HIV-Neuinfektionen – Hintergrund-Informationen

Im Vorfeld des alljährlichen Welt-Aids-Tags am 1. Dezember werden demnächst wieder die Zahlen zu den HIV-Neudiagnosen in die Diskussion geraten. Was steckt hinter diesen Zahlen? Wie kommen sie zustande, und was sagen sie aus? Einige Hintergrund-Informationen …

HIV-Neudiagnosen

HIV-positive Testergebnisse müssen in Deutschland von Laboren und Ärzten pseudonymisiert an das Robert-Koch-Institut (RKI) gemeldet werden (Meldung gemäß §7(3) Infektionsschutzgesetz). Anhand der Pseudonymisierung werden Doppel-Meldungen (z.B. Labor und Arzt melden den gleichen Patienten an das RKI) weitgehend bereinigt.
Dies bedeutet: die Zahl der HIV-Neudiagnosen wird gezählt!

Die Zahl der HIV-Neudiagnosen wird vom RKI regelmäßig publiziert im ‚Epidemiologischen Bulletin‘ (z.B. der Jahresbericht ‚HIV-Infektionen und AIDS-Erkrankungen in Deutschland‘ 2007 im Epidemiologischen Bulletin Sonderausgabe A / 2008, 2. Mai 2008).

HIV-Infektion und HIV-Diagnose können zeitlich weit auseinander liegen. Aus diesem Grund erlaubt die Zahl der HIV-Neudiagnosen keinen direkten Rückschluss auf das aktuelle Infektionsgeschehen. Zudem wird die Zahl der HIV-Neudiagnosen z.B. beeinflusst von Faktoren wie das Meldeverhalten der Ärzte oder Angebot und Inanspruchnahme von HIV-Tests (ein massives Bewerben des HIV-Tests in Schwulenszenen einiger Städte führt z.B. fast ’natürlich‘ auch zu einem Anstieg der Tests und damit der Neudiagnosen).

Für Deutschland wurden dem RKI für das Jahr 2007 (Stand 01.03.2008) 2.752 neu diagnostizierte HIV-Infektionen gemeldet (für 2006: 2.643; Zunahme 2007 zu 2006: 4%). Die Zahl der HIV-Neudiagnosen publiziert das RKI im April (gesamt Vorjahr). Der bisher jeweils im Oktober vorgelegte Halbjahresbericht entfällt seit diesem Jahr; allerdings wird das RKI auch dieses jahr wieder ein Welt-Aids-Tag – Bulletin veröffentlichen  (im November; siehe ‚HIV-Neuinfektionen‘).

Im Gegensatz zu HIV-positiven Testergebnissen (pseudonymisierte Meldepflicht) wird die Zahl der Aids-Erkrankungen und Aids-Todesfälle nur freiwillig weitergegeben und vom RKI in einem zentralen Fallregister ausgewertet.

Bei weitem nicht alle Staaten weltweit zählen ihre HIV-Neudiagnosen. Aus diesem Grund werden von internationalen Organisationen wie UNAIDS (der Aids-Organisation der Vereinten Nationen) oftmals keine Daten zu HIV-Neudiagnosen veröffentlicht.

HIV-Neuinfektionen

Das eigentliche Ziel der Überwachung von Infektionskrankheiten ist weniger das Zählen neuer Diagnosen, als das Erkennen aktueller Entwicklungen. Das aktuelle Infektionsgeschehen spiegeln die Zahlen der HIV-Neudiagnosen aus verschiedenen Gründen (s.o.) jedoch nicht direkt wieder.
Da es für die Zahl der HIV-Neuinfektionen keine Zahlen gibt (geben kann), kann diese nur geschätzt werden. Das RKI schreibt selbst hierzu: „Die Bestimmung der Anzahl der HIV-Neuinfektionen pro Zeiteinheit (HIV-Inzidenz) ist methodisch schwierig und aufwändig.“
Dies bedeutet: die Zahl der HIV-Neuinfektionen wird geschätzt!

Anlässlich des Welt-Aids-Tags 2007 berichtete das RKI im November 2007 über Stand und Entwicklung der HIV-Infektion in Deutschland und schätzte damals die Zahl der HIV-Neuinfektionen in Deutschland für das Jahr 2007 auf „etwa 3.000“ (Epidemiologisches Bulletin Nr. 47/2007).
Die Schätzung der HIV-Neuinfektionen 2008 wird das RKI etwa Ende November 2008 veröffentlichen.

HIV-Prävalenz

Die HIV-Prävalenz gibt die Gesamtzahl der lebenden HIV-Infizierten an.
Mitte der 1990er Jahre hatte sich in Sachen HIV-Prävalenz eine Art ‚Gleichgewichtszustand‘ etablierte: die Zahl der Aids-Neumanifestationen und -Todesfälle hielt sich in etwa die Waage mit der Zahl der HIV-Neuinfektionen. Die Einführung hochwirksamer Therapien beendete dieses ‚Gleichgewicht‘. Die Zahl der Aids-Neumanifestationen und -Todesfälle sinkt; seit etwa 2000 steigt zudem die Zahl der HIV-Neuinfektionen. Dies führt im Ergebnis dazu, dass seit 1995 die Zahl der mit HIV lebenden Menschen in Deutschland langsam zunimmt. Für Ende 2007 schätzt das RKI die Zahl der in Deutschland lebenden HIV-Positiven auf „um 59.000“ (Epidemiolog. Bulletin Nr. 47/2007, s.o.). Die Schätzung für 2008 wird etwa Ende November 2008 veröffentlicht werden.
Diese Schätzung beinhaltet auch die so genannte ‚Dunkelziffer‘ (diejenigen Menschen, die noch nichts von ihrer HIV-Infektion wissen).

HIV-Inzidenz

Die HIV-Inzidenz gibt die Zahl der HIV-Neudiagnosen pro Zeiteinheit an (s.o.).

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Nachtrag
03.12.2008: Bei den Daten zur HIV-Prävalenz ist zu beachten, dass diese nicht direkt zwischen den Jahren vergleichbar sind. Das Robert-Koch-Institut hat die Zahl der HIV-Infektionen in den 1990er Jahren im Jahr 2008 neu berechnet und nachkorrigiert. Dadurch wurden die Zahlen nach oben korrigiert – diese erhöhten Zahlen sind in die Zahlen zur Prävalenz 2008 mit eingeflossen. Aus diesem Grund fällt die Prävalenz 2008 höher aus als die Prävalenz 2007.

‚Wir unterstützen nachhaltig diese Kampagne‘ – Prof. Pott (BZgA)

„Es geht um das Leben. Zwar das Leben mit einer Krankheit, aber eben nicht um das Sterben“, skizzierte Elisabeth Pott die Ausgangssituation der neuen Präventionskampagne ‚ich weiss, was ich tu!‚.

Prof. Dr. Elisabeth Pott, Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), betonte, man stehe vor ganz großen neuen Herausforderungen.

Auch heute sei es -nicht nur fernab, im Ausland, sondern auch in Deutschland- die Situation noch so, dass keineswegs jeder offen schwul sein kann, offen mit HIV leben kann, ohne diskriminiert zu werden. Die Kampagne leiste einen wesentlichen Beitrag dazu, Aids in der heutigen Zeit, mit den heutigen Lebenssituationen ein Gesicht zu geben und Identifikationsmöglichkeiten zu schaffen. Dies sei ein zentrales Anliegen und sehr gut gelungen an der neuen Kampagne. Und genau dies sei auch Voraussetzung für wirksame Prävention.

Die BZgA habe die DAH seit langem unterstützt und werde dies auch weiterhin tun. „Nur wenn die Regierung hinter einem solchen Programm steht und es auch mit verantwortet und trägt, glaube ich dass wir in der Gesellschaft erreichen können, dass diese Dinge sich auch weiterhin durchsetzen …“, wandte sich Pott an die ebenfalls anwesende Marion Caspers-Merck, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium.

