen den Gesundheitsbedürfnissen der Menschen und den für die pharmakologische Forschung und Entwicklung eingesetzten Geldern.

Patente haben inzwischen massive negative Folgen für die öffentliche Gesundheit, die Versorgung der Weltbevölkerung mit Medikamenten. Doch es gibt Alternativen. Diese ernsthaft in Erwägung zu ziehen, in konkreten Anwendungen zu testen und zu etablieren wird eine der Herausforderungen der nächsten Zukunft sein.
Zu wünsche wäre, dass auch der G8-Gipfel in Heiligendamm dies berücksichtigt, wenn über gerade von ‚Entwicklungsländern‘ befürchtete noch strengere Patentregelungen diskutiert wird.
Denn wenn nichts unternommen wird, die Forschung nach neuen Medikamenten weiterhin einzig Pharma- und Patent- gestützt stattfindet, dann, so meint medico, „werden künftig eher Arzneimittel für Katzen entwickelt als Impfstoffe gegen HIV/Aids“.

Patienten, Patente und Profite

Am medizinischen Fortschritt der Aids-Forschung haben Positive in den Entwicklungsländern nur wenig teilhaben können. Eines der Haupt-Probleme ist der Patentschutz der Medikamente, der einen Zugang zu -bezahlbaren- Medikamenten in den nicht-Industrie-Staaten massiv erschwert, wenn nicht oft beinahe unmöglich macht. Welche Wege aus der Misere führen könnten, damit beschäftigte sich ein Symposium, das Medico am 10. Mai 2007 in Berlin veranstaltete.

Nur 28% aller HIV-Infizierten weltweit, die einer antiretroviralen Behandlung bedürfen, erhalten tatsächlich Aids-Medikamente – 72% werden obwohl erforderlich nicht behandelt. Diese erschreckend schlechte Versorgung mit Aids-Medikamenten veranschaulichte jüngst erneut ein WHO-Report.

In diesem „kalten Krieg gegen Arme“, wie die taz formulierte, stellen die -durch Patente, Monopol-Preise und fehlenden Wettbewerb verursachten – hohen Medikamenten-Kosten und deren Patentschutz eines der größten Probleme dar.

„Ohne Patente lohnt sich keine kostenaufwändige Forschung für neue Medikamente“, sagen die einen. „Mit teuren Patenten wird die Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Medikamenten unmöglich gemacht“, meinen die anderen.

Die einen – die Pharmaindustrie, besonders die forschenden Pharmaunternehmen, und einige ihre Interessen vertretenden Verbände, Politiker, Regierungen. Die anderen – Patientenorganisationen, Aktivisten, Regierungsvertreter der Länder, die wir oft leichtfertig ‚Entwicklungsländer‘ nennen.
Beinahe unversöhnlich scheinen beide Seiten sich oft gegenüber zu stehen, wie erst jüngst wieder im Konflikt um Aids-Medikamente in Brasilien und Thailand.

Gibt es Wege, berechtigten Interessen beider Seiten gerecht zu werden? Oder müssen zukünftig bei der Erforschung von Medikamenten gegen lebensbedrohliche Erkrankungen ganz neue Wege gegangen werden? Mit diesen und weiteren Fragen beschäftigten sich internationale Experten auf der Tagung „Patienten, Patente und Profite“.

Medico02
Um die kostspieligen Original-Präparate der Pharma- Konzerne zu vermeiden, liegt für viele Staaten die Rettung in Generika (Nachahmer-Präparaten). Da derzeit noch alle Aids-Medikamente unter Patentschutz sind, bedeutet dies in den meisten Fällen einen Bruch bestehender Patente.

Womit sich die Frage stellt, ob Staaten wie derzeit Brasilien (beim Aids-Medikament Efavirenz) Patentrechte brechen dürfen. Die klare Antwort: ja, sie dürfen, wenn auch nur unter bestimmten Umständen.
Die Regelungen der Welt-Handels-Organisation WTO legen fest, dass ein Ignorieren von Patenten im Notfall zulässig ist. Nach der DOHA-Erklärung von 2001 und den TRIPS-Vereinbarungen von 1994 kann ein Land Zwangslizenzen (compulsory licence) für Produktion oder Import generischer Versionen von Medikamenten erteilen, insbesondere wenn ein gesundheitlicher Notstand vorliegt. Sowohl im Fall von Thailand (Lopinavir) als auch Brasilien (Efavirenz) hat die WHO dies auch ausdrücklich bestätigt.
Verschiedene Zugangsweisen zur Versorgung mit lebensnotwendigen Medikamenten wurden aus Südafrika, Brasilien und Thailand berichtet:

Südafrika
Jonathan Berger (Aids Law Project der Treatment Action Campaign), der erfreulicherweise wie oft auch hier mit einem Short „HIV positive“ sprach, rief noch einmal eindrücklich in Erinnerung, dass es in Südafrika erst mit massivem Druck seitens der Zivilgesellschaft gelang, die eigene Regierung zum Handeln zu bewegen.
Erst in jüngster Zeit wird begonnen, die Versorgung der eigenen Bevölkerung mit Aids-Medikamenten zu verbessern. Dabei stehen jedoch immer wieder auch regulatorische Hemmnisse im Weg – Tenofovir z.B., in den USA bereits seit Jahren als Aids-Medikament verfügbar, wurde in Südafrika erst vor zwei Wochen zugelassen.

