Die heute vorgestellten Ergebnisse der iPrEx-Studie schlagen international bereits Wellen. In Deutschland ist das Echo bisher niedrig – noch. Die iPrEx-Studie ist die erste kontrollierte Studie, die zeigt, dass das Konzept einer Prä-Expositions-Prophylaxe machbar und wirksam sein kann. Weitere Studien zu PrEP sind derzeit in Planung, mache in Durchführung, besonders in den USA sowie in Afrika und Asien.
Zunächst: wirksame Prä-Expositions-Prophylaxe, das wäre eine sehr gute Nachricht. Das Portfolio der Präventions-Methoden wäre um eine weitere Möglichkeit reicher.
Gut wäre die Nachricht insbesondere, wenn weitere Studien zeigen, dass die Wirksamkeit bei einer höheren Adhärenz (Einhalten der Einnahme-Vorschriften) noch deutlich höher als jetzt erreicht liegen könnte.
Und – dass gerade bei Menschen mit rezeptiven („aufnehmenden“) Sex-Praktiken scheinbar die Wirksamkeit besonders hoch zu sein scheint, könnte sich als besonders gute Nachricht erweisen – haben doch z.B. Schwule mit rezeptivem Analverkehr („sich ficken lassen“) ein besonders hohes Infektionsrisiko. So könnte PrEP schnell besonders auch zur beliebten Methode der „Dosen- oder Bottom-Prävention“ werden …
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Doch – bei aller Freude über ein sich als möglicherweise machbar erweisendes Konzept, der Jubel sollte begrenzt bleiben. Noch ist PrEP und die vorbeugende Einnahme von Aids-Medikamenten nichts für die Praxis, für das reale Leben. Für einen Jubel über Chancen zur bio-medizinischen Prävention ist es weit zu früh. Zu viele Fragen sind noch offen, so manche noch nicht einmal gestellt.
44 Prozent Wirksamkeit – was gut klingt, heißt anders ausgedrückt: von 100 unter sonst gleichen Umständen erfolgenden HIV-Infektionen könnten durch PrEP 44 verhindert werden – 66 56 jedoch nicht. 56 66 Menschen würden sich dennoch, trotz Einnahme von PrEP-Medikamenten, mit HIV infizieren.
Die Wirksamkeit von 44% wurde zudem unter Studien-Bedingungen erzielt – nicht im realen Leben. Auch wenn die Forscher errechnen (!), eine Wirksamkeit von bis 95% sei möglich – zahlreiche (auch Präventions-) Studien zeigen immer wieder, dass die tatsächliche ‚Therapietreue‘ weit niedriger ist als die an Forscher berichtete. Bei PrEP handelt sich zudem nicht um eine Therapie einer vorhandenen Störung – sondern „nur“ um Vorbeugung. Ob derart hohe Schutz-Raten, wie sie die Forscher kalkulieren -und die lebenslange korrekte Medikamenten-Einnahme bei nicht Infizierten erfordern- im realen Leben tatsächlich machbar sind, sollte zunächst in weiteren Studien gezeigt werden.
Wie werden sich Menschen fühlen, die zwar eine derartige Vorbeugung machen, aber sich dennoch infizieren? Und zwar mit einem Risiko, das zumindest nach bisherigen Studiendaten deutlich über dem von Kondomen oder Viruslast-Methode liegt? Wie werden Menschen umgehen mit solch unterschiedlich wirksamen Schutz-Möglichkeiten?
Bei versagenden Kondomen könnte theoretisch eine Produkthaftung greifen – wie sähe es , ebenfalls theoretisch, mit der Haftung eines Pharmakonzerns für eine versagende oder nur teilweise wirksame PrEP aus?
Viele Fragen auch der Anwendung von Aids-Medikamenten bei nicht erkrankten Personen bleiben bisher noch offen.
Dass sich die Pharma-Industrie über jede medikamentöse Prävention freut, ist zu vermuten. Aber wie sieht es mit Nebenwirkungen der verwendeten Substanzen aus? Die jetzige Studie hatten einen Beobachtungszeitraum von zwei Jahren. Von zahlreichen (nicht nur Aids-) Medikamenten ist bekannt, dass Nebenwirkungen erst nach längerer Zeit auftraten – oder erst sichtbar wurden, als die Zahl der Menschen, die sie einnahmen, beträchtlich höher wurde.
Oder die Frage nach Langzeit-Wirkungen. Ein Mensch von heute 15 Jahren dürfte ein vielleicht bis 65 oder 70 währendes Sexleben haben. Sofern er lebenslang sein HIV-Infektionsrisiko minimieren möchte, würde er nach diesem Konzept 50, 55, vielleicht 60 oder mehr Jahre lang Medikamente zur Vorbeugung einnehmen – welche Wirkungen, Nebenwirkungen und Folgen hat dies? Erst recht über einen dermaßen langen Zeitraum?
Wenn Substanzen, die auch als Medikamente zur Behandlung eingesetzt werden, bei der Prävention in großem Umfang mit schlechterer Adhärenz eingenommen werden – wie sieht es dann mit der Entwicklung von Resistenzen aus? Wird möglicherweise gar durch unbedachte Verwendung von Aids-Medikamenten in der Prävention deren Einsatz zur Therapie gefährdet – eben aufgrund gehäuft auftretender Resistenzen?
Und – wer trägt die Kosten für eine etwaige medikamentöse HIV-Prophylaxe? Die Krankenkassen – die meist erst im Fall einer Erkrankung Kosten übernehmen (auch wenn es mit der ‚Pille‘ Ausnahmen gibt)? Oder wird diese Art der Prophylaxe zu einem weiteren Fall von ‚Lifestyle-Medikament‘, dessen Kosten der Patient bitte selbst zu tragen hat (wie jetzt schon bei Mitteln gegen Erektionsprobleme)?
Und – es geht ja um eine sexuell übertragbare Erkrankung – droht dann eine Reglementierung, wie viel PrEP, und damit auch wie viel Sex „in der Kostenerstattung“ ist?
Folgen aber wird die Studie auch für die Zukunft der Prävention haben. Kurzfristig ist mit PrEP vielleicht irgendwann „ein neuer Pfeil im Köcher“, steht der HIV-Prävention vielleicht ein weiterer Weg zur Verfügung, um die Rate an HIV-Neuinfektionen zu senken.
Langfristig könnten die Folgen weitreichender sein. So weist Prof. Rolf Rosenbrock (im Interview im DAH-Jahrbuch 2009/2010) bereits heute darauf hin, die weitere Entwicklung der Prävention hänge davon ab, „wie weit Politik und Gesellschaft überhaupt noch nichtmedizinische Primärprävention wollen“. Droht langfristig in Zeiten von PrEP die Gefahr einer rein bio-medizinische HIV-Prävention? Mit einem Rückfall in eine HIV-Bekämpfung nach den Regeln der „old public health“?
Die iPrEx-Studie zeigt erfreuliche Ergebnisse. Von der Anwendung in der Praxis ist die Prä-Expositions-Prophylaxe jedoch noch weit entfernt. Zahlreiche Fragen harren noch der Beantwortung – bei weiten nicht nur medizinische.
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Nachtrag:
23.11., 21:45: Einige Fragen, die die iPrEx-Studie aufwirft, diskutieren die beiden Direktoren der Studie; siehe aidsmap 23.11.2010: PrEP, the big issues: IPrEx study directors discuss unanswered questions.
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