Niemand nehme daran Anstoß, dass in bestimmten Tageszeitungen beinahe täglich eine nackte Frau abgebildet werde. „Aber wenn gute Kommunikationsarbeit gemacht werden muss, die dem Lebensschutz dient, die dem Schutz vor Krankheiten dient, dann sind viele sehr schnell dabei zu kritisieren ob man das denn wirklich so sagen muss, ob man das wirklich so zeigen muss“. Dieser Kampf sei schon über viele Jahre geführt worden.

Man habe bereits einen langen insgesamt erfolgreichen Weg zusammen zurück gelegt, beschrieb Pott die bisherigen Jahre der Zusammenarbeit von BZgA und DAH. Es sei eine lange ‚Ehe‘ zwischen Bundeszentrale und Aidshilfe – auch mit Schwierigkeiten, wie in jeder normalen Ehe. Ein Gefühl von Silberhochzeit könne sie beinahe überkommen, betonte Pott – und erhielt aus dem Publikum den Zuruf „ich will die Scheidung!“.

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Video: Rede Prof. Pott (BZgA) anlässlich des Starts der bundesweiten Präventionskampagne ‚ich weiss, was ich tu!‘

Länge 5:35 min.

‚ich weiss, was ich tu!‘ ist ein Meilenstein – Rede Carsten Schatz

‚Die Kampagne ‚ich weiss, was ich tu!‘ ist ein Meilenstein auf dem Weg zur Modernisierung der HIV- und STD-Prävention in Deutschland“. Darauf wies Carsten Schatz, Mitglied des Vorstands der Deutschen Aidshilfe (DAH) bei der Vorstellung der Kampagne am 13. Oktober 2008 in ‚Clärchens Ballhaus‘ in Berlin hin.

Schatz danke der BzgA für die gute Zusammenarbeit und das Vertrauen in das Knowhow und die Fähigkeiten der Deutschen Aidshilfe. Er betonte:  „Vorab-Tests der Kampagne durch die Freie Universität Berlin bestätigten, dass unsere Kampagne von hoher Qualität, großer Glaubwürdigkeit und Verständlichkeit ist. Wir haben nichts anderes erwartet.“

Die Kampagne, so Schatz, sei auch unter Einbeziehung der Zielgruppen, und auch von HIV-Positiven geplant und entwickelt worden. „Wir nehmen unseren Auftrag als Interessenvertretung der von HIV bedrohten und betroffenen Männer ernst“, so Schatz. Deswegen scheue die DAH auch zukünftig keine Auseinandersetzung darüber, mit welchen Inhalten und Bildern die Zielgruppe angesprochen werde.

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Video: Rede Carsten Schatz (Vorstandsmitglied DAH) anlässlich des Starts der Kampagne ‚ich weiss, was ich tu!‘

(Video, Dauer 5:31 min.)

Kampagnenstart ‚ich weiss, was ich tu!‘ – Foto-Impressionen

ich weiss, was ich tu!

Am 13. Oktober wurde in Berlin die bundesweite Präventionskampagne „ich weiss, was ich tu!“ gestartet.

iwwit - Testimonial Fabian (Foto: DAH)
iwwit - Testimonial Fabian (Foto: DAH)

ich weiss, was ich tu!“ ist die neue Kampagne der Aidshilfen für Schwule, Bisexuelle und andere Männer, die Sex mit Männern haben (MSM)

Start der iwwit-Kampagne am 13.10.2008 (Foto: DAH) v.l.n.r.: Matthias Kuske (DAH-Kampagnenmanager), Prof. Dr. Elisabeth Pott (BZgA-Direktorin), Sylvia Urban (DAH-Bundesvorstand), Winfried Holz (DAH-Bundesvorstand), Dr. Dirk Sander (DAH-Abteilungsleiter Strukturelle Prävention MSM)
Start der iwwit-Kampagne am 13.10.2008 (Foto: DAH) v.l.n.r.: Matthias Kuske (DAH-Kampagnenmanager), Prof. Dr. Elisabeth Pott (BZgA-Direktorin), Sylvia Urban (DAH-Bundesvorstand), Winfried Holz (DAH-Bundesvorstand), Dr. Dirk Sander (DAH-Abteilungsleiter Strukturelle Prävention MSM)

Dr. Dirk Sander, DAH-Abteilungsleiter Strukturelle Prävention MSM, erklärt zum Kampagnenstart: „Die HIV-Neudiagnoseraten steigen seit 2001 in der MSM-Zielgruppe in allen westlichen Industrienationen. Aktuelle Studien (z.B. Bochow et al., „Wie leben Schwule heute?“ Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, 8. Wiederholungsbefragung zum MSM-Schutzverhalten) stellen aber fest, dass der Wille, sich vor HIV zu schützen, in der Zielgruppe der MSM auch nach über 20 Jahren Präventionsarbeit ungebrochen hoch ist. Die Grundstandards des Safer Sex sind von der Zielgruppe gelernt. Sie erfordern allerdings heute eine Erweiterung, die auf authentische Weise die Lebenswirklichkeiten der Zielgruppe aufgreift.“
Sander betont zudem „wir binden HIV-Positive in die Prävention ein: Die HIV-Positiven können in der Prävention die Aufgabe übernehmen, falsche Bilder vom Leben mit HIV aufzuweichen, falsche Risikostrategien entlarven und falsche Bilder von HIV-Positiven selbst korrigieren helfen. Das ist auch deshalb wichtig, um einer Stigmatisierung von HIV-Positiven entgegen zu wirken.“

ich weiss, was ich tu!
ich weiss, was ich tu!

Für Irritationen sorgt ab und an noch das Motto der Kampgane: „ich weiss, was ich tu!„. In diesem Motto kommt der DAH zufolge das Ziel der Kampagne zum Ausdruck: Schwule, Bisexuelle und andere Männer die Sex mit Männern haben einzuladen und zu befähigen, selbstbewusst Entscheidungen für individuelle Präventions- und Gesundheits-Strategien zu treffen und durchzusetzen.

„ich weiss, was ich tu!“ umfasst damit auch Themen und Inhalte, die über den engeren Bereich HIV/Aids hinaus ragen – auch sexuell übertragbare Infektionen sowie allgemeinere Themen schwuler Gesundheit sollen angesprochen werden.

Die neue Kampagne geht auch durch die Presse- und Bloggerlandschaft. Schon fragt koww angesichts einer gewissen Fokussierung auf jüngere Menschen und der heutigen Premiere des Films ‚jung positiv inside‘ mahnend ‚und was ist mit den Alten?‚, während sich ‚Samstag ist ein guter Tag‚ angesichts der Verwendung des Begriffes MSM um die Auslöschung von Schwulen aus dem öffentliche  Diskurs sorgt. Die FR berichtet vom ‚Start einer Präventionskampagne‘, und queer.de sagt „wir sind keine Missionare„.
ik weet wat ik doe‘, heißt das ganze bei pozandproud auf niederländisch.
webguerillas entwickeln Präventionskampagne‘
’nur für Männer‘, sagt die SZ

Fotos und Bericht von der Auftaktveranstaltung folgen … hier Fotos, Rede Dr. Dirk Sander ‚Prävention muss aufklärerisch ansetzen‚, Rede Carsten SDchatz (Vorstadn DAH): „Die Kampagne ist ein Meilenstein„, Rede Prof. Pott / BZgA „Wir unterstützen nachhaltig diese Kampagne„.

Aids entstand am 13. März 1901

„Aids entstand vor 100 Jahren“, so oder ähnlich geht es gerade mal wieder durch die Medien. Bei der Spurensuche, wann und wo Aids entstand, wird ein neues Kapitel aufgeschlagen.