Brasilien
Einen anderen Weg ist seit vielen Jahren Brasilien gegangen. Das Land wird international für erfolgreiche Präventionsbemühungen wie auch hohe Behandlungs- Standards gelobt.
Eloan Pinheiro (frühere Direktorin der staatlichen Pharma-Produktion) berichtete, dass das Land eine eigene staatliche Generika-Produktion aufgebaut hat, die sich als wesentliches Werkzeuge erwies, die Monopole der Pharmakonzerne aufzubrechen. Die jährlichen Kosten für die Behandlung eines HIV-Positiven konnten von über 10.000 US-$ auf 300$ gesenkt werden. Inzwischen werden beinahe 200.000 Positive im Land antiretroviral behandelt. Erreicht hat das Land dies auch dadurch, dass mit der Möglichkeit eigener Generika-Produktion die Pharmakonzerne von massiven Preissenkungen ‚überzeugt‘ werden konnten.

Dass auch diese Politik endlich ist, zeigt die jüngste Entwicklung. Die Ausgaben, die die brasilianische Regierung für importierte Aids-Medikamente hat, steigen gravierend an, die Bereitschaft der Pharmaindustrie zu deutlichen Preis-Zugeständnissen ist nachlassend. Das Druckmittel einer eigenen Produktionsmöglichkeit begann stumpf zu werden. Am 4. Mai schließlich erteilte die brasilianische Regierung die erste ‚compulsory licence‘, die die Herstellung und den Import generischer Versionen erlaubt.

Hintergrund der brasilianischen Politik, so Pinheiro, sei die feste Überzeugung, dass eine für jeden verfügbare wirksame Aids-Therapie (möglichst unentgeltlich von der Regierung) ein unabdingbares Menschenrecht sei.
Pinheiro zog den Schluss, dass Strukturen zur Produktion eigener Medikamente in den weniger entwickelten Staaten erforderlich sind. Sie schlug vor, Pilotanlagen für alle Aids-Medikamente zu entwickeln, und dieses Knowhow dann unentgeltlich allen relevanten Staaten zur Verfügung zu stellen.

Thailand
Thailand hat seit Ende 2006 bereits drei ‚compulsory licences‘ erteilt, ist hier einen Schritt weiter als Brasilien – sah sich aber insbesondere nach dem jüngsten Schritt auch massiven Protesten und Interventionen nicht nur der betroffenen Pharmakonzerne, sondern auch der Politik (bes. US-Regierung) ausgesetzt.
Suwit Wibulpolprasert (Chefberater Gesundheits- Ökonomie im thailändischen Ministerium für öffentliche Gesundheit) berichtete, dass etwa 100.000 Thais eine first-line-Therapie erhalten. Über 10.000 Thais würden eine second-line-Therapie benötigen, jedoch nur 15% erhielten sie. Trotz massiver Ausweitung des Gesundheits-Budgets (von 278 Mio. Baht 2002 auf 3.473 Mio. Baht 2007) könne keine ausreichende Versorgung der Bevölkerung mit Aids-Medikamenten erreicht werden – das Haupt-Problem seien die absurd hohen Medikamenten-Kosten.
Trotz enorm langer Verhandlungen mit dem Pharma- Konzernen seien keine akzeptablen Preise angeboten worden. Aus diesem Grund sei man dazu übergegangen, ab Ende 2006 ‚compulsory licences‘ zu erteilen. Seitdem befinde man sich im offenen Konflikt mit der Pharma- Industrie.

Suwit wies nochmals darauf hin, dass es gelingen müsse, neben dem Markt ‚hohe Gewinnmarge bei niedrigem Umsatz‘ (der insbesondere für Industriestaaten tauge) auch einen Markt ’niedrige Marge bei hohem Umsatz‘ zu etablieren. Zwangslizenzen seien nicht der einzige Weg, das Problem zu lösen. Letztlich kam auch er zu dem Schluss, dass keiner der Pharmakonzerne, mit denen verhandelt wurde, an einer Lizenz-Lösung für den lokalen Markt interessiert war. Um so wichtiger sei nun insbesondere auch für sein Land internationale Unterstützung, um dem Druck von Pharmakonzernen und Politikern standhalten zu können.

Patente auf Medikamente, monopolartige Preise – dies ist nicht die einzige Möglichkeit, Substanzen zu entwickeln, und vielleicht auch nicht die beste. Darüber mehr morgen in Teil 2 des Berichts über die Konferenz „Patienten, Patente und Profite“.

EBM

Heut lern ich was über EBM.

EBM, das scheint eine vielfältige Welt zu sein. Eine Welt, in der sich Ärzte und Pop, klinische Studien und Baptisten munter umeinander tummeln.

Nein, ich geh nicht in einen Kurs über Electronic Body Music … ich mag zwar 80er-Pop, aber …

Und mit der Europäischen Baptisten-Mission hab ich auch nichts am Hut …

Der Erzgebirge-Bike-Marathon, das würd vielleicht mehr Spaß machen …
… während Marathon-Laufen mir zu viel wär …

EBM heißt auch Einheitlicher Bewertungs-Maßstab. Der regelt die Honorare der Ärzte. Aber Honorar bekomm ich heute nicht, und vergnügungssteuer-pflichtig wird die heutige Veranstaltung wohl auch nicht …

Und EBM steht auch für die evidenzbasierte Medizin

Und warum das Ganze?
Das wird demnächst vielleicht verraten … 😉