Juni 1980. Der Wissenschaftler Michael Gottlieb von der UCLA, informiert in einem Bericht, publiziert im Mitteilungsblatt der us-amerikanischen CDC Centers for Disease Control and Prevention (dem “Morbidity and Mortality Weekly Report”, MMWR) vom 5. Juni 1981, über eine ungewöhnliche Konstellation von Pilzinfektionen und Lungenentzündungen (PcP) bei fünf ansonsten scheinbar völlig gesunden jungen schwulen Männern aus Los Angeles. Offenbar ist das Immunsystem bei den Männern zusammengebrochen.
Gottlieb beschreibt damit erstmals in einer Fachpublikation ein Krankheitsbild, das bald darauf (nach einem Intermezzo namens ‚GRID‘) den Namen AIDS erhalten wird: das Acquired Immune Deficiency Syndrome.
Schon bald nach den ersten Berichten, erst recht nach der Identifikation des auslösenden Virus HIV durch die späteren Nobelpreisträger Montaignier und Barré-Sinoussi, kommt die Frage auf, woher denn diese neue Erkrankung stamme – die Suche nach dem ‚wann entstand Aids‘ beginnt.

1998, auf der Fifth Conference on Retroviruses and Opportunistic Infections, stellen Forscher aus einer Arbeitsgruppe um David Ho (Aaron Diamond Aids Research Center, New York) Ergebnisse vor, aus denen sie schließen, dass HIV erstmals im Kongo 1959 auftrat (abstract 280). Sie hatten in einer Blutprobe eines Mannes aus Kinshasa aus diesem Jahr HIV-Virus-Partikel identifizieren können. Publiziert wurden die Ergebnisse erstmals bereits kurz zuvor in einem Leserbrief an die Zeitschrift Nature.
Bisher gilt die von ihnen analysierte Probe als die älteste zweifelsfrei als HIV-infiziert korrekt datierte Probe.

Nun jedoch kommen Forscher um Michael Worobey (University of Tuscon, Arizona) zu dem Ergebnis, HIV sei vermutlich deutlich früher entstanden. Sie publizierten in der Zeitschrift Nature (Ausgabe vom 2. Oktober 2008) ihre Forschungsergebnisse.

Die Forscher analysierten 27 Gewebeproben aus der Republik Kongo aus den Jahren 1958 bis 1960. In einer Probe aus dem Jahr 1960 wurden sie fündig – in in Paraffin konserviertem Gewebe aus dem Lymphknoten einer Frau konnten sie HIV-Partikel zweifelsfrei identifizieren.

Ein Nachweis des Auftretens von HIV für das Jahr 1960 allein wäre nicht wesentlich bemerkenswert – würde er doch ’nur‘ den Nachweis des zweitältesten bisher belegten Auftretens von HIV bedeuten.

Doch die Forscher gingen einen Schritt weiter. Sie vergleichen die Probe der Frau mit der bisher bekanntesten ältesten HIV-Probe aus dem Jahr 1959. Und stellten dabei zahlreiche deutliche Unterschiede in der HIV-Erbinformation fest. Je größer die Unterschiede zwischen den Viren, desto länger zurück in der Zeit müsse ein gemeinsamer Vorgänger liegen, so ihre Überlegung. Aus dieser Überlegung sowie der Art und Vielzahl der genetischen Unterschiede kamen sie mithilfe einer Art ‚Stammbaum‘ aufgrund evolutionsbiologischer Gesetzmäßigkeiten zu der Einschätzung, dass ein gemeinsamer Vorgänger beider Proben zwischen 1884 und 1924, vermutlich ’nahe dem Anfang des 20. Jahrhunderts‘ existiert haben müsse.

Und warum Aids dennoch erst in den 1980er Jahren als Epidemie begann? Die Forscher bieten mehrere Erklärungsansätze an. Anfang des 20. Jahrhunderts habe es in Afrika nahezu keine städtischen Strukturen gegeben. Menschen seien zwar auch damals an Aids erkrankt und gestorben, es habe aber kaum eine Chance bestanden, das Virus weiterzugeben.
Doch auch politische Hintergründe werden als mögliche Hintergründe angeführt, so der Zusammenbruch des Kolonialismus mit seinen Strukturen. Oder, ein wenig mehr in der Tradition beliebter Verschwörungs-Theorien, das Aufkommen von Einwegspritzen – die in Afrika anfangs, in den 1950er Jahren oft mehrfach verwendet wurden.

Die Suche nach dem Ursprung von Aids begann schon mit jenem ominösen „Patienten 0“ (patient zero), zu dem der kanadische Flugbegleiter Gaetan Dugas fälschlicherweise erklärt wurde. Dass die Herkunft von HIV eher in Afrika zu suchen ist, ist bereits länger deutlich. Durch die neue Arbeit ist nun auch eine neue Zeitspanne zu vermuten, in der HIV entstanden sein könnte.
Dennoch bleibt -bei allem wissenschaftlichen Interesse- die Frage, worin der große Erkenntnisgewinn liegt, nun zu wissen dass HIV eventuell schon 50 Jahre früher als bisher angenommen aufgetreten ist. Wo sind die Nutzen für Prävention und Therapie? Und warum für dieses Thema so viel mediale Aufmerksamkeit?

Paris: Bareback-Party von ACT UP verhindert

Paris: Aktivisten der Aids-Aktionsgruppe ACT UP haben eine Bareback-Party in der Stadt mit Aktionen verhindert.

„Aids-Komplizen“, „Nein zum Bareback-Business“ oder „Hier zählt das Leben eines Schwulen nichts“ – mit provokanten Parolen und Rufen hat ACT UP Paris mit 15 Aktivisten am Samstag, 4. Oktober 2008 in Paris eine Bareback-Party verhindert.

ACT UP Paris protestiert vor dem Pariser Banque Club gegen eine Bareback-Party (Foto: ACT UP Paris)
ACT UP Paris protestiert vor dem Pariser Banque Club gegen eine Bareback-Party (Foto: ACT UP Paris)

Der ‚Banque Club‘ ist ein beliebter Club im 8. Arrondissement von Paris, der sich auf seiner Internetseite selbst als „underground sex area“ bezeichnet. Für den Abend des 4. Oktober war der gesamte Club für eine Bareback-Party reserviert. Für die Teilnahme an der Party war eine Anmeldung über das Internet erforderlich, ein Eintritt von 18,50 Euro wurde vorab erhoben – erst dann wurde die Adresse der Party-Location mitgeteilt.

Veranstalter der geschlossenen Party war die Internetseite ’squatNOk‘, ein französischsprachiges Internetangebot für Barebacker. Dieses ist seit Oktober 2008 ein völlig privates Portal, das -außer dem Info-Bereich zu STDs, Testmöglichkeiten etc.- nur nach Einladung mit Zugangscodes genutzt werden kann (1). Zukünftig solle alle zwei Monate eine solche Party stattfinden, hatten die Veranstalter vorab angekündigt.

ACT UP Paris forderte „alle Schwulen Paris‘ auf, ein Etablissement zu boykottieren, das auf eure Gesundheit pfeifft“. ACT UP wies darauf hin, dass der Banque Club Mitglied der SNEG ist und die französische Präventionsvereinbarung (siehe ‚Umsatz und Kondome‚) unterzeichnet hat. Schon in früheren Aktionen hatte sich ACT UP Paris gegen den Club gewandt, mit dem wiederholten Vorwurf hier würden nicht einmal Mindestanforderungen wie die Bereitstellung von Kondomen und Gleitgel erfüllt. Mit riskantem Sex dürfe kein Geschäft gemacht werden.

ACT UP Paris rief zum Boykott des betreffenden Clubs auf und kündigte an, auch zukünftig gegen Etablissements vorgehen zu wollen, die Bareback-Sex ermöglichen.

‚Das könnte die letzte Bareback-Party in einem Sex-Club in Paris gewesen sein‘, befürchete schon das französische  Homo-Magazin Tetu.

Anmerkungen:
(1) Auf der Site heißt es „A compter du 5 octobre 2008, le Squat NOK est devenu entièrement privé. Sans être coloc il est devenu impossible de voir la cour et pour demander une piaule il faut y avoir été invité par un autre coloc. Le coloc invitant devient responsable de ses invités.“

Aus den vorliegenden Berichten ist unklar, ob die Bareback-Party letztlich doch offen für jedermann war, oder (wie bei ähnlichen Anlässen in Deutschland inzwischen eher üblich) gezielt als Party nur für Menschen mit HIV deklariert.
Die Pariser ACT UP – Gruppe ist für ihre Radikalität und insbesondere für ihre von manchen als ’stalinistisch‘ empfundene Haltung in Sachen ‚Bareback‘ bekannt.
In diesem Fall scheint das Engagement der Gruppe grenzwertig. Nicht nur, dass (wieder einmal) undifferenziert bareback und unsafer Sex gleichgesetzt werden. ACT UP scheint in Frankreich manchmal nicht in der Lage zu sein zu unterscheiden zwischen aktivem Einsatz für Prävention und Gesundheitsförderung und dem berechtigten Anliegen mancher Menschen, ohne Kondom Sex mit einander zu haben (der auch dann unter manchen Umständen safer oder auch nicht-infektiös sein kann).
Die Frage bleibt, ob solche provokanten Aktionen auf berechtigte Anliegen aufmerksam machen und auf Probleme hinweisen – oder ob sie in eine Polarisierung und Eskalation neuer Verbote (und Abdrängen in noch schwerer erreichbare Räume) führen.
So wenig ein in unseren Sexleben schnüffelnder und herumregelnder Staat erstrebenswert ist, genauso wenig scheint ACT UP als selbsternannte aktivistische Gesundheitspolizei ohne jegliche Legitimation eine angenehme Alternative zu sein.

Fast mag man sich angesichts Pariser Verhältnisse freuen, dass Forderungen à la ‚Bareback-Parties verbieten‚ hierzulande bisher ’nur‘ von den Schwusos kommen.
An Orten, an denen schwuler Sex stattfindet, sollte die Bereitstellung des erforderlichen ‚Zubehörs‘ (sprich Kondome, Gleitgel, Handschuhe etc.) selbstverständlicher Kundendienst sein. Orte, die ihren Kunden diesen Service nicht bieten – könnten einfach zugunsten besserer Alternativen gemieden werden.
Letztlich ändert jedoch auch die best-funktionierende Präventionsvereinbarung nichts daran, dass jeder -erst recht jeder, der einen Ort schwulen Sex‘ besucht- selbst dafür verantwortlich ist, seine Schutz-Möglichkeiten, also z.B. Kondome, bei sich zu haben.
Andererseits sollten sich jene Wirte so manchen schwulen Etablissements auch hierzulande, die sich immer noch weigern, in ihren Unternehmen Kondome auszugeben, fragen, ob sie hier nicht nur ihren Communities und Kunden, sondern nicht letztlich auch sich selbst einen Bärendienst erweisen.

Bundesregierung: EKAF hat „keine Auswirkungen auf HIV-Prävention“

‚Zur Zukunft der zielgruppenspezifischen HIV-Prävention bei schwulen Männern“ hat sich namens der Bundesregierung Staatssekretär Dr. Klaus Theo Schröder geäußert. Anlass war eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Barbara Höll, Klaus Ernst, Karin Binder, Katja Kipping, Monika Knoche, Elke Reinke, Frank Spieth, Dr. Kirsten Tackmann und der Fraktion ‚Die Linke‘ vom 22.09.2008 (Bundestagsdrucksache 16/10304, als pdf hier).

In ihrer Antwort formuliert die Bundesregierung ihre Unterstützung für die neue bundesweite Präventionskampagne der DAH „ich weiss, was ich tu!„:

Die Bundesregierung befürwortet die Ausarbeitung und Durchführung der zielgruppenspezifischen Kampagne für die Zielgruppe der MSM durch die DAH.

Dr. Klaus Theo Schröder - Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit (Foto: BMG)
Dr. Klaus Theo Schröder - Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit (Foto: BMG)

Wichtiger (auch vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen darüber, wie szene-nahe Kampagnen zu gestalten sind) ist die Antwort auf die Frage „Wie beurteilt die Bundesregierung den Gebrauch von szenetypischen Gegriffen für den sexuellen Kontakt in der Gruppe der MSM im Rahmen einer Präventionskampagne?„. Dr. Schröder antwortet:

„Die Bundesregierung hält die zielgruppenspezifische Ansprache und den Gebrauch von zielgruppenspezifischen Begriffen in der HIV-Prävention weiterhin für richtig und notwendig.“

Auf die Frage, „welche HIV-Präventionsmöglichkeiten gibt es neben dem Kondom und wie könnten diese im Sinne der HIV-Prävention vermittelt werden?“ bemerkt die Bundesregierung u.a.:

„Das Kondom gilt weltweit und auch in der HIV-Prävention in Deutschland als wirksamster Schutz vor der HIV-Infektion. Darüber hinaus gelten die Safer Sex-Regeln …“

… um in Sachen des EKAF-Statements und seiner Beurteilung durch die Bundesregierung zu ergänzen

„Die Stellungnahme der … EKAF und insbesondere ihre Gültigkeit für homosexuelle Sexualkontakte wird weltweit wissenschaftlich sehr kontrovers diskutiert.
Nach Auffassung der Bundesregierung hat das Statement deshalb zum jetzigen Zeitpunkt keine Auswirkungen auf die HIV-Prävention, insbesondere auch nicht für homosexuelle Männer. …“

Immerhin, die Bundesregierung sieht Forschungsbedarf:

Untersuchungen sind daher erforderlich zu den Unterschieden zwischen dem Transmissionsrisiko über vaginale Schleimhaut und dem über rektale Schleimhaut unter einer effektiven antiretroviralen Therapie.

… hüllt sich aber hinsichtlich ihrer Ambitionen diese Forschungen auch zu fördern ein wenig im Nebel. Sie verweist auf ein Düsseldorfer Forschungsprojekt zum sexuellen Risikoverhalten sowie RKI-Studien zur Rolle anderer sexuell übertragbarer Infektionen bei HIV. Keine Aussagen zu Forschungen hinsichtlich des EKAF-Statements, stattdessen belanglose Allgemeinplätze:

Sollten Forscherinnen und Forscher darüber hinaus erfolgversprechende Anträge für Forschungsvorhaben einreichen, wird die Bundesregierung die Möglichkeit einer finanziellen Unterstützung sorgfältig prüfen.

Das EKAF-Statement hat keine Bedeutung für die HIV-Prävention, wohl aber die Positiven, meint die Bundesregierung:

„… HIV-Positive können mit ihrem Verhalten zur Nichtübertragung des Virus entscheidend beitragen. Hierfür wird auch ein Klima benötigt, das es HIV-Positiven ermöglicht, offen über ihre Infektion zu sprechen. Dies ist … bis heute nicht ausreichend gewährleistet.

Wie sie dieses bisher ihrer eigenen Ansicht nach nicht ausreichend gewährleistete Klima zu schaffen oder befördern gedenkt (über die iwwit-Kampagne hinaus), dazu äußert sich die Bundesregierung nicht.
Immerhin, der Bundesregierung scheint bekannt, dass es nicht „die homosexuelle Lebensweise“ gibt: Auf die Frage „Wie haben sich nach Ansicht der Bundesregierung die Lebensweisen schwuler Männer verändert?“ antwortet Staatssekretät Dr. Klaus Theo Schröder namens der Bundesregierung

„Die Lebensweisen homosexueller Männer haben sich in den vergangenen Jahren nicht wesentlich geändert. Es handelt sich zudem um eine sehr heterogene Gruppe, die unterschiedliche Lebensweisen führt  …“

Barbara Höll, eine der Initiatorinnen der Kleinen Anfrage, kommentierte in einer Stellungnahme „Erfreut nehme ich die Antwort der Bundesregierung auf meine Kleine Anfrage zur Kenntnis, dass die Bundesregierung das Konzept der strukturellen Prävention (hier: Emanzipation und Akzeptanz schwuler Männer als Voraussetzung für eine erfolgreiche HIV-Prävention) unterstützt und befürwortet. Aber dies steht im Widerspruch zu ihrer eigenen Politik. Die völlige rechtliche Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Lebensweisen wäre umgehend umzusetzen, insbesondere durch das Gleichstellen der Lebenspartnerschaft mit der Ehe. Nur dann wären Schwule, wie auch Lesben, auch rechtlich gleichgestellt und ihre Lebensweisen stärker akzeptiert. Wer die HIV-Prävention bei schwulen Männern stärken will, muss die Akzeptanz schwuler Lebensweisen fördern. Nur ein selbstbewusst schwuler Mann, der gesellschaftlich akzeptiert wird, kann auch erfolgreich HIV-Prävention umsetzen.“

Die vollständige Antwort der Bundesregierung steht hier auf ondamaris als pdf zur Verfügung.

Kurz nach Vorlage ihres Berichts (pdf hier) über den ‚Stand der rechtlichen Gleichstellung homosexueller Lebenspartnerschaften‘ (den TheGayDissenter liebevoll ‚Homophobiebericht‘ betitelt) äußert sich die Bundesregierung auch zur Zukunft der HIV-Prävention bei schwulen Männern.
Zunächst ist es zu begrüßen, dass die Bundesregierung -nachdem sie in der Vergangenheit selbst für einige Stolpersteine gesorgt hatte-
die erste bundesweite HIV-Präventionskampagne der DAH für schwule Männer („ich wiess, was ich tu!“) unterstützt, und dass sie auch zilegruppengerechte Sprache begrüßt.

Erstaunlich, wenn auch nach dem Verhalten in den letzten Monaten zu erwarten, ist dass die Bundesregierung im Statement der EKAF keinerlei Auswirkungen auf die HIV-Prävention sieht. Man könnte den Eindruck bekommen, die Lebensrealitäten schwuler Männer sind hier teilweise weiter als die Einsichtsfähigkeit der Bundesregierung.

Zu begrüßen ist, dass der Bundesregierung bekannt ist, dass das gesellschaftliche Klima für HIV-Positive bisher alles andere als diskriminierungsarm ist. Auch wenn die Bundesregierung dies leider ausschließlich unter dem Präventions-Aspekt sieht, die Lebensrealitäten von Positiven in der Allgemeinbevölkerung wie auch in den eigenen Szenen ist häufig von Verstecken, Stigmatisierung und Diskriminierung beeinträchtigt (wie gerade wieder das gestern bekannt gewordene Urteil des Berliner Landesarbeitsgerichts zeigt(siehe ‚HIV-Positiver erstreitet Entschädigung wegen Diskriminierung‘)).
Wenn der Bundesregierung diese Tatsache (des ’nicht ausreichend‘ diskriminierungsarmen gesellschaftlichen Klimas) bekannt ist, ist es allerdings umso erstaunlicher, dass nach dieser Feststellung keinerlei über iwwit hinausreichende Ansätze erkennbar sind, wie denn die Situation von Menschen mit HIV  zum Besseren verändert werden könnte. Möglichkeiten hierzu hätte die Bundesregierung vermutlich genug …

HIV-Positiver erstreitet Entschädigung wegen Diskriminierung

Ein HIV-Positiver erstritt vom Casino Berlin eine Entschädigung wegen Diskriminierung. Er war in einer internen Stellenausschreibung benachteiligt worden.

Berlin. Das Casino Berlin hatte intern eine Stelle zur Besetzung ausgeschrieben. Zahlreiche hausinterne Bewerbungen gingen ein, unter ihnen auch die eines HIV-positiven Mannes. Alle Bewerber auf die Stele wurden zu Gesprächen eingeladen – der HIV-positive Mitarbeiter nicht. Alle hausinternen Bewerbungen wurden dem Betriebsrat vorgelegt – die des HIV-positiven Mitarbeiters nicht.

Ein klarer Fall von Diskriminierung, sagte das Landesarbeitsgericht Berlin in einer am 9.10.2008 mitgeteilten Entscheidung und verurteilte das Casino Berlin zur Zahlung von 1.000 Euro wegen Verstoßes gegen das AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz, früher: Antidiskriminierungsgesetz).

Die Klage des Mannes wurde bereits im Berufungsverfahren verhandelt.

Der -im konkreten Fall sträflich nicht eingeschaltete- Betriebsrat hätte darauf dringen können, behinderte Bewerber (wie den HIV-positiven Kläger) bei der Besetzung der besser bezahlten Stelle zu berücksichtigen. Der Mann konnte letztlich jedoch nicht nachweisen, dass er die Stelle bekommen hätte. Dies spiegelt sich in der letztlich nicht sehr großen Höhe der Entschädigung. Dr. Bettina Theben, Anwältin des Klägers und Dozentin für Arbeits- und Gleichstellungsrecht an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin, freut sich dennoch „Das Urteil zeigt: Das Gleichbehandlungsgesetz stärkt Betroffene bei der Durchsetzung ihrer Rechte effektiv. Arbeitnehmer können nun auch gegen verdeckte Diskriminierungen vorgehen“.

Ein bemerkenswertes Urteil – meines Wissens der erste Fall, bei dem das AGG zugunsten eines Menschen mit HIV wirkte.
Das Urteil zeigt deutlich, dass es lohnenswert ist, sich gegen Diskriminierungen zu wehren – und dass das lange erstrittene (und bekämpfte) Antidiskriminierungsgesetz auch für HIV-Positive eine sinnvolle Sache sein kann.
Zudem jedoch auch ein Urteil, das einmal mehr zeigt, dass Menschen mit HIV und Aids im Berufs- und Alltagsleben Gefahr laufen diskriminiert zu werden – und betont, wie wichtig Initiativen wie positivarbeiten sind. Zu hoffen ist, dass auch der neue Vorstand der DAH diesem Thema wieder mehr Aufmerksamkeit widmet …

Nobelpreis für teure Plazebos

Nachdem durch die Presse und anderen Medien ja breit durch ist, dass Françoise Barré-Sinoussi und Luc Montagnier für ihre Arbeiten zu HIV / Aids den Medizin-Nobelpreis 2008 zugesprochen bekommen haben, bleibt vielleicht eine Ergänzung erwähnenswert: der Preisträger eines ‚alternativen Medizin-Nobelpreises‘:

Den ‚Ig® Nobel Prize‘, verliehen von ‚Improbable Research Inc.‘, erhalten in diesem Jahr Dan Ariely, Rebecca L. Waber, Baba Shiv und Ziv Carmon. Sie haben eine bahnbrechende Arbeit zur Wirkung von Medikamenten publiziert.

Die Wissenschaftler haben in ihrer im Fachblatt JAMA publizierten Studie gezeigt, dass teure Plazebos besser wirken als billigere Plazebos.

Improbable Research formuliert zu ihren Preisverleihungen 2008:

„MEDICINE PRIZE. Dan Ariely of Duke University (USA), Rebecca L. Waber of MIT (USA), Baba Shiv of Stanford University (USA), and Ziv Carmon of INSEAD (Singapore) for demonstrating that high-priced fake medicine is more effective than low-priced fake medicine..
REFERENCE: „Commercial Features of Placebo and Therapeutic Efficacy,“ Rebecca L. Waber; Baba Shiv; Ziv Carmon; Dan Ariely, Journal of the American Medical Association, March 5, 2008; 299: 1016-1017.“

Wer der Preis-Verleiher ist? Und was diese „improbable research“? Improbable Reserch ist „research that makes people laugh and then think„, erklären sie selbst. „We also hope to spur people’s curiosity, and to raise the question: How do you decide what’s important and what’s not, and what’s real and what’s not — in science and everywhere else?“

[via Stationäre Aufnahme]

PS – Francoise wer – mag mancher Leser denken. Hier ein Interview mit ihr anlässlich der Nobelpreis-Zuerkennung (in französischer Sprache)

Geradezu bahnbrechende Erkenntnisse moderner Medizin: teure Plazebos (wir erinnern uns, Plazebos sind wirkungslose Pillen) wirken besser als billigere Plazebos. Die Pharmabranche jubelt, die Kassenfürsten bekommen noch zerfurchtere Gesichter … und Patienten raufen sich die Haare, wie, ‚billig wirkungslos‘ wirkt nicht so gut? Doch nicht ‚billig will ich‘? Und überhaupt, was sagt die Besorgniszentrale dazu?

Deutsche Aids-Hilfe: neuer Vorstand gewählt (akt.)

Auf der Mitgliederversammlung der Deutschen Aids-Hilfe wurde ein neuer Vorstand gewählt.

DAH Vorstand nach Wahl am 5. Oktober 2008
DAH Vorstand nach Wahl am 5. Oktober 2008 (Foto: DAH)

Vor 25 Jahren, am 23. September 1983, wurde die Deutsche AIDS-Hilfe e.V. (DAH) als erste AIDS-Selbsthilfe-Einrichtung in Deutschland gegründet. Inzwischen haben sich 120 Mitgliedsorganisationen unter dem Dach der Deutschen AIDS-Hilfe e.V. (Aids- und Drogenhilfen, Präventionsprojekte, Schwulen- und Lesbenzentren, Wohn- und Pflegeprojekte) zusammengeschlossen.

Am 4. und 5. Oktober 2008 fand in Erfurt die jährliche Mitgliederversammlung der Deutschen Aids-Hilfe e.V. statt. Turnusgemäß wurde für eine Amtszeit von drei Jahren auch ein neuer Vorstand gewählt, die Vorstandsmitglieder nach der Neuwahl sind (in der Reihenfolge der Höhe der erhaltenen Stimmen):
– Carsten Schatz (Berlin)
– Sylvia Urban (Dresden)
– Winfried Holz (Berlin)
– Hansmartin Schön (München)
– Tino Henn (Köln)

Dem vorherigen Vorstand (Maja Czajka, Sylvia Urban, Sven-Christian Finke) wurde einstimmig keine Entlastung erteilt.

Im Verlauf der Mitgliederversammlung sollte auch das so genannte EKAF-Statement (‚keine Infektiosität bei erfolgreicher HIV-Therapie ohne andere STDs‚) diskutiert werden.

ich weiss, was ich tu!
ich weiss, was ich tu!

Nachtrag 07.10.2008: „Die Deutsche Aidshilfe will künftig verstärkt gegen die Stigmatisierung und Diskriminierung von HIV-positiven Menschen am Arbeitsplatz kämpfen“, sagt Neu-Vorstand Carsten Schatz laut dpa-medlung auf krankenkassen.de.
„Stellvertretend für den neuen Vorstand erklärt Carsten Schatz: ‚Der neue Vorstand will die DAH als politische Vertretung der von HIV und Aids Bedrohten und Betroffenen stärken. Als Fachverband werden wir die Leitlinien und lebenspraktischen Empfehlungen für die HIV-Prävention und den Schutz vor sexuell übertragbaren Krankheiten weiterentwickeln – z.B. in Bezug auf differenzierte Botschaften für die verschiedenen Zielgruppen.'“ (Pressemitteilung DAH)

Proteste gegen Roche

Französische Aids-Aktivisten protestierten am 3. Oktober am französischen Sitz des Pharma-Multis Hoffmann-LaRoche in Neuilly gegen die Politik des Konzerns. Sie warfen ihm vor, eine überzogene Preispolitik für den Fusionshemmer Enfuvirtide auf dem Rücken der Positiven in Südkorea zu betreiben.

ACT UP Paris protestiert gegen Hoffmann-LaRoche
ACT UP Paris protestiert gegen Hoffmann-LaRoche

Enfuvirtide (früher auch bekannt unter dem Forschungs-Namen T-20) ist ein bereits seit längerem auf dem Markt befindlicher Fusionshemmer gegen HIV. Enfuvirtide, entwickelt vom US-Biotech-Unternehmen Trimeris, wird vermarktet von Pharma-Multi Hoffmann-LaRoche unter dem Handelsnamen „Fuzeon“.

Fuzeon ist das teuerste derzeit am Markt erhältliche Medikament gegen HIV. Eine Packung mit 60 Durchstechflaschen sowie dem erforderlichen Lösemittel kostet in Deutschland derzeit 2.112,75 Euro. Dies ergibt Jahres-Therapiekosten für dies eine Medikament von schätzungsweise über 25.000 Euro – allein für ein einziges Medikament (das immer in einer Kombitherapie mit mindestens zwei weiteren Aids-Medikamenten eingesetzt wird).

Hoffmann-LaRoche erzielte Presseberichten zufolge 2006 mit Fuzeon einen Umsatz von 250 Mio. US-$(312 Mio. sFr.) – mit deutlich steigender Tendenz 2007. Presseberichte sprechen von 266,8 Mio. $ für 2007. In der ersten Jahreshälfte 2008 sollen die Umsätze stark gesunken sein – was auch der Verfügbarkeit neuer wirksamer HIV-Medikamente geschuldet sein könnte.

Schon aufgrund des hohen Preises steht Enfuvirtide Positiven in vielen Staaten der Welt nicht als Medikament zur Verfügung.
Auch in Südkorea ist Fuzeon bisher nicht verfügbar. ACT UP Paris zufolge sei die südkoreanische Regierung bereit gewesen, Jahres-Therapiekosten von 18.000 US-$ zu bezahlen. Roche habe jedoch auf seinem ursprünglichen  Preis von 22.000 $ beharrt.

ACT UP Paris protesierte am 3. Oktober gegen das Verhalten von Hoffmann-LaRoche. In Neuilly, Sitz der französischen Roche-Niederlassung, skandierte ein Dutzend Aktivisten vor der Firmenzentrale „Roche, du hast ein Herz aus Stein!“ und beklagte die Verweigerung einer Preisreduzierung. Der Pharmakonzern habe „südkoreanisches Blut an den Händen“.
Die Proteste in Neuilly sind Teil einer Woche von ACT UP – Aktionen gegen Roche unter dem Motto ‚Wer ein Monopol hat, muss nicht menschlich sein‘.

Enfuvirtide wird insbesondere bei HIV-Positiven eingesetzt, die keine oder kaum noch andere therapeutische Optionen haben.
Das Medikament wird zweimal täglich subkutan injiziert. Es ist bei vielen Positiven trotz oftmals guter Wirksamkeit nicht sehr beliebt, u.a. aufgrund sehr häufig auftretender und oft sehr schmerzhafter lokaler Reaktionen und Verhärtungen an den Einstichstellen. Eine verbesserte Applikationsform (mit Druck) wurde von Roche nicht zur Zulassung eingereicht.

Erst jüngst hatte Hoffmann-LaRoche angekündigt, seine Forschungsaktivitäten auf dem Aids-Gebiet einzustellen.

Matt Mullenweg in Berlin

Matt Mullenweg wird in der kommenden Woche in Berlin sein, voraussichtlich von Montag bis Samstag.
Eventuell besteht die Möglichkeit zu einem kleinen informellen Meeting.

Matt Mullenweg ist leitender Entwickler der Blogging-Plattform WordPress und Gründer von Automattic (dem Betreiber von WordPress.com).

Nachtrag 7.10.2008: Treffen am Donnerstag, 9. Oktober 2008, mehr hier

Heilung – aber vollständig

Die Heilung von HIV rückt wieder auf die wissenschaftliche Agenda – doch in Form einer ‚funktionellen Heilung‘, bei der die Infizierten HIV-positiv bleiben.

In den deutschen Medien, aber auch von Aidshilfen und Positiven bisher weitgehend unbemerkt, wird das Thema ‚Heilung von der HIV-Infektion‘ wieder Gegenstand wissenschaftlicher Debatten: Heilung sei ’not an impossible dream‘, heißt es auf der 17. Welt-Aids-Konferenz in Mexico Stadt.

Bisher konzentrierte sich die medizinische Forschung zu HIV und Aids weitgehend auf medikamentöse Therapien. Die hochwirksamen Kombinationstherapien (HAART) haben große Erfolge erreicht, HIV-Infizierte leben dank moderner Medikamente länger und besser, ihre Infektiosität sinkt drastisch. In Industriestaaten wird die HIV-Infektion gelegentlich fast als ‚chronische Erkrankung‘ betrachtet.
Eines jedoch haben selbst beste Therapien nicht erreicht, können es nicht erreichen: die Entfernung von HIV aus den Infizierten, die Heilung. Die modernen Therapien können die Vermehrung von HIV weitestgehend verhindern – und dennoch, die Patienten bleiben HIV-positiv.
Heilung von HIV, das galt für die Masse der Aids-Forscher (wie auch der Positiven) in den letzten Jahren als ‚absurdes Szenario fern ab jeder Realität‘.

Doch in Zeiten von Rückschlägen bei der Forschung nach HIV-Impfstoffen und -Mikrobiziden rückt die Heilung erneut auf die Agenda der Forscher. Wie jüngst auf der 12. Welt-Aids-Konferenz in Mexico Stadt. Dort sprach Anthony Fauci über – Heilung.

Anthony Fauci (c) Foto: NIAID
Anthony Fauci (c) Foto: NIAID

Von Heilung redet eben der Anthony Fauci, der noch im Juli 2007 am Rande eines Aids-Kongresses in Sydney forderte „Hören Sie endlich auf, von einer Heilung von Aids zu reden!“ (siehe ‚Heilungsverbot‚). Anthony Fauci ist seit 1984 Direktor des National Institute of Allergy and Infectious Diseases NIAID und Aids-Berater der US-Regierung.

Eine übrraschende Wendung zunächst. Doch die Heilung, von der Fauci spricht, bezeichnet er als ‚functional cure‚, als ‚funktionelle Heilung‘.

Faucis Hypothese: es sei ein Zustand anzustreben, in dem HIV-Positive ohne Kombitherapien und dennoch symptomfrei leben können – nachdem sie vorher sehr frühzeitig und aggressiv mit neueren antiretroviralen Medikamenten behandelt wurden.
Fauci spricht wörtlich von Heilung als:

„treatment of a disease such that no patient any longer needs to continue therapy“.

und skizziert sein Konzept mit den Worten

„You treat with aggressive ARV early on, you preserve a substantial level of specific immune response, you get prolonged suppression of viral load, you either add drugs or not, give HIV specific immunotherapy or not, and you have continual attrition of the HIV reservoir. And ultimately, carefully in a controlled manner discontinue therapy to see if the prolonged suppression of viral rebound will occur by preserved and amplified anti-HIV immune responses.“ (Quelle für beide Statements: Transscript der Session, s.u.)

Fauci konzentrierte sich in seiner Rede weitgehend auf diese Art der Heilung, die ‚functional cure‘, während er die eigentliche Heilung, die Eradikation (Entfernung von HIV) kaum thematisierte (er erwähnt nur kurz die Vision einer ‚mikrobiologischen Eradikation‘ als ’sterilizing cure‘ für einige wenige Positive). Fauci hält sein Konzept prinzipiell für realisierbar, entsprechende erste Studien (mit dem Zwischenziel einer Intensivierung der Therapie) seien bereits in Durchführung, betonte er.

Diese ‚functional cure‘, die Fauci vorschlägt, so erfreulich und verlockend sie klingt, sie hat einige Haken und Ösen.
So setzt sie zunächst voraus, dass eine intensive und frühzeitige antiretrovirale Therapie erfolgt – mit Medikamenten, die bisher noch nicht zur Verfügung stehen, mit Folgen und Nebenwirkungen, die derzeit noch unbekannt sind (und von denen angesichts seiner Forderung nach ‚aggressiver‘ Behandlung nicht anzunehmen ist, dass sie vernachlässigbar gering sein werden).
Zudem, der Begriff der ‚frühzeitigen‘ Behandlung bedingt, dass diese Strategie für einen Großteil der bereits heute mit HIV infizierten Menschen diese Strategie nicht zur Verfügung stehen dürfte, da sie schon zu lange HIV-infiziert sind. Gefragt wäre hingegen eine sehr frühe Diagnose der HIV-Infektion.
Ebenso setzt Faucis Ansatz neben der frühen Diagnose die konkrete Verfügbarkeit aggressiver Therapie voraus – zwei Ausgangsbedingung, die nur in wenigen Staaten gegeben sein dürften, sicherlich kaum in Staaten, die besonders stark von HIV betroffen sind wie Subsahara-Afrika.
Und diejenigen Menschen, für die diese Strategie in Betracht kommt, bleiben nach derzeitigem Verständnis weiterhin HIV-positiv. Mit allen Folgen, die an diesem Serostatus hängen.

Faucis ‚Heilungs-Ansatz‘ der ‚functional cure‘ erweist sich bei näherem Betrachten als ein zwar spannender Lösungsansatz, der jedoch zum einen keine eigentliche Heilung darstellt (die Patienten bleiben HIV-positiv), und zum anderen schon angesichts der praktischen Verfügbarkeit früher Diagnose und höchstwirksamer aggressiver Therapie nur für einen kleinen Personenkreis in reichen Industriestaaten in Frage kommen dürfte.

Das ‚vergessene Wort Heilung‚ gehört wieder dauerhaft auf die Agenda statt (bis auf gelegentliche Hypes) in der Versenkung zu verschwinden. ‚Zeitenwende 2008‚, das heißt nicht nur EKAF-Statement, sondern auch mehr Mut, wieder Heilung zu fordern.

Wenn nun selbst prominente Aids-Forscher wieder den Begriff der Heilung thematisieren, wird umso wichtiger, dass auch Positive selbst wieder die Forderung nach Heilung ihrer HIV-Infektion in Diskussionen einbringen. Wer, wenn nicht wir?, diese Frage steht nun umso mehr im Raum.

Die Debatte darf dabei jedoch nicht einseitig -entsprechend Faucis ’neuer Linie‘- auf eine Pseudo-Heilung nach vorheriger massiver Chemotherapie verkürzt werden (so sehr auch diese ein Durchbruch wäre), auf eine Pseudo-Heilung, die zudem wohl nur in den reichen Industriestaaten verfügbar wäre.
Auch die Eradikation, die reale Heilung muss weiter auf der Agenda bleiben. Wenn Heilung, dann (als Ziel) möglichst auch vollständig!

weitere Informationen:
Anthony Fauci sprach am 6.8.2008 in der Session „Looking to the Future – the Epidemic in 2031 and New Directions in Aids Research“ zum Thema „The Fuure of Aids Research“, Session als Mitschrift, Video und Podcats hier verfügbar (in englischer Sprache)

Nachtrag 30.10.2008: einen lesenswerten Überblick über die Frage und Probleme einer Heilung von HIV bietet ein mehrseitiger Artikel im Scientific American (Oktober 2008) „25 Years Later: Can HIV Be Cured?“

EKAF im Alltag – Drohkulisse oder Chance?

Welche Konsequenzen hat das EKAF-Statement zur Infektiosität bei erfolgreicher Therapie, für Positive, für die Betroffenengruppen, für die Prävention? Eine spannende Podiumsdiskussion befasste sich mit den Konsequenzen des EKAF-Statements für den Alltag.

Im Januar 2008 veröffentlichte die Eidgenössische Aids-Kommission EKAF ihr Statement (siehe ‚keine Infektiosität bei erfolgreicher Therapie ohne andere STDs‚). Ein Statement, das heftige Reaktionen von verschiedensten Seiten auslöste, von „endlich spricht jemand das aus …“ bis „das darf man doch nicht laut sagen …„. Anlässlich der Welt-Aids-Konferenz in Mexiko Stadt im August 2008 präsentierten Positive das Mexico Manifest, in dem sie forderten, das Statement anzuerkennen und zu einer offenen Debatte und uneingeschränkten Aufklärung zurück zu kehren.

‚EKAF – Konsequenzen für den Alltag?‘, unter diesem Titel fand am 13. September 2008 im Rahmen des Kongresses ‚HIV im Dialog‘ eine lebhafte Podiumsdiskussion zu dem Schweizer Statement statt. Unter Moderation von Corinna Gekeler (Berlin) diskutierten Michael Jähme (Köln), Götz Bähr, Matthias Hinz und Jens Ahrens (alle Berlin).

Podiumsdiskussion EKAF - Konsequenzen für den Alltag?
Podiumsdiskussion EKAF - Konsequenzen für den Alltag?

Das Bild von Positiven werde sich in der Gesellschaft in Folge des EKAF-Statements verändern, betonte Michael Jähme und verwies auf das große Potential an entstigmatisierender und Diskriminierung abbauender Wirkung, das mit dem EKAF-Statement genutzt werden sollte.
Auch kondomfreier Sex könne unter bestimmten Umständen safer Sex sein. Dies werde sicherlich die künftige Prävention komplizierter gestalten – aber da müsse sich die Prävention einer veränderten Realität anpassen. Zudem liege hierin doch auch die Chance, dass Positive nun einen noch größeren Anreiz hätten, auf ihre Gesundheit zu achten.

Götz Bähr wies darauf hin, dass das EKAF-Statement für eine kleine Gruppe eine neue Perspektive biete – nur denjenigen Positiven, die eine Kombitherapie machen. Dies seien vielleicht 30% aller Menschen mit HIV in Deutschland. Was sei mit den anderen? Entstehe nun ein Druck zu noch früherem Therapiebeginn? Vielleicht gar zu einem Therapiebeginn nicht aus medizinischen sondern epidemiologischen oder psychologischen Gründen? Zudem, Motor der HIV-Infektion seien diejenigen, die ungetestet aber mit HIV infiziert seien – eine Frage, die nicht außer Acht geraten dürfe, wo blieben hier die Test-Kampagnen?
Es müsse zudem im Fokus bleiben, dass HIV-Negative und Ungetestete sich weiterhin bemühen negativ zu bleiben. EKAF sei hier ein Moment zusätzlicher Sicherheit. Die Verantwortung dürfe jedoch nicht noch mehr einseitig auf HIV-Positive verschoben werden.
Zudem könne das EKAF-Statement dazu führen, dass der Druck auf Positive jetzt noch mehr wachse, sich zu offenbaren – vielleicht sogar mit ‚Offenlegung der Werte‘.

Matthias Hinz warnte vor der ‚Monogamie-Falle‘ – nirgends im EKAF-Statement wird Monogamie als Bedingung genannt, vielmehr heißt es in dem Artikel von Vernazza et al. „HIV-infizierte Menschen ohne andere STD sind unter wirksamer antiretroviraler Therapie sexuell nicht infektiös“. Zudem sehe er die Gefahr einer Re-Medikalisierung der Debatte, wenn z.B. in der Tendenz auch die früher von den Communities entwickelte und getragene Prävention (bei MSM) nun von ‚Experten‘, von Medizin und Pharma vereinnahmt werde.
Der Slogan ‚Kondome schützen‘ sei heute kaum noch situationsgerecht. Die Zeit der einfachen Botschaften sei vorbei; nicht nur die Zeit, auch die Bedrohung sei eine andere geworden. Er stelle die Prognose, der Slogan ‚Kondome schützen‘ werde irgendwann in nicht allzu ferner Zukunft nicht mehr verwendet. Nicht etwa, weil er obsolet geworden sei, sondern weil er der Komplexität der Situation nicht mehr gerecht werde.

Hinz wies darauf hin, dass seit Jahrzehnten durch die Angst von Positiven, für andere eine Quelle der Ansteckung zu werden, weitaus mehr Neuinfektionen verhindert wurden als durch jedes Selbstschutz-Interesse von Nicht-Positiven oder Präventionskampagnen. Wenn diese oft stark übersteigerte Angst nun zumindest etwas auf ein realistischeres Maß zurückgeht, sei das im Interesse der Positiven zu begrüßen. Das Argument, dass die Prävention diese Angst zum Funktionieren braucht, sei vielleicht verständlich, es wäre aber unethisch und kontraproduktiv, diese (endlich) weniger werdende Angst künstlich am Leben halten zu wollen. Hier müsse sich die Prävention was anderes einfallen lassen, um mit den sich verändernden Umständen umzugehen.

Immer wieder war in den Diskussionen die vielfach wahrnehmbare Angst Dritter (z.B. aus Politik und Verwaltung) Thema, „wir (die Positiven) könnten unsere Angst verlieren, andere zu infizieren“. Werde hier versucht eine Angst zu Lasten von Menschen mit HIV aufrecht zu erhalten, um nur nicht an alten Präventionskonzepten rühren zu müssen?
„Ich stelle mich als HIV-Positiver nicht mehr als Drohkulisse zur Verfügung!“, kommentierte dazu Michael Jähme. Überall freue man sich über Fortschritt in der HIV-Forschung – warum ausgerechnet hier nicht?

Eine spannende, inhaltlich sehr dichte und facettenreiche Diskussion – dank pointierter wie auch kenntnisreicher Beiträge der Diskutanten und besonders der intensiven Vorbereitung und guten Moderation durch Corinna Gekeler. Vielleicht beteiligen sich beim nächsten Mal auch die anwesenden Vertreter aus Politik und Verwaltung an der Diskussion?

‚Die Debatte um die Bedeutung des EKAF-Statements wird nur weiter gehen, wenn wir uns selbst darum kümmern‘, hatte Michael Jähme zu Beginn der Diskussion betont. Diese Veranstaltung wies einen guten Weg, wie Debatten inhaltsreich weiter geführt werden können – ohne Polemik, aber mit kontroversen Themen und Diskussionen.

Duschen statt Rote Beete? – Zeitenwechsel in Südafrika (akt.)

Statt von jemandem, der sich nie klar von Aids-Dissidenten distanzierte und dessen aidspolitische Bilanz fragwürdig bleibt, der Aids wohl letztlich immer für eine Erfindung des weißen Mannes und seiner Pharma-Industrie hielt, der sich eine Gesundheitsministerin leistete die HIV mit Zitronensaft und Rote Beete bekämpfen wollte, wird Südafrika nun bald wohl von jemandem regiert, der zu glauben scheint vor HIV könne man sich mit Duschen schützen …

Auf Thabo Mbeki, der heute seinen Rücktritt bekannt gab, folgt bald wohl Jacob Zuma.
Ein seltsamer Zeitenwechsel in Südafrika
Und dies in einem der weltweiten Brennpunkte der HIV-Epidemie …

Nebenbei, schon im Dezember 2007 monierte TAC, die Treatment Action Campaign, eine „wholesale deterioration in the quality of health amongst people in South Africa“ und forderte, wer immer auch neuer ANC-Chef (und später Staatspräsident) werde, möge „urgently create a new leadership in the Ministry and Department of Healt“.
Oder wird wahr, wie es burnttongue auch unter Verweis auf die Homophobie Zumas kassandrahaft formuliert, ‚Jacob Zuma bringt Unglück und Verderben“?

Nebenbei, der duschende Zuma wäre in ‚guter Gesellschaft‘ … Gambias Diktator Yahya Jammeh behauptet sogar, er persönlich könne Aids heilen.

Nachtrag 23.9.2008: In Folge des Rücktritts Mbekis traten 11 Minister zurück – nicht jedoch die viel kritisierte Gesundheitsministerin Tshabalala Msimang (im Land auch ‚Dr. Rote Beete‘ genannt). Sie teilte mit sie sei ein ‚loyales ANC-Mitglied‘ und habe keinerlei Rücktrittsabsichten.
Nachtrag 25.9.2008: Doch eine neue Gesundheitsministerin – TAC gratuliert Barbara Hogan und bemerkt „She has been one of the few Members of Parliament to speak out against AIDS denialism and to offer support to the TAC, even during the worst period of AIDS denialism by former President Thabo Mbeki and former Health Minister Manto Tshabalala-Msimang.“

Aktualisierung:
SpON 06.05.2009: Parlament wählt Zuma zum neuen Präsidenten
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